Das Kino als Fluchtpunkt und als Errettung aus aller Trübnis und Not – Florian L. Arnold erkundet das in seinem neuen Roman Das flüchtige Licht und findet für die Welt des Films überzeugende literarische Bilder. So gelingt ihm eine Hommage an das Kino, die Stadt Rom und die Freundschaft der Kindertage, deren unterschiedlicher Facetten er in seinem Roman nachspürt.
Viel ist schon über Rom geschrieben worden und immer wieder ist der Ewigen Stadt auch in Filmen ein Denkmal gesetzt worden. Das reicht von den Kinoarbeiten Fellinis und Viscontis bis hin zu Paolo Sorrentino, der in La grande bellezza der römischen Hauptstadt ein Oscar-gekröntes Filmwerk widmete.
Der Ulmer Autor Florian L. Arnold erschafft aus der Arbeit all dieser Regisseure nun eine literarische Synthese über den Mythos Rom. Das Ganze verbindet er mit einer Hommage an das Kino und dessen lebensrettende Kraft.
La grande infanzia
Zunächst fühlt sich dabei alles wie in einem surrealen Gemälde von Giorgio de Chirico an. Eine Gruppe von Kindern wächst in einem rätselhaften Viertel einer nicht näher benannten Stadt auf, deren verwinkelte Gassen und Häuser die Kinder durchstreifen. Arnolds selbst gestaltetes Cover greift diese eigentümliche Stimmung jener Stadt auf, in der Spucino, Elio, Gianni und Aurelio eine verschworene Freundesgruppe bilden.
Auch der auch der rothaarige Enzo hätte gerne Zugang zu dieser Bande. Doch der „Junge mit dem Faunsgesicht“ ruft bei den anderen Kindern nur Ablehnung und Spott hervor. Nicht nur aufgrund seines Halbwaisen-Status wird er von den anderen Kindern gehänselt und mit abschätzigen Bezeichnungen wie „Das Gerippe“ oder „Der Zwerg“ versehen. Sogar bis hin zu Wünschen nach dem Tod Enzos reicht die Palette kindlicher Bosheit und Niedertracht.
Eines Tages verschwindet Enzo dann tatsächlich aus diesem Teil der Stadt, um durch Zufall in die Dreharbeiten eines Films des „Monsignore“, eines berühmten Regisseurs, zu stolpern. Dieser erkennt in Enzo das fehlende Puzzlestück für seinen Kinofilm Legenda, für den er den Jungen kurzerhand besetzt. Nicht nur für den Regisseur eine Fügung, sondern auch für Enzo ein Erweckungserlebnis, ist er doch von dieser magischen Welt des Films und seiner Erschaffer wie verzaubert.
Cinema paradiso
Aber nicht nur Enzo ist von der Welt des Films wie verzaubert. Auch für Gianni wird im Erwachsenenalter die Welt der Lichtspielhäuser zu dem Ort, an dem er sich am lebendigsten fühlt. Dort in der Welt der Filme findet er das, das ihm in der realen Welt nicht bieten kann.
Jeder ging ins Kino, das war nichts Außergewöhnliches, jedoch: Keiner kam so zerbrochen, verformt, mit Träumen angefüllt wieder heraus wie er. Im Kino war alles ohne Vorsicht und ohne Scham, dort war er der Liebende, auf der Leinwand sah er die eigenen Gefühle, erkundete er erschüttert und oft erstaunt seine Untiefen, seine Empfindungen, die er draußen, im zweidimensionalen Raum seines Lebens, nicht kannte. Manchmal kam er beruhigt aus dem Kino, weil er dort eine flüchtige Zärtlichkeit für andere Menschen empfunden hatte, während er draußen, im Ernst des Lebens, noch nicht einmal eine echte erste Liebe gefunden hatte, nun, da er vierunddreißig war.
Florian L. Arnold – Das flüchtige Licht, S. 70
Der Cineast wird zum Filmjunkie, abhängigen von der Welt des Zelluloids. Manisch sucht er die unterschiedlichsten Kinos auf, wo er dann zufällig auf die Spur seiner eigenen Vergangenheit gerät, als er eines Tages auf der Leinwand einen rothaarigen Schauspieler erkennt, den er aus seiner eigenen Kindheit noch so gut kennt.
Lichtspiel
Nicht nur hier fallen Illusion und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Mit harten Schnitten und einer collageartigen Erzählweise montiert Arnold die Leben und Themen seiner Figuren zusammen. Der Monsignore als großer Bilderdenker und noch vielmehr als Menschenlenker. Enzo als Ruheloser, der für die Welt des Kinos und des Films alles gibt, um dem Monsignore und vor allem Luisa nahezusein, die er bei den Dreharbeiten kennenlernte. Gianni und dessen farbloses Leben, das erst im Kinosaal wieder an Farbe und Tiefe gewinnt. Vor allem aber sind es auch die Träume der Kindheitstage, die seit dem Aufwachsen in den verwunschenen Gassen des Stadtviertels zerstört wurden und die nur noch in Filmen auf der Leinwand Bestand haben.
Überhaupt, die Läufe des Lebens, sie sind auch ein Motiv dieses Romans. Von der Verschworenheit der Kinderbande bis hin zur Entfremdung im Erwachsenalter, als man sich aus den Augen verloren und sich die Lebenswege gabelten, die hin zu so unterschiedlichen Karrieren als Angestellter, Filmstar, Clown oder Autohändler führten, Arnold zeichnet all das in seinem Roman manchmal skizzenhaft, dann wieder in präzisen Nahaufnahmen nach.
Das flüchtige Licht ist ein Gesamtkunstwerk, das in seinen unterschiedlichen Erzählsträngen, lyrischen Kurzaufnahmen und Spots, Zeichnungen des Autors, der verbindenden Sprachmacht und den unterschiedlichen Perspektivwechseln viele Elemente zu einem stimmigen Ganzen findet.
Fazit
Arnolds Roman funktioniert als Verneigung vor einem Rom, das sich als Kunstmotiv schon lange von der Wirklichkeit entkoppelt hat, wie auch vor dem Leben und dessen Überraschungen, das es für uns alle bereithält. Das flüchtige Licht spürt der Verzauberung der Welt nach, gibt der Entzauberung der Welt aber ebenso Raum. Denn so wie das Licht auf der Leinwand tanzen und uns in anderen Welten entführen kann, ebenso flüchtig ist dieses Licht doch auch. Es kann verschwinden und Menschen im Dunkeln zurücklassen.
Das zeigt dieser Roman gekonnt und gleicht damit einem guten Arthaus-Film. Nicht alles erschließt sich sofort, manches wird man auch erst bei einer zweiten Lektüre entdecken. Aber so schenkt dieser Roman neue Perspektiven und erzählt von der Kraft der Träume und der Fantasie, vom Kino und Kindheit – und nichts weniger als von dem Zauber, der von Filmen ausgehen kann. So gelingt Arnold der eine gelungene stilistische und inhaltliche Synthese, die Lust macht, nach der Lektüre schnellstmöglich Rom oder mindestens ein gutes Kino in der Nähe aufzusuchen.
Eine weitere Meinung zu Das flüchtige Licht gibt es auf dem Blog Begleitschreiben.
- Florian L. Arnold – Das flüchtige Licht
- ISBN 978-3-947857-20-3 (Mirabilis)
- 264 Seiten. Preis: 24,00 €