Michael Maar – Die Schlange im Wolfspelz

Das Geheimnis großer Literatur

Was macht ihn aus, den guten Stil? Worauf kommt es an, was unterscheidet den Könner vom mittelmäßigen Autor beziehungsweise die Könnerin? Michael Maar wählt in seinem umfangreichen Stilführer die einzig erfolgsversprechende Herangehensweise: die der Subjektivität. Schon zu Beginn macht Maar klar, dass guter Stil genauso wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Dennoch versucht er sich an einer Unterscheidung von gutem und schlechtem Stil und rückt dabei sowohl die Makro- als auch die Mikroebene des Stils in den Blick

Herzstück des Romans ist das Porträt von 50 prägenden Stilist*innen der deutschen Sprache. Bewusst konzentriert sich Maar nur auf deutschsprachige Autor*innen (die Tücke der Übersetzung von Stil in eine andere Sprache streift er zu Beginn kurz). Einsetzend in der Weimarer Klassik beginnt die Reise durch die fiktive Bibliothek, macht einen Abstecher zu den österreichischen Autor*innen und endet dann in der Gegenwart bei Wolfgang Herrndorf und Clemens J. Setz.

Was macht guten Stil aus?

Michael Maar - Die Schlange im Wolfspelz (Cover)

Um diese Bibliothek herum gruppiert Maar einige Kapitel in dem er sich mit dem Handwerkszeug für guten Stil auseinandersetzt. Was ist Stil und was versteht der Autor darunter? Von der Interpunktion bis hin zum gelungenen Nebeneinander von Hypo- und Parataxen reichen die Betrachtungen des Germanisten, die immer nachvollziehbar und klar argumentierend sind. Was macht eine Metapher zu einer gelungenen? Warum klingen manche Dialoge so furchtbar hölzern, andere wieder geistreich und mitreißend? Und was hat es mit der titelgebenden Schlange im Wolfspelz auf sich?

Auch einen Kürzestausflug zur Lyrik erlaubt sich Maar und stellt fest, dass diese ja fast die Essenz von Stil beinhaltet. Durs Grünbein, Ann Cotten, Jan Wagner und Monika Rinck werden in den Blick genommen und ihre lyrischen Produktionen genau untersucht. Ein vergnüglicher Ausflug in die Welt der Erotik und des Todes schließt sich an, ehe die Auflösung der beiden Literaturquiz und ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit bibliographischen Angaben dieses monumentale Buch abschließen

Mit Leidenschaft und Humor

Um gleich einmal die von Michael Maar so klug genutzte subjektive Herangehensweise auch für diese Besprechung in Anspruch zu nehmen: die Lektüre von Die Schlange im Wolfspelz macht einfach große Freude. Michael Maar argumentiert klar und nachvollziehbar. Auch ist er professionell genug, manche Entscheidungen über den jeweiligen Stil auch dem Leser selbst zu überlassen oder eigene ambivalente Urteile zuzulassen (so etwas bei Hans Henny Jahnn).

Auch ist er so frei, die jeweilige Handschrift der gerade besprochenen Stilistin oder des Stilisten sanft zu imitieren, zu umspielen und so die jeweiligen Merkmale in den eigenen Text zu überführen. Das ist manchmal ironisch, mal kalauernd, mal schmunzelnd, aber immer respektvoll. Ein Beispiel für alle diese Merkmale zugleich findet sich in folgendem Paragraph, der sich mit der Prosa Arno Schmidts auseinandersetzt:

Wir behalten uns vor, die Prosa des späten Schmidt bei aller genialischen oder genitalischen Interessantheit letztlich partiell entsetzlich zu finden. Sein Mädchen- und Frauenbild ist es in jedem Fall. Räusper: Phall

Michael Maar – Die Schlange im Wolfspelz, S. 521

Mit einer Faszination für das Entlegene

Schön auch neben dem Humor, der in jeder dieser über 650 Seiten steckt, ist die Leidenschaft Michael Maars für das Entlegene, das Apokryphe. Neben allem Erwartbaren (Thomas Mann, Brigitte Kronauer, Martin Mosebach) überrascht er immer wieder. So lobpreist er etwa die Prosa Hildegard Knefs:

Wie blaß dagegen die gerühmte Kunstprosa Christa Wolfs. Sakrileg! Aber wir stehen hier und können nicht anders: für Knefs Memoiren gäben wir die ganze Kassandra.

Michael Maar – Die Schlange im Wolfspelz, S. 394

Auch andere schon wieder fast vergessene Autor*innen wie Wilhelm Raabe, Unica Zürn, Alexander Lernet-Holenia oder Ulrich Becher lässt er seine Aufmerksamkeit zuteilwerden und macht Lust auf ihre (Wieder)Entdeckung. Wie ein guter Lehrer macht er neugierig, reist manche Erzählungen an, ergeht sich aber nicht in ausufernden Inhaltsreferaten oder ähnlich Unarten. Vielmehr sind seine Porträts der Autor*innen wirkliche Kurzporträts, pointiert und konzise. Sie machen Lust auf eine weitere Beschäftigung mit den jeweiligen Schreibenden.

Immer wieder illustriert er seine Geschmacksurteile mit passenden Zitaten aus entsprechenden Werken und nutzt auch das Stilmittel des Vergleichs, um die jeweiligen Besonderheiten seiner Autor*innen herauszuarbeiten. So stellt er beispielsweise eine Wasserfallszene aus dem Zauberberg von Thomas Mann der aus dem Oeuvre Heimito von Doderers – jenem „austriakischen Kaktus“, so Maar – gegenüber.

Evident gelingt es ihm, Übereinstimmungen oder Unterschiede im Stil so herauszuarbeiten. Auch zeigt er, warum man Felix Salten zugleich als Verfasser des Bambis und der Josefine Mutzenbacher zuordnen darf (an den Satzzeichen sollt ihr ihn erkennen!). Hätte man Michael Maar als Deutschlehrer in der Schule gehabt, die Literaturbegeisterung hätte um sich gegriffen. Viele Lektüretrauma hätten vermieden und unzählige Schüler*innen über das Schulende hinaus zu Leser*innen gemacht werden können. Ein Jammer!

Mit keinem Anspruch auf Vollständigkeit

Auch macht Maar keinen Hehl aus der Tatsache, dass sein Buch keinen umfassenden Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. So formuliert er am Ende seines Buchs:

Als der Pfiff der Trillerpfeife ertönte, die letzten Türen geschlossen wurden und die Lokomotive langsam in Richtung Verlagshaus losdampfte, verblieb noch ein Grüppchen Passagiere im Wartesaal Daß es Droste-Hülshoff, Horváth, Hebbel, Mörike, Nestroy, von Keyserling, Jonson, Kempowski, Dürrenmatt, Rühmkorf, Serner und ein paar andere nicht mehr auf den Zug geschafft haben, ist zu bedauern und keineswegs ihre Schuld.

Michael Maar – Die Schlange im Wolfspelz, S. 545

Dieser Zustand ist natürlich bedauerlich. Aber einerseits lässt er sich mit der passenden Lektüre leicht beheben. Und andererseits gibt er Hoffnung auf einen Nachschlag, von dem man gerne noch hätte.

Fazit

Dieses Buch ist ein Sachbuch auf höchstem Niveau. Kenntnisreich, anregend, humorvoll. Michael Maar gelingt es hier unnachahmlich, Lust auf Literatur zu machen. Diese Reise durch die Welt der deutschen Literatur ist ein Erlebnis. Was man alles mit Sprache anfangen kann, hier wird es einem beim Lesen offenbar. In die Hände dieses kundigen Reiseleiters kann man sich ohne Sorgen begeben. Überraschungen, Kurzweil, Begeisterung. All das erwartet einen auf den vielen hundert Seiten dieses Buchs. Es ist anregend, geistessprühend, kurzweilig, bestechend klar im Urteil. Und es zeigt, wie beglückend das Leben als Leser*in sein kann.

Dass Die Schlange im Wolfspelz für den ersten Deutschen Sachbuchpreis nominiert wurde, begrüße ich sehr. Maars Buch verdient alle Ehre und viele weitere begeisterte Leser*innen. Denn wer hier keine Lust auf Literatur bekommt, dem ist auch nicht mehr zu helfen!

https://www.youtube.com/watch?v=AH3kZOZpTq8
  • Michael Maar – Die Schlange im Wolfspelz
  • ISBN 978-3-498-00140-7 (Rowohlt)
  • 656 Seiten. Preis: 34,00 €
Diesen Beitrag teilen

Polly Samson – Sommer der Träumer

Ein Elysion und ein Sommer, der scheinbar niemals zu Ende geht. Davon erzählt Polly Samson in ihrem Roman Sommer der Träumer, der auf griechischen Insel Hydra im Jahr 1960 spielt. Darin erzählt sie von (Überlebens-)Künstlern, Liebe, Eifersucht und dem Ringen um künstlerischen Erfolg. Und mittendrin die junge Erzählerin Erica, die nach dem Tod ihrer Mutter ihren Platz im Leben sucht.


Der Buchmarkt hat erkannt – was uns Leser*innen gerade fehlt. Unbeschwerte Sommerurlaube in fernen Ländern. Pandemiebedingt ist eine allzu exzessive Reisetätigkeit nicht möglich, weshalb uns die Verlage in diesem Bücherfrühling umso mehr mit Sommerbüchern im Dutzend versorgen. Egal ob Sommer in einer amerikanischen Kleinstadt in den 80ern (Benedict Wells mit Hard Land), in Wicklow im Irland 1959 (Sebastian Barry mit Annie Dunne) oder in der deutschen Provinz (Ewald Arenz mit Der große Sommer): Sommerbücher liegen im Trend. Der Ullstein-Verlag und Polly Samson erweitern die Palette neu erschienener Romane nun um den Schauplatz Griechenland. Dorthin verschlägt es die jugendliche Erica zusammen mit ihrem Bruder Bobby.

Ihre Mutter ist gestorben, das Auskommen zuhause mit dem Vater schwierig, und so beschließen die Geschwister, nach Griechenland aufzubrechen. Die Mutter hat den beiden einen Wagen und ein ebenso geheimes Sparkonto mit tausend Pfund Inhalt hinterlassen. Zudem hat Charmian Clift, eine frühere Mitbewohnerin im Haus der Familie, ihr neues Buch namens Peel me a lotus an die Familie geschickt. Darin erzählt sie von ihrem Leben auf einer griechischen Insel namens Hydra. Da sich Erica von Charmian Auskünfte über das Leben ihrer Mutter und deren Geheimnisse erhofft, steht der Beschluss der jungen Menschen schnell fest. Zusammen mit Ericas Freund machen sie sich gen Griechenland auf, das Land der Griechen mit der Seele suchend.

Eine pulsierende Gemeinschaft

Auf Hydra erwartet sie eine lebhafte Gruppe von Malern, Schriftsteller*innen und Einheimischen. Schnell wachsen die so unterschiedlichen Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen. Man zieht in Häuser, organisiert sich in Gruppen, erkundet die Insel und feiert rauschende Feste, stets auch auf der Suche nach der nächsten künstlerischen Eingebung. Das Zentrum der pulsierenden Gemeinschaft ist dabei stets Charmian Clift, die als mütterliche Inspirations- und Seelenhilfe fungiert. Auch Erica sucht beständig ihre Nähe.

Man liebt und streitet sich, Liebe, Treue und Affären sind ein beständiges Klatschthema. Es kriselt in so mancherlei Beziehung, mancher verschwindet im Laufe des Sommers von der Insel, andere Künstler stoßen wieder zur Gemeinschaft, wie etwa der junge kanadische Poet namens Leonard. Es hat den Anschein, als würde der Sommer auf der Insel für die Künstlergemeinschaft nie zu Ende gehen. Doch auch im vermeintlichen Paradies ist alles endlich.

Von großer Beschreibungsfreude

Davon erzählt Polly Samson in ihrem Buch auf detailgenaue Art und Weise. Ihr Buch atmet förmlich den Geist jenes Sommers vor siebzig Jahren, in dem alles noch nicht so kompliziert schien (aber in Wahrheit natürlich auch war). Wem der Griechenlandurlaub fehlt, bei dem kommt während der Lektüre sicher das ein ums andere Mal Nostalgie auf.

Mit zusammengekniffenen Augen blicke ich über den Golf zu den Bergen von Troizen. Schönes breitet sich vor mir aus. Das Meer liegt wartend da, der Hafen verspricht Drama, der Fels hallt von den Glocken der vielen Inselkirchen wider. Ich stehe am oberen Ende der Stufen und sauge all das in mich auf. Die Hügel von gelben Blüten entflammt, die Berggipfel mit Rotgold überzogen, Quarz funkelt in den geweißten Mauern. Weinlaub ziert den weiß übertunnelten Anstieg. Reife Aprikosen zieren einen gewölbten Eingang, Wildblumen sprießen aus den Ritzen eingefallener Mauern und Ruinen. In einer Tür schüttelt eine Frau einen Teppich aus; selbst der Staub glitzert.

Polly Samson – Sommer der Träumer, S. 81

Diese Schilderungen sind Bonus und Malus des Buchs zugleich. Denn wenn der Berghirte mit seinem Esel über die Bergpfade der Insel zuckelt, im Gepäck rahmiger Joghurt, die Schwammfischer zurückkehren und auf dem Fensterbrett die Honigwabe im Sonnenlicht glänzt, dann schrammt das Ganze oftmals nicht am „Mamma Mia“-Kitsch vorbei, nein, dann ist es „Mamma Mia“-Kitsch. Man wäre nicht überrascht, spränge Pierce Brosnan „Dancing Queen“ knödelnd hinter der nächsten weiß gekalkten Häuserwand hervor.

Aber zugleich ist Polly Samsons Beschreibungsgabe so reich, ihre Schilderungen der Flora und Fauna der griechischen Inselwelt immer reich an präzisen Bildern (Übersetzung Bernhard Robben), sodass ich ihr nach dem abschließenden Lektüreeindruck diese Postkartenkitsch-Passagen gerne verzeihe.

Eine weibliche Coming of-Age-Erzählung

Polly Samson - Sommer der Träumer (Cover)

Ihre Prosa ist reich, geradezu überbordend an Beschreibungsfreude, die das Bild einer nahezu paradiesischen Insel heraufbeschwört. Doch es zählt zu den Qualitäten von Sommer der Träumer, dass das Buch eben nicht nur den Eskapismus feiert, sondern auch von der Suche nach einem Platz im Leben, vom Scheitern von Lebensträumen und der Brüchigkeit der Idylle erzählt. In die Künstlergemeinschaft, die sich auf Hydra trifft, ist die Vergänglichkeit schon eingeschrieben. Und diese Vergänglichkeit und Nostalgie kleidet Polly Samson in schöne Worte und Bilder und schafft so neben aller Nostalgie und allen Kitschmomenten auch einen ernsten Hintergrund ihrer Erzählung.

Zudem ist Polly Samsons Buch der rare Fall einer weiblichen Coming of Age-Erzählung. Ein Genre, das in diesem Bücherfrühling zumeist von Männern bedient wurde. Aber Polly Samson zeigt, dass auch sie mithalten kann im Konzert dieser nostalgischen Adoleszenzromane. Die Zutaten sind die ähnlichen, wie sie etwa die eingangs erwähnten Ewald Arenz, Callan Wink oder auch Benedict Wells in ihren letzten Büchern anwendeten: ein junger Mensch an der Schwelle zum Erwachsenenwerden, ein Sommer, randvoll mit Erlebtem, die Rückschau, aus der heraus die Handlung geschildert wird. Es ist alles drin. Und auch im Vergleich zu den anderen Titeln dieser Saison kann Polly Samson bestehen und aufgrund ihres Beschreibungsreichtums sogar leicht herausstechen.

Fazit

Polly Samson hat ein Buch über den Zustand des Paradieses und dessen Bröckeln geschrieben. Ein Buch, das vielleicht die ein oder andere Nostalgie- und Kitschschleife zu viel dreht, insgesamt aber eine bildmächtige Erzählung über einen längst vergangen Griechenland- und Künstlerbegriff darstellt. Ein starkes Buch, das Sehnsucht nach Griechenland weckt und in diesen unsicheren pandemischen Zeiten wenigstens eine Lehnstuhlreise auf die Insel Hydra erlaubt. Schöne Sommerlektüre mit Mehrwert!


  • Polly Samson – Sommer der Träumer
  • Aus dem Englischen von Bernhard Robben
  • ISBN 978-3-550-20142-4 (Ullstein)
  • 384 Seiten. Preis: 20,00 €
Diesen Beitrag teilen

Tom Hillenbrand – Montecrypto

Immer wieder melden sich in Mithu Sanyals Roman Identitti Personen zu Wort, die für ihr Debüt Tweets über einen fiktiven Skandal gespendet haben. Einer dieser Spender ist der Zeit-Redakteur Lars Weisbrod, der sämtliche Twitter-Diskussionen im Buch mit dem Hinweis crasht, er möchte jetzt über Geldtheorie diskutieren. Damit findet er im Falle des Identitti-Skandals sein Glück nicht. Ganz anders aber bei Tom Hillenbrands neuem Roman Montecrypto. Dieses Werk dürfe den Zeit-Redakteur und Power-Twitterer zufrieden stellen. Denn Tom Hillenbrand erzählt nicht nur von einer Schatzsuche, sondern reichert diese mit zahlreichen Informationen über Geldsysteme, neue Formen des Bezahlens und den Megatrend Bitcoin an.


Auslöser des Ganzen ist der Tod des Bitcoin-Nestors und Millardärs Greg Hollister. Dieser kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seine Schwester beauftragt den Finanzermittler – Dumas lässt grüßen – Ed Dante. Dieser soll den Tode des Milliardärs genauer untersuchen soll. Denn obwohl sich Hollister aus der von ihm gegründeten Bitcoin-Firma zurückgezogen hat, könnte er einen unbekannten Geldbetrag zur Seite geschafft haben. Bei seinen Recherchen stößt Dante auch tatsächlich auf Hinweise, dass der Schatz des exzentrischen Milliardärs existiert. Schnell sorgt die Kunde für einen Schatzsucher-Boom, zumal Hollister aus dem Grab heraus mit postum veröffentlichten Videos die Schatzsuche anheizt. Die Medien taufen den sagenumwobenen Schatz schnell Montecrypto und Date muss feststellen, dass mit dem Bitcoin-Universum eine Welt entstanden ist, die nach ganz anderen Regeln funktioniert, als er es gewohnt ist.

Auf der Jagd nach dem Bitcoinschatz

Mit Montecrypto hat Tom Hillenbrand ein Buch geschrieben, das den klassischen Hardboiled-Detektivroman mit der Welt digitaler Währungen zusammenbringt. Eine Idee, die zunächst widersprüchlich klingt, im Buch allerdings gut funktioniert. So reichert Hillenbrand die bekannten Genremotive (einsamer und trinkender Ermittler, Teamarbeit mit einer externen Expertin, klassische Ermittlungsarbeit für die Suche nach Hinweise etc.) durch die Welt der Bitcoins, Blockchains und Bytes an. Stellvertretend für den unbedarften Leser stößt Dante langsam in die Welt der digitalen Finanzen vor, die so anders ist, als man das aus dem Wirtschaftsunterricht kennt. Denn mit Sparbuch und dem herkömmlichen Fiat-Geld hat die neue Welt des Geldes nur mehr wenig gemeinsam.

In einigen Erklärdialogen und -szenen wird Dante in diese Welt eingeführt und lernt langsam die Möglichkeiten, aber auch Abgründe kennen, die dieser Art digitalen Geldes innewohnen. Warum befeuerte Hollister mit seinem Eintreten für eine unregulierte Währung die Hoffnung der Ultraliberalen? War er mit seinen Visionen eher Held oder der Totengräber unserer Währungssysteme? Und wo zum Teufel ist dieser digitale Schatz von Montecrypto versteckt?

Fazit

Montecrypto besitzt ein gutes Pacing, treibt immer wieder voran und lässt so etwas wie Langeweile nicht aufkommen. Auch wenn man bei den ganzen im Buch verarbeiteten Themen eine arge Theorielastigkeit und viele Erklärdialoge befürchten könnte, stellt sich das Ganze realiter dann allerdings weitaus spannender dar. Hillenbrand schickt Dante auf eine turbulente Schnitzeljagd, die von Kalifornien über New York und Frankfurt bis in die Schweiz führt. Eine Schnitzeljagd, deren wahre Natur lange im Dunkeln bleibt, auch für Ed Dante.

Mag auch die Pointe des Buchs etwas arg vorhersehbar sein, so überzeugt das Buch durch seine Rasanz und sein innovatives Thema. Hillenbrand gelingt es zu zeigen, dass die Welt der Geldtheorie und der Kryptowährung tatsächlich viel Spannungspotenzial bietet. Einmal mehr stellt Tom Hillenbrand hier seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Nach Sci-Fi, Kulinarikkrimis und historischem Roman nun eben eine Schnitzeljagd auf den Spuren Dumas‘ (wenngleich ohne Chateau d’If). Ein guter und aktueller Thriller, reich an Schauplätzen und Themen.


  • Tom Hillenbrand – Montecrypto
  • ISBN 978-3-462-00157-0 (Kiepenheuer-Witsch)
  • 448 Seiten. Preis: 16,00 €
Diesen Beitrag teilen

Ian McGuire – Der Abstinent

Einmal mehr stellt Ian McGuire sein Talent für wuchtige, brutale und schmutzige Blockbuster unter Beweis. Was ihm schon in „Nordwasser“ gelang, wiederholt er nun mit „Der Abstinent“ (Deutsch von Jan Schönherr)

Schmutzig geht es wieder zu in Ian McGuires neuem Roman. Wir befinden uns diesmal nicht auf hoher See und im ewigen Eis, sondern in den Gassen Manchesters 1867. Dort versieht James O’Connor seinen Dienst als Constable. Von seinen Kollegen aufgrund seiner irischen Herkunft argwöhnisch beäugt, soll er die Fenians im Auge behalten. Diese kämpfen für die irische Unabhängigkeit und scheuen als Untergrundkämpfer nicht vor Gewalt zurück. Nachdem zu Beginn des Buchs drei dieser Fenians gehenkt wurden, gleicht die Stimmung in den schmutzigen Gassen Manchesters einem Pulverfass. James O’Connor bedient sich seiner Spitzel, um eine realistische Einschätzung der Gefahren zu erhalten.

Durch das Auftauchen eines Mannes ändert sich allerdings alles: Stephen Doyle reist auf Bitte der Fenians aus Amerika nach Manchester, um den Kampf der Revolutionäre zu unterstützen. Er hat im amerikanischen Bürgerkrieg gedient und kennt sich aus mit dem Geschäft der Gewalt. Er wird zum Gegenspieler James O’Connors, den Doyles Auftauchen und Handeln in echte Bedrängnis bringt. Das Duell der beiden wächst sich aus zu einem Kampf Mann gegen Mann. Einem Kampf, der über Manchester Grenzen hinaus ausgetragen werden wird.

In den schmutzigen Gassen Manchesters

Wieder einmal gelingt Ian McGuire ein Buch, das die damalige Zeit fast sinnlich erlebbar macht. Die Beschreibung der Gassen, des Gestanks, der Gewalt – all das ist unglaublich intensiv. Man fühlt sich selber als Teil der Menge, wenn in den Hinterhöfen die Tradition des Rattenbeißens zelebriert wird oder die irischen Verschwörer in den Pubs einkehren. Der Abstinent ist eine spannende Mischung aus historischem Roman, Krimi, Spitzelspiel und Western. Der Kampf von Stephen Doyle gegen James O’Connor mit allen Mitteln wird von Ian McGuire temporeich und wirklich spannend inszeniert.

Zudem ist das Buch ein Musterbeispiel für das, was ich unter atmosphärisch dicht und plastisch verstehe. Die Prosa Ian McGuires lässt (zumindest für mich gesprochen) Kopfkino entstehen und ist sehr gut von Jan Schönherr ins Deutsche übertragen worden. Ein Beispiel aus dem Anfang sei hier zitiert:

Mitternacht. Feldgeschütze in der Stanley Street, Barrikaden an jeder Brücke und Kreuzung. Die hellen Flammen der Wachfeuer spiegeln sich rötlich schimmernd auf dem schwarzen, bootlosen River Irwell. Im Rathaus in der King Street klopft James O’Connor den Regen von seiner Melone, knöpft den Mantel auf und hängt beides an den Haken neben dem Pausenraum. Sanders, Malone und vier, fünf schlafen in einer Ecke auf Strohsäcken; die anderen sitzen an den Tischen, spielen Whist, plaudern oder lesen den Courier. In der Luft hängt der vertraute Kasernendunst aus starkem Tee und Tabak, links an der Wand verstaubt ein Regal voller Turnkeulen und Medizinbälle, in der Mitte steht ein mit Brettern abgedeckter Billardtisch.

Ian McGuire – Der Abstinent, S. 7

So beginnt dieses Buch und schon befindet man sich mitten im Geschehen. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die verstaubte Kaserne, das ungastliche Wetter. Mit wenigen Sätzen entstehen hier ganze Welten, die von kantigen Figuren bevölkert werden.

Fazit

Mit Der Abstinent ist Ian McGuire ein Buch gelungen, das die Troubles einmal aus englischer Perspektive beleuchtet und die die Kämpfe zwischen Iren und Engländern auf dem Boden des englischen Mutterlandes schildert. Ein spannender historischer Krimi mit einem genau beschriebenen Schauplatz und einem Duell auf Leben und Tod. Ein überzeugendes Buch. Düster und realistisch. Und nicht zuletzt von großer atmosphärischer Dichte.


  • Ian McGuire – Der Abstinent
  • Aus dem Englischen von Jan Schönherr
  • ISBN 978-3-423-28272-7 (dtv)
  • 336 Seiten. Preis: 23,00 €

Diesen Beitrag teilen

Eva Ladipo – Räuber

„Karlsruhe kippt den Mietendeckel“. Diese Nachricht sorgte vor einigen Tagen für bundesweite Aufmerksamkeit. So kassierte Deutschlands höchstes Gericht den Versuch des Berliner Senats, die Mieten zu deckeln. Einstweilen fand damit der politische Versuch ein Ende, die Mieten im Ballungsraum auf einem wenigstens etwas erschwinglichen Niveau einzufrieren. Der Jubel der Vermieter und die Klagen einiger politischer Parteien und Mieterverbände ließ nicht lange auf sich warten.

Vom Kampf gegen Mietwucher und zivilen Widerstand in Berlin erzählt auch Eva Ladipo in ihrem Roman Räuber. Sie beschreibt, wie es sich anfühlt, wenn man aus seinem angestammten Zuhause vertrieben wird und zu welchen Exzessen die Mietpolitik in Deutschland bereits geführt hat. Ein Roman, der eine der drängendsten Fragen unserer Tage thematisiert: wie geht bezahlbares Wohnen?


Drei Figuren aus ganz unterschiedlichen Schichten sind es, die Ladipo in den Mittelpunkt ihres Roman stellt. Da ist Olli Leber, ein Arbeiterkind, der binnen Kurzem zwei Schicksalsschläge verkraften muss. Zunächst stirbt sein Vater und dann wird auch noch das Haus, in dem er und seine Mutter wohnen, von eine Konsortium namens Europäische Wohnen aufgekauft. Der Auszug der beiden ist damit unausweichlich. Doch wohin in einer Stadt mit Hartz IV und unregelmäßigem Einkommen?

Bei ihrem Umzug vor elf Jahren war die Gegend ein zurückgebliebenes Armenviertel gewesen. Niemand mit Geld hatte jenseits des S-Bahn-Rings wohnen wollen. Die Ringbahntrasse war die neue Mauer, sie hatte Arm und Reich zuverlässig voneinander getrennt. Dass diese neue Mauer noch schneller fallen sollte als die alte, hätte niemand für möglich gehalten. Auch er nicht. Diese verdammten Gleise hatten ihn in falscher Sicherheit gewiegt. Obwohl er den Goldrausch tagtäglich von Nahem erlebte, obwohl er wusste, welche Reichtümer sich aus dem Geld schöpfen ließen, das in unerklärlichen Strömen in Berliner Immobilien floss, hatte er geglaubt, in der abgerockten Sozialwohnung hinter den Gleisen seien sie in Sicherheit.

Eva Ladipo – Räuber, S. 41

Vom Mietrecht und Unrecht

Eva Ladipo - Räuber (Cover)

Die zweite Hauptfigur ist Amelie Warlimont. Sie ist mit dem Chefredakteur der kriselnden Berliner Post verheiratet. Das jüngste von zwei Kindern ist gerade einmal 13 Wochen alt, da gesteht ihr der meist absente Kindsvater, dass er eine Affäre hat. Aus der Bahn geworfen begegnet Amelie Olli Leber und hat plötzlich wieder ein Ziel vor Augen. Dieser will gegen die Enteignung als Mieter kämpfen und die Mietwohnung seiner Mutter behalten, schließlich war das das Versprechen des verstorbenen Vaters: ein Dach über dem Kopf, für den Rest des Lebens. Amelie hilft dem jungen Bauarbeiter bei seinem Kampf gegen die Europäische Wohnen und stößt darüber auf einen alten Bekannten: den ehemaligen sozialdemokratischen Finanzsenator Falk Hagen, der der Politik mittlerweile den Rücken gekehrt hat.

Dieser hat erkannt, dass der Wohnungsmarkt deutlich erträglicher als das Feld der Politik ist. Zusammen mit zwei Partner hat er ein Unternehmen für Luxusimmobilien und Bauprojekte gegründet. Das Geld muss fließen. Schließlich hat Hagen Ex-Frauen, diverse Kinder und eine bevorstehende Traumhochzeit seines Lieblingskindes zu finanzieren.

Auf diese drei Hauptfiguren legt Eva Ladipo ihren Fokus. Zwar gibt es einige weitere Figuren im Ensemble, den Löwenanteil in der Erzählung bestreiten aber Amelie, OIli und Falk Hagen. Wie in einer guten Serie springt die Autorin dabei immer wieder von Figur zu Figur und treibt die Handlung unterhaltsam voran. Der Kampf gegen den Mietwucher, Liebe, das Werben um die Gunst eines Finanziers, der vielleicht die Berliner Post übernehmen könnte, eine Räuberpistole – Ladipo hat viele Themen in das Buch gepackt. Sie versteht es aber auch, diese lesenswert zu erzählen, manchmal vielleicht sogar etwas zu seicht und oberflächlich. Obschon das Buch mit 540 Seiten kein dünner Schmöker ist, liest sich Räuber schnell weg und ist höchst unterhaltsam. Und die manchmal etwas plakative Art verzeihe ich persönlich gerne, schließlich bricht Ladipo so die Sperrigkeit des zugrundeliegenden Themas.

Fazit

Räuber ist auf der Höhe der Zeit und greift viele aktuelle Debatten auf Klassimus, das Auseinanderdriften von Ober- und Unterschicht. Die Frage, was eine Stadt lebenswert macht. All das steckt in diesem Gesellschaftsroman, der alle Ebenen unserer Gesellschaft von Hartz IV bis zur Wohlstandsverwahrlosung abbildet. Genauso erzählt das Buch von skrupellosen Enteignungsversuchen und der neuen sozialen Frage, die Wohnen bedeutet. Auch als Berlin-Roman funktioniert Räuber sehr gut. Viele Themen also, die das Buch zu einer empfehlenswerte Lektüre machen!


  • Eva Ladipo – Räuber
  • ISBN 978-3-89667-678-8 (Blessing)
  • 545 Seiten. Preis: 24,00 €
Diesen Beitrag teilen