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Andreas Pflüger – Kälter

Zwischen Amrum und Wien, Ballerballett im Zug, RAF-Terroristen und Ausbildungscamp in der Negev-Wüste: in Kälter schickt Andreas Pflüger wieder eine hochgefährliche Frau in die nicht minder gefährliche Welt der Geheimdienste und lässt sie einen legendären Terroristen jagen. Während um sie herum nicht nur die Mauer fällt, sondern auch Gewissheiten bröckeln, muss sie erkennen, dass manche Kriege auch über ihr Ende hinaus andauern können.


Irgendwo zwischen seinem Roman Ritchie Girl und dem Kalten-Krieg-Thriller Wie Sterben geht muss es passiert sein, dass Andreas Pflüger seinen appetite for destruction entwickelt hat. Zertrümmerte der in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielende Roman Ritchie Girl hauptsächlich noch schmerzhaft Mythen und Vorstellungen, war es im darauffolgenden Roman gleich einmal die Glienicker Brücke, die der Autor zu Beginn in die Luft jagte. Mit Kälter setzt sich diese explosive Zerstörungswut nun fort, diesmal ist es das berühmte Riesenrad im Wiener Prater, das in den Pflüger’schen Fokus geraten ist und das auch das Cover im erprobten Design des Vorgängerromans ziert.

Das ist schlüssig, denn nicht nur optisch, auch inhaltlich zeigen sich viele Verbindungslinien zu Wie Sterben geht, denen der Roman nachspürt. Das hat mit dem Setting zu tun, das diesmal zwar mit dem Jahr 1989 schon am Ende des Kalten Kriegs angekommen ist, dennoch aber noch dessen Geist von Spionage und Paranoia atmet, wie es der zuvor erschienene Roman tat.
Und auch einige Figuren aus Pflügers letzten Roman haben ihre Auftritt, vom Top-Spion Rem Kukura über den BND-Präsidenten Julius Boehnke bis hin zu Nina Winter, jener Frau, die im kalten Moskau den Geheimdiensten und Todesgefahren trotzte und die nun Luzy Morgenroth ein entscheidendes Stück auf deren Mission begleiten darf.

Morgenroth in der Nacht

Andreas Pflüger - Kälter (Cover)

Morgenroth – ganz typische Pflüger – ist die neue Heldin, die den Staffelstab des Kampfs gegen die Geheimdienste und Verbrecher übernimmt und dabei weder in Sachen körperlichen Einsatzes noch mit Willensstärke geizt. Denn obschon sie ein recht beschauliches Leben als Inselpolizistin auf Amrum fristet, war dem nicht immer so.

Das zeigt sich spätestens, als Luzy in einer sturmumtosten Nacht auf der Insel im Alleingang einen ganzen Trupp von Killern erledigt. Das Ein-Frau-Kommando, es hat eine Geschichte, wie Pflüger im Folgenden zeigt. Denn einst war Luzy ein „Sherpa“, schützte Politiker und trainierte in der Negev-Wüste Krav Maga. Bis heute verbindet sie eine Freundschaft mit Richard Wolf, dem BKA-Präsidenten (der wie einige Pflüger-Figuren bereits durch eine ganze Reihe von Romanen des Saarländers geisterte). Dieser bestärkt sie auch in ihrer Mission, die sie nun nach all den Jahren im Staatsdienst klarer denn je erkennt.

Der Trupp der Killer führte nämlich ein Aktenblatt bei sich, das sie wieder auf die Spur von Babel bringt. Bei ihm handelt es sich um einen Top-Terroristen, dem sie schon einmal im King-Solomon-Hotel in Tel Aviv die Klingen oder besser die Flugbahnen ihrer Kugeln kreuzte. Zahllose Terroranschläge und Morde gehen auf sein Konto – so auch in Tel Aviv, wo sich durch das Aufeinandertreffen der beiden zwei Lebensbahnen verbinden sollten, die nun wieder eng aufeinander zuzulaufen scheinen.

Auf den Spuren Babels

Einst schwor sich Luzy, Babel zur Strecke zu bringen. Nun bekommt dieses Vorhaben neuen Auftrieb, denn das Aktenblatt weckt bei Luzy und ihrem Vertrauten Richard Wolf einen ungeheuerlichen Verdacht. Wird der im Dunstkreis der RAF erstmals in Erscheinung getretene Babel vom Ministerium für Staatssicherheit geführt? Um ihrem Verdacht nachzugehen und ihre Mission zu einem Ende zu führen, quittiert Luzy den Dienst auf Amrum und begibt sich auf eine Reise, die sie von Amrum über Berlin und Pullach bis nach Wien führt – und mit mächtigen Gegner konfrontiert.

Als sie mit Babel endet, fasst Nika ihre Hand. „Du willst den gefährlichsten Mann der Welt töten. Der von der mächtigsten Organisation geschützt wird, die es gibt. Jeden anderen würde ich für wahnsinnig erklären. Dich nicht.“

Andreas Pflüger – Kälter, S. 364

Ähnlich wie Jenny Aaron (die hier ebenfalls einen kleinen Cameo-Auftritt absolvieren darf) konfrontiert Andreas Pflüger auch Luzy Morgenroth wieder mit einem schier übermenschlichen Terroristen, der durch Kugelhagel unbeschadet gehen kann und über eine mächtige Terrorinfrastruktur verfügt, mit der man es eigentlich gar nicht aufnehmen könnte, wäre man nicht aus dem Material gestrickt, aus dem Pflüger seine Heldinnen gießt.

Rache um jeden Preis

Willensstärke, Kampfkunst und viel Beharrlichkeit, sie sind die Mittel, mit denen Luzy Babel zur Strecke bringen will. Dass die Jagd nicht ohne Opfer bleiben wird, es versteht sich von alleine. Denn spätestens seit der Nacht auf Amrum sinnt sie auf Rache, die sie um jeden Preis erleben will.

Das Ergebnis des Ganzen sind genau durchchoreografierte Actionszenen, die mal in einem Zug, mal im U-Bahnnetz Münchens spielen, und die vom Geist der zerfallenden Kriegsfronten im Kalten Krieg durchdrungen sind. Vom Sturm auf die Stasi-Zentrale in der Nacht des Mauerfalls bis hin zu den undurchsichtigen Spielen zwischen KGB, Stasi, BND und anderer westlicher Geheimdienste reicht der zeitgeschichtliche Bogen, den Pflüger spannt und der in Wien sein Ende findet. Dieses Wien gerät bei ihm zu einem heißen Spionagepflaster, das die Geheimdienste ganz genau unter sich aufgeteilt haben und durch dessen Straßen immer noch eine Echo der Zither Anton Karas‘ aus Carol Reeds Der dritte Mann weht.

Beschattungen, Ballereien und ein bisschen Liebe sind die Zutaten, aus denen Pflüger seinen spannenden Cocktail mischt. Dazu gibt es wie gewohnt literarische Zitate und ungewohnte sprachliche Bilder bis hin zu Physikexkurse mit Stephen Hawking, die Pflüger in seine Action mit hineinmengt.

Fazit

Alles ist da für einen erneut außergewöhnlich guten Thriller. Und doch – ein bisschen weniger dicht ist das Ganze, als man es von Pflüger kennt. Manchmal zerfällt das Ganze in seine Einzelteile zwischen Actionsequenzen und Geheimdienstgeschichte. Die übermenschliche Nemesis, bei deren Bekämpfung die Heldin zu nicht minder übermenschlichen Taten in der Lage ist, man kennt es doch schon von Jenny Aaron und ihrem Kampf gegen Ludger Holm, der ein ähnliches Duell bedeutete, wie es hier gezeigt wird. Auch kennt man als Pflüger-Leser teilweise die Figuren und Schauplätze wie die BND-Zentrale in Pullach ebenfalls, sodass Kälter ein wenig das Neue oder Überraschende fehlt.

Gewiss, es ist Mäkeln auf höchstem Niveau – und dennoch – ein neuer kriminalliterarischer Gipfel ist es nicht, aber dafür wandelt Pflüger beachtenswert weiter auf dem Hochgrat des (deutschsprachigen) Thrillerolymp, der Zeitgeschichte und Spannung gelungen miteinander kombiniert.


  • Andreas Pflüger – Kälter
  • ISBN 978-3-518-43258-7 (Suhrkamp)
  • 495 Seiten. Preis: 25,00 €

Louise Doughty – Deckname Bird

Bis nach Island schickt die Autorin Louise Doughty ihre Heldin Heather Berriman, die als Spionin für den Britischen Sicherheitsdienst unter dem Deckname Bird tätig ist. Brisante Erkenntnisse sorgen dafür, dass sie untertauchen muss. Dafür muss sie vom Radar ihrer Arbeitgeber verschwinden – und vor allem überleben.


Heather Berriman ist eine unauffällige Frau. Anfang fünfzig versieht sie ihren Dienst im Verbindungsbüro 2.6 des britischen Geheimdienstes. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten Kieron und den Kolleg*innen ist sie mit internen Ermittlungen befasst und soll die Verlässlichkeit der Geheimdienstmitarbeitenden überprüfen. Doch schon auf den ersten Seiten tritt Heather eine schnelle, aber keineswegs kopflose Flucht an. Sie begibt sich aus dem Verbindungsbüro in Birmingham und tritt eine Flucht an, die sie über Schottland und Norwegen bis nach Island führen soll. Doch was die Hintergründe für ihre plötzliche Flucht sind, das zeigt sich erst deutlich später in Louise Doughtys Text.

Mit Deckname Bird hat die Britin einen geradezu klassischen Spionageroman geschrieben, der die Welt der Geheimdienste und vor allem die Welt des Untertauchens und spurlosen Gangs durch die Welt zelebriert. Sonderlich innovativ ist der Stoff der Agentin auf der Flucht dabei natürlich nicht.

Eine Agentin auf der Flucht

Louise Doughty - Deckname Bird (Cover)

Dass Geheimdienstmitarbeiter untertauchen müssen und sich gegen ihre früheren Arbeitgeber und deren Überwachungsapparat zur Wehr setzen müssen, ist ja essenzielles Handwerk von Agenten und wird dementsprechend immer wieder in Romanen aufgegriffen. Drehbuchautor Anthony McCarten strickte aus der Idee des Untertauchens gar einen ganzen temporeichen Thriller, in dem er die Möglichkeiten heutiger Überwachungstechnik auslotete und damit nicht gerade dazu beitrug, die Skepsis angesichts dieser Technik zu verringern. Ganz so temporeich ist Doughtys Thriller nicht, der sich lieber auf andere Aspekte des Untertauchens konzentriert.

Bei ihr hat besitzt das Untertauchen nämlich keinerlei Glamour und Nervenkitzel, sondern ist harte Arbeit. Der Weg nach Schottland ist von Entbehrungen gekennzeichnet und bringt Doughtys Agentin in Kontakt mit Obdachlosen oder übergriffigen Männern. Stets mit der Angst nach Überwachern in ihrem Nacken treibt es die Frau von Versteck zu Versteck, wobei ganz basale Probleme wie Hunger oder die Probleme bei der Toilettenbenutzung verhandelt werden. Da geraten selbst toll eingefangene Schauplätze wie ein Cottage in Schottland, die Berge in Norwegen oder die überwältigende Schönheit der Natur Islands ins Hintertreffen.

Rauer und realitätsnäher als ihre Kollegen

Wer sich Hochglanz-Action und reinen Thrill mit Finten und ausgeklügelten Manövern erhofft, der ist bei Deckname Bird fehl am Platz. Das Untertauchen hier bedeutet Angst, Einsamkeit, Unsicherheit und Entbehrung, vor allem aber immer Arbeit. Damit ist Louise Doughtys Thriller deutlich rauer und realitätsnäher als die Thrillerprodukte eines John Le Carré oder Robert Ludlum.

Die Spannung ihres Romans zieht sich aus der Frage des Überlebens einer Heldin, die als Frau mittleren Alters zudem deutlich abweicht vom üblichen Casting solcher Spionageromane. Damit gelingt Louise Doughty ein Roman, der dann eben doch herausstechen kann aus dem Vielerlei anderer Bücher mit ähnlichem Plot.

Schade ist allein die an manchen Stellen recht nachlässige Übersetzung des Buchs. So gibt es „Nordlichter“ anstelle von Polarlichtern zu bestaunen, den Finger schmückt ein „Hochzeitsring“ anstelle eines Eherings oder jemand kennt die „Raffiniertheit“ von Heathers Vater anstelle von dessen Raffinesse (obgleich beide Formulierungen im Deutschen zulässig sind, sich letztere aber zumindest für mich idiomatischer und runder liest als die etwas gequält klingende Nominalisierung, die im Buch Anwendung gefunden hat).

Fazit

Das anstrengende und entbehrungsreiche Versteckspiel einer Frau vor ihrem ehemaligen Arbeitgeber wird bei Louise Doughty zu einer spannenden Angelegenheit. die durch ihre Realitätsnähe und die für derartige Thriller ungewöhnliche Heldin besteht. Diese Heather Berriman ist eben kein James Bond und kein George Smiley, die locker flanierend durch die Handlung des Buchs schreitet. Diese Heldin kämpft, zittert, leidet. In Sachen Ungebügeltheit in puncto Plot und Personal ist das eher an Mick Herrons Slow Horses dran als an weltläufigem Agentenkitzel.

Das macht aus Deckname Bird einen zeitgenössischen und realistischen Agententhriller, der eine eigene Note in das weite Feld dieser Art von Spannungsliteratur einbringt – und der mit einer sorgfältigeren Übersetzung vielleicht noch etwas mehr geglänzt hätte.


  • Louise Doughty – Deckname Bird
  • Aus dem Englischen von Astrid Arz
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47494-5 (Suhrkamp)
  • 390 Seiten. Preis: 18,00 €

Tinder und Terror

Wie lernt man als mittelalter Mann in Scheidung lebend neue Frauen kennen? Und wie soll man das bewerkstelligen, wenn nebenbei im Job noch eine weitere Herausforderung wartet, etwa ein potentieller Terroranschlag in Deutschland? Darüber hat Ute-Christine Krupp einen Roman geschrieben. Punktlandung heißt er und ist bei Wallstein erschienen.


Behörden haben in Deutschland meist keinen guten Ruf. Zu unüberschaubar, zu bürokratisch, zu anonym. Meist in grauen, brutalistischen Bauten untergebracht fristen sie ein Dasein am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das ändert sich meist nur, wenn etwas passiert ist, man denke nur aktuell an das Paul Ehrlich-Institut oder das Robert Koch-Institut, die nun im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stehen. Meist aber bleiben die Behörden in Deutschland in Sachen Wahrnehmung äußert unkonkret und pflegen dieses Image teilweise auch bewusst. Wer weiß schon genau, was etwa der Bundesnachrichtendienst in seinem neuen Bau in Berlin so treibt? Wenn nicht gerade ein Untersuchungsausschuss nach einer Panne etwas Licht ins Dunkel bringt, bleibt für uns Otto Normalverbraucher das Tun und Treiben in den Bauten der Behörden sehr uneinsichtig. Wer wertet eigentlich die Telefondaten aus? Wer ordnet Überwachungen an und wer trifft Entscheidungen, ob die Organe der Exekutive in Aktion treten sollen?

Es sind immer Menschen. Menschen mit Stärken und Schwächen, mit Privatleben und Sehnsüchten. Keine wirklich bahnbrechende Erkenntnis, zu der Ute-Christine Krupp in ihrem Roman gelangt. Aber doch interessant erzählt.

Im Dienst der öffentlichen Sicherheit

Ihr Protagonist heißt Paul Jost. Er arbeitet in Berlin und ist in den bürokratischen Apparat für die öffentliche Sicherheit eingebunden.

Er schiebt Protokolle und Auswertungen mit einer fahrigen Bewegung zur Seite. Dafür wird in den nächsten Tagen nicht viel Zeit sein. Er setzt sich aufrecht hin, atmet einmal tief durch und schaltet den Computer an. Zuständig ist er bisher für die Erarbeitung von Aussteigerprogrammen im Bereich Islamismus und für die Vorbereitung von Entscheidungen der G10-Kommission, die einmal im Monat hinter schusssicherne Scheiben tagt und festlegt, wer in welchem Umfang abgehört und wessen Mails mitgelesen werden. Er prüft vorab die Anträge nach juristischen Kriterien. Wenn sich die Hinweise von heute Morgen verdichten, die Gefahr sich weiter konkretisiert, wird er zum ersten Mal an einem Krisenstab teilnehmen.

Ute-Christine Krupp – Punktlandung, S. 7

Und ja, Paul Jost wird tatäschlich am Krisenstab teilnehmen. Denn die Hinweise verdichten sich, dass ein Anschlag in Deutschland droht. Der Reichstag und damit auch die ganze öffentliche Sicherheit ist in Gefahr. Und so rückt er in die erste Reihe des Krisenstabs und ist für die Überwachung der potentiellen Attentäter zuständig. Immer mit dem Handy in Griffweite muss er entscheiden, ob eine weitreichende Abhöraktion der möglichen Terrorzelle gerechtfertigt ist. Ist es zu vertreten, die Überwachung massiv auszuweiten, auch ohne juristische Befugnis? Schlägt die öffentliche Sicherheit den Datenschutz?

Wie sich ein neues Leben aufbauen?

Ute-Christine Krupp - Punktlandung (Cover)

Nicht nur mit diesen Fragen muss sich Jost befassen. Noch mehr beschäftigt ihn die Frage, wie man als mittelalter Mann noch einmal eine Frau kennenlernt. Er lebt in Trennung von seiner Frau, für die beiden Kinder teilen sie sich das Sorgerecht. Mit einer Durchschnittswohnung in Berlin, einem Job in einer anonymen Behörde und dem Wunsch nach einer einer Beziehung tut er sich im Privaten um. Es gilt, sich ein neues Leben aufzubauen. Aber geht das überhaupt parallel? Dating, während da draußen eine diffuse Lage herrscht und ein Anschlag droht? Tinder und Terror?

Ute-Christine Krupp wählt für ihren Roman eine interessante Erzählweise. In kurzem, stakkatohaftem Ton erzählt sie im Präsens von Paul Jost. Überwiegt zunächst die Schilderung seiner Tätigkeit im Berliner Behördenapparat, übernimmt bald das Privatleben eine immer zentralerer Rolle. Seine Ehe mit Gesine, deren Scheitern, seine Midlifecrisis. All das überlagert im Buch langsam das Berufliche. Seine Dates, das schwierige Kennenlernen von Frauen, das scheint Jost immer mehr zu beschäftigen als der mögliche Anschlag. Zunehmend verschränken sich die Ebenen. Privates vermengt sich mit Öffentlichem, Vergangenheit mit Gegenwart, das Sehnsucht nach einer Beziehung mit dem Bedürfnis von Überwachung. Auch der Text bildet dieses Assemblage nach. Die Erzählebenen überlagern einander und die hastige und verknappte Syntax drängt voran.

Behördendeutsch und Liebe

Diese ist im Falle von Punktlandung wirklich doppelt spannend. Denn Krupp versucht sich mit ihren Schilderungen auch an einer Nachahmung der überhasteten und sachlichen Behördensprache, die vom Horror eines möglichen Anschlags geprägt ist.

Alle Orte, an denen sich diese Person aufhält, dargestellt auf einer Karte. Paul Jost parkt sein Fahrrad an einer Laterne und läuft durch die Straße. Eine lange und ruhige Straße. Der Mann wohnt unweit der Moschee, in der er betet. Die Moschee ist ein rechteckiges Gebäude mit Wendeltreppe. Geschlossen, wenn nicht gebetet wird. Bei dem Mann handelt es sich um einen Deutschen, der zum Islam konvertierte. In einem Eckhaus wohnt er. Blickdichte Gardinen. An einem der Fenster des Hauses im oberen Stockwerk hängt ein gebastelter Stern.“

Ute-Christine Krupp – Punktlandung, S. 74

Zugleich erzählt sie in dieser technokratischen Sprache von Liebe und dem Wunsch, eine passende Partnerin zu finden. Kann das funktionieren? Und prägt die Sprache der Juristerei und Behörden das eigene Denken und Handeln? Das untersucht Ute-Christine Krupp auf spannende Art und und Weise. Wie verhält sich ein Überwacher, wenn er nun in die Welt des digitalen Kennenlernens vorstößt? Und kann man sich die Ruhe für ein Date nehmen, wenn jeden Moment das Handy mit einer Schreckensnachricht von den eigenen Kollegen klingeln kann?

Fazit

In der Überführung dieser behördlichen Hast und Anspannung auf einen Mann in der Midlifecrisis ist diese Erzählanordnung namens Punktlandung wirklich spannend. Persönlich fand ich Paul Jost als Erzählfigur nicht sonderlich aufregend (Anzugträger, deren größte Obsession die Ordnung der eigenen Krawatten nach Schattierung ist, wecken in mir kein gesteigertes Interesse). Und auch hätte ich mir noch etwas mehr Erkenntnisgewinn angesichts Gegenüberstellung der Themen der öffentlichen Sicherheit und der privaten Gebundenheit gewünscht. So bleiben in Punktlandung doch auch zahlreiche Leerstellen und Auslassungen, bei denen ein wenig mehr Füllung wünschenswert gewesen wäre. Ansonsten gibt es an Krupps Roman wenig zu kritteln.

Natürlich kann man einwenden, dass die Grundhypothese des Buchs (oder die, die ich aus dem Buch herausgelesen habe), nicht zwingend neu ist – man denke beispielsweise auch nur an die Homeland-Serie mit Claire Danes, die ähnliche Themen verhandelt. Dennoch gelingt die Umsetzung ihrer Themen auf interessante eigene Art und Weise, sodass ich Ute-Christine Krupp auch den mausgrauen Midlife-Krisenpatienten Paul Jost gerne nachsehe (der sich ja wiederum sehr gut in das Erzählkonzept einpasst, das muss man auch zugeben). Ein Buch, das Terrorüberwachung und den Wunsch nach einem Neuanfang in gelungener Form zusammenbringt, das einem Beamten ein Gesicht gibt, das sprachlich interessant gearbeitet ist und sich seine Vorstellung hier deshalb redlich verdient hat!


  • Ute-Christine Krupp – Punktlandung
  • ISBN 978-3-8353-3888-3 (Wallstein)
  • 159 Seiten. Preis: 20,00 €

Mick Herron – Slow Horses

Ein Fall für Jackson Lamb

Sie sind die Slow Horses – die Mannen und Frauen rund um Jackson Lamb. Eine Truppe von Paria, die ihr individuelles Versagen eint. Einer aus der Truppe hat einst eine CD mit Geheimdienstinformationen im Zug liegen lassen, der andere hat bei einer Anti-Terror-Übung versagt. Nun hat man sie aus dem Hauptquartier des Geheimdienstes im Regents Park abgeschoben in ein Domizil, wo sie keinen Schaden mehr anrichten können. Der bezeichnende Name der neuen Unterkunft: Slough House. Aufgrund der Ausbootung erfolgte in Kollegenkreises die Verballhornung zu Slow Horses.

Doch auch wenn man sie als lahme Klepper schmäht – aufgeben will das Team um ihren Anführer Jackson Lamb deswegen noch lange nicht. Unverhofft sind sie wieder im Rennen, als sie die eigentlich öde Routineüberwachung eines Journalisten plötzlich in einen Entführungsfall katapultiert. Die Geheimdienstmitarbeiter auf dem Abstellgleis beginnen selbst zu ermitteln und geraten damit unverhofft in einen verzwickten Fall, bei dem die Fronten gar nicht einmal so klar sind, wie es zu Beginn scheint.

Großbritannien und Spionage, das passt einfach. Vom Altmeister Ian Fleming und seinem Agenten im Dienste ihrer Majestät bis hin zur BBC-Serie Spooks – die Insel bietet einfach einen guten Nährboden für Agenten und Verschwörungen. Mick Herron modernisiert das etwas angestaubte Genre des Agenten-Krimis nun mit einem Twist. Statt glorreicher Helden, die sich gewandt in allen Milieus bewegen und mit Chuzpe ihren Missionen nachgehen, macht er genau das Gegenteil. Er erhebt Versager zu den Helden seines Buchs. Statt eines gewieften George Smiley gibt es bei Mick Herron einen auch durchaus gewieften, aber eben auch korpulenten und von seinen Vorgesetzten abgesägten Jackson Lamb. Ein eher an Nero Wolfe erinnernder Mann, der mit seinen Geheimagenten völlig unverhofft ins Feld ziehen muss. Aus dieser Unwahrscheinlichkeit zieht dieser Krimi für mich seinen Reiz.

Mögliche Verfilmung nicht ausgeschlossen

Slow Horses ist sorgfältig gearbeitet und nimmt sich Zeit für die Einführung seiner Figuren. Bis die Haupthandlung einsetzt, vergehen einige Dutzend Seiten. Wie in einem Schachspiel positioniert Herron seine Figuren, eher er dann loslegt. Neben der Handlung und der Art und Weise seiner Erzählung überzeugen auch die Dialoge (einen Anteil daran hat sicherlich auch Herrons Übersetzerin Stefanie Schäfer). Dies bringt Tempo und Abwechslung in den Plot und sorgt dafür, das man sich nicht langweilt, wenn die Slow Horses losgaloppieren. Bei diesem Buch sollte man auch eine eventuelle Verfilmung nicht ausschließen – die Vorbedingungen sind äußerst gut

Fazit: Slow Horses liest sich wie eine Mischung aus Jussi Adler-Olsens Sonderdezernat Q und den eleganten Spionagegeschichten eines John Le Carrés. Ein Spionage-Krimi, der das Genre von jeglicher Kalte-Krieg-Romantik oder andere Klischees freipustet und der Spaß macht. Man darf auf weitere Bände der Reihe gespannt sein!

Andreas Pflüger – Operation Rubikon

Bereits im letzten Jahr ging es mir so – ich las in der ersten Januarwoche des Jahres einen Krimi von Andreas Pflüger, der die Maßstäbe für alle folgenden Bücher setzen sollte. Am Ende war Endgültig dann mit Abstand mein Krimi des Jahres 2016 – und 2017 scheint sich genau das zu wiederholen. Das Buch Operation Rubikon ist Andreas Pflügers Debüt und stammt eigentlich aus dem Jahr 2004 und war jahrelang vergriffen, ehe es der Suhrkamp-Verlag nun neu auflegte.

Das Buch entfesselt ein Panorama von Politik und Organisiertem Verbrechen. Es erzählt davon, wie schwierig es ist, dieses Organisierte Verbrechen zu bekämpfen, wenn es mit der Politik verschmolzen ist. Die Kerngeschichte des Epos dreht sich um ein mysteriöses Kartell, das mit großer Brutalität alle Mitbewerber von Kolumbien bis Italien aus dem Markt drängt. Das Kartell und seine Hintermänner sind eigentlich kaum zu fassen und wirklich greifbare Hinweise auf diese neue mächtige Organisation sind nur spärlich gesät – doch das Bundeskriminalamt in Form des Präsidenten Wolf will das nicht hinnehmen. Er beschließt die geheime Gruppe Operation Rubikon zu gründen, die autark agieren und die Spuren des Kartells finden soll. In dieser Gruppe federführend ist die Staatsanwältin Sophie Wolf von der Bundesanwaltschaft. Ausgerechnet sie ist die Tochter des BKA-Präsidenten und muss sich vieler Feinde erwehren. Und es scheint, als würde auch einer davon auch in der Rubikon-Gruppe sitzen …

Operation Rubikon ist komplex, sowohl was Inhalt als auch Personen und Handlungsorte angeht. Von Krakau über Bremerhaven, Hamburg, München, Berlin, Garmisch-Partenkirchen, Lissabon bis La Paz erstreckt sich das Handlungsgeflecht und involviert fast die gesamte institutionelle deutsche Exekutive und Judikative sowie lokale Ableger des organisierten Verbrechens und allen voran das Bundeskriminalamt. Fast achthundert Seiten umfasst dieses Thrillerschwergewicht und bietet Action, Politik, Spionage, Spannung, Machtkämpfe und dergleichen mehr. Was Don Winslows Tage der Toten für den war on drugs in Amerika war, das ist Andreas Pflügers Operation Rubikon für deutsche Verhältnisse.

Auch sprachlich ist Pflügers Thriller-Opus-Magnum eine Bank. Da wird noch antichambriert, Ministerlagen abgehalten und Sherpas beschützen wichtige Entscheidungsträger. Dass sich der Autor sprachlich und inhaltlich in seine Materie eingearbeitet hat, merkt man jeder Seite des Buchs an. Man erhält höchst interessante Einblicke hinter die Kulissen der Macht und bekommt ein Gefühl dafür, wie die Arbeit der Geheimdienste und die Bekämpfung des Organisierten Verbrechens aussehen könnte-

Merkwürdig einzig und alleine, warum man das Buch bei seiner Neuauflage nicht an die neue Rechtschreibung angepasst hat. Ansonsten ist dieser Neuauflage nichts anzulasten und sie muss ein Glücksfall genannt werden, da so dieser Meilenstein der deutschen Kriminalliteratur wieder zugänglich gemacht wurde!

 

Eine besondere Schlusspointe bietet das Buch dann auch noch auf den letzten Seiten, dort heißt es nämlich (man rufe sich das Erscheinungsjahr 2004 erneut ins Gedächtnis!)

Der Flughafen Berlin-Brandenburg-International sollte eigentlich längst fertiggestellt sein, doch noch immer war einer der beiden langgestreckten Terminals, zwischen denen sich die viertausend Meter lange Start-und-Lande-Bahn „S2/5 links“ befand, nichts als ein Stahlgerippe, das aussah wie das Skelett eines Dinosauriers.