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Louise Nealon – Snowflake

Liest man das Debüt der 1991 geborenen Irin Louise Nealon, könnte man sich in die Hochphase der 90er Jahre zurückversetzt fühlen, als die Highschoolkomödien amerikanischer Prägung boomten. Denn auch bei Louise Nealon kommt eine junge, unerfahrene Frau vom Land in die Großstadt, um dort zu studieren. Zum universitären Leben mitsamt seiner ganzen Verhaltenscodes und all den coolen Studenten findet sie nicht wirklich Zugang, schließt dann aber doch mit einer Gleichgesinnten Freundschaft, datet Männer, verliebt sich und erfährt dabei auch viel über sich.

Doch statt auf einem Campus in den USA spielt Snowflake im Irland unserer Tage. Die Universität ist das Trinity College und Debbie, so der Name der Ich-Erzählerin, entstammt einem Milchviehbetrieb in der Region Kildare, zu dem sie eine enge Bindung hegt.


Das Setting, der Erzählton und die Anlage des Romans weckt dabei viel Erinnerungen an Benedict Wells großen Romanerfolg Hard Land, erleben doch beide Figuren innerhalb kurzer Zeit viele Umbrüche und entdecken einige Geheimnisse – Liebe und Sexualität inklusive. Beide jungen Menschen werden mit Tod und Sterben, der Frage von innerfamiliärem Zusammenhalt und der Ausrichtung des eigenen Lebens konfrontiert. Und noch dazu ist der leichte, manchmal fast etwas ins harmlos Plaudernde abgleitende Erzählton gemein – und ebenso wie bei Hard Land dürfte die Zielgruppe für Snowflake auch schon im Jugendalter beginnen.

Doch zunächst einmal zum Inhalt von Louise Nealons Erzählung. Denn in dieser bekommt es Debbie mit den Tücken des universitären Lebens und dem Geheimnis ihrer eigenen Herkunft zu tun.

Studentenleben in Irland

Louise Nealon - Snowflake (Cover)

Zusammen mit ihrer Mutter lebt sie auf der familieneigenen Farm. Nebenan in einem Trailer wohnt ihr Onkel Billy, der die Familie etwas zusammenhält. Denn Debbies Mutter leidet an schwersten Depressionen, kann tagelang das Bett nicht verlassen – und auch ihren eigenen Vater kennt Debbie nicht, war ihre Mutter in ihren Jugendjahren doch reichlich promiskuitiv unterwegs, sodass ziemlich viele Männer als potentielle Väter in Frage kommen könnten.

Nun aber will sie an der Universität ein neues Kapitel ihres Lebens aufschlagen. Zwar bleibt sie weiterhin auf dem elterlichen Hof wohnen und pendelt mit dem Zug zum Trinity College, aber mit neuen Freund*innen und akademischen Herausforderungen hofft sie ihrem Leben einen entscheidenden Impuls zu verleihen.

Heute ist mein erster Tag an der Uni, und ich habe den Zug verpasst. Billy war sich ganz sicher, dass ich ihn noch kriege. Er hat zu lange mit dem Melken gebraucht und konnte mich erst danach zum Bahnhof fahren. Also komme ich jetzt zu spät. Wozu, weiß ich allerdings nicht so genau. Ich brauche Freunde, aber bis zum Mittag sind bestimmt schon alle guten weg. Es ist Orientierungswoche, und ich habe Collegefilme gesehen – wenn ich an der Uni meine zukünftig beste Freundin oder meine große Liebe treffe, dann am ersten Tag.

Louise Nealon – Snowflake, S. 16

Ihre Befürchtungen stellen sich dann teilweise als berechtigt heraus. Die universitären Codes und die des Studentenlebens, all das mag sich Debbie mit ihrer ländlichen Sozialisation und Prägung nicht wirklich erschließen. Nur in der forschen Xanthe findet Debbie eine Freundin, mit ihr bei allem Hilfestellung gibt, was man als Studentin ebenso tut. Diskussionen, Partys, Datinghilfe und mehr, all das erlebt Debbie in zunehmenden Maße.

Schwierig wird das neue Leben allerdings, da die Probleme zuhause überhandnehmen und ihre Mutter immer tiefer im schwarzen Schlund der Depression versinkt. Besonders als deren Freund genau auf die gleiche Art und Weise stirbt, wie Debbie dies zuvor geträumt hat, löst das schwere Erschütterungen aus.

Ein leichter Roman mit Schwere

Louise Nealon gelingt es auf leichte Art und Weise von ihrer Heldin Debbie zu erzählen, gleichzeitig aber auch der Schwere in Form der Depression der Mutter und dem Suchen nach dem eigenen Platz im Leben Ausdruck zu verleihen. Dabei macht der einfache Erzählton des Ganzen das Buch auch schon für Jugendliche interessant, die sich sicherlich mit Debbie und einigen ihrer Sorgen und Nöte identifizieren dürften.

In seiner Erzählweise ist das freilich nicht radikal, sondern eher brav. Und doch bereitet die Lektüre von Snowflake Freude. Man streift gerne mit Debbie durch Dublin, lernt ihren Blick auf die irische Gesellschaft und das Stadt- und Landleben kennen und wird noch einmal ins eigene Studentenleben zurückversetzt. Das weckt durch den Blick auf die Millenialgeneration natürlich Assoziationen zu einer anderen jungen irischen Autorin, die als Stimme dieser Generation gilt, nämlich Sally Rooney.

Fazit

Nebeneinandergestellt würde ich im direkten Vergleich allerdings Louise Nealons Debüt den Vorzug geben, gelingt ihr doch ein runder Roman, der gekonnt die Balance zwischen Schwere und Leichtigkeit, Humor und Ernst findet. Eine junge Stimme aus Irland, die ich aus obigen Gründen auch mit Benedict Wells in eine literarische Beziehung bringen würde und die schon für jugendlicher Leser*innen interessant sein dürfte. Schön, dass uns der Mare-Verlag dieses Debüt zugänglich gemacht hat und die Übersetzung Anna-Nina Kroll anvertraut hat, die schon bei Anna Burns bewiesen hat, wie gut sie irische Stimmen ins Deutsche bringen kann. Ein gelungener Einstand!


  • Louise Nealon – Snowflake
  • Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll
  • ISBN 978-3-86648-660-7 (Mare)
  • 352 Seiten. Preis: 24,00 €
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Norbert Scheuer – Mutabor

Der Eifel-Schreiber ist wieder da. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor schreibt Norbert Scheuer mit seinen Romanen eine Geschichte des Urftlandes in der Eifel – und widmet sich insbesondere dem Städtchen Kall, in dem Scheuer auch selbst wohnt. Mit Mutabor führt er seine Chronik des Urftlandes fort. Nur schade, dass er diesmal seine Geschichte unter allzu viel Erzählfragmenten verbuddelt.


Mit seinem letzten, vor ziemlich genau drei Jahren erschienenen Roman Winterbienen gelang Norbert Scheuer der Durchbruch. Hatte es schon zuvor ab und an Preise und Nominierungen für sein Schreiben gegeben, wurde ihm nun für seinen Roman über einen Imker, der zugleich als Fluchthelfer im Zweiten Weltkrieg arbeitete, der Wilhelm Raabe-Literaturpreis zugesprochen. Auch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte es Scheuer mit seinem Roman. Wie schon zehn Jahre zuvor mit Überm Rauschen gelang ihm auch mit diesem Buch der Sprung auf die Shortlist, wenngleich Saša Stanišić dann das Rennen machen sollte.

Zurück im Urftland

Nun, drei Jahre später, gibt es einen neuen Roman von Norbert Scheuer, der den Erzählzyklus des Urftlandes fortsetzt und erweitert.

Mitten im verschwundenen urzeitlichen Meer, in den längst versickerten Flüssen und ausgetrockneten Seen liegt das Urftland und in ihm Kall wie eine verlassene, öde Insel im Ozean der Zeit.

Vielleicht ist auch Mutter in diesem unendlichen Ozean für immer verschwunden. Die Grauköpfe wissen möglicherweise darüber Bescheid und wollen es mir nur nicht sagen.

Norbert Scheuer – Mutabor, S. 52 f.

Das Geheimnis ihrer Herkunft, es beschäftigt die Ich-Erzählerin Nina Plisson beständig. Ihre Mutter ist verschwunden, ihren Vater kennt sie ebenfalls nicht. Minderjährig ist sie der Aufsicht durch eine Betreuungsperson unterstellt, die sich aber als missbräuchlich erweist.

Norbert Scheuer - Mutabor (Cover)

Feste Fixpunkte in ihrem Leben sind eigentlich nur ihre Schildkröte, die als Referenz zu Virginia Woolf auf den Namen Orlando getauft wurde, und ihre Tätigkeit bei Evros, dem griechischen Kneipenwirt, der seine Gedanken auf Bierdeckel stempelt und der in Nina die diffuse Liebe zu Byzanz und den Störchen weckt.

Das Kreisen um die Fragen ihrer eigenen Identität wird das ganze Buch über bleiben, wenngleich Norbert Scheuer auch noch anderes Personal wie die ehemalige Lehrerin Sophia oder die männlichen Kneipenbesucher Striegl, Vincentini oder Hillarius kurz porträtiert und zu Wort kommen lässt.

Hier beginnen aber schon die Probleme, die ich mit Scheuers neuem Roman hatte, ist die Kürze hier doch wirklich ein Schwachpunkt der Erzählung.

Leider zu kurz und zu knapp

Es sind nicht einmal knapp 190 Seiten, die Mutabor aufweist. Von diesen 190 Seiten entfallen aber schon 33 auf Bierdeckel – das sind die Seiten, die kurze Sentenzen und Fantasien des Kneipenwirts Evros nebst an Rorschachtests erinnernden Kritzeleien und Spritzzeichnungen aufweisen (die schön gestaltet auch auf dem inneren Buchumschlag fortgeführt werden).

Bleiben als noch 160 Seiten für eine wirkliche Handlung, die sich hier leider in Fragmenten erschöpft. Zwar lässt sich eine Grundgeschichte der Identitätssuche Ninas aus dem Buch herauslesen, darum herum sind aber viele wenig zielführende, teilweise assoziative Motive und Andeutungen gruppiert, die die Entwicklung einer konsistenten Geschichte immer wieder unterbrechen. So lässt sich das folgende Bild auch auf das Erzählen im Buch selbst übersetzen.

„Ach, es geht um Nina. Sie behauptet, ihre Betreuerin habe ihr den Rucksack weggenommen, da seien all ihre Schätze drin gewesen. Ich kenne die Sachen, es sind verstörende Bilder, mit Skizzen vollgekritzelte Hefte, in denen es einzig und allein um die Frage geht, was aus ihrer Mutter geworden ist.“

Norbert Scheuer – Mutabor, S. 119 f.

Mit Skizzen vollgekritzelte Hefte, das ist ein passendes Bild für die erzählerische Gestaltung des Buch. So tauchen die Störche vom Cover ab und an als Leitmotive auf, griechische Mythen spielen eine Rollen, genauso wie die archaische und kraftvolle Flusslandschaft der Urft immer wieder in Szene gesetzt wird. Daneben geht es aber auch um gefangene Marder, Missbrauch , Armbänder, Demenz, Liebe der Kategorien vergeblich und hoffnungsvoll (zwischen Nina und dem Afghanistan-Heimkehrer Paul, den Scheuer-Leser unter anderem aus Die Sprache der Vögel kennen dürften, entspinnt sich langsam eine Romanze).

All das ist für meinen Geschmack etwas zu abgehackt und eben in der Sprache des Buchs skizzenhaft erzählt, als dass sich ein wirklicher Lesefluss einstellt und man in Scheuers Erzählwelt gezogen wird (wie mir das bei den Winterbienen passierte, die ganz so ganz anders sind und den erzählerischen Sog haben, der Mutabor fehlt).

Stilistisch klar erkennbar

Der enge Lokalbezug, die Verknüpfung der Figuren über die Bücher hinweg, die Vermengung von Fiktion und Realität im Nachwort, das bekannte Personal des grauköpfigen, kommentierenden Chores, die Sprachkraft, all das bildet ja die unverwechselbare stilistische Signatur des Eifeler Schriftstellers Norbert Scheuer und ist auch in diesem Buch wieder vorhanden – nur leider viel zu verhalten, als dass sich bei mir Begeisterung eingestellt hätte.

Das Gefühl eines Mangels an Plot setzt sich so leider auch auf der stilistischen Ebene fort, unter der auch die Entwicklung der Figuren leidet.

Scheuer war schon einmal stärker, was die Wahl seiner Figuren betraf. So hat mich die Erzählperspektive der jungen Nina nicht überzeugt und hinterließ einen etwas schalen Eindruck. Und auch die übrigen Figuren bleiben hier etwas diffus und bekommen wenig Tiefe oder gar Entwicklungsmöglichkeiten zugesprochen, was bei den gerade einmal 150 Normseiten auch wenig überraschen sollte.

Fazit

Wer Norbert scheuer durch den fantastischen Roman der Winterbienen kennengelernt hat, dürfte sich hier die Augen reiben, so anders ist doch dieses Buch. Zwar bleibt sich Scheuer mit Themen und Stil treu, doch gibt er hier den Verschachtelung und den Assoziationen vor der Entwicklung einer stringenten und klar deutbaren Geschichte den Vorzug. Damit steht er zwar in einer Reihe ganz ähnlich erzählter Bücher in diesem Frühjahr, doch wirklich mitreißen konnte er mich nicht. Vielleicht bedarf es noch einer sorgfältigen zweiten oder dritten Lektüre damit Mutabor sich im Wortsinn wirklich wandelt und zugänglich wird. Ich hätte aber überhaupt nichts dagegen gehabt, mich schon im ersten Anlauf überzeugen zu lassen und einmal mehr in die Welt des Urftlandes gezogen zu werden.

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Franziska Fischer – In den Wäldern der Biber

Der deutschen Literatur gebricht es an Weltläufigkeit. Es sind die immergleichen Berlin- und Dorfromane, die die deutsche Literatur hervorbringt, so lautet der oftmals vorgebrachte Vorwurf gegenüber der hiesigen Literaturproduktion. Und nun kommt Franziska Fischer daher und liefert noch einen weiteren Dorfroman. Den obigen Vorwurf kann dieses Buch nicht entkräften – aber gut unterhalten, wenn auch nicht klischeefrei. In den Wäldern der Biber.


Spechtenhausen ist ein Dorf im Brandenburgischen. In der Nähe von Eberswalde gelegen kann man dieses Nest wahrlich als Provinz bezeichnen. Dort lebt der Großvater von Alina, zu dem die junge Frau lange keinen Kontakt mehr hatte. Als sie sich nun von ihrem Freund in Frankfurt trennt, erinnert sie sich ihrer alten Familienbande und reist als kopfüber in die ostdeutsche Provinz.

Dort in Spechtenhausen will sie Abstand zum Erlebten gewinnen und ein paar Tage bleiben. Doch aus den Tagen werden Wochen, nachdem sie im renovierungsbürftigen Haus ihres Großvaters als Untermieterin Quartier bezogen hat. Während ihr Großvater in den Wäldern als lokaler Biberexperte die Population der Nager im Blick hat, lebt sich Alina langsam im Dorf ein und macht alte und neue Bekanntschaften.

Natur, Essen und Liebe

Um In den Wäldern der Biber in seiner Schwerpunktsetzung und Erzählweise zu untersuchen, genügen exemplarisch zwei Absätze aus dem Buch, die sich im Kapitel 20 auf Seite 263 finden:

Ich schmiege mich an seinen Rücken und umschlinge mit den Armen seinen Bauch, während der den letzten Teigrest verarbeitet. Parallel dazu wärmt er goldene Herbsthimbeeren aus Opas Garten mit etwas Ahornsirup in einem winzigen Topf auf, bis sich ein Teil in Sauce aufgelöst hat. Die Stirn zwischen seine Schulterblätter gelehnt, atme ich seinen Geruch ein und nehme seine Wärme auf, und für einen Moment habe ich das Gefühl, all das seit Ewigkeiten vermisst zu haben, obwohl man doch nichts vermissen kann, das man nicht kennt.

Wir frühstücken draußen, der Morgen ist noch frisch. Der Herbst tastet sich langsam näher, und ich habe das Gefühl ,so viel Wärme und Draußenluft und Sonne aufnehmen zu müssen wie nur möglich, um alles über die folgenden Monate versprenkeln zu können.

Franziska Fischer – In den Wäldern der Biber, S. 263
Franziska Fischer - In den Wäldern der Biber (Cover)

In den Wäldern der Biber legt – wie der Titel schon andeutet – einen großen Schwerpunkt auf die Natur dort im Brandenburgischen. Immer wieder streut Fischer Naturbetrachtungen der sommerlichen Lebenswelt im Garten und im angrenzenden Wald ein. Und auch wenn es einmal stürmt und sich der Wald in bedenklichen Zustand befindete – eigentlich ist die ganze Natur im Buch nur positiv assoziiert und wirkt auf Alina stimulierend (hier die Sonne und die Draußenluft, die für sie eine krasse Abwechslung zum stickigen und zubetonierten Frankfurt sind).

Neben der Natur spielt auch die Liebe ein große Rolle. Schon am ersten Abend landet Alina im falschen, da ursprünglichen Haus ihres Großvaters und macht die Bekanntschaft mit einer alleinerziehenden Mutter und ihrem Bruder Elias, der ebenfalls in der Hausgemeinschaft wohnt. Es ist nicht überraschend, wohin Fischers Roman mit dieser Personenkonstellation steuert. Natürlich nähern sich die beiden Singles an und es entspinnt sich eine Romanze, bei der sich die Frau dann natürlich an den Rücken des Mannes schmiegt.

Goldene Herbsthimbeeren und ein Foodtruck

Der dritte Faktor, der sich aus dem obigen Absatz herauslesen lässt, ist das Essen, das ebenfalls eine elementare Rolle spielt. Manchmal kommt man sich im Buch wie in der Wochenmarkt-Kolumne der Zeit vor, so regional und bio ernährt man sich hier und achtet den Wert der Lebensmittel. Alina konsumiert kaum tierische Produkte, was sie mit der Schwester von Elias verbindet. Man bereitet leichte Speisen zu, genießt gemeinsam und bekommt von der Nachbarin schon einmal Lasagne an den Zaun geliefert. Hier hält man sich Hühner, lässt Saucen einreduzieren und nimmt sich Zeit zum Essen und Genießen. So sind die Himbeeren dann ja auch nicht einfach Himbeeren, sondern eben goldene Herbsthimbeeren.

Der Singlemann selbst arbeitet in einer Pizzeria, experimentiert stundenlang in der heimischen Küche an Rezepten und brütet ob des richtigen Verhältnisses von Cassia- und Ceylonzimt und hegt einen großen Businessplan: die Selbstständigkeit mit einem Foodtruck.

Und auch wenn das alles natürlich begrüßenswert ist, so wirkte In den Wäldern der Biber auf mich doch stellenweise wie, ich mir im Kopf klischeehaft eine Familie auf dem Dorf mit Biokisten-Abo und indirekt beleuchteten Ottolenghi-Kochbuchregal vorstelle. Die eigene gut ausgestattete Küche im Eigenheim mit Blick ins Grüne, die Zeit für perlende Gespräche am Nachmittag, Ausflüge zur einer Freundin an die Ostsee. Das ist die Lebenswelt, die Alina in Spechtenhausen vorfindet und in die sie sich nahtlos einfügt. Zwischen all den teifsinnigen Gesprächen und Essensdates findet sie sogar noch Zeit zur Renovierung des großväterlichen Hauses und plant dessen Ausbau.

In seiner Betulichkeit und Erwartbarkeit war das für mich teilweise doch eher der Wohlfühl-Freitagsfilm in der ARD statt ein überzeugender Roman, der die Brüche im Dorfleben und im Charakter von Alina herausarbeitete. Verödung und Vereinsamung, Probleme mit Rechtsextremismus, Abwanderung, die Frage der eigenen Identität, soziologische Verwerfungslinien auf dem Land in Ostdeutschland – nichts hiervon findet sich im Buch, stattdessen las sich das Ganze für meinen Geschmack deutlich zu glatt und verklärend. Das Buch ist eine feelgood-Hymne auf das Dorfleben, dem ein paar kritischere Töne auch gut angestanden hätten.

Fazit

Franziska Fischer ist Lektorin und versteht ihr Erzählhandwerk, daran lässt In den Wäldern der Biber keine Zweifel. Rhythmus, Naturschilderungen, alles passt und ist sauber gearbeitet. Immer wieder gibt es genau beobachtete Formulierungen und ansprechende Beschreibungen, die überzeugen. Als Unterhaltungsroman funktioniert das Buch auch sehr gut – alleine ich hätte mir etwas mehr Tiefe und Brüche anstelle von betulicher Dorfromantik und erwartbaren Entwicklungslinien erhofft.

Mit In den Wäldern der Biber kann man sicherlich nicht den Gegenbeweis zur Provinzialität der deutschen Literatur antreten. Als Unterhaltungsroman und Hymne auf das Dorfleben in Brandenburg geht das Buch absolut in Ordnung, auch wenn ich mir mehr Tiefgang und Widerhaken gewünscht hätte. Diese subjektiven Wünsche und fehlgeleiteten Erwartungen meinerseits dürften dem Erfolg des Buchs auf dem Buchmarkt aber nicht im Wege stehen. Als feelgood-Roman ist Franziska Fischer Buch für eine breite Leserschaft sicherlich ein potentieller Konsens- und Erfolgstitel.


  • Franziska Fischer – In den Wäldern der Biber
  • ISBN 978-3-8321-6592-5 (Dumont)
  • 320 Seiten. Preis: 20,00 €
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Reginald Arkell – Charley Moon

Schon das Cover auf dem Leineneinband macht klar: Charley Moon kommt aus einer anderen Zeit oder um es mit anderen Worten auszudrücken: dieses Buch ist old-fashioned, um sprachlich gleich einmal am Handlungsort des Buchs anzukommen. Und tatsächlich ist Reginald Arkells Roman altmodisch im besten Sinne. Er präsentiert einen Bildungsroman, der dem idyllischen England, der Komik und dem Theater ein Denkmal setzt. Entschleunigte Feelgood-Unterhaltung!


In Little Summerford gehen die Uhren noch etwas anders. Der erste Weltkrieg steht kurz bevor, doch das große Weltgeschehen hat im idyllischen Städtchen nahe der Themse noch nicht Einzug gehalten. In einer baufälligen Mühle wächst Charley Moon als Sohn des Müllers auf. Für die Arbeit dort in der Mühle ist er nicht so recht geeignet, stattdessen verbringt er seine Zeit lieber unbeschwert mit Fischen, Wildern oder dem Träumen auf dem Dachboden der Mühle.

Von der Truppe bis ins Londoner West End

Reginald Arkell - Charley Moon (Cover)

Schon früh scheint sein Talent zu Späßen und musikalischen Einlagen auf. Nachdem ihm sein Vater eröffnet, die ganze Mühle und die umliegenden Ländereien verpfändet zu haben und dass Charley nichts als Schulden erben wird, stirbt er kurze Zeit später. Charley will nichts mit der Tradition der Moons zu tun haben und wählt den Weg zur Truppe.

1916 kommt er zu einem Regiment in Yorkshire, wo seine Talente bald Verwendung finden. Zusammen mit dem drittklassigen Mimen Harold Armytage ist er für die Unterhaltung der Truppe zuständig. Und auch über den militärischen Einsatz hinaus tut sich Charley mit Armytage zusammen, um als Komikerduo auf der Bühne zu stehen. Sie schließen sich einer fahrenden Produktion an, kommen ins Londoner Westend und schließlich erlebt Charley seine ersten großen Erfolge auf der Bühne. Aber wie das im Leben so ist – what comes up, must come down – und so wird auch Charley nicht ewiger Erfolg und Ruhm bescheiden sein.

Eine fast unberührte Idylle

Wer Charley Moon liest, findet eine fast unberührte Idylle in allen Belangen vor. Das kleine Dörfchen Little Summerford wirkt wie einem Buch Beatrix Potters entnommen, das Theater hat hier noch die Faszination, die ganze Dorfbevölkerung zusammenströmen lässt, die Figuren sind ehrliche Männer und Frauen, die zu ihrem Wort stehen und irgendwie fügt sich immer alles.

Hier gibt es sie noch die heile Welt auf dem Dorf, während in London die Verlockungen wie Pferdewetten, Billard und Trunkenheit lauern. Manchmal erinnert das Ganze an den Musicalklassiker My fair lady, dann wieder etwas an Dickens oder an die pastorale Idylle englischer Heimatmaler.

Reginald Arkells Buch ist neben der Hymne auf das entschleunigte Dorfleben auch eine auf das Theater. Hier im Londoner West End meint man, dass seit Shakespeares Stücken im Globe Theatre keine Minute verstrichen ist. Es herrscht Tumult, die Sperrsitze revoltieren gegen den Oberrang und die Zuschauer erschreien und erklatschen sich Zugaben von ihren Favoriten. Gegen den gesitteten und braven distinktionsgesättigten Theaterbesuch von heute nimmt sich Charley Moon ganz anachronistisch aus, was bei dem Blick auf das Erscheinungsjahr von 1953 auch nicht verblüffen sollte.

Die so lebendige Schilderung der Londoner Theaterwelt speist sich dabei aus Reginald Arkells Vita selbst (1881-1959). Denn neben seiner Leidenschaft fürs Gärtnern war Arkell als Stückeschreiber in London zwischen West End und Covent Garden sehr aktiv, verfasste Musical, Kabaretts und andere Bühnenwerke. So ist Charley Moon auch als Hommage an seinen eigentlichen Brotberuf zu verstehen, mit der er der Theaterwelt ein Denkmal setzt.

Fazit

Charley Moon ist ein ganz klassischer Bildungsroman, der das Dorfleben in Little Summerford feiert und der mit Charley Moon einen sympathischen und aufrichtigen Helden in den Mittelpunkt rückt. Wie schon in Pinnegars Garten beschwört Reginald Arkell hier auch eine urtypisch britische Welt herauf, die von allzu großem Unglück oder Not verschont bleibt. Wirklich warmherzige Feelgood-Unterhaltung, die in diesen Zeiten Eskapismus und Ablenkung verheißt.


  • Reginald Arkell – Charley Moon
  • Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich
  • ISBN 978-3-293-00538-9 (Unionsverlag)
  • 288 Seiten. Preis: 19,00 €
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Greg Buchanan – Sechzehn Pferde

Ist es ein Krimi? Ist es eine Erzählung übers Verschwinden? Ist es ein gelungenes Buch? Ich bin mir bei all diesen Fragen nicht sicher – was ich aber weiß: Sechzehn Pferde von Greg Buchanan ist ein außergewöhnliches Roman, der sich Erwartungen widersetzt und mit vielen Brüchen aufwartet.


Es ist ein grausam-skurriler Anblick, der sich dem Polizeibeamten Alec auf dem morgendlichen Acker eines Bauern in der englischen Einöde bietet. Sechzehn Pferdeköpfe wurden halb in der Erde verbuddelt, sodass eine Auge der Tiere noch in den Himmel blickt, der Rest der Köpfe aber verdeckt ist. Auch die entsprechenden Pferdeschweife finden sich in der Nähe – vom Rest der Körper fehlt allerdings jede Spur. Der Bauer, dem der Acker gehört, hatte noch nie Pferde und wundert sich, wie diese auf seinen Grund gelangt sind und kann Alec nicht weiterhelfen.

Um das Rätsel der Pferdeköpfe zu lösen, wird die Veterinärforensiker Cooper Allen hinzugezogen, die für die überforderte Polizei Licht ins Dunkel bringen soll. Wer hat die Pferdeköpfe vergraben, woher stammen die Tiere und was soll die skurrile Drappierung der Schädel bewirken? Alec und Cooper beginnen im kleinen Städtchen Ilmarsh zu ermitteln, einem von Verfall gekennzeichneten Küstenstädtchen, bei dem die täglichen Bingorunden noch das Spannendste zu sein scheinen.

Irgendwas ist faul im Städtchen Ilmarsh

Schnell stellt sich heraus, dass irgendwas faul im Städtchen Ilmarsh ist. Die Besitzerin einer Pferderanch hütet Geheimnisse, die das Hotel der Stadt gammelt vor sich hin, ein Landstreicher berichtet von zwei Personen, die er am Tatort gesehen hat, eine scheint geweint zu haben. Man findet Kisten mit verwesten Tieren, die verschiedene Buchstaben tragen. Der Fall wird zunehmend verworren und unübersichtlich.

„Nichts passt zusammen“, sagte Cooper und wandte sich dem Meer zu. „Jeder, der uns helfen könnte, ist tot oder lügt oder hat sich aus dem Staub gemacht. Dieser Fall ist vertrackt.“

Greg Buchanan – Sechzehn Pferde, S. 354

Und dann bricht der erste Teil des Buchs auch noch mit einem Paukenschlag ab. Alec hat einen schweren Unfall, sein Sohn verschwindet, alle Beamten, die am Tatort waren, erkranken plötzlich schwer. Die Pferdeschädel waren offenbar mit einer toxischen Anthrax-Variante verseucht, die eine – mehr Aktualität geht nicht – Quarantäne der Bewohner des Städtchens notwendig macht.

In der Folge liegt die Hauptlast der Ermittlungen auf den Schultern von Cooper, die nun alleingestellt das Rätsel dder Pferdeschädel und aller damit verbundenen Ereignisse zu lösen versucht.

Alles andere als konventionell

Greg Buchanan - Sechzehn Pferde (Cover)

Was bis hierhin vielleicht nach einem konventionellen Krimi geklungen hat, entpuppt sich in der Realität als alles andere als das. Oftmals beschlich mich beim Lesen der Eindruck, ich würde hier einem besonders experimentellen Dominik-Graf-Krimi beiwohnen. Das Buch wirkt durch zahlreiche Sprünge in der Betrachtung, eingeschobene Dialogfetzen, kurze Szenen, Chats und unklare Bezüge wie ein wild geschnittener und alles andere als konziser Film, bei dem Leerstellen und unterlassene Erklärungen zum erzählerischen Konzept gehören.

Auch wenn alle Zutaten für einen klassischen Krimi vorhanden sind (das Rätsel der Pferdeschädel, Ermittlerfiguren, eine Auflösung ganz am Ende) – so muss ich sagen, dass das, was Greg Buchanan daraus macht, alles andere als klassisch und nicht einmal zwingend ein Krimi ist.

Denn wo andere Autor*innen ihre Leserschaft an die Hand nehmen, die Figuren, ihre Hintergründe und aktuelle Entwicklungen ausbreiten, wählt Greg Buchanan den Ansatz der Verrätselung. Nichts wird auserzählt, vielmehr reißt er in unzähligen Szenen Dinge an, die ihn für seine Geschichte dann gar nicht weiter interessieren. Die Quarantäne der Stadtbewohner, die biografischen Hintergründe der Figuren, die einzelnen Sprünge nach vorne oder nach hinten werde teilweise nur en passant eingeflochten, nicht aber auserzählt. So etwas wie tiefenscharfe Figuren gibt es nicht, alle Charaktere stehen in Sechzehn Pferde nur lose nebeneinander, ohne große Verbindungen oder Beziehungen.

Schneisen im erzählerischen Dickicht

Zwar gibt es Schneisen in diesem erzählerischen Dickicht, aber diese verlieren sich auch gerne wieder oder enden im Nichts. So serviert uns Greg Buchanan kurz vor Schluss einen Täter und ein Motiv (womit wir wieder beim Krimi sind), schlüssig hergeleitet ist das eher weniger und wird sehr unvermittelt eingeführt. Auch die ganze Umgebung mit ihren Figuren bleibt seltsam nebulös. Es gibt Erpressungen, eine nahegelegene Insel, die mit ihrer Geschichte etwas an die Ostseeinsel Riems erinnert, die Anthrax-Vergiftungen, tote Tiere und verschwundene Menschen und Pferde – es bleibt aber zumindest für meinen Geschmack zu viel im Vagen.

Ich muss gestehen, dass ich mit den Sechzehn Pferden nicht wirklich warm wurde, auch wenn ich die erzählerischen Ansätze und die Weiterentwicklung eines konventionellen Krimis hier durchaus goutiere. Im Ganzen waren es mir dann aber doch einfach zu viele Brüche, Fragen und skizzenhafte Erzählelemente, die unaufgelöst blieben und keinen tieferen Sinn ergaben.

Wer einen Roman irgendwo zwischen Mystery, Krimi und Landschaftsschilderung sucht, der sollte definitiv einen Blick auf Buchanans Debüt werfen. Mich erinnerte das Buch in seinen erzählerischen Ansätzen und meinen eigenen falschen Leseerwartungen an Jon McGregors Buch Speicher 13, das für mich einige Berührungspunkte zu Sechzehn Pferde aufweist. Aber auch an Jon Bassofs Factory Town erinnerte mich das Debüt von Greg Buchanan des Öfteren.

Fazit

Ein mitreißender, linearer und spannender englische Krimi nach klassischer Machart ist das nicht. Vielmehr spielt Greg Buchanan mit Erwartungen, Verschwinden, Chronologie und Einsamkeit und schafft dadurch ein Werk, das in seiner Unangepasstheit und seiner schroffen Schnitt- und Erzähltechnik durchaus bemerkenswert ist. Für Begeisterungsstürme bei mir hat es leider nicht gereicht, obwohl ich mich eigentlich als passende Zielgruppe für Greg Buchanans Buch begreife.


  • Greg Buchanan – Sechzehn Pferde
  • Aus dem Englischen von Henning Ahrens
  • ISBN 978-3-10-397488-1 (S. Fischer)
  • 448 Seiten. Preis: 22,00 €
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