Tag Archives: Nationalsozialismus

Angelika Felenda – Wintergewitter

Bereits einmal ließ Angelika Felenda ihren Kommisär Reitmeyer im krisengeschüttelten München ermitteln, nämlich im Fall Der eiserne Sommer. Damals  dräute der Erste Weltkrieg und in der Landeshauptstadt München brodelte es. Nachdem am Ende des Buchs der Kommisär seinen Einzugsbefehl an die Front erhielt, ist er nun nach sechs Jahren wieder zurück in München. Als Kriegszitterer hat er einige Traumata aus dem Krieg mitgebracht und versucht die Erinnerungen mit Geigenspiel zu verjagen.

wintergewitterDoch auch zwei Jahre nach Kriegsende kommt die Landeshauptstadt nicht zur Ruhe. Bürgerwehren patrouillieren auf den Straßen, die rechten und das linken Lager tragen blutig ihre Fehden aus und der verlorene Weltkrieg hängt wie ein Damoklesschwert über dem Land. Sehr angespannte Zustände also, in denen sich München befindet. Der neue Fall für den Ermittler Reitmeyer nimmt sich allerdings erst einmal ganz unpolitisch aus. Eine junge Kellnerin namens Cilly Ortlieb wurde tot im Keller eines Gasthauses aufgefunden. Recht schnell steht der Tathergang fest. Das Mädchen wurde mit einer Heroinspritze ermordet. Das alleine würde kaum Aufsehen erregen, doch schon bald wird eine weitere junge Frau tot auf einer Parkbank sitzend aufgefunden. Der Modus Operandi des Täters ist identisch. Was ist das Motiv des Täters? Die Suche nach Erkenntnis führt den Kommisär in die Palais von Adeligen, bringt ihn mit der rechten Einwohnerwehr in Kontakt und wird schließlich zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Continue reading

Oliver Hilmes – 1936

Sechzehn Tage im August 1936 – diese sind das Gerüst für das Buch von Oliver Hilmes. Und diese Tage haben es in sich. In Berlin findet zu dieser Zeit die Spiele der XI. Olympiade statt, die das ganze Land elektrisieren und deren Auswirkungen auf der ganzen Welt spürbar sind.

Berlin 1936 von Oliver Hilmes

Berlin 1936 von Oliver Hilmes

Nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler im Jahr 1933 haben die Nationalsozialisten Deutschland im Handstreich erobert, doch das Gesicht, dass das Land nun der Welt zeigen will, ist ein anderes. Das Erscheinen des Stürmers wird eingestellt, jüdische oder farbige Sportler dürfen an den Spielen teilnehmen und im Olympischen Dorf zeigt man sich von seiner kosmopolitischen Seite. Hitler-Deutschland generiert sich als Förderer des Sports und Göring, Goebbels und Hitler geben Empfänge und lassen sich an den Sportstätten sehen. Leni Riefenstahl dreht ihren berühmt gewordenen Streifen Olympiade – und in den Bars und Kneipen tanzt man zu Jazz und genießt die Freiheit, die die Olympischen Spiele den Berlinern bietet.

Chronologisch gliedert Oliver seine Erzählung in die sechzehn Augusttage, stets eingeleitet durch ein Foto mit Bezug auf das folgende Kapitel und einen Auszug aus dem Reichswetterdienst des aktuellen Tages. Was darauf folgt sind kurze Schlaglichter aus den Geschehnissen am aktuellen Tag, mal tauchen die Fäden später im Buch wieder auf, mal sind es nur kurze Leuchtfeuer von Leben und Sterben. Neben den Nazigrößen blickt Hilmes in seinem Buch auch auf die kleinen Berliner, Soldaten in geheimer Mission in Spanien oder Jazzmusiker, für die diese Augusttage große Bedeutung haben. Ihm gelingt so ein kurzweiliges, anektdotenreiches und stupendes Buch über Tage des Ausnahmezustandes, bei denen Jesse Owens die Spiele dominierte und unter den Augen der Machthaber als Farbiger von Weltrekord zu Weltrekord eilte. Nicht die einzige Pointe der Weltgeschichte, die Hilmes in seinem neuen Buch schildert.

Dieses schön komponierte Buch hat auch einen Bruder im Geiste, und zwar ist dies Florian Illies‘ 1913. Wer an letzterem Buch Freude hatte, der wird auch die Lektüre von Berlin 1936 nicht bereuen!

 

Marceline Loridan-Ivens – Und du bist nicht zurückgekommen

Dies ist kein Buch für zwischendurch, keine Nebenbei-Lektüre, kein erbaulicher Inhalt – und doch lohnt Und du bist nicht zurückgekommen von Marceline Loridan-Ivens ungemein.

Loridan

Das Buch ist ein Brief, den sie an ihren Vater schrieb, nachdem dieser der Vernichtungsmaschine der Nationalsozialisten nicht entkam. Während sie in Birkenau eingesperrt war, wurde ihr Vater in das Lager Auschwitz deportiert, wo Loridan-Ivens ihn aus den Augen verlor. Ihr ganzes Überleben war ein Kampf gegen die Erinnerung, und nun schreibt sie als hochbetagte Dame diesen Brief, der ihre Erlebnisse und das Verarbeiten dieser Erlebnisse auf 110 Seiten ausbreitet.

Betroffen liest man in diesem – wie vom Insel-Verlag nicht anders gewohnt – toll gestalteten Band und fühlt sich in den Schrecken, der nun siebzig Jahre zurückliegt, ein. Ein wertvolles Dokument einer Zeitzeugin, das gelesen werden sollte!

Emanuel Bergmann – Der Trick

Immer mal wieder geschieht es, dass man in der ganzen Bücherflut über Preziosen stolpert, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hatte, denen man aber eine möglichst große Leserschaft wünscht. Das im März neu erscheinende Debüt von Emanuel Bergmann fällt in diese Kategorie – erschienen ist es gleich als Hardcover bei Diogenes. Für ein Debüt spricht dies schon Bände – umso schöner dass das Buch auch alle Versprechen einlösen kann.

Von Prag bis nach Los Angeles

978-3-257-06955-6

Das Buch erzählt in zwei Strängen vom kleinen Mosche Goldenhirsch in Prag 1934 und vom kleinen Max Cohn, der dieser Tage in Los Angeles lebt.

Dessen Eltern haben sich nicht mehr viel zu sagen und stecken gerade inmitten ihrer Scheidung. Max nimmt dies alles sehr mit, sähe er doch seine Eltern am liebsten wieder zusammen. Die Rettung aus dieser verfahrenen Situation scheint eine alte Schallplatte zu sein, die Max im Gerümpel seines Vaters findet. Diese Schallplatte stammt vom Zauberkünstler Zabbatini, der in rätselhaftem Singsang von einem Liebeszauber berichtet, den er vollführen könne. Aber wie das mit alten Schallplatten so ist – an der entscheidenden Stelle hängt natürlich die Aufnahme. Für Max steht nun fest – er muss diesen Zabbatini finden, koste es was es wolle. Kurzerhand macht er sich auf die eigene Faust auf den Weg, den Zauberer zu finden. Doch wird Zabbatini die Magie noch einmal entfachen können?

Während Max nach dem Zabbatini sucht, erzählt Emanuel Bergmann derweil parallel von Mosche Goldenhirsch, den das Leben bald zu eben jenem Großen Zabbatini machen wird, der Max‘ Eltern verzaubern soll. Während der Nationalsozialismus in Deutschland um sich greift, wächst Goldenhirsch als Sohn eines Talmud-Gelehrten in Prag heran und beschließt, sich einem Zirkus anzuschließen. Langsam bewegen sich die beiden Stränge aufeinander zu und bringen Max und Mosche zusammen, die zwar Jahrzehnte trennen, die sich aber beide ähnlicher sind, als es zunächst den Anschein hat.

Magie, Humor, Drama

Seit Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke habe ich bei keinem Buch mehr so oft lachen müssen. Emanuel Bergmann hat ein tolles Gespür für Pointen, Situationskomik und humorvolle Dialoge. Das Aufeinandertreffen von Max und Mosche wird toll beschrieben und der deutsche Autor geizt nicht mit absurden Szenen. Doch was sich hier vielleicht nach überdrehtem Klamauk anhören könnte, ist es keinesfalls. Bergmann nimmt seine Figuren ernst und schafft es, im letzten Teil des Buchs noch eine todtraurige Ebene einzuziehen, die mich sehr berührte.

Sein Roman erzählt vom Zauber der Kindheit, als noch vieles möglich schien. Die Magie und die Kunst der Täuschung nehmen in seinem Roman einen großen Raum ein. Er erzählt vom zeitlosen Wunsch, seinen Träumen zu folgen und rührt damit genauso zu Tränen, wie er die Leser herzlich lachen lässt. Manchmal genügen nur kleine Andeutungen, dass der Leser weiß, was Sache ist. Sein Mosche alias Zabbatini erinnert passagenweise auch an Charlie Chaplins großen Diktator, gerade wenn Bergmann im letzten Drittel die prägenden Erlebnisse aus Mosches Leben schildert.

Mit Max und Mosche stellt er zwei schlitzohrige Helden in den Mittelpunkt, die den Leser für sich einzunehmen wissen. Der Trick ist ein buntes Buch, das viele Emotionen beim Leser zu wecken weiß. Ein großartiges und toll inszeniertes Debüt, das in den Bestsellerlisten landen sollte!

Robert Seethaler – Der Trafikant

Verlust der Unschuld

Den Jungen, dem der Leser zu Beginn des Romans Der Trafikant von Robert Seethaler begegnet, wird es am Ende des Buches so nicht mehr geben. Selten war die Entwicklung eines Charakters in letzter Zeit spannender zu lesen.

Aus der Provinz nach Wien

Der siebzehnjährige Franz Huchel wird von seiner alleinerziehenden Mutter im Jahr 1937 aus dem beschaulichen Nußdorf im Salzkammergut nach Wien geschickt. Dort in der brummenden und brodelnden Hauptstadt soll er zum Mann werden und als Trafikantenlehrling einen Beruf ergreifen.

Doch nicht nur die Hauptstadt beschäftigt den Jungen, auch die Bekanntschaft mit Sigmund Freud und die Liebe in Form der Böhmin Anezka wirbeln sein Leben gehörig durcheinander. Und als dann auch noch die politische Wetterlage umschlägt, muss Franz schneller erwachsen werden, als ihm lieb ist.

Erlebbar gemachte Zeitgeschichte

Mit Der Trafikant gelingt Robert Seethaler zugleich ein beeindruckendes Porträt eines Landes im Umbruch und ein Entwicklungsroman, der zu den stärksten und eindringlichsten der letzten Zeit zählt. Er erzählt vom Verlust der Unschuld, denn sowohl Franz als auch das ganze Land Österreich müssen erkennen, dass die „gute alte Zeit“ wohl unwiederbringlich vorbei ist.

Seethaler zeigt, wie die Stimmung in den österreichischen Gassen kippt, wie das Volk die Ablösung Schuschniggs und die Machtergreifung Hitlers erlebt und wie das Leben der kleinen Leute beeinflusst wird. Dies geschieht angenehm beiläufig, immer wieder baut Seethaler kleine Passagen ein, die besser als viele Dokumentationen ein Gefühl des damaligen Zeitgeists vermitteln.

Auch die Entwicklung Franz‘ vom verträumten und unschuldigen Dorfkind hin zu einem Jungen, der gezwungen ist, auf eigenen Beinen zu stehen, ist eindrücklich geraten und mehr als gelungen. Man fühlt mit diesem Jungen mit und sehnt sich auch ein klein wenig nach diesem unschuldigen Gefühl der Kindheit, das in Der Trafikant allmählich verloren geht.

Ein Buch mit mannigfaltigen Themen

Spielend bedient sich Robert Seethaler verschiedenster stilistischer Erzählformen  und vermengt das Ganze traumwandlerisch sicher zu einem beeindruckenden Roman, der aufgrund seiner Qualität besticht.

Es ist ein stilles und kleines Büchlein, das doch so viel mehr zu sagen hat und größer ist als viele andere Romane der letzten Zeit.

Der Trafikant lässt den Leser wehmütig und mit einem nostalgischen Gefühl zurück und schafft ein Miniatur-Universum, das so komprimiert in der deutschen Literatur länger nicht zu lesen war.

Mit diesem Buch etabliert sich Seethaler als einer der interessantesten jungen Autoren Österreichs und lässt auf weitere große – nicht unbedingt dicke – Bücher hoffen!


Eine kleine Anmerkung zum Schluss. Nun gibt es auch eine (in meinen Augen sehr gelungene) Verfilmung von Seethalers Trafikanten von Nikolaus Leytner. Hier der Trailer zum Film: