Category Archives: Sachbuch

Patrik Svensson – Das Evangelium der Aale

„Mein Leben fühlt sich an wie gejagte Wale // wie ein Pferdeschädel voller zuckender Aale.“ Diese Songzeile aus Thees Uhlmanns erster Single „Zum Laichen und sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ ist es, die mir immer als erstes in den Sinn kommt, wenn es um Aale geht. Tatsächlich ist der Aal bei mir vor allem mit jener im Song paraphrasierten Szene aus Günter GrassDie Blechtrommel konnotiert. Die glitschigen Aale, die einen Pferdeschädel kahlfressen. Sich windende, glitschige Fische, die stark an Schlangen erinnern.

Auch der Schwede Patrik Svensson weiß um diese Bezüge und macht sich in seinem Sachbuch Das Evangelium der Aale dran, die Geheimnisse dieses unterschätzten Wassertiers zu ergründen. Ein Buch, das zugleich als Sachbuch und Memoir funktioniert.


Nature Writing liegt im Trend. Längst sind es nicht mehr nur Indie-Verlage wie Matthes&Seitz, die dieses Feld besetzen. Auch Großverlage haben längst erkannt, dass die literarische Beschäftigung mit der Natur gut angenommen wird und damit Umsatz zu machen ist. So hat die Verlagsgruppe Random House Matthes&Seitz deren Autor Robert MacFarlane abgeluchst. Dessen Buch Unterland über Tunnel, Höhlen und das Leben unter der Erde avancierte zum Bestseller. Die Auszeichnung mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis folgte.

Auch der Hanser Verlag aus München hat die Zeichen der Zeit erkannt. So hat man dort Patrik Svenssons Buch gleich zum Spitzentitel des Sachbuchprogramms in diesem Frühjahr gemacht. Eine Entscheidung, die ich nachvollziehbar und superb finde. Denn Das Evangelium der Aale ist gut gemachte Naturkunde, sinnig komponiert und auch auf dem Feld des Memoirs überzeugend.

Der geheimnisvolle Aal

Dies kann der Aal uns sagen, meinte Tom Crick. Er sagt uns etwas über die Neugier des Menschen, über unser ewiges Bedürfnis, die Wahrheit zu suchen und zu verstehen, woher alles kommt und was es bedeutet. Aber auch über unser Bedürfnis nach dem Geheimnisvollen. „Der Aal kann uns vieles über die Neugier sagen – wsesentlich mehr, als unsere Neugier über den Aal weiß“.

Svensson, Patrik: Das Evangelium der Aale, S. 124

Wo kommt er her, der Aal? Was macht ihn so besonders? Warum konnte man bis heute die genaue Fortpflanzungsmethodik des Aals nicht verifizieren? Und was hat Sigmund Freunds Psychoanalyse mit dem Aal zu tun? Wer Patrik Svenssons Buch liest, weiß mehr. Der Schwede teilt sein Buch dabei in zwei Teile, die er alternierend erzählt. So besteht der eine Teil aus Erinnerungen an Svenssons Vater, mit dem er zum Aalfischen zu gehen pflegte. Seine Kindheit, die soziale Herkunft des Vaters und ihre Bindung, all das beleuchtet Svenssons eindrücklich.

Die zweite Komponente ist die Geschichte des Aals. Von dessen Fortpflanzung bis hin zur aktuellen Gefährdung der Fischart reicht der Bogen, den Svensson spannt. Auch die Geschichte der Erforschung des Aals spielt im Buch eine Rolle. So erzählt er vom dänischen Forscher Johannes Schmidt, von Sigmund Freud oder Aristoteles, die sich alle auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Aal beschäftigten.

Der Aal in aalen Ausprägungen

Ebenso beleuchtet er den Aal in der Kunst. So gelingt es Svensson, über die von ihm besprochenen Werke auch Lust auf deren Konsum zu machen. Der eingangs zitierte Günter Grass und seine Blechtrommel haben im Evangelium der Aale genauso ihren Auftritt wie der Brite Graham Swift. Dieser setzt im oben zitierten Roman Wasserland dem Aal und der Flusslandschaft der ostenglischen Fens ein Denkmal. Und Svensson bindet diese Bezüge klug in sein Buch mit ein.

Auf den letzten Seiten seines Sachbuchs gelingt es ihm dann schließlich, die beiden Hauptteile, aus denen sich das Buch zusammensetzt, auf wundervolle Art und Weise zu verzahnen. Insgesamt hat man das Gefühl, ein rundes Buch zu lesen, dass den Aal erschöpfend behandelt, ohne je erschöpfend auf die Leser*innen zu wirken. Auch die Übersetzung von Hanna Granz aus dem Schwedischen tut ihr Übriges dazu. Ein würdiger Vertreter der Gattung Nature Writing und schönes Memoir obendrein!

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Wenn im Garten die Neurosen blühen

Lola Randl – Der große Garten

Mit Der große Garten steht die Filmemacherin und Autorin Lola Randl auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019. Ein Buch, das viele boomende Themen aufgreift: Gärtnern, Flucht aufs Land, das Dorf als Kulturclash, Naturerfahrung. Kein Wunder also, dass sich dieser Titel unter den Nominierten findet. Für mich persönlich ist die Platzierung aber fraglich, denn Randls Buch gelang es nur in Ansätzen, mich gut zu unterhalten. Woran das liegt? Hier im Folgenden ein paar Gründe für meine Probleme mit dem Buch.

Zu unentschieden

Ja, im Grunde basiert Der Große Garten auf dem Zyklus eines ganzen Gartenjahres. Und ja, es gibt einige Handlungsstränge, die Lola Randl hin und wieder aufgreift. Aber so etwas wie eine durchgängige Handlung, ein übergeordneter erzählerischer Bogen oder ein narratives Konzept vermisste ich in Randls großem Garten. Das Buch hat mehr Kapitel als Seiten (315) und zeichnet sich durch eine große Sprunghaftigkeit aus. Betrachtungen über den Garten werden von Reflektionen über das Zusammenleben mit dem Mann der Erzählerin abgelöst. Während es in einem Kapitel über die Tunnelgrabungen des Maulwurfs geht, sinniert die Erzählerin wenige Zeilen später über die Verwendung von Spritzgiften für die Pflege von Bordsteinkanten. Mal dreht sich alles um ihr Verhältnis zu ihrem Liebhaber, der ebenfalls im Dorf weilt, dann ist sie wieder bei der Geschlechtsreifung von Fröschen.

Alles ist drin in diesem Buch, das einer wild blühenden Gartenlandschaft gleicht. Zwischenmenschliches, Natürliches, soziale Betrachtungen, Philosophie. Allem wird in diesem Buch Platz gegeben, eine wilde Entropie herrscht vor. Dabei fehlte mir, um im Bild des Gartens zu verweilen, ein Gärtner oder eben eine Gärtnerin. Eine, die dem wild wuchernden Durcheinander zu Leibe rückt, die eine Idee für die formale und inhaltliche Ausgestaltung hat und auch einmal beherzt eine Schneise in das Durcheinander schlägt. Will das Buch ein Gartenratgeber sein? Oder ein Dorfroman? Oder das Psychogramm einer gestressten Berlinerin? In dieser Form ist der Garten eher ein Urwald, in dem man sich verlieren kann.

Die Erzählerin als Neurosengärtnerin

Ebenso sprunghaft wie die Handlung dieses Buchs ist die Erzählerin selbst. Mir drängte sich der Eindruck auf, dass in Lola Randls großem literarischen Garten das Einzige, das mit Beständigkeit und großem Ertrag blüht, die Neurosen sind. Ständig schwankt die Erzählerin zwischen ihrem Mann und dem Liebhaber hin und her. Dessen Funktion als Liebhaber möchte sie in ihrem Dorf (ausgerechnet einem Dorf!) verschleiern, weshalb sie sich stets durch die Hintertür zu ihrem Geliebten schleicht.

Dann ist da auch noch ein Analytiker in Berlin, den die Erzählerin immer wieder konsultiert. Bei diesen Sitzungen steht aber eher die gegenseitige Lustbefriedigung im Mittelpunkt. Weswegen es natürlich zur Ergänzung eine Therapeutin gibt, die die Erzählerin aufsucht. Diese rät ihr zu Achtsamkeitsübungen, mit denen sie die eigene Mitte finden soll (siehe auch der Punkt Klischees). Die Elternrolle ihren Kindern gegenüber füllt die Erzählerin nur höchst sporadisch aus. Ihrem Kind Gustav Schranken zu setzen und Regeln durchzusetzen, das ist nicht so das Ding der großen Gärtnerin. Oder wie sie selbst konstatiert:

Es muss irgendeine Möglichkeit geben, ihm [Gustav] meine Überlegenheit zu beweisen, aber mir fällt außer Bestechung oder Gewalt keine ein. Wahrscheinlich gibt es keine andere Möglichkeit, weil ich dem Gustav ganz einfach nicht überlegen bin, sondern der Gustav mir. Ich kann nur versuchen, ihn mir wohlgesonnen zu stimmen, dann habe ich mit ein wenig Glück ein etwas angenehmeres Leben. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Gustav Waffen hat, gegen die ich wehrlos bin. Ich kann eigentlich nur noch überlegen, ob ich mich jetzt gleich ergebe oder später.

Randl, Lola: Der Große Garten, S. 196

Erinnere: Wir sprechen hier von einem Kleinkind. Es liegt auch an mir, aber eine derartige Schluffigkeit bis Zahnlosigkeit einer Erzählerin, das macht mich schier wahnsinnig und lässt sich nicht mit Humor wegargumentieren. Da helfen auch keine Sitzungen beim Analytiker oder bei der Therapeutin.

Der Tonfall

Ebenso naiv wie die Erzählerin in vielen Szenen auftritt, so naiv ist auch der Tonfall des Buchs. Alle Charaktere werden stets mit Artikel präsentiert, viele erhalten nur Rollenbezeichnungen. So gibt es den Liebhaber, den Mann, den Hermann und die Irmi. Wenn von menschlichen Ausscheidungen die Rede ist, dann wird hier von Pippi und Kacka gesprochen. Ausgesprochen infantil, in einem Charlotte-Roche-mäßigen Erzählton, so kam mir die Prosa aus der Feder Lola Randls vor.

Stellenweise ist das auch wirklich witzig oder erinnert mit seinem Duktus in den Naturkundebeschreibungen an Die Sendung mit der Maus. Oder es findet sich so etwas hier:

Die junge Glucke aber, die sich entschieden hatte, Kinder zu bekommen, von dem Hahn, der sie tags zuvor besprungen hatte, war eine moderne Glucke, die nicht mehr als zwei Kinder wollte. Auch der Vater blieb treu und übernahm Betreuungsaufgaben, sodass sich auf dem Permakulturhof mit zwei Elternteilen auf zwei Küken ein für Hühner ungewöhnlich guter Betreuungsschlüssel ergab.

Randl, Lola: Der Große Garten, S. 176

Aber als erwachsener und mit Roman übertitelte Roman konnte mich das über die Länge hinweg allerdings nicht überzeugen.

Die Klischees

Ich kann mir nicht helfen, aber der Große Garten ist für mich eine einzige Ansammlung von Klischees. Da ist schon einmal die Erzählerin selbst, die diese in sich versammelt: gestresste Berlinerin, Sitzungen beim Analytiker, Polyamorie, Achtsamkeitsübungen, Flucht aufs Land, Gärtnern als meditative Übungen. Diese Erzählerin fusioniert alle Klischees von Berlin Mitte bis Prenzlauer Berg in sich.

Dann gibt es ja auch noch das Dorf, das einerseits von Gestalten wie der Erzählerin selbst heimgesucht wird, sowie auf der anderen Seite die lokale Bevölkerung. Dicke Ex-LPG-Mitarbeiter, die nun die im eigenen Garten weiterhin die Broiler halten treffen auf sinnentleerte Kommunikationsdesignern, die im Dorf Workshops abhalten, um Inspiration für andere Workshops zu erhalten. Japaner, die das Dorf für sich entdecken und in Horden einfallen, Bauten, die seit der Wende verfallen. All diese Bilder und Klischees kennt man schon zur Genüge.

Wie man klug und dabei auch höchst unterhaltsam die Stadt-Land und Ost-West-Bruchlinien offenlegt, das zeigte Juli Zeh in ihrem Bestseller Unterleuten um Klassen besser. Im Falle des Großen Gartens finde ich die Inszenierung platt und unspannend. Dem Genre des modernen Dorfromans fügt Lola Randl so nicht viel Neues hinzu.

Die Außengestaltung

Ein letzter Minuspunkt, der neben der Bewertung des Inhalts für mich noch ins Gewicht fällt, ist der der Außengestaltung. Natürlich ist die Weisheit Never judge a book by it’s cover unverbrüchlich und der Verlag Matthes & Seitz Berlin ist eigentlich ein Hort des Geschmacks und der Stilsicherheit (man schaue sich nur einmal die Naturkunden an). Wie bei diesen zeichnet sich auch hier Judith Schalansky für die Gestaltung des Buchs kenntlich. Aber was ist diesmal dabei herausgekommen?

Ein Cover, für die ich eher eine Grundschulklasse aus Augsburg-Oberhausen oder die Büchergilde Gutenberg verdächtigt hätte, als den renommierten Indie-Verlag aus Berlin. Naiv gezeichnete Maulwürfe, barbusige Frauen, die hinter Felsen hervorlugen, und ein streckbankverlängerter Wolf, der einem orangegesichtigen Grillz-Träger die Brust anknabbert. Was wollten uns Judith Schalanksy und der Cover-Illustrator Künstler Cristóbal Schmal damit sagen? Es bleibt wie so vieles im Buch ein Rätsel.

Aber immerhin konsequent – hier ergeben Cover und Leseeindruck eine stimmige Gesamterfahrung. Für mich eine Enttäuschung, die ich nicht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises in diesem Jahr sehe!


Nicht versäumen wollte ich, noch auf dieses Interview mit Lola Randl auf dem Buchpreisblog hinzuweisen, in dem sie Auskunft über ihr Buch und das Leben auf dem Dorf gibt.

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Das Humboldt-Double-Feature

Happy Birthday to you, Mr. Humboldt! In diesem Jahr würde der preußische Universalgelehrte seinen 250. Geburtstag feiern, hätte er neben Entdeckungen in Sachen Flora und Fauna auch noch das Geheimnis der Unsterblichkeit enthüllt. Das faszinierende Leben dieses Mannes wird in zwei Werken von Andrea Wulf nachgezeichnet, die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen sollen.


Höchstes Lob und gute Verkaufszahlen konnte Andrea Wulf mit ihrer Humboldt-Biografie Die Erfindung der Natur einheimsen, die im Herbst 2016 erschien. Für diese Biografie hatte sich Wulf selbst auf die Spuren des Entdeckers Humboldt begeben und unter anderem sogar dessen Expedition auf den Chimborazo in Ecuador nacherlebt. Das Ergebnis ist eine ebenso fundierte wie gut lesbare Biografie, die die Entdeckungen und Begegnungen Humboldts in den Mittelpunkt stellt.

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur von Andrea Wulf

So zeigt Andrea Wulf nicht nur die Forschungsreisen und wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Humboldt auf seinen Reise nach Südamerika oder Russland sammelte, sondern stellt in vielen Kapiteln auch bewusst Humboldt in Relation zu anderen Personen der Zeitgeschichte. So widmet sie etwa den Beziehungen Humboldt und Goethe, Humboldt und Simon Bolivar oder Humboldt und Thomas Jefferson ganze Kapitel. Hier zeigt sich eindrücklich, wie der Preuße Humboldt mit seinen Forschungen und seinem Auftreten überall dort Menschen beeinflusste, wo er seinen Fuß hinsetzte. Der Bolivar’sche Befreiungskampf in Bolivien und anderen südamerikanischen Ländern wäre ohne Humboldt nicht in dieser Form möglich gewesen. Genauso wenig wie etwa die Forschungen Goethes, zu denen Humboldt den hessischen Dichterfürsten animierte oder die Evolutionstheorie Darwins, die auch durch den Preußen entscheidende Impulse erhielt.

Andrea Wulfs Buch gründet auf der These, dass es erstmalig Alexander von Humboldt war, der eine Beziehung zwischen allen Faktoren des Lebens sah und postulierte. Ihr gelingt es, diese These des Beziehungsnetzes auch auf ihr Buch selbst zu übertragen, das immer wieder überraschende Erkenntnisse und Querverweise bereithält. So zeigt sie, dass auch beispielsweise der Gedanke der Ökologie und des Umweltschutzes ohne den 1859 Gestorbenen nicht so umfassend greifbar geworden wäre. [Übersetzung aus dem Englischen von Hainer Kober].

Die Abenteuer des Alexander von Humboldt

Die Abenteuer des Alexander von Humboldt von Andrea Wulf

Ein interessanter Wechsel findet nun in Wulfs zweiter Humboldt-Annäherung statt, sowohl in Form als auch in Perspektive. Denn nun bekommen wir nichts mehr über Humboldt erzählt, sondern erleben seine Abenteuer gleich unmittelbar selbst. Denn in diesem Graphic Novel von Andrea Wulf und der Zeichnerin Lillian Melcher schildert der preußische Forschungsreisende die Abenteuer seiner Südamerika-Expedition gleich selbst. Aus anderer Perspektive erlebt man nun noch einmal die Entdeckungen, Gefahren und Erlebnisse von Humboldt und seinem Begleiter Aime Bonpland ganz unmittelbar.

Auch wenn mir persönlich der Zeichenstil von Lillian Melcher nicht zusagt, muss ich doch konstatieren, dass dieses Buch insgesamt wunderbar gelungen ist. In ihrem ersten großen Buch schöpft Melcher aus dem Vollen, um Humboldts Schilderungen zu illustrieren. Sie arbeitet mit Comicstrips, Collagen, arrangiert Text und Wörter um und nutzt sogar die Technik eines Centerfolds in der Mitte des Buchs. Das ist sowohl optisch als auch inhaltlich ein großer Genuss, der erfahrbar macht, welche Entdeckungen Humboldt inspirierten und was wir diesem Mann verdanken. [Deutsch von Garbriele Werbeck]

Die beiden Bücher ergänzen sich hervorragend und erschließen aufgrund ihrer unterschiedlichen Machart und Herangehensweise auch verschiedene Leserschichten. Zwar feierte ja eigentlich Humboldt in diesen Tagen seinen Geburtstag, beschenken kann man sich allerdings auch hervorragend selbst mit diesen beiden Titeln!

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Christoph Ribbat – Im Restaurant

Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne

Möchte man beckmesserisch sein, dann könnte man den Untertitel von Christoph Ribbats Buch etwas in Zweifel ziehen. Denn statt einer Geschichte ist Ribbats Buch voller Geschichten, die meist nur eine halbe bis ganze Seite umfassen. Anekdoten, Schlaglichter, eben ganz viele Geschichten über und aus Restaurants. Aber nachdem die vielen Geschichten dann wieder eine ergeben, sei auch der Begriff „eine Geschichte“ erlaubt. Nun aber weg von Nebensächlichem hin zum Eigentlichen – wie ist Ribbats Buch gelungen?

Vorzüglich muss ich feststellen! Eine Metapher aus dem Kochbereich pro Rezension ist erlaubt, insofern: hier hat ein Könner etwas Fabelhaftes zurechtgebrutzelt – ein Menü in vier Gängen. Eines, das Epochen, Geistesgeschichte und Kulinarik in sich vereint und keinesfalls zu schwer daherkommt.

Ribbat lehrt eigentlich als Professor für Amerikanistik an der Universität von Paderborn. Wer nun ein Buch mit stark amerikazentriertem Blick und professoraler Schreibweise erwartet, der sieht sich schnell getäuscht. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf Europa mit gelegentlichen Ausflügen nach Übersee. Und ein professorale, will sagen mit viel Fachduktus und kompliziertem Zugang zum Thema versehene Schreibe, sucht man im Buch auch vergeblich. Stattdessen dominiert ein wohltuend niedrigschwelliger Zugang zum Thema, der auch mit der Erzählweise zusammenhängt.

Denn Ribbat erzählt in vier Kapiteln von den Ursprüngen und der Entwicklung der Speiseform Restaurant. Die ersten drei Kapitel (Öffnungszeiten, Nachkriegshunger und In die Gegenwart) gehen weitestgehend chronologisch der Geschichte der Restaurants nach.

Von Kellner, restaurativen Bouillons und dem Siegeszug der Schnellgastronomie

So erfährt man, wie sich um 1760 von Paris ausgehend erste Stätten entwickeln, in denen „restaurative“ Bouillons gereicht werden. Der Name Restaurant etabliert sich für die neuartige Form von Essstätten. Das Restaurant tritt schnell seinen Siegeszug an. Von Paris aus übers ganze Land, von ganz Europa bis über den großen Teich. Der Siegeszug der Restaurants ist nicht aufzuhalten. Ribbat betrachtet die Evolution, die schon bald einsetzt. Innovationen wie Arbeitsteilung in der Küche oder das soziale Verhalten von Kellner*innen in Amerika und Europa sind Themen.

Über die Zeit der Weltkriege bis hin zur Geschichte von modernen Kochtempeln wie etwa dem El Bulli oder dem Noma reicht der Bogen, den Ribbat schlägt. Er erzählt von Köchen wie etwa Jacques Pepin, Magnus Nilsson oder Ali Güngörmüs, von Kritiker*innen und Schriftsteller*innen, die ihr Leben den Restaurants gewidmet haben. Darunter finden sich Namen wie Jürgen Dollase, Barbara Ehrenreich oder Wolfram Siebeck, die im Buch porträtiert werden.

Daraus zu schließen wollen, dass Im Restaurant eine Sammlung netter Schnurren und unterhaltsamer Anekdoten ist, wäre allerdings grundfalsch.

Denn für Ribbat ist das Restaurant nur ein Brennglas, unter dem sich die soziologische, kulinarische und geschichtliche Entwicklungen minutiös ablesen lassen. So zeigt er, was die Massendemokratisierung von Geschmack, die To-Go-Kultur und das veränderte Selbstbild von Kellner*innen und Köch*innen bewirkt haben. Genauso sind auch die „Döner-Morde“ oder Erlebnisse Günter Wallraffs in einer Hamburger Mc-Donalds-Filiale in seinem Buch Ganz unten Thema. Auch widmet er dem Rassismus in Restaurants in Amerika viel Aufmerksamkeit, der dann zu Ereignissen wie den Woolworth Sit-Ins führte. Man spürt – in Restaurants wurde und wird Geschichte geschrieben.

Ein Restaurant: stets mehr als ein Restaurant

Wenn man sich in Ribbats umfangreichen Kosmos der Restaurants begibt, lernt man diese Essstätten mit ganz neuem Blick zu betrachten. Denn mag so manch einer auch nur ins Restaurant gehen, weil er Hunger hat – Restaurants sind deutlich mehr: Orte der Kommunikation und der Politik, Begegnungsstätten, Kulturorte. Das wird besonders im vierten Teil des Buchs deutlich. In Restaurants deuten liefert Ribbat den theoretischen Überbau und die Fundierung der zuvor angerissenen Thesen.

Wohin entwickeln sich Restaurants? Wie beeinflussen sie unsere Kultur und die Gesellschaft? Ribbat versucht sich an einer vorsichtigen Deutung. Dabei stützt er sich auf eine Vielzahl von Quellen, die anschließend im Anhang alle aufgeführt sind. Stolze 351 Quellen sind dort aufgeführt, allerhand dafür, dass Ribbats Text nicht einmal 200 Seiten lang ist.

Dass der Text zu keiner Zeit theorielastig, sondern immer geistreich und unterhaltsam ist, das ist die Kunst dieses Buchs und dieses Autors. 2016 war Ribbat mit diesem Buch auch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert – ich finde zurecht. Dieses hier zubereitete Buchmenü schmeckt nicht nur Foodies!

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Mackenzi Lee – Kick-Ass-Women

Eine gute Absicht macht noch kein gutes Buch – diese Erkenntnis bestätigte sich für mich nach der Lektüre von Mackenzi Lees Biographie-Konvolut Kick-Ass-Women einmal mehr.

Dabei ist die Intention wirklich lobenswert. In den gängigen Kanons sind Frauen zumeist unterrepräsentiert. Ihre Errungenschaften fallen schnell einmal unter den Tisch, auch wenn sich diese Marginalisierung von Frauen in letzter Zeit gotteseidank etwas ändert (hier sei nur beispielhaft auf den von Sybille Berg initiierten Die Kanon hingewiesen).

Auch der Suhrkamp-Verlag hat den Zeitgeist erkannt und die die Sektion Feminismus/Empowerment im Bestandsprofil ausgebaut. Früchte dieser Arbeit sind beispielsweise der Graphic Novel Rebellische Frauen über 150 Jahre Kampf für Frauenrechte oder die Kinderbuchreihe Little People – Big Dreams. In dieser werden kindgerecht wichtige weibliche Persönlichkeiten aus den Bereichen Forschung, Kultur oder Geschichte vorgestellt.

An etwas erwachseneres Publikum richtet sich das bei Suhrkamp Nova erschienene Buch Kick-Ass-Women von Mackenzi Lee. Sie stellt in ihrem Buch in Kurzbiographien 52 wahre Heldinnen vor, so der Untertitel des Buchs (übersetzt von Jenny Merling, Bilder von Petra Eriksson). Die Intention des Ganzen wird vom Verlag selbst so beworben:

Dieses Buch versammelt 52 sagenhafte Heldinnen und ihre wahren Geschichten – actionreich, informativ und ein schillernder Appell an alle Frauen, nie an der eigenen Großartigkeit zu zweifeln.

Nun gut. Diese Versprechen löst das Buch dann nur zu einem Teil ein, was wirklich schade ist. Denn zum Einen ist schon einmal die Frage des Publikums schwierig. Ich sehe dieses eher im jugendlichen Bereich, denn für ein erwachsenes Publikum ist mir die Sprache und die Herangehensweise an das Thema eindeutig zu flappsig.

Flappsige Sprache, magerer Informationsgehalt

Man muss sich zuallererst die Genese dieses Buchs in Erinnerung rufen. So nutzte Mackenzi Lee den Kurznachrichtendienst Twitter, um jede Woche eine besondere Frau vorzustellen. Aus diesen 280-Zeichen-Botschaften entstand nun dieses Buch. So ist auch jede Vita ihrer 52 Heldinnen nur eine wirkliche Kurzvita. Kaum eine Heldin bekommt mehr als 2 Seiten zugestanden, die zwar doppelspaltig gehalten sind, dennoch aber nicht wirklich den Leistungen der Frauen gerecht werden. Dazu ist das Buch viel zu oberflächlich.

Oberflächlich beziehungsweise mir eindeutig zu flappsig (weswegen ich mir auch nicht vorstellen kann, dass das Buch für den interessierten erwachsenen Leser von Belang ist) ist auch der ganze Tonfall des Buchs. Beispiele gefällig?

Man darf ja wohl noch träumen, oder? Nur hatte Thi Sách leider die Angewohnheit, offen rumzuerzählen, wie unzufrieden er mit der chinesischen Tyrannei war und wie super er es fände, wenn jemand den Chinesen mal zeigen würde, wo der Frosch die Locken hat.

Lee, Mackenzi: Kick-Ass-Women, S. 17

So ist Mackenzi Lee reichlich frei in ihrer Nacherzählung der historischen Umstände und scheint ein Faible für Comicsprache zu besitzen. Da liest man schon mal mitten im Text – BÄM!- oder auch gerne Floskeln wie „Scheiße, nein!“. Auch legt sie ihren Heldinnen gerne reichlich infantile und läppische Dialoge oder Aussagen in den Mund, die sinngemäß zeigen sollen, was die Frauen ausdrücken wollten oder worum es ihnen ging.

Unterkomplexität als Programm

Dieses Buch unterfordert mit dieser Art der Erzählung leider pausenlos und wird in meinen Augen den Heldinnen nicht wirklich gerecht. Dabei gäbe es so tolle Frauen in diesem Buch zu entdecken, und das über den ganzen Erdball verteilt. Von der ersten ägyptischen Pharaonin Hatschepsut über die erste Sci-Fi-Autorin der Welt, Margaret Cavendish, bis hin zur phillipinischen Rebellin Kumander Liwayway. Doch der Tonfall und der etwas magere Informationsgehalt der Kurzbiographie enttäuschen. Darüber hilft auch nicht die tolle Gestaltung des Bandes mit seinen wunderbar poppigen Porträts hinweg. Leider kein Kick-Ass für die Leser*innen.

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