Wenn der Milchmann zweimal klingelt
Zwei Morde, viele Probleme

Ein grobes Gemälde der Gewalt
Subjektive Buchkritik seit 2013
Lyndsay Faye (c) Gabriel Lehner
Ich schrieb es schon in meiner Besprechung des ersten Bandes um Timothy Wilde – die Dynamiken die Lyndsay Faye in ihrer Reihe zwischen Timothy und seinem großen Bruder Val entfesselt, erinnern nicht von ungefähr an die Gebrüder Sherlock und Mycroft Holmes. Wo Timothy oftmals mit seiner undiplomatischen und direkten Art gegen Wände rennt, zieht Valentin im Hintergrund die Strippen. Mit seinem promiskuitiven, spitzzüngigen und allen Wassern gewaschenen Bruder hat die amerikansiche Autorin zwei Charakterköpfe geschaffen, die sich im Gedächtnis des Lesers verankern.
Angesiedelt in einer nahen Zukunft, in der Spannungen zwischen Israel und Palästina eskalierte und diverse ethnische Verwerfungen die Nachrichten dominieren, fällt dem angeschlagenen Inspector Februarie ein Fall in die Hände, an dem er sich die selbigen nur verbrennen kann.
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Der Tafelberg in Südafrika [(c) Martin Reilly] |
Was hätte es für ein spannender Roman werden können – ein Bulle sitzt in einem ICE, rast durch Deutschland, lernt spannende Menschen kennen und löst nebenbei noch ein kriminalistisches Puzzle und klärt für sich, warum er einen Jungen erschossen hat. Dazu noch das lesegenussversprechende Signet „Deutscher Krimipreis 2015“ – und der Boden für ein wahres Highlight war bestellt.
Der Boden mochte bestellt sein, doch der Ertrag in diesem Falle blieb leider aus. „Ein Bulle im Zug“ gleicht einem Zug der Deutschen Bahn, der nie pünktlich kommt, sämtliche Haltestellen verpasst und dann auch noch in der falschen Stadt ankommt – bei diesem Roman (ob hier wirklich von einem Krimi zu sprechen ist, möchte ich später im Text noch erörtern) passt leider nichts.
Die Handlung des Buchs, die sich der Leser selbst zusammenklauben muss, ist schnell erzählt:
Bei einer Razzia erschoss Robert Fallner einen jungen Gangster namens Maarouf. Die Waffe, die Fallner gesehen haben wollte, tauchte nicht auf und so wurde er vom Dienst suspendiert. Um seine Dämonen aus seinem Kopf zu vertreiben, beschließt er auf Anraten seiner Freundin Jacqueline einen alten Traum zu verwirklichen – mit einer Bahncard 100 quer durch Deutschland. Doch seine Dämonen lassen ihn nicht los und so begleitet Fallner der erschossene Junge auf seiner Reise.
Liest sich der Plot in der Theorie und auf dem Klappentext durchaus vielversprechend, so ernüchterte ich beim Lesen nach den ersten Dutzend Seiten dann schlagartig. Selten kam mir in letzter Zeit ein Buch unter, das ich so oft abbrechen wollte, wie „Ein Bulle im Zug“ (oder bei dem ich so oft die Notbremse ziehen wollte, um im Bild zu bleiben).
Das Buch ist gleicht einem Stream of Consciousness, also einem Bewusstseinsstrom, bei dem sich der Protagonist ungefiltert treiben lassen kann und seine Eindrücke an den Leser weitergibt.
Dem Buch mangelt es an Struktur, luzide durchlebt Fallner ein Auf und Ab im Zug, Erinnerungsfetzen vermischen sich mit Fantasien, Spekulationen und Halluzinationen.
Das wäre alles noch irgendwie zu ertragen, wenn es nicht in solch einer flachen und dermaßen vulgären Sprache geschildert wäre, dass mein ästhetisches Empfinden manchmal schon arg strapaziert wurde. Natürlich muss ein Krimi auch einmal dahin gehen wo es weh tut – auch derbe Noir Romane eines Ken Bruen oder eines Ray Banks haben für mich einen großen Reiz. Doch Dobler gelingt es nicht mit seiner Sprache eine tiefere Botschaft zu evozieren. Stattdessen schimpft und flucht sich Fallner quer durch Deutschland und gleicht des Öfteren eines Tourette-Patienten auf Reisen.
Auf dem Umschlag des Buches von Franz Dobler prangt das Label „Deutscher Krimipreis 2015“ – dessen ersten Platz das Buch gemacht habe. Doch in meinen Augen ist das Buch nicht wirklich ein Krimi, da mir im Buch das wesentliche Merkmal eines Spannungsromans fehlt – nämlich die Spannung selbst. Ein Betrachtungsroman wäre in meinen Augen der passendere Gattungsbegriff.
Und auch wenn der Protagonist als Polizist für die Ermittlerfigur des Romans eigentlich prädestiniert ist, so verschafft es Fallner zum Einen nicht (wie eigentlich keine Figur des Romans) den Leser für sich einzunehmen und zum Anderen irgendwelche Ermittlungen anzustellen, die den Leser bei der Stange halten könnten.
Natürlich könnte man entgegen halten, dass sich andere Ermittler wie beispielsweise Wolf Haas‚ Simon Brenner sich auch nur durch die Handlung treiben lassen – aber diese Romane bieten wenigstens Handlung und Spannungsmomente. Auch wenn sich Fallners ICE mit Spitzengeschwindigkeiten durch die Landschaft bewegt – im Inneren des Zugs herrscht Windstille. Diese Stille durchweht die meisten Seiten von „Ein Bulle im Zug“ und sorgt so dafür, dass zumindest bei mir des Öfteren Langweile aufkam.
Natürlich ist der Kriminalroman an sich ein mehr als weites Feld, doch bei aller kreativen Auslegung des Begriffs Krimi – dieses Buch fällt für mich bei dieser Genreeinordnung hinten über.
Wahrscheinlich war ich nicht in der Lage, dieses Buch intellektuell in seiner Tiefe zu verstehen – aber einen zweiten Lesedurchgang werde ich mir bei diesem Buch bestimmt nicht mehr antun. Schade um die vertanen Chancen!
Die vom Autor angekündigte Fortsetzung des Romans, an der er gerade arbeitet, wird zumindest bei mir keine Lektüre mehr werden. Und so bleibt das ernüchterte Fazit, dass dieser literarische Zug zumindest für mich noch ärgerlicher als die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn war!
Ein Flugzeugabsturz im südamerikanischen Dschungel, ein Paket voller Drogen im Flugzeug und ein ganz schlechter Plan – dies könnte ein Substrat des ohnehin schon sehr kompakten Romans „Leichendieb“ von Patrícia Melo sein.
Nachdem er beruflich schon abgestürzt ist und seinen Job verloren hat, wohnt ein Angler im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Kolumbien einem zweiten Absturz bei. Ein Pilot verliert die Kontrolle über sein Kleinflugzeug und stürzt mitsamt der Maschine in den Fluss. Der Angler nähert sich der Absturzstelle und macht eine fatale Entdeckung. Neben dem Piloten befindet sich nämlich auch ein Päckchen mit Kokain an Bord der Maschine – das er an sich nimmt.
Und damit halst sich der Kokaindieb erst richtigen Ärger auf. Denn der Einstieg ins Drogengeschäft ist mit mehr Problemen gepflastert, als er sich vorgestellt hat. Schon bald wird er zwischen den mörderischen Fronten der Drogenbanden aufgerieben und rutscht immer tiefer ins Schlamassel. Und auch privat machen ihm seine Beziehungen zu schaffen. Es wird für ihn immer schwieriger, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen.
Denn wen der Drogensumpf einmal verschluckt hat, den gibt er nicht so leicht wieder her. Um zu Überleben muss der Kokaindieb gar zum Leichendieb werde …
it „Leichendieb“ erlaubt Patrícia Melo dem Leser des 2014 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Werks einen hochaktuellen Einblick in die südamerikanische Drogenszene. Ähnlich wie in Don Winslows Romanen „Tage der Toten“ oder „Savages“ zeichnet die Autorin ungerührt ein Bild davon, wie Drogen die Menschen korrumpiert und sie über Leichen gehen lässt, um die eigene Haut zu retten.
Immer tiefer lässt sie ihren Helden in das selbstverursachte Schlamassel rutschen. Besonders beklemmend wird dies durch die gewählte Ich-Erzählperspektive, die den Leser in die Position des Leichendiebs zwingt. Obwohl man sich eigentlich mit diesem skrupellosen Menschen, der Leichen bestiehlt, identifizieren will, sieht man die Welt mit seinen Augen und bangt mit ihm. Gelingt es ihm sich aus dem Klammergriff der Drogenkartelle zu befreien?
Man kann „Leichendieb“ natürlich als knallharten Thriller begreifen, in dem ein Mann mit allen Mitteln um sein Überleben kämpft. Dabei muss man aber auch die komödiantischen Elemente des Buches würdigen, die immer wieder inmitten allen Grimms aufblitzen.
Durch diese Einsprengsel nimmt Melo ihrem Buch viel Schwere und sorgt dafür, dass man inmitten des Absturzes des Leichendiebs auch einmal kurz innehalten kann.
Nach ein bisschen mehr als 200 Seiten ist der Spuk dann auch schon wieder vorbei und man hat sich aus dem südamerikanischen Drogensumpf freigekämpft. Ein schnelles, böses aber teilweise auch komisches Buch, das einen interessanten Einblick in die Drogenszene in Südamerika erlaubt!