Monthly Archives: September 2016

Christian Kracht – Die Toten

Ein neues Buch von Christian Kracht ist immer ein Ereignis – der Rummel um seinen letzten Roman Imperium war immens und die Wogen der Debatten schlugen (in meinen Augen völlig ohne Grund) hoch. Nun hat Kracht seinen nächsten Titel Die Toten veröffentlicht – was kann das Buch?

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Nach der wahren und höchst kuriosen Lebensgeschichte des Kokovaren August Engelhardt, der mithilfe seiner Kokosnuss-Sekte die Welt retten wollte, taucht Kracht nun ein in die fiebrige Welt der Weimarer Republik und in die des japanischen Kaiserreichs.

Er erzählt vom Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli, der von Alfred Hugenberg, dem mächtigen Chef der UFA in Berlin, in einen wilden Plan eingespannt wird. Nägeli soll einen Film drehen – am besten mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle – der eine filmische Achse zwischen Deutschland und dem Japanischen Kaiserreich herstellen soll. Denn Hugenberg ist gewillt, den Streifen aus Hollywood die Stirn zu bieten – und Nägeli soll die Sache schaukeln …

Das Filmgeschäft in Berlin

Lotte Eisner, Charlie Chaplin, Siegfried Kracauer, Alfred Hugenberg – die Namen die Kracht in seinem neuen Roman auffährt, sind mehr als groß. Er führt direkt hinein ins damals boomende Filmgeschäft in Berlin, das Hollywood der Hauptkonkurrent war. Regisseure wie Fritz Lang sorgten für eine kreative Blüte in der Landes – und auch Kracht scheint diese Epoche beflügelt zu haben.

Die Sprache des Autors funkelt und blitzt – es ist ein Genuss dieses Geschichte zu lesen. Doch abseits von der kunstvollen Prosa bietet Die Toten eigentlich nicht viel außer jeder Menge Budenzauber. Nach der Beendigung der Lektüre überriss ich noch einmal die Handlung und hatte dabei das Gefühl, ein kunstvolles literarisches Baiser verzehrt zu haben, das recht schnell in sich zusammenfiel.

Die Rahmenhandlung des Romans ist für meinen Geschmack dann doch etwas zu banal (und auch etwas zu konstruiert), als dass das Buch länger im Gedächtnis bliebe oder in einen Literaturkanon aufgenommen werden müsste. Ein wunderbar geschriebenes Buch für Zwischendurch, aber große Kunst geht dann doch leider anders (und tiefer).

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Noah Hawley – Vor dem Fall

Netflix-Afficionados könnte der Name dieses Autors schon bekannt vorkommen – denn als Headautor ist Noah Hawley für die grandiosen beiden Staffeln der Serie Fargo verantwortlich, die lose auf dem legendären Film der Coen-Brüder basiert. Auch für die Serie Bones-Die Knochenjägerin steuerte der amerikanische Drehbuchschreiber Skripte bei. Nun liefert Hawley als Autor auf dem deutschen Buchmarkt sein zweites Buch ab- Vor dem Fall heißt der Titel.

Vor dem Fall von Noah Hawley

Vor dem Fall von Noah Hawley

Darin erzählt er von einem Flugzeugabsturz, dessen Vorgeschichte und dessen Konsequenzen. Ein Privatjet mit einem Newsmogul und dessen Familie sowie weiteren illustren Gästen an Bord, stürzt auf dem Weg von Martha’s Vineyard nach New York ab. Den Absturz haben nur der per Zufall an Bord befindliche Maler Scott Burroughs und der Sohn des Newsmoguls überlebt, den Scott in einem Akt übermenschlicher Anstrengung stundenlang durch das Wasser zieht und damit rettet. Die Medien stürzen sich schon bald auf Scott und den Jungen und beleuchten den Hintergrund des Malers und ergehen sich in dubiosen Spekulationen.

Währenddessen bedrängen Scott auch die Ermittlungsbehörden, die erfahren wollen, was an Bord der Maschine wirklich geschah. Doch die Erinnerungen von Scott sind durch den Unfall wie ausgelöscht. Erst allmählich drängen diese Erinnerungen den Wrackteilen des Flugzeugs gleich an die Oberfläche.

Mit Vor dem Fall ist Noah Hawley ein toll komponierter Roman gelungen, der durch seine geschickte Montage die Spannung über die 446 Seiten zu tragen weiß. Stück für Stück enthüllt der Autor die Wahrheit, auch indem jede der an dem Flug beteiligten Personen eine eigene Rückblende erhält, wie z.B. die Stewardess oder der Leibwächter des Newsmoguls. Immer neue Facetten treten so zutage und machen das Bild des Absturzes immer runder. Daneben flechtet Hawley auch noch Bildbetrachtungen von Werken ein, die Scott Burroughs gemacht hat und erzählt in Rückblenden von dessen Leben. Dies ist handwerklich mehr als sauber gelungen – man merkt dem Buch deutlich Hawleys Herkunft vom Film an. Durch diese außergewöhnliche Montage und die filmische Erzählweise wird Vor dem Fall zu etwas besonderem und verdient eine Lektüre!

 

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Dennis Lehane – Ein letzter Drink

Um die Ecke ist eine Kneipe. Lasst uns einen trinken gehen, ehe der Krieg beginnt. (S. 189)

Dieses Zitat bringt die Stimmung in Dennis Lehanes Ein letzter Drink sehr gut auf den Punkt. Der Krieg, auf den der Ich-Erzähler Patrick Kenzie anspielt, überrascht dann die beiden Ermittler allerdings doch. Denn eigentlich beginnt alles wie immer ganz einfach und überschaubar, in diesem Auftaktband zur Reihe um das Detektivduo Kenzie & Gennaro.

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Honorige Politiker und Senatoren beauftragen Patrick mit einem leichten Fall. Eine schwarze Putzfrau hat ihren Job plötzlich quittiert und ist mit brisanten Unterlagen aus dem Büro eines Senators verschwunden. Die Politiker wollen diese Dokumente um jeden Preis wieder zurückhaben und setzen Patrick und seine Partnerin Angie Gennaro auf die Fährte der Verschwundenen.

Doch auch in diesem Falle bestätigt sich einmal mehr der Schmetterlingseffekt aus der Chaostheorie. Denn der Fall liegt ganz anders, als eingangs angenommen. Und plötzlich finden sich die beiden Bostoner Detektive in einem Krieg

wieder, den zwei rivalisierende Banden in ganz Boston blutig ausfechten – mit Patrick Kenzie und Angie Gennaro zwischen den Fronten. Noch ein letzter Drink wird an der Bar getrunken, und dann beginnt der Krieg …

Eine tolle Wiederentdeckung

Dem Verlagswechsel hin zum Schweizer Diogenesverlag verdanken wir es, dass das Frühwerk Dennis Lehanes nun noch einmal neu aufgelegt wird – allen voran der hier besprochene Auftaktband zur famosen Reihe um Kenzie & Gennaro. Auch 22 Jahre nach seinem Erscheinen liest sich der Roman noch frisch und lässt einen ganz eigenen Sound erklingen – was natürlich auch mit an der Neuübersetzung durch Steffen Jacobs liegt. Beängstigend ist geradezu die Aktualiät von Gewalt auf den Straßen und den Rivalitäten zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung, die im Buch immer wieder thematisiert wird und auch nach mehr als zwei Jahrzehnten nach dem Erscheinen dieses Buchs ein großes Thema in der amerikanischen Gesellschaft ist.

Lehanes Prosa ist schnörkellos, der Ich-Erzähler Patrick Kenzie ein Typ, mit dem man auch abends am Bartresen noch einen letzten Drink nehmen würde. Ein toller Auftaktband einer Reihe, deren nächsten Band man nun schon sehnlich erwartet, nachdem man dieses Buch verschlungen hat!

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Tommy Wieringa – Dies sind die Namen

Man könnte meinen, Tommy Wieringa würde prophetische Gaben besitzen. Schon bevor im letzten Jahr die große Flüchtlingsströme schließlich über die Balkanroute auch bis nach Deutschland gelangten, legte er im Jahr 2012 den Roman Dies sind die Namen vor, der sich um die Fragen von Flucht und Identität dreht.

Der niederländische Autor erzählt darin in zwei Stränge aufgeteilt von einer Flüchtlingsgruppe, die sich durch ein verlassenes Nirgendwo schlägt, auf der Suche nach einem neuen Leben, und von Pontus Beg. Dieser versieht desillusioniert in der heruntergekommenen Stadt Michailopol seinen Dienst als Polizeibeamter. Dort hät er genauso wie seine Kollegen die Hand auf und verlebt seine Zeit, ohne dass wirklich etwas Aufregendes geschieht. Doch plötzlich stehen die abgekämpften Flüchtlinge vor ihm und bringen das ganze Leben in Michailopol durcheinander.

Geschickt verschränkt Wieringa die beiden Erzählstränge miteinander und verwebt Themen wie die Suche nach Identität und einem neuen Leben  in seine Erzählung. Während sich die Flüchtlinge vom Tod bedroht durch öde Steppen quälen und schier wahnsinnig werden, lässt Beg die Frage nach seiner eigenen Herkunft nicht mehr los. Kann es sein, dass seine Mutter Jüdin war und seine eigene Existenz damit in ganz neuem Licht erscheint? Wie Wieringa hier mit diesen Themen spielt, dies ist sehr gut gemacht!

Dem Autor von Bestsellern wie Joe Speedboat – Keine Zeit für Helden ist ein Buch gelungen, das mit seiner Aktualität und seiner schriftstellerischen Klasse zu überzeugen weiß. Nicht zuletzt da die Niederlande als diesjähriger Partner der Frankfurter Buchmesse fungieren, hoffe ich, dass diesem Buch große Aufmerksamkeit zuteil wird!

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Matthias Brandt – Raumpatrouille

Bonner Episoden

Matthias Brandt zählt zu den bekanntesten deutschen Schauspielern, egal ob als Polizeiruf-Kommissar Hanns von Meuffels oder in vielen preisgekrönten Filmen wie etwa Männertreu, In Sachen Kaminski oder Vor der Morgenröte. Als Schauspieler stand er anfangs noch im langen Schatten seines Vaters Willy Brandt, der als ehemaliger Bundeskanzler zu den überragenden Figuren der Bonner Republik zählte.

brandtDieses Verhältnis zu seinem Vater und seine Kindheitserinnerungen an jene Zeit, als die Stadt am Rhein die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland war, machen den Schwerpunkt des kurzen Erzählungsbandes Raumpatrouille aus. In großer Schrift gesetzt bietet das Büchlein 14 Episoden auf 160 Seiten. Die Geschichten sind – wie man sich ausrechnen kann – meist recht kurz und beackern die Erinnerungen des Ich-Erzählers, der wohl zum größten Teil deckungsgleich mit dem Autoren Matthias Brandt sein dürfte.

Seine Erinnerungen sind eine bunte, heterogene Mischung. Mal berichtet er von einem Besuch auf einem Volksfest mit seinem Vater und seiner Mutter inmitten einer Horde von Personenschützern, mal lässt er seine kindliche Freundschaft mit dem nebenan wohnenden Ex-Bundespräsidenten Heinrich Lübke aufleben. Er berichtet, wie Willy Brandt bei einem als Versöhnung gedachten Radausflug mit Herbert Wehner vom Rad fällt oder wie die Mondlandung 1969 den jungen Ich-Erzähler inspiriert und träumen lässt.

Brandts Geschichten sind eine bunte Sammlung von Vignetten aus der Zeit, als in den Wohnzimmern der geteilten Republik noch TriTop-Flaschen standen, Wim Thoelke im Fernsehen debütierte und James Last mit seinem Orchester in den Radios der Republik dudelte. Das Ganze ist sprachlich ganz solide gemacht und ist für mich ein Fall für die Kategorie nette Erinnerungen.

 

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