Gabriela Garcia – Von Frauen und Salz

Kuba, Miami und Mexiko sind die Schauplätze von Gabriela Garcias Roman Von Frauen und Salz. Aber vielmehr als die einzelnen Schauplätze ist es das Dazwischen, das die junge Autorin interessiert und von dem sie eindrucksvoll zu erzählen weiß, indem sie ganz unterschiedliche Figuren im Laufe der anachronologisch erzählten Geschichte in ihrer ganzen Zerrissenheit und Sehnsucht nach dem Unerreichbaren schildert.


Im Kern ist Von Frauen und Salz eine feministische Familiensaga, wie es sie insbesondere seit Isabel Allendes Das Geisterhaus dutzendfach auf dem Markt gibt. Frauen aus verschiedenen Generationen stehen im Mittelpunkt solcher Romane und werden bei ihren Kämpfen für weibliche Selbstbestimmung und gegen herrschendes Unrecht und Gewalt inszeniert. Intergenerationalen Traumata und Widerstände, gegen die sie sich die Frauen erwehren müssen, sind dabei stets Thema und werden in solchen Sagas mal gelungener und mal weniger gelungen herausgearbeitet.

Das ist bei Gabriela Garcia nicht anders, wobei ihr Debüt in die Kategorie der gelungenen Bearbeitungen fällt, um dieses Urteil gleich vorwegzunehmen.

Ihr Roman setzt mit einem kurzen Kapitel ein, das Carmen im Jahr 201 in Miami zeigt. Nach wenigen Seiten springt Garcia dann eineinhalb Jahrhunderte zurück in der Zeit, nämlich ins Jahr 1866. Dort lernen wir María Isabel kennen, die als Tabakrollerin ihr Auskommen auf der Insel Kuba bestreitet.

Sie lebt in Camagüey und behauptet sich als einzige Tabakrollerin unter einer ganzen Menge Männern. Während die spanischen Besatzungstruppen den revolutionären Umtrieben der Kubaner*innen ein Ende setzen wollen, erwartet María Isabel ein Kind, das sie mit einem jener kubanischen Revolutionäre gezeugt hat.

Von dieser Episode geht es wieder zurück nach Miami ins Jahr 2014, wo nun Jeanette im Mittelpunkt steht. Sie lebt in prekären Verhältnissen und beobachtet die Razzia der Einwanderungsbehörde bei ihrer Nachbarin. Diese wird von den Behörden festgenommen und weggebracht. An ihr Kind hat allerdings niemand gedacht. Und so nimmt Jeanette das Kind unter ihre Fittiche, um es wenig später dann doch den Einwanderungsbehörden zu melden und zu übergeben.

Eine anachronologische Familiensaga

Gabriela Garcia - Von Frauen und Salz (Cover)

Das sind die ersten drei kurzen Episoden in diesem Roman, die zeigen, dass Gabriela Garcia aus der klassischen Form der weiblichen Familiensaga hier etwas Eigenes macht. Denn statt auf einen linear erzählten Erzählfluss setzt sie lieber auf das Erzählen in Schlaglichtern, die mit der Chronologie brechen. Schlaglichter, die erst im Zusammenhang mit dem ganzen Buch eine logische Abfolge ergeben und die Beziehung der Frauen untereinander herausarbeiten.

Dabei sind die Hauptschauplätze von Von Frauen und Salz die Insel Kuba und Miami sowie das mexikanische Grenzland. An diesen Schauplätzen leben Garcias Frauen, denen aber immer ein permanentes Gefühl des Dazwischen und der Zerrissenheit eingeschrieben ist.

So sehnt sich die in Miami aufgewachsene Enkelin nach dem Kuba ihrer Großmutter oder die Tochter einer Migrantin aus El Salvador nach Amerika, wo sie aufgewachsen ist. Dessentwegen begbit sie sich in die Hände von Schleusern, um mit diesen über den Grenzfluss wieder nach Amerika zu gelangen und so die Sehnsucht nach einem besseren oder zumindest anderen Leben zu stillen.

Erzählen durch Schlaglichter

Fortführen lässt sich dieses Motiv der Zerrissenheit und Dissoziation über das geographische und psychische Spannungsfeld der Figuren hinein bis in die Umbrüche der Geschichte selbst. Dabei bildet die wechselvolle kubanische Geschichte den Schwerpunkt von Gabriela Garcias Erzählung.

Wie die spanischen Kolonialherren in den 1860 Jahren mit blutiger Macht regieren und trotzdem nicht vor den revolutionären Umbrüchen gefeit sind, das beschreibt sie ebenso wie die alte Ordnung unter dem kubanischen Präsidenten Fulgencio Batista, die knapp hundert Jahre später durch die Revolutionäre um Fidel Castro abgelöst wurde.

Auch hier setzt Garcia wie in der gesamten Komposition ihres Buch nicht auf umfassende Darstellung der Hintergründe der jeweiligen Umschwünge, sondern verdichtet diese Momente der Zeitgeschichte auf Schlaglichter, die ihr zur Schilderung der wechselvollen Geschichte genügen.

Fünf Frauen, 150 Jahre Geschichte

Dabei ist das Schöne an Von Frauen und Salz, dass dieses erzählerische Gesamtkonzept bei aller Knappheit aufgeht. Fünf Frauenschicksale und 150 Jahre amerikanisch-kubanischer Geschichte auf gerade einmal etwas mehr als 300 Seiten, das ist eigentlich deutlich zu knapp bemessen. Dass es trotzdem funktioniert, ist der klugen Auswahl entscheidender Kipppunkte im Leben der Frauen und der Geschichte insbesondere in Bezug auf Kuba zu verdanken.

Zwar hätte die ein oder anderen Figur noch etwas mehr Profil vertragen, auch geht es manchmal doch etwas arg schnell mit den anachronologischen Sprüngen, aber doch entwickelt Garcias Geschichte Drive und eine große emotionale Wucht, wenn die Frauen mit ihren Entbehrungen und Leidensgeschichten von gewalttätigen Ehemännern bis zur Drogensucht gezeigt werden. Auch vermittelt die junge Autorin in Von Frauen und Salz gelungen, welche Bedeutung Literatur in ganz unterschiedlicher Ausprägung für Menschen haben kann. So ist es hier Victor Hugos Roman Die Elenden bzw. Les Misérables, der über Generationen weitergereicht wird und der immer wieder Hoffnung und Sinn spenden kann.

Fazit

So ist Von Frauen und Salz ein geradezu prototypischer feministischer Generationenroman, der vom Kampf gegen die Unterdrückung und das Patriarchat durch die Jahrzehnte hinweg erzählt. Durch die anachronologische Erzählweise und die Verdichtung des Materials auf entscheidende Kipppunkte hin bekommt die Prosa von Gabriela Garcia eine eigene Note und stellt die weibliche Widerstandskraft in den Mittelpunkt ihres Erzählens. Prosa mit feministischem und zeitgeschichtlichem Schlag, wie sie gerade im Trend liegt. Prosa, die aber auch unabhängig von aktuellen Moden durch die Themen und Erzählweise überzeugt.


  • Gabriela Garcia – Von Frauen und Salz
  • Aus dem Englischen von Anette Grube
  • ISBN 978-3-546-10011-3 (Claassen)
  • 304 Seiten. Preis: 22,00 €
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Naomi Hirahara – Clark & Division

Mitten hinein ins Milieu der japanischstämmigen Amerikaner*innen in Chicago zur Zeit des Zweiten Weltkriegs führt der Roman Clark & Division der Krimiautorin Naomi Hirahara, die man hier zum ersten Mal auf Deutsch entdecken kann. Darin erzählt sie von gesellschaftlicher Spannung, Ausgrenzung und bedrohten Frauen in der amerikanisch-japanischen Community.


George Takei - They called us enemy (Cover)

George Takei kennen Star Trek-Fans als Darsteller des Hikaru Sulu. Weniger bekannt ist die Herkunft und Kindheit des Schauspielers, die er im 2019 erschienenen Graphic Novel They called us enemies aufarbeitete. Darin erzählt er, wie er als Vierjähriger mitsamt seiner Familie auf Geheiß des damaligen amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Jahr 1942 in einer Art Internierungslager auf amerikanischen Boden festgesetzt wurde.

Nachdem Japan den hawaiianischen Militärstützpunkt Pearl Harbor bombardiert hatte, wurden aus japanischstämmigen Amerikaner*innen plötzlich Feinde, die man in solchen Camps unter Kontrolle haben wollte, wie George Takei in seinen Erinnerungen schildert.

Aus Los Angeles ins Internierungslager

Auch die Ich-Erzählerin Aki muss in Clark & Division die gleiche Erfahrung machen. So berichtet sie von dem, was ihr als in Los Angeles geborene Tochter japanischer Einwanderer nach dem Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg widerfährt:

Einen Tag später erklärte Präsident Franklin D. Roosevelt Japan offiziell den Krieg. Unsere Welt wurde erschüttert, und unsere Freunde begannen zu verschwinden. Roys Vater wurde abgeholt und zusammen mit buddhistischen Issei-Priestern, Japanischlehrern und Judotrainern in ein Gefängnis in Tuna Canyon gesteckt. Wenige Tage später ließ die Regierung ihn und die anderen mit dem Zug an einen unbekannten Ort bringen. Da Pop nicht im Vorstand irgendeiner Sprachschule oder anderer japanischer Institution saß, wurde er nicht abgeholt, was er fast als Beleidigung auffasste. Als wäre er nicht wichtig genug, um wie die anderen als Bedrohung für die nationale Sicherheit zu gelten.

Naomi Hirahara – Clark & Division, S. 21

Vom Stadtteil Tropico in Los Angeles geht es für die Familie von Aki ein Lager namens Manzanar, das dem aus den Erinnerungen George Takeis ähnelt. Nach langer Zeit dort darf sich die Familie Ito dann allerdings in Chicago im japanischen Viertel ansiedeln, wohin ihnen die ältere Tochter Rose schon vorgereist ist. Doch als die drei Itos dann endlich in Chicago angekommen sind, erwartet sie vor Ort schon die nächste Hiobsbotschaft: Rose ist tot. Sie soll sich am Bahnhof an der Kreuzung der Clark- und Divisionstreet vor einen Zug geworfen haben.

Diese Nachricht erschüttert die Familie, die gerade erst dem Lager entkommen einen Neustart ihres Lebens versuchen wollten. Vor allem Aki kann die Nachricht vom Suizid ihrer bewunderten Schwester nicht glauben, ebenso wenig wie die Info, dass Rose erst kürzliche eine Abtreibung gehabt haben soll. Auf eigene Faust beginnt sie nachzuforschen und hört sich zwischen nisei (japanischstämmigen) und hakujin (amerikanischen) Bewohnern rund um die Ecke der Clark- und Division-Street um, wo sie – wir befinden uns immer noch in einem Krimi- auf einige unangenehme Einsichten und Wahrheiten stößt.

Das Leben der nisei in Chicago

Division & Clark ist ein Krimi, der vor allem durch seine Milieuschilderungen und Einblicke in ein hierzulande wenig bekanntes Kapitel amerikanisch-japanischer Geschichte besticht und das außerhalb der Romane Schnee, der auf Zedern fällt von David Guterson oder The buddha in the attic von Julie Otsuka (oder eben George Takeis Erinnerungen) kaum thematisiert wurde

Naomi Hirahara - Clark & Division (Cover)

Der Kriminalfall, der von den Milieuschilderungen umhüllt wird, ist dabei zwar solide, aber eben auch nicht mehr.

Aki ermittelt, indem sie Personen aus dem Umfeld ihrer Schwester befragt, Spuren im Tagebuch nachgeht und die Rolle übernimmt, die eigentlich ihren Eltern gebührte. Sie organisiert die Beerdigung, nimmt Kontakt mit der lokalen Polizeibehörde auf und hört sich auf den Straßen Chicagos um. Damit erfindet Naomi Hirahara das Rad zwar nicht neu, liefert aber solide Krimikost ab.

Besonders wird dieses Buch aber eben durch den genauen Blick auf das Leben der Nisei in Chicago. Ihre Community und die Erfahrungen, die sie in der amerikanischen Gesellschaft machen mussten, vermittelt die Autorin eindrucksvoll und versetzt uns direkt in die Enge der Internierungslager und der brummenden Straßen Chicagos, die ein Spiegelbild des Inneren der Ich-Erzählerin Aki sind. Die eigene bewunderte Schwester tot, die Eltern hilfsbedürftig in der neuen Stadt, die Liebe und das Datin in der japanischen Community, das alles fordert die junge Frau wirklich heraus.

Auch arbeitet Hirahara das schizophrene Verhältnis Amerikas gegenüber den jungen japanischen Männern heraus, die zunächst inhaftiert und feindselig beäugt wurden, ehe sie dann als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gebraucht wurden, um in Japan, auf pazifischen Inseln oder beim D-Day in Europa zu kämpfen.

Davon erzählt Hirahara und liefert Einblicke in die japanische Gesellschaft, die mit der amerikanischen nicht immer deckungsgleich war oder ist – und zeigt die Stellen, an denen das besonders schmerzhaft zutage trat. Das macht aus Clark & Division ein lesenswertes Buch, das im Gewand eines Kriminalromans ein verdrängtes Kapitel des 20. Jahrhunderts noch einmal in Erinnerung ruft.


  • Naomi Hirahara – Clark & Division
  • Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
  • ISBN 978-3-7472-0422-1 (Ars Vivendi)
  • 272 Seiten. Preis: 24,00 €
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Heinrich Steinfest – Der betrunkene Berg

Buchhandlungen gibt es viele – und auch an besonderen Orten. Mal sind sie in ehemaligen Kirchen untergebracht, mal in Bahnhöfen, Theatern oder Banken. Aber eine Buchhandlungen, wie man ihr in Heinrich Steinfests neuem Roman Der betrunkene Berg begegnet, die hat man wohl so noch nicht gesehen. Denn bei Steinfest ist es die Buchhändlerin Katharina, die auf nicht weniger als 1765 Metern Höhe auf einem Berg ihre Buchhandlung betreibt mit – natürlich – alpinistischem Buchsortiment. Doch als sie einen Mann im Schnee in der Nähe ihrer Buchhandlung entdeckt, ist es mit der Ruhe vorbei.


Jedes Jahr ist es das gleiche. Die nebenan gelegene Schutzhütte geht in den Winterschlaf und nur Katharina hält alleine auf dem Berg die Stellung in ihrer Buchhandlung. Nach zwei Ehen und zwei Scheidungen und dem infolge der zweiten Scheidung erlangten Kapital hat sie vom Österreichischen Alpenverein eine Winterschutzhütte gepachtet, die sie zur Buchhandlung ausgebaut hat und die ihr Lebensmittelpunkt ist. Sogar Reinhold Messner hat schon einmal aus einem seiner alpinen Bücher dort gelesen, wenngleich es mit Laufkundschaft hier nicht weit her ist.

Besonders im Winter ist die Kundenfrequenz dort oben überschaubar, weswegen Schutzhütte und Buchhandlung schließen. Die Pächter der Hütte begeben sich ins Tal und Katharina sieht dafür im nebenangelegenen Steinhaus nach dem Rechten und nutzt die kalten Tage zwischen den Jahren für eine Inventur ihrer Buchhandlung. Lesen im Sessel, während draußen die Schneeflocken vorbeitreiben, Neusortierung der Bestände und ab und an ein Spaziergang aus dem Haus ins verschneite Freie, frei von Stress und Hektik.

Der Mann aus dem Eis

Eigentlich ein sehr beschaulicher Takt, der auch in diesem Winter wieder das Leben der Buchhändlerin bestimmen sollte. Doch bei einem ihrer Ausflüge ins Freie Ende November macht Katharina einen erstaunlichen Fund. Denn in einer Schneewehe entdeckt sie einen Mann, der nach dem Aufenthalt im Schnee ausgekühlt ist und kaum ansprechbar erscheint. Katharina beschließt, den Mann zu retten und gewährt ihm in ihrer kleinen Buchhandlung Obdach.

Heinrich Steinfest - Der betrunkene Berg (Cover)

Sie weist ihm den Lesesessel zu und pflegt den Mann wieder gesund. Dabei stellt sie fest, dass er sich weder an seinen Namen noch an seine Identität erinnern kann, geschweige denn, wie er auf den Berg ins Schneegestöber kam. Der kurzerhand auf den Namen Robert getaufte will einen Monat bei Katharina bleiben, um Kräfte zu fassen und sich zu erinnern, dann will er wieder ins Tal absteigen. Lesen, schlafen, den Erinnerungen nachspüren. So der Plan für die kommenden Tage. Doch natürlich kommt alles andere als vorhergesehen – wir sind ja schließlich auch bei Heinrich Steinfest.

Der Mann aus dem Eis erweist sich als begnadeter Skulpteur, der aus Schnee Gebilde wie das titelgebende Kunstwerk Der betrunkene Berg erschafft. Doch nicht nur seine bildenden Fähigkeiten, auch seine Kochkünste überraschen, insbesondere seine Zubereitung eines Fisolensalats. Ein Vogel wird ebenfalls in der alpinen Buchhandlung gesundgepflegt. Und dann erfolgt auf dem Berg natürlich das, was schon im Urvater aller Bergromane, nämlich in Thomas Manns Zauberberg, dem jungen Hans Castorp widerfährt. Ein Schneesturm, der Assoziationen wachruft und Erinnerungen bringt. Nur hier wird daraus nicht nur im übertragenen Sinn eine veritable Lawine, die noch eine weiteren Gast in die Buchhandlung am Berg spült.

Überbordende Erzähllust

Der betrunkene Berg ist einmal mehr ein Zeugnis für die überbordende Erzähllust von Heinrich Steinfest. So kreist sein Buch um die Frage von Erinnerung, Flucht vor Erinnerungen und von Schuld, vom Überleben und dem Erleben von Grenzsituationen. Er erzählt von Kidnapping (wobei Steinfests Heldin Lilli Steinbeck einen kleinen Cameo-Auftritt absolvieren darf), von untergehenden Fähren, von Lawinen, von bergsteigenden Pfarrern und noch mehr. Sein Buch ist eine wild sprühende Mischung aus kleinen Miniaturen und skurrilen Begebenheiten, wie sie typisch sind für Steinfests Schreiben.

Die manchmal doch etwas arg disparaten Erzählungen werden durch Steinfests ironische und manchmal leicht barocke Sprache zusammengehalten. Eine Sprache, die Steinfests österreichische Erzählherkunft irgendwo zwischen Wolf Haas und Heimito von Doderer gar nicht verhüllen will und zum Gelingen des Buchs beiträgt.

Dabei ist das wohl wichtigste Kennzeichen seines Buchs das Element der Überraschung. Weiß man bei Steinfest generell selten, woran man wirklich ist, so enttäuscht er auch mit seinem neuen Werk dahingehend nicht. Alles andere als langweilig ist das eigenwillige Personal und die Gegebenheiten, die er in Der betrunkene Berg aufbietet und so allem Erwartbaren zuwiderläuft. Denn auch ein Kammerspiel ist dieses Buch trotz seines Settings eigentlich nicht, immer wieder geschieht etwas Neues, geht es zurück in den Erinnerungen und im Bergsteigerbuch, das sie gemeinsam dort droben auf dem Berg lesen.

Fazit

Wer ein Faible für skurrile Erzähleinfälle hat und Prosa mag, die scharf an der Realität entlangschrammt, den dürfte auch Heinrich Steinfests neues Erzählabenteuer Der betrunkene Berg nicht enttäuschen. Hier treffen Vögel auf Schneeskulpteure auf Buchhändler auf untergehende Fähren auf Lawinen. Gewiss keine weltverändernde Prosa – aber unterhaltsam-überraschende allemal.


  • Heinrich Steinfest – Der betrunkene Berg
  • ISBN 978-3-492-07013-3 (Piper)
  • 224 Seiten. Preis: 22,00 €
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Maggie Shipstead – Kreiseziehen

Einmal um die ganze Welt – oder fast. Maggie Shipstead begibt sich in ihrem neuen Roman Kreiseziehen auf die Spuren einer Weltumfliegerin, die beim Versuch, einmal die gesamte Weltkugel zu umkreisen, im Jahr 1950 verschwand. Jahrzehnte später werden die Pläne zur Verfilmung des Lebens der Pilotin konkreter – und zum Rettungsanker für einen strauchelnden Hollywoodstar.


Es ist ein monumentales Werk, das Maggie Shipstead mit Kreiseziehen (oder Great Circle, wie das Buch etwas eleganter im Original heißt) vorlegt. Beschränkte sie sich in ihren beiden zuvor erschienen Romane Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit und Dich tanzen sehen auf Plots, die unter 450 Seiten blieben, so knackt sie diesmal diese Marke deutlich. Sage und schreibe über 860 Seiten umfasst der von Harriet Fricke, Susanne Goga-Klinkenberg und Sylvia Spatz ins Deutsche übertragene Roman, der durch seine Soghaftigkeit und das Erzähltalent Shipsteads besticht.

Der Wunsch zu fliegen

Inhaltlich dreht sich in Kreiseziehen (fast) alles um Marian Graves, die schon seit Kindesbeinen an der Wunsch zu Fliegen umtreibt. Zusammen mit ihrem Bruder Jamie wächst sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach einem Schiffsunglück bei ihrem Onkel auf, der in der Nähe von Missoula in Montana lebt.

MAggie Shipstead - Kreiseziehen (Cover)

Just an dem Tag, an dem Charles Lindbergh im Mai 1927 zum ersten Mal nonstop den Atlantik von New York in Richtung Paris überquert, macht Marian die Bekanntschaft mit den Brayfogles, einem schillernden Kunstfliegerpaar. Diese Begegnung lässt die schon seit jeher in Marian schlummernde Flugbegeisterung vollends ausbrechen. Um sich Flugstunden zu verdienen, steigt Marian ins Schmugglergeschäft ein und liefert während der Hochphase der Prohibition als Minderjährige Schwarzgebrannten im ganzen Hinterland von Montana aus, stets unbeirrbar mit dem Ziel einer Fliegerkarriere vor Augen.

Dabei macht sie auch die Bekanntschaft mit Barclay MacQueen, dem mächtigsten Prohibitionsgangster von ganz Montana. Für diesen bringt sie zunächst noch Alkohol per Flugzeug über die Grenze, ehe sie zu seiner Geliebten und später sogar zu seiner Ehefrau wird. Ihr Bruder Jamie hingegen strebt eine Karriere als Maler an, was er in Seattle umzusetzen versucht. Dabei macht er die Bekanntschaft einer jungen Dame aus gutem Hause, in die er sich unsterblich verliebt und die ihn nie wieder richtig loslassen wird.

Ein Hollywoodstar auf Spuren von Marian Graves

Verbunden wird diese Geschichte von Maggie Shipstead mit der Erzählung aus Sicht des Hollywoodstars Hadley Baxter, die aktuell in Ungnade gefallen ist, hat sie doch eine vom Boulevard genussvoll ausgeschlachtete Affäre, die so gar nicht mit dem von ihr verkörperten Star der Archangel-Franchise zusammenpassen will. Um sich zu rehabilitieren und weg vom Image des Kinderstars zu kommen, übernimmt sie in einem Filmprojekt die Rolle der Marian Graves, deren Schicksal sich in dem von Hadley spiegelt.

Denn während die flugverrückte Marian Graves beim Versuch einer Erdumrundung per Flugzeug in der Anatarktis verscholl und nur ein Tagebuch zurückließ, so sind auch Hadleys Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Stück für Stück erfährt man mehr vom unglaublichen Leben von Marian, während sich Hadley immer tiefer in das Leben der Fliegerin einarbeitet, um ihr bei ihrer Verkörperung nahezukommen.

Ein großartig unterhaltsamer Roman

Dabei gelingt Maggie Shiptstead mit Kreiseziehen einer der unterhaltsamsten Roman, die ich in letzter Zeit lesen durfte. Immer mal wieder mit leicht experimentellen Erzählansätzen arbeitenden, mit Raffungen, Sprüngen zwischen Marian, ihrem Bruder Jamie und Hadley in der Jetztzeit schafft sie ein mitreißendes, abwechslungsreiches, höchst farbiges und unterhaltsames Buch, das ich schon jetzt als heißen Kandidaten für die anstehende Geschenkesaison zu Weihnachten handle.

Kreiseziehen ist voller exotischer Schauplätze, die von Neuseeland bis in die Antarktis reichen. Komponiert ist das Ganze als großer Kreis, der sich nicht nur im (sehr spät im Buch stattfindenden) Erdumrundungsvorhaben erschöpft, sondern auch in der Konstruktion der Rahmenhandlung und den immer wieder auftauchenden Volten des Schicksals eingewebt ist. Immer wieder ergeben sich Bezüge zwischen den Figuren und ergeben schlussendlich ein – pardon – rundes Bild.

Maggie Shipstead vermag es, von der Magie des Fliegens ebenso eindringlich zu erzählen, wie von den existenziellen Entbehrungen in der Antarktis, dem Untergang des Schiffs Josephina Eterna oder dem Tagewerk der weiblichen Pilotinnen im Zweiten Weltkrieg. Sie kombiniert das Erzählen vom Set eines Filmdrehs mit der Zeit der Prohibition und den Nöten einer höchst unglücklichen Ehe, ohne dass man das Gefühl hat, dass ihr literarischer Kreis große Unwuchten hätte.

Die Bandbreite der Emotionen, Erlebnisse und Affekte ist in Kreiseziehen so unwahrscheinlich breit, dass es einem Wunder gleicht, dass Maggie Shipstead diese motivische Fülle gebändigt bekommt und darüber hinaus plausibel zu vermitteln weiß. Dabei kommt es zu keinem Zeitpunkt der 860 Seiten zu einem literarischen Strömungsabriss, vielmehr generiert die Autorin immer wieder Aufwind und weiß von ihren drei Hauptfiguren zu erzählen.

Diese große Unterhaltsamkeit und das stete Vorantreiben des Plots gleichen für mich auch den Punkt aus, den ich vielleicht als den schwächsten Punkt des Buchs identifiziert hätte, nämlich das ungleich verteilte Erzählgewicht in diesem Buch. Denn nicht nur in Sachen Screentime ist Hadley die Hauptfigur, die in Kreiseziehen das Nachsehen hat. Aber auch dieses potentielle Manko gleich Maggie Shipstead geschickt aus, indem sie sich in den erzählerischen Schlaglichtern aus der Gegenwart auf weniger, aber dafür aussagekräftige Momente fokussiert, die wieder eine Engführung mit dem Schicksal der ebenso unabhängigen und manchmal um Orientierung kämpfenden Marian erlauben.

Fazit

Kreiseziehen von Maggie Shipstead bringt alles mit, was einen grandiosen Unterhaltungsroman ausmacht: Makelloses Erzählhandwerk, ein überbordende Plot mit Ambition, ein Porträt zweier ganz unterschiedlicher und doch ähnlicher Frauen – und zu keiner Minute Langeweile. Auch wenn ihr Buch mit Überlänge ausgestattet sein mag, so lohnt sich das Durchhalten doch auf alle Fälle. Und speziell in der kommenden Winterzeit hat man doch mehr Zeit zum Lesen, was dieses Buch in meinen Augen zum unbedingten Geschenktipp macht.

Besprochen hat das Buch auch Constanze Matthes auf ihrem Blog Zeichen & Zeiten. Hier gehts zu ihrer Besprechung.


  • Maggie Shipstead – Kreiseziehen
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricke, Susanne Goga-Klinkenberg und Sylvia Spatz
  • ISBN 978-3-423-29020-3 (dtv)
  • 861 Seiten. Preis: 28,00 €
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Frank Martinus Arion – Doppeltes Spiel

Nennen Sie einen Roman, der auf den Antillen spielt. Eine echte Herausforderung, auf die ich vor der Lektüre von Frank Martinus Arions Roman Doppeltes Spiel keine Antwort gehabt hätte. Aber da gibt es ja die Reihe Weltempfänger der Büchergilde Gutenberg, die in Zusammenarbeit mit der LitProm uns westlich orientierten Leser*innen die reichhaltige Literatur des Globalen Südens näherbringen möchte.

Und so gibt es nun mit Doppeltes Spiel Literatur von der Antilleninsel Curaçao zu entdecken, die hier in einer Neuübersetzung von Lisa Mensing vorliegt. Schade nur, dass sich das Buch bei allen guten Absichten und der verheißungsvollen Plotidee für mich als Flop herausgestellt hat.


Vier Männer treffen sich unter dem Schatten eines Tamarindenbaums zum Dominospiel. Das auf der ganzen Insel heißgeliebte Spiel dient den vier Männern zum Zeitvertreib und ist das, was man gemeinhin mit der Phrase „Mehr als ein Spiel“ umreißt. Alle vier Männer sind reichlich unterschiedlichen, stammen aus verschiedenen Schichten und Milieus.

Da ist der Taxifahrer Bubu Fiel, bei dessen Haus der Tamarindenbaum steht, unter dem die Männer zusammenkommen. Da ist Chamon Nicolas, der von der benachbarten Antilleninsel Saba nach Curaçao gekommen ist, um dort Arbeit zu finden. Manchi Sanantonio verfügt als Gerichtsschreiber über ein stattliches Eigenheim, das sein ganzer Stolz ist. Und Janchi Pau ist ein klassischer Taugenichts, der nach dem Tod seiner Mutter in einem Rohbau haust, dessen Fertigstellung irgendwann aus seinem Blick geraten ist.

Diese vier Männer verbindet die Leidenschaft zum sonntäglichen Dominospiel – und noch etwas, nämlich ihre Frauen, die auf pikante Art und Weise mit den vier Männern verbandelt sind. Solema, die Frau des Gerichtsschreibers Manchi Sanantonio, pflegt eine Affäre mit Janchi Pau. Manchi weiß zwar um die Promiskuität seiner Frau und lässt sie das regelmäßig durch demütigende Rituale spüren. Von der Affäre seines Dominopartners mit seiner eigenen Gattin ahnt er jedoch nichts. Ebenso wie Bubu Fiel, dessen Frau Nora sich regelmäßig prostituiert, um das von Fiel versoffene Geld für die eigenen Kinder wieder hereinzubekommen. Sie betrügt ihren Mann mit Chamon Nicolas, der wiederum ebenfalls versucht, die Affäre vor seinem Dominopartner geheim zu halten.

Ein Dominospiel auf Leben und Tod

Diese sechs pikant miteinander verbandelten Figuren treffen im Zuge des Dominospiels aufeinander, das sich zu einer echten Partie auf Leben und Tod entwickelt, die schlussendlich ganz Curaçao elektrisiert und in dem verschiedene Temperamente und Ansichten auf dem Spielbrett und vor allem daneben verhandelt werden.

Frank Martinus Arion - Doppeltes Spiel (Cover)

So hätte Doppeltes Spiel werden können (was ich mir von der Beschreibung des Plots auch tatsächlich erhoffte). Stattdessen habe ich ein Buch bekommen, das mich wechselweise gelangweilt, befremdet, dann wieder überrascht aber in seiner Gesamtheit nicht wirklich überzeugt hat.

Dabei ist die Erzählanordnung des Romans ja wirklich spannend. Vier Männer, zwei Frauen, alle sechs People of Color und miteinander in Beziehung stehend. Der Handlungsrahmen eines einzigen Tages, der mit dem Kapitel Der Morgen und der Vormittag beginnt, sich dann im umfangreichsten Teil der Beschreibung des Dominomatchs am Nachmittag und der Dämmerung fortsetzt und dann in der Dämmerung und in dem Nachspiel dann eine letzte Schlussvolte bereithält. So bleibt die Einheit von Zeit und Ort gewahrt, alle Figuren stehen für unterschiedliche Teile der curaçaonischen Gesellschaft, für unterschiedliche Ideen, Temperamente und Wünsche, wie es mit ihnen und ihrem Land weitergehen soll.

Ein Roman in der Sprache der Kolonisatoren

Und auch die Geschichte hinter dem Roman und seinem Schöpfer Frank Martinus Arion ist ja durchaus interessant. So schrieb der 1936 auf Curaçao geborene Schriftsteller den Roman auf Niederländisch, der Sprache der Kolonisatoren, die die Antillen seit der Zeit der Niederländischen Westindien-Kompanie als Überseegebiet für sich reklamierten (ein Status, aus dem Curaçao erst im Jahr 2005 als autonomes Land innerhalb des niederländischen Königreichs entbunden wurde).

Arion ging 1955 für ein Studium in die Niederlande, wo er in Leiden studierte. Doch trotz seines Wegzugs aus seiner Heimat blieb Curaçao stets seine eigentliche Heimat, wie die Übersetzerin Lisa Mensing in ihrem Nachwort erklärt. So verfasste er die Kurzgeschichte Das Dominospiel bei Bubu Fiel, das nach Umarbeitungen und einer Aufwertung der Frauenfiguren dann 1973 als Roman in den Niederlanden erschien und der erste Roman eines schwarzen Autors aus Curaçao war, bei dem nur People of Color eine Rolle spielen.

Dabei blieb der 2015 verstorbene Arion stets ein Sprachwanderer, der in Doppeltes Spiel mit dem Niederländischen und den einheimischen Sprachen spielt, was die Übersetzung zu einer Herausforderung werden ließ.

Wenig überzeugend bis ärgerlich

All das ist wirklich spannend und lässt die Entscheidung für eine Veröffentlichung und Neuübersetzung des Werks folgerichtig erscheinen. Aber leider ist der Roman von Frank Martinus Arion für mich wirklich literarisch wenig befriedigend und hat mich mit seinem Inhalt alles andere als überzeugt. Das hat mehrere Gründe.

So hatte ich mich nach der Beschreibung des Romans auf einen packenden Roman gefreut, der sein Raum- und Zeitminimum für eine spannende Studie Curaçaos und der Gesellschaft zu nutzen weiß. Dass der Roman schon fast fünfzig Jahre alt ist und damit zu einer Zeit spielt, als Richard Nixon noch US-Präsident war – geschenkt. Könnte der Roman doch auch über seinen Zeitrahmen hinausweisende Bezüge von Kolonialismuskritik und Beobachtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf Curaçao herausarbeiten, die das Buch auch heute noch lesenswert machen. Tja, könnte.

Stattdessen dominiert eine äußerst umständliche Exposition der Handlungsfiguren, bei der über hundert Seiten vergehen, bis es dann wirklich zum entscheidenden Dominomatch kommt. Immer wieder werden verheißungsvolle Ansätze der gesellschaftlichen Innensicht von zähen Schilderungen des Dominomatches unterbrochen, wird jedes Anlegen eines Steins lang und breit kommentiert, statt die Handlung voranzutreiben.

Befremdliches Geschlechterbild

Beständig gibt es solche sich ziehenden Schilderungen und Debatten, etwa wenn die vier Männer ausführlichst (und mit verwinkelten Anspielungsebenen) diskutieren, wie mit dem Fall eines fiktiven Richters umzugehen ist, der seine Frau in flagranti mit einem anderen Mann ertappt hat. Bei diesem Richter handelt es sich wiederum einfach nur um das verklausulierte Alter Ego von Manchi und dessen Frau Solema, der seine Freunde in diese Debatte lockt.

Dererlei Passagen hemmen den Lesefluss ungemein – und noch deutlich negativer in meinen Augen – zeigen ein heutzutage doch reichlich befremdliches Geschlechter- und Rollenbild. Die Frauen prostituieren sich häufig, betrügen ihre Männer. Diese wiederum suchen Prostituierte auf oder fahren wie im Falle von Bubu Fiel häufig Ausländer in die Bordelle, wo er in jenen Etablissements auch selbst ein guter Kunde ist. Und wenn speziell ein weiblicher Fahrgast einmal nicht zahlen kann, dann tauscht Bubu Sex gegen Fahrkosten.

Derb, oftmals auch sehr vulgär sind die Äußerungen die sich gerade vor dem Hintergrund unserer Gegenwart sehr vorgestrig und sexistisch bis misogyn lesen, etwa wenn die vier Männer darüber fachsimpeln, ob das Antanzen und Anfassen fremder Frauen legitim ist oder mit ihren letzten sexuellen Abenteuer und Eskapaden prahlen.

Dass die Frauen die eigentlichen Heldinnen dieser Geschichte sind, wie es der Klappentext des Buchs verkündet, auch das hat sich mir nicht wirklich erschlossen. Natürlich bieten die Frauen ihren Männern Paroli, betrügen sie und sind im Auftreiben von ausstehenden Geldern erfindungsreich. Aber reicht das, um aus Frauen Heldinnen zu machen?

Zumindest in Sachen Sympathie sind auch sie nicht weiter vorne bei mir. Ich konnte weder auf der männlichen noch auf der weiblichen Seite dieses Doppelten Spiels Held*innen ausmachen. Da helfen auch alle Analogien zwischen den Dominosteinen und den Charakteren mit ihren zwei Gesichtern nicht. Selbst das blutige Finale des Buchs kann da den antiquierten Gesamteindruck meiner Lektüre nicht wirklich retten.

Fazit

So bleibt von Doppeltes Spiel bei mir der Eindruck von einer hochspannenden Theorie rund um das Buch und den Autoren Frank Martinus Arion, dass ein Erscheinen in der Reihe Weltempfänger plausibel erscheinen lässt. Liest man das Buch selbst, erschließt sich die Entscheidung für die Übersetzung genau jenes Titels aus der literarischen Welt des Globalen Südens für mich allerdings nicht wirklich, hat man es doch mit einem recht überkommenen und in vielen Punkten heutzutage fragwürdigen Buch zu tun. So toll die Reihe Weltempfänger sonst auch ist – hier hätte man in meinen Augen durchaus ein aktuellere und auch relevantere – gerne auch weibliche – Stimme aus der literarischen Welt der Karibik finden können.

Wollte man zeigen, wie Sexismus in den niederländischen Seegebieten in weiten Teilen der Bevölkerung gängig war und welches Geschlechterbild dort dominiert(e), dann ist die Wahl von Doppeltes Spiel eine vortreffliche. Auch demonstriert das Buch vorzüglich, wie sich unsere Gesellschaft in Sachen Machtmissbrauch, #metoo und überkommener Rollenbilder sensibilisiert und weiterentwickelt hat, in diesem Sinne ist liefert Frank Martinus Arions Buch viel Anschauungsmaterial.

Für mich war die Lektüre von Doppeltes Spiel allerdings kein Genuss, vielmehr hat mich die Welt, die ich hier vorgefunden habe, in weiten Teilen befremdet. Auch das starke Finale konnte mich mit den Längen und überkommenen Geschlechterbildern leider nicht überzeugen, und so brauchte es viel Selbstdisziplin für die ganze Lektüre, für die ich leider keine gesteigerte Empfehlung aussprechen kann.

Ganz anders sieht das meine Büchergilde-Botschafterkollegin Kathrin alias la_chienne, die Doppeltes Spiel auf ihrem Instagram-Kanal sehr preist. Ihre Kritik findet sich unter folgendem Link:


  • Frank Martinus Arion – Doppeltes Spiel
  • Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
  • Büchergilde Gutenberg, Reihe Weltempfänger
  • 400 Seiten. Preis: 24,00 €

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