Tag Archives: Mord
Adrian McKinty – Gun Street Girl
Zurück an der Front
Ein reiches Ehepaar wird erschossen in ihrem Anwesen an der Küste Irlands aufgefunden. Vom Sohn des Paares fehlt jede Spur, doch nach ein paar Tagen wird dieser am Fuße der Steilklippen aufgefunden. Ein Selbstmord oder ein geschickt getarnter Mord, bei dem etwas vertuscht werden sollte?
Für Sturkopf Duffy ist Ockhams Rasiermesser nämlich mehr als stumpf – die offensichtliche Lösung des Falls behagt ihm überhaupt nicht. Unbeirrt gräbt er immer tiefer und beginnt seine Nachforschungen, die ihm mächtige Feinde bescheren und ihn bis nach Oxford und London führen werden.
Inmitten von IRA-Bomben, Straßenschlachten und Anwerbeversuchen des MI5 versucht der katholische Bulle seinen Weg zu gehen, doch wird ihm dies noch einmal gelingen?
Sean Duffy im Piano-Modus
Musste Duffy in seinem letzten Fall unter Hochdruck operieren, hat ihm McKinty in seinem neuesten Fall eher wieder einen klassischen Krimi mit viel Ermittlungsarbeit auf den Leib geschrieben. Ausgehend von den Ereignissen rund um das erschossene Ehepaar gräbt sich der irische Ermittler Schicht um Schicht tiefer und stößt diesmal auf Amerikaner in Nordirland, Waffenschmuggel und Spuren, die gen England weisen.
Flott geht in diesem Falle diesmal kaum etwas, vielmehr muss Duffy immer wieder seine Ermittlungen neu ausrichten und alle Spuren hinterfragen. Doch das Schnüffeln wird in seinem neuesten Fall etwas leichter, da Duffy von Adrian McKinty sogar eine kleine Liebesgeschichte spendiert bekommt, die sein tristes nordirisches Dasein etwas erträglicher macht (plus diverse Wodka Gimlets und alles, was das Betäubungsmittelgesetz so kennt).
Adrian McKinty könnte in meinem Falle auch ein Rezept zur Herstellung von Brühe beschreiben, sodass es ein Genuss wäre, dieses zu lesen. Mit seiner Mischung aus Noir, der Geschichte Irlands und einer Einführung in die Popkultur der 80er Jahre verquickt er alles zu einem höchst unterhaltsamen Gesamtkunstwerk. Sein Sean Duffy ist ein gebrochener Charakter, dem die unverbrüchliche Sympathie des Lesers gehört, auch wenn für Duffy Gesetze und Richtlinien eher frei ausgelegt werden.
Ich bleibe dabei: Die Sean-Duffy-Reihe ist derzeit eine der besten in der Kriminalliteratur und McKinty einer der talentiertesten Schreiberlinge von der irischen Insel. Eine Pflichtlektüre für alle Leser, die gerne mal abseits ausgetretener Pfade wandeln!
William Shaw – Kings of London
London swingt
Er hat es wieder getan: nach seinem Erstling Abbey Road Murder Song, der schon gekonnt ins Jahr 1968 zurückversetzte, nimmt Shaw den Leser erneut mit in eine vergangene Epoche.
Krimi und Zeitdokument
Die Qualität, die die Krimis von William Shaw in meinen Augen auszeichnet, ist nicht unbedingt die der zugrundeliegenden Kriminalfälle. Diese sind eher Rahmenhandlung, um den Zeit- und Lokalkolorit einfangen zu können, der England im Jahr 1968 durchzog. Er lässt seine Protagonisten Galerien besuchen, in denen neue Avantgarde-Künstler präsent sind, in Plattenläden steht andersartige Musik (mit der Breen natürlich kaum etwas anfangen kann) und auf der Straße dominiert ein neues Erscheinungsbild. Gekonnt lässt Shaw auch für die Nachgeborenen die damalige Szenerie wieder auferstehen und schafft es, im Kopfkino einen Eindruck entstehen zu lassen, wie das damals im Swinging London gewesen sein muss.
Ian Rankin – Schlafende Hunde
Vom Wecken schlafender Hunde
Tote Minister, Autounfälle und ein Cold case
Alte Stärken
Paula Hawkins – Girl on the train
Die Lügen der Frauen
Als Pendler kennt man das Problem zur Genüge – der Halt auf freier Strecke oder an einem bestimmten Haltesignal. Der Blick zum Fenster hinaus befeuert da schon schnell einmal die Fantasie – was verbergen die Landschaft oder die Häuser da draußen? Der Pendlerin Rachel in Paula Hawkins Debüt Girl on the train geht es da nicht anders.
Abgründe hinter den Fassaden
Jeden Tag nimmt Rachel den Zug aus ihrem Vorort hinein nach London. Beim stets gleichen Stopp hat sie inzwischen schon Routine entwickelt, ein Pärchen zu beobachten, das eine Bilderbuchexistenz führt. Sie beobachtet die beiden und fühlt sich ihnen verbunden, als plötzlich eines Tages die Frau verschwunden ist.
Aus ihren Erinnerungen rekonstruiert Rachel, dass sie in der Nacht zuvor begegnet ist. Doch an die entscheidenden Stunden fehlen ihr sämtliche Erinnerungen. Rachel ist nämlich Alkoholikerin und hat einen Filmriss, was die Zeitspanne des Verschwindens der jungen Frau angeht. Sie weiß nur noch, dass sie blutverschmiert nach Hause kam und irgendetwas geschehen sein muss. Verzweifelt beginnt sie nachzuforschen und kommt hinter die Geheimnisse der Vorortbewohner.
Durch ihr Interesse für die Geschehnisse der entsprechenden Nacht und alle Beteiligten gerät Rachel allerdings auch in den Fokus der Polizei. Was hat Rachel mit dem Verschwinden der Frau zu tun und welche Geheimnisse hütet der Ehemann der Verschwundenen?
„Gone Girl II“?
Während der Lektüre von Paula Hawkins Debüt kamen mit oftmals die Parallelen zu Gillian Flynns Blockbuster-Erfolg „Gone Girl“ in den Sinn. Hawkins erzählt aus drei Frauenperspektiven abwechselnd und enthüllt Stück für Stück die Geheimnisse, die die Frauen (und nicht nur diese) hüten. Die Abgründe hinter den Fassaden sind frappant – jede der Frauen hütet dunkle Geheimnisse. Dabei sind die Figuren in „Girl on the train“ nicht unbedingt sympathische, gerade die Alkoholikerin Rachel strapazierte des Öfteren meine Geduld – am Ende fügt sich alles logisch. Aber es lässt sich auch nicht bestreiten, dass die Geschichte (ebenso hier eine Parallele zu „Gone Girl“) sehr konstruiert wirkt, einige Unwahrscheinlichkeiten muss der Leser in Kauf nehmen – durch die flotte Schreibe Paula Hawkins fällt dies allerdings nicht weiter ins Gewicht.