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R. C. Sherriff – Zwei Wochen am Meer

Eine mittelständische englische Familie fährt in den Urlaub ans Meer. Aus dieser einfachen Ausgangslage macht R. C. Sherriff einen berührenden Roman, der vom Glück des unbeschwerten Sommerurlaubs erzählt, der zugleich aber auch vom Wissen um die Vergänglichkeit des Urlaubs im Kleinen und die des Lebens im Großen kündet. Große Literatur – und eine echte Wiederentdeckung!


Mit dem Sommerurlaub ist es ja so eine Sache. Liegt er noch vor einem, scheint der Sommer unendlich lang, die Tage glutheiß, das Jahr auf seinem Höhepunkt und der Herbst noch ganz weit weg. Kehrt man dann Ende August oder im September wieder in den normalen Alltagstrott zurück, so mehren sich die Zeichen, dass die schönsten warmen Tage des Jahres hinter einem liegen.

Es wird abends wieder früher dunkel, die Sonne hat ihre Kraft verloren und an manchen Orten zeigen sich schon wieder die ersten Nebelfelder, die die Gedanken an die kommenden kalten Tage ins Bewusstsein rufen. Der Sommerurlaub, er trägt neben aller scheinbaren Ewigkeit eben auch das Wissen um die Endlichkeit der Sommeridylle in sich.

Auch R. C. Sherriff weiß um die Vergänglichkeit, die allem Sommern eingeschrieben ist. Bei ihm ist es die mittelständische Familie Stevens, die einen unbeschwerten Sommer an der Südküste Englands erleben möchte. Dabei ist aber auch sie trotz aller Sehnsucht nach Idylle und dem Bemühen um die Bewahrung derselben auch vor Enttäuschungen und dem Vergehen der Zeit nicht gefeit.

Noch einmal gemeinsam auf nach Bognor

R. C. Sherriff - Zwei Wochen am Meer (Cover)

So sind die beiden älteren Kinder eigentlich schon zu alt für einen gemeinsamen Familienurlaub am Meer und haben andere Prioritäten, als so wie all die Jahre zuvor wieder mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder die Ferien an der Südküste in Bognor zu verbringen. Und doch soll es nun im September noch einmal wie früher sein, so wünschen es sich die Eltern. Man teilt sich in einer angestammten Pension Zimmer, kennt seine Vermieterin ebenso wie den Strand in- und auswendig und hat in jahrelanger Verfeinerung eine Art To Do-Liste erarbeitet, die die Familie nun am Vortag des Urlaubs Stück für Stück abarbeitet. Von der Nahrung für die Katze bis zur Übergabe des Schlüssels ihres Vorstadthäuschens will alles bedacht sein.

Mit einem Kofferträger geht es zur U-Bahn, man steigt in Clapham Junction ein, versucht sich mit Tricks ein familieneigenes Bahnabteil zu besorgen und schon setzt sich die Bahn in Richtung Bognor in Bewegung.

Es sind Ferien, die in krassem Widerspruch zur heutigen Spaß- und Eventkultur an Badestränden stehen, die R. C. Sherriff hier beschreibt. Bekocht von der Vermieterin wird die Frage der Anmietung eines eigenen Strandhäuschens zum fast überlebensgroßen Thema, das die Familie Stevens beschäftigt. Man badet, besucht ein Konzert der Kurkapelle und erlebt entschleunigte Tage am Meer, über denen eine starke Ahnung der Vergänglichkeit liegt.

Die Vergänglichkeit der Sommeridylle

Bei allem Staunen hatte sie jedoch tief drinnen gewusst, dass etwas passieren würde. Seit ihrer Abreise aus Dulwich wusste sie, dass noch vor Ferienende etwas Gewaltiges geschehen würde. Sie wusste es, als sie alle zusammen auf den Zug in Clapham Junction gewartet hatten, sie wusste es, als sie hinter Horsham ihre Sandwiches gegessen hatten, sie wusste es, als sie durch die Straßen von Bognor zum „Seaview“ gelaufen waren. Jedes Mal hatte sie gespürt, dass es zum letzten Mal war und dass sie das nie wieder zusammen mit ihrem Vater und ihrer Mutter tun würde und auch nicht mit Dick und Ernie. Es hatte sich so traurig angefühlt, dass sie sich all das sofort wieder zurückwünschte. Jetzt aber wusste sie erst, was das alles zu bedeuten hatte. Es war immer schön gewesen in Bognor, und trotzdem hätte es nicht ewig so weitergehen können. Sie hätten nicht weiterhin Jahr für Jahr mühsam versuchen können, den verglimmenden Funken der Kindheit neu zu entfachen. Was inhen aber immer bleiben würde, waren die Erinnerungen – auch daran, wie wundervoll alles zu Ende ging.

R. C. Sherriff – Zwei Wochen am Meer, S. 287

Immer wieder tauchen im Buch Themen und Motive des Abschieds auf, die den Urlaub begleiten. Stevens senior laboriert noch immer an seinem unsanften Ausscheiden aus dem von ihm mitbegründeten Fußballverein, der einen Generationenwechsel einleiten sollte. Der Mann der Vermieterin ist gestorben und die Pension verschleißt Stück für Stück. Es mehren sich die Indizien, dass der Urlaub der Familie in dieser Form der letzte sein wird, den die Stevens gemeinsam verleben. Die beiden älteren Kinder treiben verstärkt Fragen wie ihr berufliches Glück oder Freundschaften um.

Und auch wenn es Vater Stevens gelingt, der Urlaubsidylle noch einen zusätzlichen Tag abzugewinnen, so schwingt doch in den Tagen eine Ahnung mit, dass ein solch sparsamer und selbstgenügsamer Urlaub lange noch vor der Phase des Massentourismus schon bald Geschichte sein wird, ebenso wie es darüber hinaus für die im Buch repräsentierte Epoche des Kleinbürgertums gilt.

Eine feinsinnige Wiederentdeckung

Wie feinsinnig, gut beobachtet und meisterhaft introspektiv R. C. Sherriff dies schildert, das ist wirklich große Kunst. Und auch wenn Sherriff normalerweise eher Drehbücher schrieb und in Hollywood sein Glück suchte, so erfuhr er in seinem Leben doch ähnliche Sehnsucht nach Nostalgie und Vertrautheit, wie er sie in Zwei Wochen am Meer schildert.

Davon erzählt der Autor und Übersetzer Karl-Heinz Ott in seinem Nachwort, in dem er auch die Geschichte des Romans erzählt, der eine wirkliche Wiederentdeckung ist. So gab der Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro auf eine Umfrage des britischen Guardian, die nach literarischen Entdeckung von Schriftsteller*innen während der Coronazeit fragte, die Entdeckung dieses Romans aus dem Jahr 1931 zu Protokoll. Dies sorgte für eine Renaissance des Buchs, das Ishiguro für die Kunst lobte, „die wunderbare, im täglichen Leben anzutreffende Würde feinfühlig[..] auf einer völlig undramatischen Ebene“ einzufangen.

Die Parallelen zwischen Ishiguros Schreiben und Zwei Wochen am Meer arbeitet Ott sehr schön heraus und analysiert Werk und Wirken Sherriffs in seinem Nachwort sorgfältig.

Kleine Mängel in der Übersetzung

Noch schöner wäre es dabei allerdings gewesen, wenn Ott und das Lektorat die gleiche Sorgfalt auch auf den übersetzten Text angewendet hätten. Denn die Übersetzungsleistung weist ein paar Defizite auf und mengt dem rundum positiven Eindruck des Romans so selbst einen Hauch der Kritik bei.

Denn Ott trifft mitunter eigenwillige übersetzerische Entscheidungen, indem er beispielsweise den im Zuge der Weltausstellung in London erbauten Crystal Palace als Kristallpalast übersetzt, um nach zweimaliger Erwähnungen desselbigen dann umzuschwenken und diesen doch als Crystal Palace zu titulieren. Kann man im Deutschen mit dem Begriff der Landlady wenig anfangen, wäre doch hier der übersetzerische Griff zur Vermieterin idiomatischer gewesen, ebenso wie im Deutschen der Begriff der Sperrstunde wohl deutlich geläufiger sein dürfte als die von Ott gewählte „Polizeistunde“, die etwas seltsam für sich steht.

Es mögen nur Marginalien sein, im Text fallen sie in ihrer Häufigkeit dennoch auf und mindern den ansonsten fabelhaften Eindruck dieses Buchs und der vom Unionsverlag herausgegebenen Ausgabe um einen kleinen Hauch.

Fazit

Ein fabelhafter Roman und eine echte Wiederentdeckung. Wie zart und genau beobachtend R. C. Sherriff in Zwei Wochen am Meer über seine Figuren schreibt, einen Familienurlaub vor Bettenburgen und Eventfixierung beschreibt und wie er es schafft, dass über allem der Hauch der Vergänglichkeit liegt, das ist ganz große literarische Kunst! Und auch wenn die Übersetzung ein wenig sorgfältiger hätte ausfallen dürfen, so mindert das den Gesamteindruck dieses großartigen Sommerurlaubs nur marginal. Für mich ganz klar ein literarischer Sommerhit!


  • R. C. Sherriff – Zwei Wochen am Meer
  • Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Ott
  • ISBN 978-3-293-00604-1 (Unionsverlag)
  • 352 Seiten. Preis: 25,00 €
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Margaret Kennedy – Das Fest

Eine Familienpension am Fuße hochaufragender Klippen – und viele Gäste, die es einem nicht unbedingt leicht machen. In Das Fest erzählt die Britin Margaret Kennedy von eigentümlichen Urlaubern und einer Katastrophe in Nord-Cornwall. Eine Wiederentdeckung aus dem Jahr 1950.


Nein, ein Hotel ist es nicht unbedingt, auch wenn es den Namen Pendizack-Hotel trägt. Die Besitzerin Mrs Siddal hat ihr Zuhause in Cornwall zu einem Hotel umfunktioniert, das eigentlich aber eher eine Familienpension ist. Ihre drei Söhne und ihr Mann leben mit ihr im Haus – die Einnahmen bringen aber die Gäste, die das direkt am Fuß der Steilküsten gelegene Haus besuchen. Das Meer vor der Haustür, die steilen Klippen im Rücken, keine Nachbarn in unmittelbarer Umgebung, so die Selling Points ihrer Familienpension.

Eine Familienpension in Cornwall

Auch wenn die Auslastung des Hotels in den Augusttagen des Jahres 1947 zunächst noch zu wünschen übrig lässt, so versammelt sich schon bald eine skurrile Runde an Hotelgästen, die ihre Sommerfrische dort in Cornwall verbringen wollen. Das kinderlose Ehepaar Palsey, der hochmütige Kanonikus Wraxton mitsamt seiner Tochter Evangeline, Mrs. Cove mit ihren drei Kindern und die Familie von Lady Gifford, die vor allem mit ihren Sonderwünschen schon vorab die Nerven der Siddals malträtiert.

Margaret Kennedy - Das Fest (Cover)

So unterliegt die (eingebildete) Kranke einer strengen ärztlichen Diät, um ihre Gesundung voranzutreiben. Wie sie Mrs. Siddal in einem Brief vorab informiert hat, benötigt die Lady unbedingt Geflügel, Wild, frische Eier, frisches Gemüse im Gegensatz etwa zu Margarine, Trockenmilch oder Nahrungsmitteln aus Konserven, die verpönt sind. In Zeiten der Mangelwirtschaft nach dem Krieg sind diese Forderungen gar nicht einmal so leicht zu erfüllen.

Aber nicht nur in Sachen Anspruchshaltung wird die Lady noch öfter anecken, auch die Anreise im Zug gestaltet sich für die Herrschaften trotz bestochenem Personal schon schwierig, da sie die Bekanntschaft mit Mrs. Cove und ihren Kindern machen. Diese erweist sich als ebenso renitent und dickköpfig wie die adelige Matriarchin, sodass der Urlaub spannend zu werden verspricht.

Schrullige Gäste – und schrulliges Personal

Doch nicht nur die anreisenden Hotelgäste sind skurril bis schwierig – auch das Hauspersonal ist mit vielen Schrullen gesegnet. So gibt es die dauerklatschende und notorisch neugierige Mrs Ellis, die statt zu arbeiten lieber Maulaffen feilhält. Ihr zur Seite steht das Zimmermädchen Nancibel. Fachkräftemangel ist nicht nur ein Signum der Neuzeit – auch 1947 mangelt es schon an ausreichenden Bewerbern für die anderen anfallenden Tätigkeiten im Hotel, sodass auch Mrs. Siddal und ihre Söhne mit anpacken müssen, um ihren Gästen eine gute Zeit in Cornwall zu ermöglichen.

Davon erzählt Margaret Kennedy gerade zu Beginn des Romans mit einer Vielzahl von Techniken. So schreibt die Haushälterin Mrs. Ellis einen larmoyanten Klagebrief, Lady Gifford informiert über ihre Anforderungen und Wünsche für den Urlaub ebenfalls per Brief, Mr. Palsey schreibt Tagebuch, um seine Perspektive zum Ausdruck zu bringen. Später gibt Margaret Kennedy diese Formenpluralismus zugunsten eines konventionellen multiperspektivischen Erzählens wieder auf.

Es entfaltet sich die Geschichte einer Tragödie, deren Ausgang aufgrund des Präludiums absehbar ist. Im Vorspiel vor der eigentlichen Romanhandlung tauschen sich der lokale und ein in Cornwall urlaubender Pfarrer über die Katastrophe des Felssturzes aus, die sich vor kurzer Zeit ereignet hat und die für alle Pendizack-Bewohner den Tod bedeutete. Einzig die Teilnehmenden an einem Fest haben die Tragödie überlebt, da sie sich in sicherer Entfernung der Felsmassen befanden.

Ferien und andere Katastrophen

So treibt der Text neben aller Ferienschilderungen auch unaufhörlich auf die sich nahende Katastrophe zu. Daneben zeichnet Das Fest auch ein Bild des Mangels, der über das Kriegsende hinaus in England herrschte. Zwar ist es eine mildere Form der Knappheit als zu zurückliegenden Kriegszeiten, aber auch hier konkurriert man noch um Mäusespeck, Karamellbonbons und Türkischen Honig. Der Schreck der Kriegserlebnisse sitzt den Menschen noch in den Knochen und man blickt auch ganz genau auf das Verhalten der Oberschichte, das sich hier in insistierenden Fragen über den Aufenthaltsort der Giffords während der Kriegszeit äußert (auf die hin Lady Gifford einräumen muss, mit ihren Kindern nach Amerika geflohen zu sein, anstelle sich mit der gemeinen Bevölkerung solidarisch verhalten zu haben).

Margaret Kennedys Roman ist einer, der neben aller Sommerfrisch auch in der berückenden Kulisse Cornwalls die sozialen Zustände nicht aus dem Blick verliert. Es zeigt sich, dass die heute vieldiskutierten Themen des Fachkräftemangels oder der Anspruchshaltung der jungen Generation auch 1947 schon Thema waren, etwa wenn Mrs Cove über den schwächelnden Leistungswillen lamentiert:

„Es ist nicht das Geld, dem die Menschen heutzutage nachjagen. sonst wären wir nicht an diesem Tiefpunkt angelangt. Alles, was sie wollen, ist weniger Arbeit und kürzere Arbeitszeit. Der Hunger ist der einzige Ruf, dem sie folgen. Kaum sind sie satt, werden sie schlapp. Sie wollen nichts, was nach Anstrengung klingt. Auch keinen höheren Lebensstand, es sei denn, jemand bezahlt ihn für sie.

Margaret Kennedy – Das Fest, S. 350 f.

Eine versierte Autorin

MArgaret Kennedy (Porträt)
Margaret Kennedy

Neben solchen gesellschaftsdiagnostischen Dialogen ist Das Fest auch voller Humor. Figuren sprechen nebeneinander her oder fallen sich gegenseitig ins Wort. Zwischen dem Hotelierssohn und der Kanonikus-Tochter entspinnt sich eine zarte Liebesbande. Die Coves und die Giffords belauern sich beständig gegenseitig. Das ist schön gemacht und zeigt eine versierte Autorin, die Margaret Kennedy mit mehr als einem Dutzend Romane und Drehbüchern auch war.

Schade einzig und allein, dass man im herausgebenden Schöffling-Verlag auf ein einordnendes Nachwort zum Leben und Werk Margaret Kennedys verzichtet hat. Den Lesenden, denen das Leben und das vielstimmige Oeuvre der 1967 verstorbenen Autorin sonst unbekannt sein dürfte, gibt man im Buch lediglich eine biographischen Minimalskizze an die Hand. Hier hätte eine etwas ausführliche Darstellung zu ihrem vielfältigen Wirken aus kundiger Feder eine schöne Ergänzung dargestellt,

Fazit

Abgesehen davon ist Das Fest ein nostalgischer Roman, der zwar aufgrund seiner Struktur alles andere als überraschend ist, dafür aber ein genaues Bild vom Nachkriegsengland auf Sommerfrische in Cornwall zeichnet. Verschwundener schwarzer Bernstein, eine Autorin ab Abwegen, Jagd auf Mäusespeck, naseweise Kinder, überforderte Hausangestellte und noch viel mehr. Margaret Kennedys Buch lädt ein zu einer entschleunigten Lehnstuhlreise ins Pendizack-Hotel und einer Sommerfrische voller besonderer Charaktere.


  • Margaret Kennedy – Das Fest
  • Aus dem Englischen von Mirjam Madlung
  • ISBN 978-3-89561-079-0 (Schöffling)
  • 432 Seiten. Preis: 24,00 €
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Peter Richter – August

Neues von Peter Richter. Nach seinen beiden in Ostdeutschland spielenden Büchern (zuletzt Dresden revisited, 2016) wechselt er nun den Schauplatz. Der ehemalige New York-Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung erzählt nun von zwei Paaren, die ihren Sommer dort auf Long Island verbringen, genauer gesagt in den Hamptons. Im luxuriösen Milieu voller Villen mit hauseigenem Gärtner, Swimmingpools und Gartenpartys wollen die beiden Paare mit deutsche Wurzeln einen sorglosen Sommer verbringen. Und merken dabei doch, dass selbst im vermeintlich den Sorgen enthobenen Idyll der Hamptons nicht alles perfekt ist.


Geladen zum sorglosen Sommer hat Richard (die Betonung liegt auf Rich), der mit seiner Frau Stefanie, einer ehemaligen Moderatorin im Musikfernsehen, aus Berlin in die Hamptons gezogen ist. Reichgeworden mit Immobiliengeschäften hat er sich einen Bungalow in den Hamptons gekauft, in dem er den Impressario gibt. Zu laut über das Grundstück tönender Jazzmusik pflegt man zusammen mit dem befreundeten Ehepaar Alec und Vera das süße Nichtstun. Das Apartment der beiden in New York ist vermietet, die Kinder spielen gemeinsam und so kann das gemeinsame sorglose Sommern beginnen.

Denn Vera hatte bis dahin weder das Wort noch die Sache gekannt: to summer. Allein die Idee, den kompletten Sommer da draußen zu verbringen, kam ihr so verlockend wie abszön vor – auch noch in den mythischen Hamptons, wo nach allem, was sie darüber wusste, siebzigjährige Bienenköniginnen inmitten unverstellbarer Reichtümern auf den Dünen hockten.

Peter Richter -August, S.14

Vera versucht, von ihrem Job in der Klinik abzuschalten, Alec seine ausufernden Materialsammlungen zu einem Buchprojekt zu bündeln (von der Hitlerjugend zu Facebook, von der Waldorfschule zum Waldorf Astoria, so die ungefähre Synopse seine Frau). Die Routine aus Rammdösigkeit aus Swimmingpool und dem Bad im nahegelegenen Ozean wird allenfalls von der Fahrt zum Indianerreservat (besonders günstige Zigarettenstangen!) oder zum Discounter (zwei Flaschen Champagner zum Preis von einer!) unterbrochen.

Wollen und Nicht-Ganz-Können

Peter Richter - August (Cover)

Ein schönes Bild ist es, das Peter Richter hier für den Status von Richard und Co und deren Wunsch nach einer Hochglanzfassade zeigt. Während Vera und Alec ihr Appartment via AirBnB untervermietet haben, um sich den Luxus der Auszeit zu gönnen, darf diese Auszeit für Richard und Stefanie nur den August über dauern. Danach ist der Bungalow wieder vermietet. Überhaupt – was wie purer Luxus klingt, ist dann doch nicht DER Luxus, der in den Hamptons angestrebt wird. Statt einem feudalen Anwesen reicht es bei den beiden doch nur zum Bungalow plus beengter Gästehütte. Zudem liegt dieser auf der falschen Seite des Highways. Aber immerhin, für einen Parkberechtigungsschein am Strand reicht es.

Und wenn man schon nicht die erste Geige im Konzert der Upperclass spielt, so muss wenigstens ein Lifestyleguru für die Paare drin sein. Was andere Hollywoodstars vormachen, das ahmen Richard und Stefanie natürlich begeistert nach. Und so besucht diese regelmäßig ein Guru mit wallendem Haar, aufgrund seiner österreichischen Provenienz Kaunsler getauft. Er animiert besonders Stefanie zu Yoga, Globuliexzessen und Esoterik. Und auch das heimischen Zierpflanzen sind vor den halluzinogenen Versuchen es österreichischen Schamanen nicht sicher.

Eine Satire auf das Streben nach Aufstieg

Die Figuren und die Setzung des Romans zeigen schon, in welche Richtung Peter Richter in seinem neuen Buch geht. August ist eine Satire auf das Streben nach sozialem Aufstieg und den Wunsch, selbst in der Upperclass mitzumischen. Er beschreibt ein vermeintliches Paradies, das doch nach und nach seine Risse offenbart. Je länger der Sommer dauert, desto mehr Störfaktoren tauchen innerhalb und außerhalb der Beziehungsgefüge auf.

Es sind schöne Bilder, die Richter neben so manchem Klischee hier aufbietet. Ein Beispiel für die Koexistenz von beidem wäre etwa die übers Grundstück tönende Musik und deren Begleitumstände. Ist es zunächst wilder Jazz (den die Sommerfrischler eher aus Distinktionsgewinn denn Genuss konsumieren), der zur Untermalung der mondänen Lebenswelt dient, wird dieser später im Buch von Dolly Parton und ihrem Schlager Jolene abgelöst, passend zur Affäre mit dem Schweizer Kindermädchen. Ist das vielleicht auch etwas zu plakativ und erwartbar, sind es weitere Bilder und Motive, die noch stärker, da unaufdringlicher sind.

So versammeln sich auf dem Grund des Pools immer mehr Gegenstände, die ihren Weg im Lauf des Sommers dort hineinfinden. Der Gärtner Ramon ist nicht auffindbar, und so bleibt alles eben einfach alles im Schwimmbecken zurück. Wer will sich schon im Sommer mit Aufräumen beschäftigen? Zunächst fällt ein Buch stellvertretend für alle Ambitionen in den Pool. Später ist es ein Handy, dann – nein, es soll hier nicht verraten werden. Die Lektüre bis zum Schluss lohnt und dieses Bild ist gelungen und vielgestaltig interpretierbar.

Vielgestaltiger Humor

Überhaupt – vielgestaltig ist auch der Humor, den Peter Richter in August aufbietet. Dieser reicht von erwartbar und vielleicht etwas flach („Ihr Trainer hieß auf Englisch so, wie sie sich auf Deutsch fühlten, seit sie den Raum betreten hatten: Matt. S. 139 ) über intellektuell-hintersinnig (etwa die ganzen ergebnislosen Gedankenschleifen und Monologe Alecs) bis zu dem distinguierten und fast an Thomas Mann erinnernden Humor, der an anderen Stellen aufblitzt:

„Champagner“, rief Richard, als sie alle wieder aufgetaucht waren. „Ein Bad in Champagner, oder etwa nicht?“. Nicht nur der Sand sei weißer, auch die Gischt moussiere feiner hier draußen. „Alles westlich von hier ist bestenfalls Prosecco dagegen: Jones Beach, sogar Fire Island.“ Und was Coney Island oder Rockaway Beach waren, wo Alec und die Seinen normalerweise schwimmen gingen, was also diejenigen Strände dagegen waren, die man mit der Subway erreichen konnte, das wollte Richard lieber gar nicht in den Mund nehmen.

Peter Richter – August, S. 36

Für meinen Geschmack hätte Richter diesem feineren Humor noch etwas mehr Platz einräumen dürfen, gegenüber den oftmals schon reichlich karikaturesk wirkenden Beschreibungen seiner Protagonist*innen (besonders überzeichnet in meinen Augen die ökologische Übermutter Stefanie, die dem Nachwuchs selbst gemachte Sonnencreme der Vermeidung von Chemikalien wegen auf die Haut schmiert, Globuli verfüttert, sämtliche Kellner am Tisch peinlichen Verhören über die Öko-Bilanz des Essens unterzieht, etc.). Auch bleibt Richter in seinen Sottisen etwas erwartbar (das Geiern der am Strand zurückgelassenen Mütter nach dem athletischen Lifeguard, die amerikanische Prüderie egal ob Kleinkind ohne Bikini oder Champagnerkonsum, die Esoterik-Begeisterung in Teilen der Upperclass, die Begeisterung der Eliten für das vermeintlich Einfache und Echte, und so weiter).

Fazit

Insgesamt aber gelingt Peter Richter eine ansprechende Satire auf die (amerikanische) Upperclass und den unbedingten Wunsch, dazugehören zu wollen. Eine Satire, die klarmacht, dass auch hinter den vermeintlich paradiesischen Zuständen immer ein Abgrund lauert und die bereit ist, die Abgründe auch zu beschreiben und zu bebildern. August ist ein Buch, das sommerliche Langeweile und amerikanischen lifestyle beschreibt und persifliert und dabei auch ohne Politik und große Gegenwartsanalysen auskommt, wie es bei manch einem anderen amerikanischen Kollegen wahrscheinlich der Fall wäre. Manchmal eine Spur zu überzogen und etwas erwartbar, aber von hoher Unterhaltsamkeit und mit viel funkelndem (oder moussierendem?) Humor versehen.


  • Peter Richter – August
  • ISBN 978-3-446-26763-3 (Hanser)
  • 256 Seiten. Preis: 22,00 €
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