Monaco Flori. In seinem Debüt Sauhund schickt Lion Christ den jungen Flori Anfang der 80er Jahre aus Wolfratshausen nach München , wo dieser in die schwule Welt der Landeshauptstadt eintaucht und sich durchs Leben schlägt, immer auf der Suche nach seinem Platz im Leben.
München, das ist Oktoberfest, Englischer Garten, Monaco Franze, Frauenkirche und Biergartenbehaglichkeit. So zumindest, wenn man Klischees über die bayerische Landeshauptstadt und das dortige Lebensgefühl bemüht.
Neben derlei Allgemeinplätzen gab es aber auch immer eine queere Subkultur in dieser sonst so heteronormativen Welt, die sich zwar weltoffen nennt, in der aber kein Regenbogen am weiß-blauen Horizont zu sehen ist und in der eine queere Kinderbuchlesung in einer Stadtbücherei schon einmal zu Shitstorms, Demonstrationen und Drohungen führt.
Will man das queere Leben in der München sucht, dann wird man im Glockenbachviertel fündig. Hier schlägt das Herz einer Stadt, die schwule Künstler wie Rainer Werner Faßbinder ebenso wie internationale Stars wie Freddie Mercury in den 80er Jahren anlockte (worüber, nebenbei bemerkt, dem Münchner Autor Nicola Bardo im vergangenen Jahr ein veritabler Bestsellererfolg gelang). München, das ist auch die Lebenswelt von Flori, den es nach seinem Zivildienst im Wolfratshauser Altenheim und einer anschließend unrühmlich zu Ende gegangenen Episode im Loisachkaufhaus in den Nachbarlandkreis in die große Landeshauptstadt verschlagen hat.
Aus Wolfratshausen nach München
Dort hält er sich mehr schlecht als recht über Wasser, kommt erst bei einer Freundin unter, rutscht dann aber immer weiter auf der sozialen Ebene nach unten. Während er sich im schwulen Nachtleben ausleben möchte, wie es ihm im kleinen Sonnkirchen mit seinen sozialen Kontrollmechanismen und der landläufigen Homophobie nicht möglich war, ist ihm auch beruflich eine „normale“ Rolle suspekt. Lieber schnorrt er sich durch, muss sich in schlechten Phasen selbst prostituieren, um irgendwie durchzukommen. Aber sein Wille zum Glück ist ungebrochen, auch wenn er sich selbst oft genug im Weg steht.
Lion Christ beobachtet seinen Ich-Erzähler dabei, wie er die Flucht aus der Enge der Heimat antritt, die Verheißung Münchens aber auch nicht wirklich in eigenes Glück umzumünzen vermag. Schon früh treibt die Mutter die Sorge um, was aus diesem Jungen einmal werden soll. Nach der Lektüre von Sauhund vermag man es auch noch nicht zu sagen, hat aber einen guten und interessanten Roman über einen Stolperer im Leben gelesen, weil er eben auch sehr hell das ausleuchtet, was im heterosexuellen Kontext sonst weniger Thema ist, sei es auch nur das Geschehen in öffentlichen Toiletten, in denen sich Flori des Öfteren herumtreibt.
Der Sauhund schlägt sich durch
Dieses Debüt ist reichlich explizit, schildert das Treiben in den mit Plüsch ausgekleideten Bars und Kneipen des Glockenbachviertels genauso wie Cruising und schwulen Sex. Was in eine plumpe und voyeuristische Heinz-Strunk-haftigkeit abrutschen könnte, entgleitet dem Autor allerdings dadurch nicht, da er auch großes Talent für die zarten Momente, für die Sehnsüchte und die Unmöglichkeit der Kommunikation eigener Gefühle und Bedürfnisse an den Tag legt.
So ist Sauhund ein Buch, das die in den 80ern weit verbreitete Tabuisierung homosexuellen Lebens in der Stadt und besonders auf dem Dorf in treffenden Bildern zeigt. Zu den berührendsten Szenen des Romans zählt, wie Christ das absehbare Coming Out des Jungen beschreibt, zu dem es in Floris Elternhaus in Wolfratshausen allerdings nicht kommt. Der zuoberst auf dem Lesestapel der Mutter liegende Spiegel, der mit der AIDS-Krise aufmacht, ist da noch die größte Andeutung des Wissens um die Queerness ihres Sohnes – wirklich ausgesprochen werden die Wünsche und Sorgen allerdings erst reichlich spät in diesem Roman.
Coming of Age – aber in gut
Lion Christs Debüt reiht sich ein die Riege dutzender Coming of Age-Romane, die seit einiger Zeit den Buchmarkt überfluten. Aber ähnlich wie zuletzt Charlotte Gneuß mit ihrem Debüt Gittersee gelingt es auch Christ dem eigentlich schon recht auserzählten Genre eine interessante und lesenswerte Facette abzuringen, indem er ein schwules Coming of Age erzählt, das der sonst sehr heteronormativ geprägten Gattung zuwiderläuft.
Und ähnlich wie Charlotte Gneuß muss man auch Lion Christ großen Respekt zollen, wie er es schafft, eine Milieu zu einer Zeit zu beschreiben, die er selber so gar nicht miterlebt haben kann. Christ, der nach Angaben seines Verlags Ende der 90er Jahre geboren wurde, kam damit erst zwanzig Jahre nach den im Buch beschriebenen Ereignissen zur Welt, legt aber großes literarisches Geschick in Sachen milieu- und zeitgeschichtlicher Präzision an den Tag, eingekleidet in eine klar bayerische Diktion, die sich gut in die Geschichte einfügt, ohne zu künstlich oder aufgesetzt zu wirken.
Dabei rückt er den Roman sogar in die Tradition oder viel mehr Gegentradition des Monaco Franze, jenes legendären Schürzenjägers aus Helmut Dietls Fernsehserie, der ebenfalls Anfang der 80er Jahre allerdings die Damenwelt Münchens unsicher machte. Hier ist es nun Monaco Flori, der sich durch das Nachtleben der Stadt treiben lässt, bei verschiedenen Männern sein Glück versucht und der auf dem Gärtnerplatz schon einmal eine Dialoghommage belauscht, die das Provinzielle, den rechten Scheißdreck der Darbietung im nebenan gelegenen Theater verdammt, wenn man sich mal nicht als „Spatzl“ tituliert.
Fazit
Ein prima Debüt, das sich mit einer Coming of Age-Geschichte im schwulen München einem Milieu verschreibt, das sonst nicht allzu häufig erzählerisch beleuchtet wird. Explizit, bayerisch, hoffnungslos und hoffnungsvoll, berührend und komisch ist diese Geschichte Floris, die Lion Christ in Sauhund präsentiert.
- Lion Christ – Sauhund
- ISBN 978-3-446-27747-2 (Hanser)
- 368 Seiten. Preis: 24,00 €