Tag Archives: Ehefrau

Ann Petry – Country Place

In der Coronakrise hat das Dorf und die Kleinstadt wieder an Prestige gewonnen. Viele sahen und sehen dort die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Viel Platz für Eigenheim und Kinder, ein begrenztes soziales Umfeld und (noch) erschwingliche Grundstückspreise. Das ist in heutigen Zeiten für viele Städter mehr als verlockend. Doch auch in der Literatur hat das Dorf jüngst eine Renaissance erfahren. Angefangen von Juli Zehs Bestseller Unterleuten über Dörte Hansen bis hin zu Christoph Peters reicht die Reihe an Büchern, die sich mit dem Dorfleben beschäftigen. Dabei schwingt auch immer die Gefahr der Verklärung mit, die das Dorf als Hort der Nostalgie und des reibungslosen Miteinanders personifiziert.

Ein Antidot zu solchen Verklärungen und falschen Vorstellungen ist Ann Petrys Roman Country Place. Ursprünglich 1947 erschienen, liegt das Buch nun erstmals in einer Übersetzung von Pieke Biermann auf Deutsch vor. Im Jahr zuvor erschien das grandiose und zu Unrecht vergessene Buch The Street Petrys in der Übersetzung von Uda Strätling. Es scheint, als beginne langsam die Renaissance dieser so kraftvollen und talentierten Autorin. Eine sehr begrüßenswerte Entwicklung!

Heimkehr nach Lennox

Ann Petry - Country Place (Cover)

Dabei beginnt alles mit einem klassischen Motiv: ein Held kehrt heim aus der Schlacht zu seiner Frau. Sein Name ist Johnnie, er hat im Zweiten Weltkrieg gekämpft und kehrt nun in das kleine Küstenstädtchen Lennox heim. Dort wartet seine Frau Glory auf ihn. Doch von Anziehung und Begehren nach der langen Absenz ihres Mannes kann keine Rede sein. Sie hat sich in der Abwesenheit mit dem Besitzer einer Tankstelle eingelassen, der im Städtchen als unverbesserlicher Frauenheld berüchtigt ist. Und so muss dieser moderne Odysseus erkennen, dass er sich in seinen Vorstellungen ein ganz anderes Bild gemacht hat, als es sich dann in der Realität präsentiert.

Doch nicht nur Johnnies Ehefrau war ihm untreu und wurde ihm abspenstig gemacht. Auch all die anderen Bewohnerinnen des Städtchens haben ihre Abgründe. Ehebruch, Antisemitismus und sogar versuchter Mord gibt es im kleinen Lennox, wie Ann Petry zeigt. Man belauert sich gegenseitig, intrigiert und spricht schlecht hinter dem Rücken übereinander. Oftmals braucht es dazu auch gar nicht den Rücken, sondern man sagt sich ins Gesicht, was man voneinander hält. Besonders die Figur des Taxifahrers, das „Wiesel“ sticht hier hervor und macht seinem Spitznamen alle Ehre. Er intrigiert, stichelt und hat dabei selbst doch auch eigene Leichen im Keller.

Die Hölle, das sind die anderen

Das Bild des Kleinstadtlebens, das Ann Petry in ihrem Buch zeichnet, ist alles andere als schmeichelhaft. Wie man übereinander herzieht, sich gegenseitig in schlechtem Licht dastehen lässt und sich das Leben schwermacht, daran hätte auch Jean-Paul Satre seine Freude gehabt. Erstaunlich an diesem Buch aus dem Jahr 1947 ist auch, wie Ann Petry als schwarze Autorin ihren weißen Mitmenschen gnadenlos den Spiegel vorhält. Sie zeigt all die Verlogenheit der sich so überlegen fühlenden Weißen. Schwarze kommt in diesem Roman allenfalls als Bedienstete vor.

Für einen Roman aus den 40er Jahren ist das wirklich bemerkenswert (man denke nur an den ähnlich gelagerten Fall von James Baldwins Roman Giovannis Zimmer). Da verzeiht man der Autorin auch manch arg plakativen Figuren und Motive. Dass der verschlagene und intrigante Taxifahrer „Das Wiesel“ heißt, dass es einen Sturm braucht, der die Beziehungen und Verhältnisse durcheinanderwirbelt, das ist alles etwas uneleganter als in The Street gelöst, dessen Qualität Country Place nicht ganz erreicht.

Und dennoch ist das Buch in seiner soziologischen Schärfe, seinen mit Krimi- und Kolportageelementen versetzten Plot durchaus stark und völlig zurecht jetzt auf Deutsch zugänglich gemacht worden. Zu keinem Zeitpunkt wirkt das Buch antiquiert oder inszenatorisch angestaubt. Country Place besitzt eine Frische und Stärke, die die diese deutsche Erstausgabe evident macht, wenngleich man als deutschsprachige Leser*in gute 70 Jahre Wartezeit in Kauf nehmen musste.

Das Nachwort von Farah Jasmine Griffin rundet das Buch hervorragend ab. Gelobt sei an dieser Stelle auch Pieke Biermann für ihre Übertragung und der Verlag Nagel & Kimche für den editorischen Mut, sukzessive das Werk Petry neu auf Deutsch zugänglich zu machen!

Eine weitere Besprechung zu diesem Buch gibt es bei Deutschlandfunk Kultur.


  • Ann Petry – Country Place
  • Aus dem Englischen von Pieke Biermann
  • Mit einem Nachwort von Farah Jasmine Griffin
  • ISBN 978-3-312-01225-1 (Nagel&Kimche)
  • 304 Seiten. Preis: 24,00 €
Diesen Beitrag teilen

Ulrike Draesner – Kanalschwimmer

Wenn Grenzen verschwimmen

I salute at the threshold of the North Sea of my mind
And I nod to the boredom that drove me here to face the tide
And I swim, I swim, oh swim

Dip a toe in the ocean, oh how it hardens and it numbs
The rest of me is a version of man built to collapse and crumb
And if I hadn’t come now to the coast to disappear
I may have died in a landslide of rocks and hopes and fears

So I swim until you can’t see land
Swim until you can’t see land
Swim until you can’t see land
Are you a man? Are you a bag of sand?

Frightened Rabbit: Swim until you can’t see land

Are you a man? Are you a bag of sand? Charles, der Ich-Erzähler in Ulrike Draesners neuem Roman Kanalschwimmer ist sich da nicht mehr so ganz sicher.

Im Falle von Charles ist es nicht die Langweile, die ihn an die Nordsee getrieben hat, wie es die schottische Band Frightened Rabbit in ihrem Song besingt. Es sind viel tiefergehende Ereignisse, die ihn hierhergebracht haben. Hierher, das heißt die englische Küste vor dem Ärmelkanal.

Dort will er sich selbst stellen und hinterfragen. Nachdem seine Frau aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen ist, sucht er nun die ultimative Erfahrung. Ein Jugendtraum, der ihn seit seiner Kindheit und der damit verbundenen Mitgliedschaft im Schwimmverein von Camden umtreibt. Er will den Ärmelkanal durchschwimmen. 34 Kilometer offene See zwischen Dover auf der englischen und Cap Gris-Nez auf der französischen Seite. Der Kampf gegen das Meer und sich selbst. Charles wagt ihn, und wir als Leser*innen sind unmittelbar dabei.

Schwimmen – eine Erfahrungsgeschichte

Ulrike Draesner erzählt ihren Roman als große Erfahrungsgeschichte. Als Erfahrungsgeschichte des Schwimmens, als Austesten der eigenen Grenzen. Und als Erfahrungsgeschichte der eigenen Schmerzen, des Verdrängens, der nicht geschlossenen Wunden, die sich in der eigenen Biographie so verstecken.

Das tut sie, indem sie Gestern und Heute kunstvoll verschränkt. Der Kunstkniff, der durch die Verwendung in Virginia Woolfs Mrs Dalloway populär wurde, er funktioniert auch im Falle von Kanalschwimmer einmal mehr ausgezeichnet. Denn während Charles schwimmt und das Meer und die Widerstände seines Körpers zu überwinden versucht, erinnert er sich in zahlreichen Rückblenden

Er erinnert sich an die Freundschaft zu seiner späteren Frau Maude, ihrer Schwester Abbie und Silas, seinem besten Freund seit dem Camdener Schwimmverein. Die komplizierte Freundschaft der Vier mitsamt dramatischer Ver- und Entwicklungen, einer Art britischer Wahlverwandschaften, steht im Mittelpunkt der Erinnerung.

Schließlich hatten und haben die Freundschaften und ein verhängnisvoller Sommer auf der Insel Sylt im Jahr 1978 Auswirkungen. Auswirkungen, die Charles nun bis ins Wasser der Meerenge zwischen Großbritannien und Frankreich getrieben haben.

All das erschließt sich nur ganz langsam und erfordert ein absolut konzentriertes Lesen. Denn Ulrike Draesner kondensiert eine ganze Biographie, eine mehr als komplexe Freundschaft und eine sportliche Herkulesaufgabe auf lediglich 174 Seiten. Das Prinzip von knapper Rahmenhandlung und dafür umso intensiver und umfassender Binnenhandlung, es geht auf. Aber man muss am Ball bleiben und auch die stellenweise nur hingetupften Bemerkungen im Kopf behalten, um am Ende ein ganzes (sehr stimmiges) Bild zu erhalten.

Großartig erzählt, montiert & formuliert

Kanalschwimmer ist große Erzählkunst. Und das hat mehrere Gründe.

Denn da ist zum einen die oben schon geschilderte Montagetechnik, mit der die 1962 geborene Autorin arbeitet. Die Verschränkung von Gegenwart und Vergangenem und das Einbinden der Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms geht auf und ist plausibel. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen den Zeiten. Das Abgleiten in die Erinnerung, wenn Charles‘ Kraulzüge durch das Meer zu monton werden, das ist toll gemacht.

Hier in Frankreich in der Nähe von Dover möchte Kanalschwimmer Charles anlanden.

Auch ist es bewundernswert, mit welcher Akribie sich Ulrike Draesner in die Thematik des Schwimmens eingearbeitet hat. Das Schwimmen im offenen Meer im Allgemeinen und das Durchschwimmen des Ärmelkanals im Besonderen schildert sie detailreich und höchst plastisch, sodass man sich förmlich an der Seite Charles im Wasser spürt. Welche Regeln für die Anlandung auf der französischen Seite des Ärmelkanals gelten, mit welchen körperlichen Schwierigkeiten man zu kämpfen hat, wie das Wasser des Kanals beschaffen ist: all das erfährt man in Kanalschwimmer, ohne dass es den Lesefluss zu sehr behindert.

Und dann ist da neben der Form und dem Inhalt auch noch die Sprache, die ich besonders loben möchte. Denn mit ihr wird dieses Buch endgültig zu etwas ganz Besonderem. Denn mit abgegriffenen Sprachbildern oder standardisierten Formulierungen wie sie in der Gegenwartsliteratur häufig der Fall sind, gibt sich Ulrike Draesner nicht ab. Vielmehr findet sie neue Bilder, um Charles Kampf durch den Ärmelkanal zu schildern. Poetische Schilderungen, orthographische Spielereien, Rhythmisierung – Kanalschwimmer bietet unerhörten literarischen Genuss. Mit Charles durch das Meer und damit durch Draesners Prosa zu schwimmen, das ist einer große Freude.

Über Fossilien also paddelte er, über vorweltlichem, halb tropischem Laubwerk, steinzeitlichen Beilen und schaufelartig ausladenden, versteinerten Geweihen, über längst verwehten Bedürfnissen, Träumen und Seelen.

Draesner, Ulrike: Kanalschwimmer, S. 50

Oder noch eine andere Stelle, die mich begeistert und deutliche Bilder in mir geweckt hat:

Unter Wasser war der Regen wie verwandelt. Klopfte nur an, berührte, löste sich auf. So sanft. Zum zweiten Mal wurde diese Überquerung schön. Frohgemut stellte Charles sich vor, in einer mind zu treiben. Sein Körper verschmolz mit allem, was ihn umgab. Lautlos schoben große Schiffe sich hinter dem Tropfenvorhang durch die obere Welt. Er war durchlässiger geworden, vielleicht auch ein wenig löchrig, er spürte sie, ohne sie zu sehen.

Draesner, Ulrike: Kanalschwimmer, S. 83

Da verzeiht man ihr auch, dass es manchmal etwas zu viel des Guten ist.

Unversehens saß er in einer Lichtmühle. Er saß auf einer Bank des Shakespeare Inn unter quietschendem Shakespeare-Schild in einem Schauer von Leuchtkörnchen, die auf ihn heruntergemahlen wurden. Hunderte Säcke von Lichtmehl waren explodiert. Eine Welt ohne Schatten, glitzernd und dicht. Er war aufrecht in sie gefallen.

Draesner, Ulrike: Kanalschwimmer, S. 36

Solches Metapher-Dauergeprassel bleibt aber eine Ausnahme. Normalerweise sind ihre Bilder gut gewählt, dezent eingesetzt und lösten in mir durchaus Bilder und Szenen aus. Es macht großen Spaß, eine solch kreative Sprache lesen und genießen zu dürfen, die niemals zum Selbstzweck verkommt

Fazit

Man kann es meinen zahlreichen Worten zuvor schon entnehmen: ich bin von Ulrike Draesners Kanalschwimmer wirklich mehr als begeistert. Stil, Technik, Haltung: was beim Schwimmen gilt, ist auch im Falle des Buchs wichtig – und stimmt einfach. Hier schreibt eine tolle Autorin mit dem passenden Zugriff auf ihr Thema. Gehaltvoll, begeisternd und ihre Erzähltechnik wunderbar ausnutzend, wie das zuletzt einige weibliche Autorinnen taten (wie etwa Lize Spit in Und es schmilzt oder Dagmar Leupold in Lavinia). Große Literatur, sprachmächtig und souverän verschwimmend.

Finde im Übrigen nicht nur ich, sondern auch andere Blogger. Marina Büttner von Literaturleuchtet, Hauke Harder von Leseschatz und BooksterHRO.


Und jetzt – auch in Erinnerung des zu früh verstorbenen Frigthened-Rabbit-Sängers Scott Hutchinson der großartige Song, der mir während der Lektüre von Kanalschwimmer im Kopf umging.

Diesen Beitrag teilen

Lauren Groff – Licht und Zorn

Was weiß man in einer Ehe wirklich über den Partner? Wer ist eigentlich diese Person gegenüber, der man die ewige Treue geschworen hat, in guten wie in schlechten Zeiten und was kennt man von ihr? Wenn es nach Lauren Groff in Licht und Zorn geht, gar nicht einmal so viel. Denn sie zeigt in ihrem Roman eindringlich, dass man zwar eine Ehe leben kann, dahinter allerdings zwei völlig unterschiedliche Leben stecken können, die nicht immer viel gemeinsam haben.


So etwa wie die beiden Leben von Lancelot, genannt Lotto, Satterwhite und Mathilde Yorden. Lotto, ein Draufgänger und Weiberheld, entflammt auf einer Wohnheim-Party auf dem Campus in unsterblicher Liebe zu Mathilde, die gerade durch die Tür den Raum betritt. In einem impulsiven Überschwang der Gefühle macht er Mathilde den Antrag und wenige Wochen später wird tatsächlich geheiratet. Dinge wie Kennenlernen oder gar eine Verlobungsphase gibt es bei Mathilde und Lotto nicht. Und entgegen aller Wahrscheinlichkeiten übersteht die Ehe die Zeit. Die beiden jungen Studenten wachsen zusammen, ergänzen sich, Lotto steigt zum erfolgreichen und vielgespielten Dramatiker auf, während Mathilde ihm den Rücken freihält und ihn erdet. Die beiden Menschen sind das Musterbeispiel einer Symbiose – das Eheversprechen scheint für sie wie gemacht.

So erleben wir dies zumindest im ersten mit Licht überschriebenen Teil des glänzend geschrieben und komponierten Romans. Lotto als Mittelpunkt der Erzählung zeigt sich als narzisstischer, verletzlicher und auch widersprüchlicher Mensch, der immer neu um schöpferische Eingebung ringt und dessen von ihm ersonnenen Stücke und Opern sich auch in Ausschnitten in der Geschichte wiederfinden. Immer wieder zeigt Lauren Groff Lotto als Suchenden, der sich manchmal in Strudeln zu verlieren droht, wenn da nicht Mathilde wäre, die seinen Anker und Ruhepol bildet. Über Jahre hinweg begleitet sie Lotto und sein Umfeld und betrachtet seine Entwicklungsschritte hin zum gefeierten Autor.

Licht – und Zorn

Lauren Groff - Licht und Zorn (Cover)

Nach dramatischen Ereignissen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, springt Lauren Groff anschließend in Zorn zu Mathilde und erzählt nun ihr Leben und ihre Sicht der Ehe. Hier zeigt sich langsam die vollständige Klasse dieses Romans, denn Mathildes Blickpunkt macht aus diesem bis dahin bereits großartigen Roman endgültig ein Meisterwerk. Der Gegenblick auf alle Ereignisse, das was man dem Partner verschweigt und Überraschungen, die einen selbst ereilen – all das ist wunderbar und glaubwürdig gelungen. Immer wieder fragt man sich, ob man gerade wirklich von jener Ehe liest, die Lotto zuvor geschildert hat.

Die Blitzhochzeit, das Davor und Danach – Lauren Groff zeigt sich als Meisterin der Montage und des Erzählens. Ihr gelingt es, Mathilde genauso plastisch und glaubwürdig wie Lotto zu zeichnen. Durch diesen zweiten Teil wird das Buch erst abgerundet und ergänzt – wobei sich Groff bis zum Schluss Enthüllungen und Kniffe vorbehält. Das lässt den Roman zu keiner Sekunde langweilig werden, im Gegenteil. Obwohl man annehmen könnte, dass es nichts Öderes und Konventionelleres als die Schilderung einer Ehe gibt – ein packenderes Leseerlebnis habe ich in letzter Zeit kaum erlebt.

Ambivalentes Erzählen

Beständig schwankt man in der Bewertung dieser Ehe und ihrer ProtagonistInnen. Soll man Lotto und Mathilde bewundern für ihren Wagemut und ihre Hingabe – oder ist vielmehr das Gegenteil angebracht und die beiden verdienen Mitleid oder gar Verachtung? Wunderbar ambivalent erzählt Lauren Groff diesen ausgefuchsten Plot, vieles bleibt in der Schwebe und am Ende dem Leser selbst überlassen. Dies macht für mich die Klasse dieses Buchs aus, obwohl natürlich noch viele weitere Faktoren eine Rolle spielen.

Wie oben schon angedeutet, ist ein weiterer Faktor auch die Bauart des Romans. Neben der konsequenten Zweiteilung in Lottos und Mathildes Sicht ist die Montagetechnik Groffs wunderbar – ganze Zeitabschnitte werden von ihr gerafft, dann springt sie wieder zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her. Das sorgt für Abwechslung im Lesefluss und fordert den Leser. Auch die Sprache von Lauren Groff ist poetisch, präzise, immer angemessen – und natürlich muss an dieser Stelle dann auch die Übersetzerin Stefanie Jacobs genannt werden. Eine großartige Leistung, wie sie den sprachmächtigen Plot ins Deutsche überführt.

Selten begegneten mir bislang derart plastische Figuren, die weit über das Buchende bei mir blieben. Die Strahlkraft dieses Romans ist genauso enorm wie sein erzählerischer Sog. Ein Buch, das zum Wiederlesen einlädt oder dies sogar implizit einfordert. Definitiv ein Kandidat für meine ewige Top 10. Ich gebe für dieses Buch eine unbedingte Leseempfehlung ab – besonders auch dann, wenn man vor der Entscheidung steht, den Bund fürs Leben einzugehen.


  • Lauren Groff – Licht und Zorn
  • Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
  • ISBN 978-3-446-25428-2 (Hanser Berlin)
  • 432 Seiten. Preis 13,99 (E-Book)
Diesen Beitrag teilen

Melanie Raabe – Die Wahrheit

Homeland auf Deutsch

Philipp Petersen ist wieder da. Sieben Jahre lang war der Ehemann von Sarah Petersen irgendwo im Dschungel Südafrikas verschwunden, gekidnappt heißt es. Nun wurde er befreit und wird zurück in die Heimat zu seiner Familie geflogen und steht plötzlich von Reportern umringt auf dem Rollfeld. Das Problem das sich nun bei der Sache stellt, ist nur Folgendes – Sarah Petersen hat die Person, die Philipps Namen trägt und neben ihr auf dem Rollfeld der Presse zuwinkt, nie gesehen. Wer ist der Fremde neben ihr?

fallenstellerFleißigen Zusehern der US-Serie Homeland sollte dieser Plot bekannt vorkommen. Heißt in der Serie der Rückkehrer Adrien Brody ist es hier Philip Petersen, dem der Zuseher bzw. Leser misstraut und nicht über den Weg traut. Die Ich-Erzählerin Sarah und der Fremde belauern sich im Buch permanent – dies schildert die Autorin auch mithilfe der verschiedenen Kapitel, die aus beiden Perspektiven erzählt das Geschehen fortentwickeln. Melanie Raabe präsentiert zwei Seiten einer Wahrheit, zwei Menschen, die sich gnadenlos beharken und von denen jeder seine ganz eigenen Wahrheiten hat – doch gibt es sie überhaupt, die Wahrheit? Continue reading

Diesen Beitrag teilen