Vier Nächte lang treffen sich ein Mann und eine Frau in Fjodor M. Dostojewskis Erzählung Weiße Nächte in Sankt Petersburg. Dabei müssen beide feststellen, dass es ganz schön kompliziert sein kann, das mit der Liebe.
Weiße Nächte ist eine kurze Erzählung Fjodor Michailowitsch Dostojewskis, die aus dem Frühwerk des 1821 geborenen Autoren stammt. Der Insel-Verlag hat das Büchlein nun in einer schmucken Neuausgabe in Übersetzung durch Christiane Körner neu aufgelegt, die nicht nur die Übersetzung sondern auch das Nachwort zu Dostojewskis Text beisteuerte.
Kennt man den in Moskau geborenen Autor heute eher für voluminöse Werke wie Die Gebrüder Karamasow, Schuld und Sühne oder Der Spieler, so fällt dieses frühe Werk schon durch seinen schmalen äußeren Rahmen auf. Gerade einmal knapp 110 großzügig gesetzte Seiten weist die Erzählung auf, die auf vielen Seiten von Bildern der Künstlerin Stella Dreis ergänzt wird.
Sommer in Sankt Petersburg

Wir befinden uns in Sankt Petersburg, das sich als fast menschenleer präsentiert. Aufgrund des anstehenden Sommer haben sich fast alle der Stadtbewohner bereits auf ihre Datschen verabsentiert und so durchstreift der Erzähler alleine die Straßen und hält Zwiesprache mit den Häusern.
Nach eigenem Bekunden ist der Mann ein Flaneur und Träumer, der sich nicht nur in den Straßen, sondern sich ein ums andere Mal auch in seinen Gedanken und Sätzen verheddert.
Bei einem dieser Streifzüge trifft der Erzähler nun auf ein junges Mädchen, das nicht nur aufgrund ihres gelben Hütchens die Neugier des Mannes weckt. Vor allem ihr Schluchzen beschäftigt ihn, weshalb der Träumer den Grund für ihre Traurigkeit erfahren will.
Ein Mann ist es, der für den Zustand des Mädchens verantwortlich ist, wie die junge Frau im Gespräch gesteht. Denn eigentlich steht das Mädchen namens Nastenka unter dem Pantoffel ihrer alten Babuschka. Dies hat sogar so weit geführt, dass die blinde Alte das Mädchen an ihre eigene Kleidung angenäht hat, um eine Annäherung an das andere Geschlecht zu vermeiden. Doch wie es so ist mit den Plänen, so erwies sich auch die Absicht der Babuschka als nicht praktikabel. Denn Nastenka ist in unsterblicher Liebe zu einem jungen Mann aus der über ihr befindlichen Wohnung entbrannt und hat diesem ihre Liebe gestanden.
Liebeswirren in den weißen Nächten
Doch nun wartet sie auf Rückmeldung des Herren in Form eines Briefs und gerät darüber in höchste Erregung. Nicht leichter wird die Situation dadurch, dass der Erzähler zwar verspricht, bei der Kontaktaufnahme mit dem jungen Herren behilflich zu sein, anstelle reiner Nächstenliebe nun aber selber in Liebe zu der jungen Frau entbrennt, derer beider Lebenslinien (beziehungsweise derer drei, den Nebenbuhler eingeschlossen) sich nun in vier Nächten begegnen.
Zwischen Friendzone und unausgesprochenem Begehren mäandert die Handlung des Textes, den Übersetzerin Christiane Körner zurecht eher als Dramentext denn als wirklichen Roman charakterisiert. Denn die Handlung von Weiße Nächte besteht weitestgehend aus Gedanken und Dialogen, die das Gefühlschaos illustrieren, in dem sich Dostojewskis Figuren verfangen haben.
„Bleiben Sie, hören Sie mir zu: können Sie warten?
Fjodor M. Dostojewski – Weiße Nächte, S. 96
„Warten? Worauf?“
„Ich liebe ihn; doch das vergeht, das muss vergehen, es kann nicht anders sein; es vergeht schon jetzt, das spüre ich… Wer weiß, vielleicht vergeht es heute schon, weil ich ihn hasse, weil er über mich gelacht hat, während Sie hier zusammen mit mir geweint haben, weil Sie mich nicht abgewiesen hätten wie er, weil Sie mich lieben und mich nie geliebt hat, und schließlich, weil ich Sie liebe… Ja, ich liebe Sie auch! So, wie Sie mich lieben; ich habe es Ihnen ja schon einmal gesagt, Sie haben es selbst gehört – ich liebe Sie, weil Sie besser sind als er, weil Sie edler sind als er, weil er, weil er…“
Die Ärmste war so aufgewühlt, dass sie nicht zu Ende sprach, ihren Kopf auf meine Schulter, dann an meine Brust legte und bitterlich weinte.
Mit gelungener künstlerischen Ebene
Wer liebt nun wen und wem gilt die wirkliche Sympathie Nastenkas? Aus diesem Chaos in den Sommernächten Sankt Petersburgs strickt Dostojewski einen schon fast hektisch zu nennenden Text, der von den ruhigen Bildern Stella Dreis kontrastiert und ergänzt wird.
Mit fast scherenschnittartigen Silhouetten setzt sie ihre Figuren vor Hintergründe mit Farbverlauf, die so manches Mal an das nordische Spektakel der Polarlichter erinnern. Zuneigung, Einsamkeit und Fantasie, es steckt alles drin in den Bildern der in Bulgarien geborenen Künstlerin, die mit ihrer Arbeit vor zwei Jahren bereits für den renommierten Astrid Lindgren-Bilderbuchpreis nominiert war.
Mit ihrer Arbeit verleiht die Künstlerin dem 1848 erstmals erschienen Text eine Zeitlosigkeit, die Weiße Nächte gut zu Gesicht steht und die das kleine Büchlein vollends zu einem bibliophilen Kunstwerk macht.
Möchte man in den Kosmos Fjodor M. Dostojewskis mal hineinspitzeln oder eine andere Facette des russischen Schriftstellers abseits der bekannten Werke kennenlernen, dann empfiehlt sich die Lektüre von Weiße Nächte unbedingt. Und wer in Liebeswirren verstrickte Charaktere schätzt, für den ist die Lektüre sowieso ein Gewinn!
- Fjodor M. Dostojewski – Weiße Nächte
- Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Christiane Körner
- ISBN 978-3-458-19537-5 (Insel-Bücherei)
- 117 Seiten. Preis: 15,00 €



