Don Winslow setzt seine Neuinterpretation der großen griechischen Dramenstoffe im Gewand eines Mafiathrillers fort. Erlebte Danny Ryan in City on Fire eine Wiederauflage des Trojanischen Kriegs mit, so sieht er sich nun gestrandet in fernen Gestaden und darf der Verwandlung seines Lebens in einen Kinofilm in der City of Dreams beiwohnen. Hochtourige Mafiaaction, souverän ausgeführt und packend erzählt.
Schon im ersten Teil der geplanten Trilogie um den Mobster Danny Ryan zitierte Don Winslow neben Homers Ilias auch die Aeneis von Virgil. Im zweiten Teil der Reihe wird dieses Epos nun zur Vorlage für die Abenteuer und Irrfahrten, die Danny Ryan erleben muss.
Im 2. Buch [der Aeneis] flieht er [Aeneas] auf Geheiß Jupiters aus der brennenden Stadt, um ein neues Troja zu gründen. Er kann seinen Sohn Ascanius (Iulus), seinen Vater Anchises und die Penaten retten, nicht aber seine Frau Krëusa.
Wikipediaeintrag zur „Aeneis“
So fasst Wikipedia die Handlung des insgesamt aus 12 Bücher bestehenden Epos von Virgil zusammen. Auch Don Winslow kennt das Epos sehr gut, orientiert sich City of Dreams stark an diesem antiken Handlungsbogen. Bei Winslow setzt die Erzählung unmittelbar nach den brutalen Geschehnissen in Rhode Island Ende der 80er Jahre ein. Dort hat der Zwist um eine schöne Frau den bisherigen Frieden zwischen irischer und italienischer Mafia abrupt beendet – und für viele Tote und großes Leid gesorgt.
Von Rhode Island nach Hollywood
Danny Ryan und seine Crew unterlagen im Kampf um Rhode Island und so befindet sich Ryan nun zusammen mit seinem Vater und seinem Sohn auf der Flucht. Ryans Frau Terri hat die Geschehnisse in City on Fire nicht überlebt und so ist es nun an Ryan, für das Überleben seiner Familie und seinen Penaten, seiner Mafiacrew zu sorgen.
Immer weiter nach Westen führt der Weg der Crew, wobei die Geschehnisse rund um den Konflikt, korrupte Polizisten und die Falle, in die Ryan getappt ist, immer noch in dessen Hinterkopf herumspuken. Auch die DEA macht noch Jagd auf Danny, sodass an ein normales Leben in der Öffentlichkeit nicht zu denken ist.
Doch nach einigen blutigen Volten und einem Königsmord im Kreis der italienischen Mafia könnte nun alles in ruhigere Bahnen kommen. Ryans einflussreiche Mutter kümmert sich in Las Vegas hingebungsvoll um ihren Enkel, Danny gewöhnt sich langsam an sein neues Leben – doch dann steht neuer Ärger in Form der „Messdiener“ Kevin und Sean ins Haus. Die beiden so geheißenen Mitglieder seiner Crew sind nämlich Gerüchte zu Ohren gekommen, dass in Hollywood ein Film über die brutalen Ereignisse in Rhode Island gedreht werden soll – Ereignisse, die sie ja aus erster Hand kennen. Und so heuern sie als „Berater“ am Filmset an und sorgen für viel Aufmerksamkeit, die Danny eigentlich überhaupt nicht gebrauchen kann.
Doch auch er macht es nicht besser – denn als er in Hollywood aufschlägt, um die Probleme zu bereinigen, verliebt er sich in die Hauptdarstellerin seines eigenen Films und schlägt dafür alle bisher geltenden Sicherheitsmaßnahmen in den Wind und wählt nun statt eines Lebens im Schatten nun das Leben im Licht der hellsten Studioscheinwerfer der Traumfabrik. Damit macht er aber auch alte Feinde auf sich aufmerksam und bringt all das, was er sich erabeitet hat, in Gefahr.
Ein moderner Aeneas
Es sind zahlreiche Motive aus der Aeneis-Dichtung, die Winslow ganz organisch in seinen Thriller einwebt. Die Rückblicke auf den Untergang Trojas alias Dogtown, Dannys mächtige Mutter, die ebenso wie Venus im Originalepos die Irrfahrten ihres Sohns durch die Liebe zu einer Frau beenden möchte, der Königsmord in Form der Hinrichtung des italienischen Paten, all das kann man im Abgleich des historischen Stoffs und Winslows Bearbeitung leicht herauslesen.
Man kann sich aber auch einfach nur von der geschmeidig erzählten Prosa mitnehmen lassen. Sein Talent zur Rhythmisierung und filmischen Gestaltung zeigt Winslow hier in City of Dreams einmal mehr. Brutale Morde, Momente aufkeimender Liebe, Ryans Sorge um seinen Sohne und die gleichzeitig Gewalt, derer er sich bedient. Hier vereint Winslow unterschiedliche Tempi und Register zu einem überzeugenden Thriller, der trotz der Vielzahl an Schauplätzen und Beteiligten nie unübersichtlich zu werden droht.
Winslow hält die erzählerischen Zügel souverän in der Hand und leitet durch Ryans Versteckspiel, Machtkämpfe und große Gefühle, was sich in City of Dreams hervorragend miteinander verbindet. Schade einzig und allein, dass nach diesem Thriller nur noch einmal die Irrfahrten und Kämpfe des modernen Aeneas alias Danny Ryan zu erleben sein werden. Denn mit der vorliegenden Trilogie wollte Don Winslow dann seine schriftstellerische Karriere letzten Meldungen zufolge beenden. Man kann nur hoffen, dass er es sich noch einmal überlegt, denn Thrillerautoren dieses Kalibers haben wir zu wenige, als dass man auf Don Winslow einfach so verzichten könnte, besonders hierzulande!
- Don Winslow – City of Dreams
- Aus dem Englischen von Conny Lösch
- ISBN 978-3-365-00169-1 (Harper Collins)
- 368 Seiten. Preis: 24,00 €