Grabungen in der eigenen Familiengeschichte, polnische Schatzsucher, ein unbekannter Verwandter, der die Konzentrationslager überlebt hat, ein mythenumrankter Goldzug – und die Geschichte eines Prozesses, der in seinem Anrennen gegen juristische Gegebenheiten etwas an Kleists Kohlhaas erinnert. Das alles bietet der US-amerikanische Autor Menachem Kaiser in seinem facettenreichen erzählenden Sachbuch Kajzer, dem für mein Empfinden ein etwas klarerer Fokus und mehr Kontur gutgetan hätten.
Menachem Kaiser dürfte es wie vielen von uns gehen. Man hat zwar eine grobe Ahnung der Familiengeschichte, aber die genauen Umstände der biographischen Herkunft liegen trotzdem im historischen Dunkel. Zwar wusste er als Sohn jüdischer Eltern von seinem Großvater, der im KZ überlebt hatte, recht viel mehr Erkenntniswert und Interesse war bei den nachfolgenden Generationen aber nicht, sodass er konstatiert:
Wir wussten, dass mein Großvater aus seiner Familie der Einzige gewesen war, der den Krieg überlebt hatte, dass seine Eltern und seine Geschwister ermordet worden waren, ebenso wie beinahe alle in seiner weiteren Verwandtschaft. Aber als Wissen war dies dunkle Materie.
Wir wussten nichts über sein Leben vor dem Krieg oder in der Zwischenkriegszeit. Wir wussten nicht, in welchen Konzentrationslagern er gewesen war oder wie sein Vater seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Wir wussten nichts über seine Eltern, Tanten, Onkel, Cousin und Cousinen; mein Vater und seine beiden Geschwister – ganz zu schweigen von meiner Generation – hätten Mühe gehabt, die Namen der Geschwister meines Großvaters zu nennen; nicht einmal, wie viele es waren, hätten sie genau sagen können. Wir wussten, dass sie gestorben, hatten aber keine Ahnung, wer sie gewesen waren.
Menachem Kaiser – Kajzer, S. 13
Dieses Desinteresse änderte sich allerdings, als sich Menachem Kaiser im Zuge eines Forschungsstipendiums in Krakau aufhielt. Er, der eigentlich als Journalist und Autor arbeitet, wollte, wenn schon einmal vor Ort, dort dem persönlichen Erbe näherkommen, schließlich stammte sein Großvater aus Schlesien. Der Weg zum Ort des Aufwachsens seines Großvaters war somit nicht mehr weit, weswegen er sich daran machte, nach den familiären Wurzeln zu graben.
Ein enteignetes Haus in Sosnowiec
Für seine Suche erhielt Kaiser von seinem Vater eine Mappe mit ungeordneten Dokumenten. Aus diesen ging hervor, dass sein Großvater einst im Besitz eines Hauses im Ort Sosnowiec war, einem kleinen polnischen Ort. Als Jude war ihm dies während der Naziherrschaft allerdings enteignet worden.
Zwanzig Jahre lang, so dokumentiert es das Konvolut, hatte sich der Großvater nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs angestrengt, seinen enteigneten Besitz wiederzuerlangen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, das von keinem Erfolg gekrönt war.
Diese Nachricht rüttelt Menachem Kaiser auf, sodass er sich als Nachfahre daranmacht, dieser historischen Ungerechtigkeit im Nachhinein Recht zu verschaffen. Wieder zurück in den USA strengt er mithilfe einer „Killerin“ geheißenen Rechtsanwältin einen juristischen Kampf an, um das einst verlorene Haus wiederzuerlangen. In Polen recherchiert er zu Geschichte des Hauses – wird dann aber auch noch auf einer anderen Front mit einer Entdeckung überrascht.
Schatzsucher und Familienforschung
Denn während Kaiser zu einem Schatzsucher in Sachen eigener Historie wird, stößt er auf einen anderen legendären Schatzsucher namens Abraham Kajzer, der einst den Holocaust überlebte und der zur inspirierenden Figur für polnische Schatzsucher wurde, die sich auf die Suche nach dem legendären Goldzug der Nazis begaben. Die Namensgleichheit mit diesem Abraham Kajzer macht Kaiser stutzig, und so entdeckt er eine faszinierende biographische Volte. Bei Abraham Kajzer handelt es sich um niemand anderen als den Cousin seines eigenen Großvaters.
Ein Umstand, der ihn bei anderen Schatzsuchern in geradezu legendäre Höhen hebt, die ihm von ihren Grabungen in der Historie und im polnischen Boden berichten wollen, während er vor Ort den Spuren des eigenen Großvaters und denen Abraham Kajzers nachspürt, der nicht nur die Konzentrationslager überlebte, sondern auch nach Israel auswanderte und ein Buch mit seinen Aufzeichnungen an die Zeit in den Lagern veröffentlichte.
Das alles ist natürlich – um im Bild zu bleiben – eine wahre erzählerische Goldgrube. Die unbekannte Verwandschaft, die Suche in Polen nach dem eigenen Erbe, das Graben in metaphorischer und tatsächlicher Hinsicht. Und dann ist da auch noch der Prozess um das Haus, den nun der Enkel als Erbe an des Großvaters statt führt und der dabei eine Ahnung vom massiven Umbau des polnischen Staats bekommt, als die autoritär regierende PiS-Partei eine Justizreform anstrengt, die Sand in das juristische Getriebe streut, das für Kaisers Geschmack eh schon zu umständlich und langsam läuft.
Eine erzählerische Goldgrube – nicht ganz ausgeschöpft
Leider holt Kaiser aus dieser Goldgrube nicht das Optimum heraus. Denn das, was die New York Times auf der Rückseite des Buchs eine „verschlungene“ Geschichte nennt, ist für meinen Geschmack deutlich zu verschlungen. Oder anders gesagt: mir fehlt es hier an klarer Fokussierung auf sein erzählerisches Anliegen.
Beständig mäandert das Erzählen zwischen der eigenen Familiengeschichte, Abraham Kajzers packendem Schicksal, dem Prozess rund um das Haus und die Spurensuche vor Ort sowie die Porträts polnischer Schatzsucher, ihre Mythen und die Faszination für den Zweiten Weltkrieg, Goldzug und Projekt Riese inklusive, hin und her.
All das sind zweifelsohne spannende Themen und für sich genommen auch schon einzelne Sachbücher wert. Im Zusammenwirken all dieser erzählerischen Motive wird daraus aber leider ein doch recht unkonturiertes und unentschlossenes Durcheinander, bei der immer wieder einzelne Erzählstränge abbrechen, die Gedanken Kaisers abschweifen oder wieder zu angefangenen Themen zurückkehren.
Statt sich auf die Wiederentdeckung seines familiären Erbes zu besinnen und dies einfach mit dem schon fast Kolhhaas’schen Prozess um die Wiederelangen des enteigneten Hauses und die dafür notwendige Dokumentation zu kombinieren, eröffnet Menachem für meinen Geschmack deutlich zu viele Baustellen und Nebenkriegsschauplätze, die die eigentlich so kraftvollen und beeindruckenden Themen etwas von ihrer Wirkung nehmen. Hier wäre erzählerisch weniger gewesen, um mehr in Form eines wirklich stringenten und überzeugenden Buch zu sein.
Fazit
Kajzer ist fraglos ein relevantes erzählendes Sachbuch, das gerade in diesen Tagen mit dem Thema der Erkundung der eigenen jüdischen Biografie einen wichtigen Punkt macht. Allerdings verliert sich dieses wichtige und interessante Thema im zu unfokussierten Allerlei zwischen Schatzsuchern und Mythenbildung, um in letzter Konsequenz zu überzeugen. Hier wäre ein stärkeres Lektorat und ein klar erkennbarer erzählerischer roter Faden Trumpf gewesen.
- Menachem Kaiser – Kajzer
- Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
- ISBN 978-3-552-07339-5 (Zsolnay)
- 336 Seiten. Preis: 28,00 €