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André Georgi – Die letzte Terroristin

Da ist er endlich, der Thriller, auf den ich lange gewartet habe. Zuletzt hatte ich keine gute Phase mit Spannungsromanen aus deutschen Landen. Zu bräsig, sprachlich zu durchschnittlich, der Plot zu unterambitioniert. Und nun kommt dieses Buch ums Eck – Die letzte Terroristin von André Georgi.

Im Spannungsgeschäft ist der Name Georgis wahrlich kein unbekannter. Er schrieb zahlreiche Drehbücher zu Folgen des Tatorts oder Bella Block. Auch formte er die Geschichten aus den Kurzgeschichtensammlungen Ferdinand von Schirachs zu Filmen um. Ebenso hat Bielefelder Autor bereits einen Thriller im Suhrkamp-Verlag publiziert, er trägt den Titel Tribunal und ist ebenso hart wie gut.

Sein Faible für die Brandherde der 90er Jahre lebt Georgi auch in seinem neuen Buch aus. Es entführt zurück in die Postwendezeit und setzt sich mit der 3. Generation der Roten Armee Fraktion auseinander. In Georgis Buch werden deren Geschichte und Taten wieder lebendig.

Den Kern seines Thrillers bildet der ungleiche Kampf zwischen den im Untergrund operierenden Mitgliedern der RAF und dem BKA in Gestalt des Ermittlers Andreas Kawert. Dieser macht, getrieben von seinem Chef und der Öffentlichkeit, Jagd auf die Terroristin. Doch trotz des Einsatzes von Datenverarbeitung und vielen personellen Ressourcen gelingt es den RAF-Mitgliedern immer wieder, erfolgreiche Anschläge auf hochgestellte Persönlichkeiten der Bundesrepublik zu verüben. Besonders der im Osten verhasste Treuhandchef Dahlmann gerät in den Fokus der Terroristen.

Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder
(Bundesarchiv, Bild 183-1990-0821-025 / Lehmann, Thomas / CC-BY-SA 3.0)

Die Wegmarken Treuhand-Chef, 3. Generation RAF oder Überfall auf die Airbase in Frankfurt am Main lassen es schon erahnen – auch wenn Georgi mit Pseudonymen arbeitet und seine künstlerische Freiheit geschickt nutzt: Die letzte Terroristin ist extrem nah entlang der Realität und den historischen Fakten gebaut. Dabei verliert sich der Roman allerdings nie in bloßem Dokutheater, sondern ist rasant konstruiert und weist eine fesselnde Erzählweise auf.

Hätten Stefan Aust, Dominik Graf und Tom Tykwer zusammengesessen, um einen Thriller über die 3. Generation der RAF und die verkrusteten Strukturen der Postwendezeit zu entwickeln, dann wäre wohl dieses Buch dabei entstanden. Dabei überzeugt neben Plot und fein nuancierter Personenzeichnung endlich auch einmal wieder die Sprache eines Thrillers. Georgi gelingt sowohl die plastische Beschreibung von Actionszenen, als auch die tiefergehende Analyse der RAF-Mitglieder und ihrer Gegenspieler, ohne dass der Plot Unwucht bekäme.

Erst später sollten sie begreifen, dass sie in dieser Nacht den größten Fehler machten, der der RAF jemals unterlaufen war. Alles, was die RAF zwei Jahrzehnte lang getan hatte, hatte aus der immer schmäler werdenden Kluft zwischen Terror und Mord heraus gelebt. Eine Unterscheidung, die das Land in diejenigen spaltete, die diese Unterscheidung akzeptierten, und diejenigen, die sie von Anfang an bekämpften. Eine Kluft, die das Land zerreißen sollte, das war der Plan, eine für die historische Dialektik notwendige Negation, aus der heraus Geschichte gemacht werden sollte. In dieser Nacht aber fiel die Unterscheidung von Terror und Mord mit einem Schlag in sich zusammen. Die Kinder der dritten Generation fraßen ihre eigene Revolution und mussten fortan Depots unter Strommasten anlegen und in die DDR fliehen, weil die Türen der WGs und der besetzten Häuser und der Studentenbuden und der Ferienhäuser linker Redaktionen und der Pfarrhäuser plötzlich neue Schlösser trugen, zu denen die alten Schlüssel nicht mehr passten.

Georgi, André: Die letzte Terroristin, S. 341

Ob die kommende zweiteilige Verfilmung des Thrillers mit Ulrich Tukur und Petra Schmid-Schaller der Vorlage Georgis gerecht werden kann, bleibt abzuwarten. Es dürfte aber schwer werden, angesichts dieses Kopfkinos, das Georgi bei mir entfesselte. Ein deutscher Top-Thriller auf erfreulich hohem Niveau!

 

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Pauline de Bok – Beute

Wer sich mit dem Gedanken trägt, selber einmal zur Büchse zu greifen und eine Jagdausbildung zu beginnen – mit Beute – Mein Jahr auf der Jagd hält er oder sie das richtige Buch zur Vorbereitung in der Hand. Die Niederländerin Pauline de Bok hat es geschrieben – und nimmt den Leser mit in ein Jahr in der Einsamkeit Mecklenburg-Vorpommerns. Dort hat sie sich in einem umgebauten Stall niedergelassen und bejagt die Natur der Umgebung. Eigentlich ist de Bok Übersetzerin und hat beispielsweise die Werke Wolfgang Herrndorfs ins Niederländische übertragen – doch auch die Jagd übt einen großen Reiz auf sie aus. Und nach der Lektüre lässt sich konstatieren – dieser Reiz überträgt sich schnell auf den Leser.

Pauline de Bok - Beute (Cover)

Denn im Jahreszeiten-Turnus erzählt Pauline de Bok von ihren Streifzügen, Erlebnissen und Eindrücken aus dem Revier. Sie schafft es, ihre Eindrücke packend und nachvollziehbar zu schildern. Ist doch das Bild des Jägers ja immer noch mit vielen Klischees behaftet. Der schmerbäuchige, in Loden gewandte und von einem Rauhaardackel begleitete End-60er, der mit der geschulterten Flinte durch den Tann streift – dieses Bild mag aus manchem Heimatfilm geblieben sein, mit der tatsächlichen Jagd hat das wenig zu tun. De Bok nimmt die Leser mit auf den Hochsitz und zu Drückjagden. Wann dürfen Tiere bejagt werden? Was ist beim Wahren des Gleichgewicht im Wald zu beachten? Und wird einem nicht langweilig, wenn man stundenlang in der Kälte und Dunkelheit auf einem Hochsitz ansitzt?

Jägerlatein für Laien

Pauline de Bok versteht es anschaulich und nachvollziehbar zu erzählen. Nach dem Studium der Lektüre wird man firm im Jägerlatein sein. Kirrung, Schweiß, Blume, ansitzen, Spiegel oder Jährling – das alles kennt man am Ende des Buchs. Und wenn nicht, dann wartet an jenem Ende auch ein Glossar für Nichtjäger, das die wichtigsten Begriffe noch einmal aufführt und übersetzt.

Besonders schön ist auch, dass de Bok auf jegliche Überhöhung und Romantisierung des Jägerlebens verzichtet. Im Umgang mit eigenen Schwächen und dem Scheitern ist sie höchst souverän. Sie erzählt von Ängsten, Fehlschüssen und auch animalischen Gedanken, die sie während der Jagd befallen. Denn ihr Buch ist neben seiner deskriptiven Anlage auch dazu angetan, Anstöße über das Verhältnis von Leben, Jagen und eigenem Fleischgenuss zu geben.

Geradezu gierig macht sich die Autorin manchmal über das Aufbrechen eines frisch erlegten Tieres her. Sie beschreibt, wie sie häutet, zerlegt und das Tier anschließend zubereitet. Das mag manchem Veganer sicherlich auf den Magen schlagen, ich finde de Boks Umgang mit der Materie hingegen sehr ehrlich. Wir haben schon lange verlernt und verdrängt, was unser Fleischverzehr eigentlich bedeutet. Auf das Tier und dessen Leid deutet beim Einkauf beim Metzger oder im Supermarkt nichts mehr hin, die Herkunft des Produkts haben wir feinsäuberlich verdrängt. In Beute wird das wieder offenbar. Egal ob Innereien oder Wildbret – Pauline de Bok ist schonungslos in ihren Beschreibungen und weckt so auch neue Sensibilität für unsere Ernährungsgewohnheiten.

Fazit

Beute ist ein weiteres Buch aus dem boomenden Genre des Nature Writing (ähnliche empfehlenswerte Titel sind H wie Habicht von Helen MacDonald oder Mein Leben als Schäfer von James Rebanks). Ein Buch über die Faszination Jagd, eine Reflexion über unser Verhältnis zum Töten und ein Blick ins Tätigkeitsfeld moderner Jäger. Weidmännisch gesprochen: ein glatter Volltreffer!

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Matthew F. Jones – Ein einziger Schuss

John Moon ist eine vom Leben mehr als gebeutelte Gestalt: seine Frau ist samt Kind ausgezogen, seine Farm ist ihm genommen worden und Perspektiven gibt es in seinem Leben eh schon lange nicht mehr. Über Wasser hält sich Moon mit der Wilderei, der er im amerikanischen Hinterland verbotenerweise nachgeht. Und genau diese Wilderei wird ihm nun eines Tages zu seinem Verhängnis:

Matthew F. Jones - Ein einziger Schuss (Cover)

Als er einen kapitalen Hirsch erlegen will, gelingt ihm kein tödlicher Treffer. Angezählt schleppt sich der Hirsch durch die Wälder, um schließlich von John in einem alten Steinbruch gestellt zu werden.

Doch neben dem Hirsch erwartet ihn dort eine weitere Überraschung. Im Steinbruch liegt die Leiche eines jungen Mädchens und eine Tasche voller Geld. Moon begeht den Fehler, in Panik die Leiche verschwinden zu lassen und das Geld an sich zu nehmen. Damit schlittert er in einen tödlichen Strudel, denn die Mörder des Mädchens haben nicht die Absicht, über den Verlust des Geldes gnädig hinwegzusehen …

Ein neuer Vertreter des Country Noir

Mit Matthew F. Jones hat der unabhängige Polar-Verlag einen amerikanischen Autor aufgetan, der dem Genre des Country Noir neue Facetten abringt und der nebenbei wie ein Doppelgänger von Chuck Norris aussieht. Ähnlich kantig ist auch die Prosa, die der Autor schreibt. Seinen Protagonisten John Moon lässt er unbarmherzig auf den Abgrund zutaumeln, den er in seinen diversen Rauschzuständen so kaum wahrnimmt. Brutal ist die Welt in Ein einziger Schuss, in die John Moon unversehens geschleudert wird. Morde sind an der Tagesordnung. Doch inmitten dieser Todesszenarien findet der Autor auch immer wieder Platz für wunderbare Naturbeschreibungen oder Hoffnungsschimmer. Dass sie zwar aufscheinen, dann aber ungenutzt verstreichen, das steht ja in guter alter Noir-Tradition.

Matthew F. Jones hat einen intensives Buch aus dem amerikanischen Hinterland über einen Loser geschrieben, der in einer Tretmühle aus Gewalt, Suff und Malochen gefangen ist. Ganz besonders das heftige Ende weiß zu überzeugen (wie auch die Übersetzung durch Robert Brack). Gerne mehr von diesem Autor!

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Don Winslow – Palm Desert

Nach all seinen halsbrecherischen und meist im Chaos endenden Aufträgen wird Neal Carey jetzt nun von seinem Mentor und Ziehvater Joe Graham für einen letzten, eigentlich harmlosen Auftrag losgeschickt. Ein 86 Jahre alter jüdischer Stand-up-Komiker muss von einem Hotel in Las Vegas zurück zu seiner Unterkunft in Palm Desert gebracht werden. Eigentlich ein Kinderspiel, muss Neal den alternden Comedian doch nur aus seinem Hotelzimmer in ein Flugzeug verfrachten und dann in seinem Zuhause wieder abliefern. Doch wie das bei den Aufträgen so ist, die Neal für Die Bank erledigen muss, so droht sich auch hier schon recht bald die Unternehmung in ein ziemliches Schlamassel auszuwachsen.

Nicht nur dass der Seniorenkomiker überaus renitent ist, mit unwitzigen Witzen und seitenlangen Monologen die Geduld Neal Careys strapaziert und einen gewissen Fluchtreflex an den Tag legt – dem alten Herr ist auch ein kriminelles Doppel auf den Fersen. Denn da gibt es etwas, das er gesehen hat, was nicht für seine Augen bestimmt war. Und so muss Neal den widerspenstigen Rentner einmal quer durch die Wüste von Nevada bringen und sich dabei den schlechten Witzen und kriminellen Absichten erwehren. Nicht einfacher wird das Ganze dadurch, dass Neals Verlobte Karen unbedingt jetzt ein Baby von ihm möchte.

Palm Desert ist wohl der humorigste Teil der Reihe. Don Winslow scheut nicht vor Situations- und Dialogkomik zurück und entwickelt vor allem ab der Hälfte des Buchs einen Krimi, der eher einer Screwball-Komödie ähnelt. Vieles von dem, was im vorletzten Band der Reihe nicht funktionieren wollte, klappt hier nun vorzüglich. Das Figurenensemble ist gut austariert, trotz der zahlreichen Stränge und der munteren Collage von Schriftwechseln, Tagebüchern und wechselnden Perspektiven funktioniert der Aufbau. Auf lediglich 200 Seiten schafft es Don Winslow hier, alles beisammen zu halten und eine witzige Geschichte zu erzählen. Das Buch ist schnell, kurz und knackig und stellt einen guten Abschluss der Reihe dar.

 

Hier zur Übersicht noch einmal die Reihenfolge der fünf Bände:

 

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Don Winslow – China Girl

Neal Careys zweiter Einsatz

Mit einer erfreulichen Konstanz veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag seit dem Frühling 2015 die Neal-Carey-Reihe aus dem Frühwerk Don Winslows. Mit einheitlichem Cover und in Neuübersetzung durch die bewährte Übersetzerin Conny Lösch sollen im Laufe des Jahres alle fünf Teile, die Don Winslow Anfang der 90er Jahre schrieb, veröffentlicht werden.
Nachdem mit London Undercover bereits der erste Auftakt zu der Reihe um den jungen Privatdetektiv Neal Carey publiziert wurde, liegt nun mit China Girl die Fortsetzung der Abenteuer des Schnüfflers vor.

Von San Francisco bis Honkong

China Girl

China Girl – Don Winslow

Nach seinem turbulenten Einsatz im von Hippies bevölkerten London im ersten Band wird Neal nun von seinem Mentor Joe Graham und der „Bank“ auf eine Mission geschickt. Dabei würde er sich viel lieber seinem Studium widmen, doch für diese Mission braucht die „Bank“ ihren besten Mann:

Der Chemiker Robert Pendleton ist ein Genie auf seinem Gebiet. Er sitzt gerade an der Entwicklung eines hocheffizienten Düngers, als ihm die Liebe einen Strich durch seine Pläne macht. Er verliebt sich in Li Lan, das China Girl, eine mysteriöse Künstlerin. Hals über Kopf stürzt er sich mit der Asiatin in ein Abenteuer. Er verschwindet von seinem Arbeitsplatz, was den Kunden der „Bank“ alles andere als gefällt. Neal soll den Chemiker zurückbringen und dafür sorgen, dass er wieder seiner Forschung nachgeht. Doch seine Pläne werden von mächtigen Gegnern durchkreuzt – es scheint als befinde sich der Chemiker im Mittelpunkt viel größerer Pläne von einflussreichen Organisationen. Die Jagd nach dem Chemiker führt Neal schon bald auf unsicheres Terrain und bis in die Häuserschluchten Hongkongs und auf die Gipfel chinesischer Berge.

Eine komplexe Jagd

Bereits einmal unter dem Titel „Das Licht in Buddhas Spiegel“ veröffentlicht gibt es Winslows Frühwerk nun noch einmal auf Deutsch, worüber ich mehr als glücklich bin.
Klingt der Plot auf dem Klappentext und auf den ersten 100 Seiten noch recht einfach und überschaubar, so dreht Winslow schon bald auf. Die Jagd nach dem Chemiker und dem China Girl bettet Winslow in ein ambitioniertes Tauziehen zwischen Ost und West ein. Amerikanische Parteien intrigieren genauso wie die chinesischen Konterparts und Neal tappt lange Zeit selbst im Dunkeln, was das Paar auf der Flucht in die Grabenkämpfe zwischen China und Amerika verstrickte.
Winslow verquickt seine Hatz mit einer Geschichtsstunde über China, die kommunistische Revolution und Exkurse über die fernöstliche Kultur.
Im Vergleich zu seinem zweiten Buch ist eine deutliche Steigerung der Komplexität und der Tiefe zu konstatieren.
Das Alter merkt man auch China Girl nicht wirklich an. Natürlich gibt es das von Subkulturen bevölkerte San Francisco in dieser Form heute genauso wenig wie das China in den 70ern, das Winslow beschreibt. Dennoch wirkt das Ganze trotz einiger Klischees höchst konsistent.
Winslow gelingen immer wieder eindrückliche Szenen, besonders das Finale inmitten der chinesischen Bergwelt ist dem Autoren höchst eindringlich geraten.
Insgesamt eine wirklich lohnenswerte Neuauflage eines Krimidiamanten, der größte Lust macht auf den im August erscheinenden dritten Band der Reihe um Neal Carey, nämlich Way up on the High Lonely.

 

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