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Stefan Thome – Gott der Barbaren

Zurück auf Null. Mit seinem aktuellen Roman Gott der Barbaren betritt Stefan Thome neues Gelände – sowohl formal als auch inhaltlich. Denn sein Buch ist eine Abkehr von den in der Gegenwart angesiedelten Charakterauslotungen Gegenspiel oder Grenzgang. Stattdessen widmet  sich der gebürtige Hesse nun dem historischen Roman, Marke Monumentalepos.

Unbekanntes China

Er betritt hierfür ein (zumindest in der deutschen Literatur) fast vollständiges Terra incognita – nämlich China zur Zeit um 1860. Um dieses Land und seine Menschen herum baut er seinen Roman, der den ganz großen Bogen aufspannt. Er erzählt von deutschen Missionaren, englischen Kriegsherren, chinesischen Rebellen und zeigt ein zerrissenes Land, dem Wunden beigebracht wurden, an denen China noch heute laboriert.

Stellenweise erinnert das an den Reisebericht von Victor Segalen, der Anfang des 19. Jahrhunderts ebenfalls China mit europäischem Blick bereiste und seine Eindrücke unter dem Titel Ziegel &Schindeln publizierte. Dann ist man wieder in einer mit viel Pathos und Pulverdampf inszenierten Schlacht um Nanking dabei, an der auch ein Ridley Scott seine Freude hätten.

Mangelnde Abwechslung kann man Thome wirklich nicht vorwerfen. Seine Ambitionen sind wirklich enorm – nur überspannte er für meinen Geschmack seinen Bogen das ein oder andere Mal deutlich.

Dies beginnt damit, dass er eine fast unübersichtliche Zahl an Akteuren auffährt. Er entscheidet sich für keine Seite, sondern ist permanent in allen Lagern mit dabei, seien es die feindlichen chinesischen Seiten oder auch die englischen Invasoren.

Eine Fülle an Figuren

So ist eine seiner Hauptfiguren ein deutscher Missionar namens Philipp Johann Neumann, von den Chinesen auch Fei Lipu getauft. Enttäuscht vom Verlauf der Revolution 1848 sucht er sein Glück in China. Dort soll er den Chinesen im Rahmen des Basler Mission den christlichen Glauben näherbringen, um die Seelen der Barbaren durch Bekehrung zu retten. Ihn lässt Thome in der Ich-Perspektive von seinen Erfahrungen berichten und macht ihn so zunächst zum Orientierungspunkt in seiner Geschichte. Neumann macht die Bekanntschaft von Hong Jin, der dann mit anderen Chinesen eine wichtige Rolle in der sogenannten Taiping-Revolution einnehmen wird (die nebenbei bemerkt mit 20 bis 30 Millionen Opfer zum größten Bürgerkrieg der Geschichte zählt).

Der Rebellenführer Hong Xiuquan (Quelle: Wikipedia)

Jene Revolution bedroht die Stabilität des chinesischen Kaiserreichs, da sie eine Form des christlichen Glaubens etablieren und den Kaiser stürzen will. Schon bald verlor ich in den chinesischen und europäischen Strategien und Kämpfen den Überblick. Da gibt es den Himmlischen Kaiser, die Hunan-Armee, den Ostkönig oder den Schildkönig auf Seiten der Aufständigen. Ständig wechselt Thome die Seiten, zeigt die Kämpfe um Einfluss und die Herrschaft im Reich.

Wenn das alles gut inszeniert wäre, dann wäre das kein Problem. Allerdings sehe ich bei Gott der Barbaren deutliche Inszenierungsschwächen bzw. eine mangelnde Regie in seinem Werk. Oftmals hätte ich mir eine Hand gewünscht, die mich gekonnt durch das Geschehen leitet. Diese fehlt dem Buch aber größtenteils (bestes Symbol hierfür: Philipp Johann Neumann dem passenderweise eine Pratze abgängig ist). Diesen Eindruck vom Fehlen einer ordnenden Hand hatte ich an vielen Stellen im Werk, das durch die Fülle von Personen und Schauplätzen an Übersichtlichkeit einbüßt.

Das angehängte Personenregister hilft nur bedingt, da Thome seine Figuren nicht kontinuierlich begleitet, sondern immer mal wieder im Geschehen zurücklässt. So kann es sein, dass man über hunderte Seiten nichts von den Figuren hört, ehe diese dann plötzlich wieder auftauchen. Auch ändert Thome von Zeit zu Zeit die Erzählperspektive seiner Figuren; so wechselt er von der Ich-Erzählinstanz zur 3. Person und umgekehrt. Dies sorgte bei mir für zeitweilige Konsternierung. Bei den vielen Schlachten und strategischen Gesprächen fühlte ich mich überfordert, da nicht immer ersichtlich wurde, wer nun gegen wen aus welchen Motiven kämpft.

Zudem schneidet er zwischen seine Kapitel immer wieder fiktive Tagebucheinträge, Briefe oder Berichte, die die Handlung immer noch aus anderen Blickwinkeln beleuchten. Nachdem dieses aber auch nur spärlich erscheinen, braucht man hier wirklich ein gutes Gedächtnis, um diese auch noch in die Handlung integriert zu bekommen.

Chinesische Dörfer

Da wird es dann schon schwierig, auch da die Handlungsorte munter wechseln, von Peking nach England, von Hongkong bis nach Tibet. Auch bin ich einfach nicht firm, was chinesische Handlungsorte angeht. Ganzhou, Hangzhou, Hankou, Suzhou oder Fuzhou – das sind für mich alles chinesische Döfer. Es klingt alles gleich und bekommt für mein Empfinden nicht genug Kontur, um eine klare Unterscheidung hinsichtlich der vielen Schauplätze beim Lesen zu erzielen.

Dankenswerterweise sind die Vorsatzpapiere des Buchs einmal mit einer Karte vom Handlungsort Peking und zum anderen mit einer Karte des damaligen Chinas versehen, um hier wenigstens die Chance einer groben Einordnung des Geschehens zu ermöglichen.

Fazit

Ohne intellektuelle Wachheit und Wendigkeit wird man diesem Buch nur unzureichend beikommen. Diese Erkenntnis steht für mich am Ende dieses monumentalen Buchs. Sein Anspruch und der ambitionierte Plot lassen das Buch zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2018 stehen. Zur Entspannung allerdings empfiehlt sich Gott der Barbaren keineswegs.

Ich persönlich bin mehrmals mit dem Buch gescheitert, da es mich einfach mit seiner überbordenden Struktur und seinen verwirrenden Handlungsfäden in die Irre führte. Es sind für mein Empfinden zu viele Charaktere, Themen und Stile und Schlachten, die der gebürtige Hesse aufs Tapet bringt.

Aber man muss Stefan Thome auch Respekt zollen für seinen Willen und die Akribie, ein solches Opus Magnum zu verfassen. In Zeiten von unterambitionierten Plots und der Beschreibung von Milieus, die man selber teilweise besser kennt als die Autoren höchstselbst, ist Gott der Barbaren eine rühmliche Ausnahme, die die Leser fordert.

Das findet im Großen und Ganzen auch Stefan vom Blog Poesierausch, der sich ebenfalls des Titels angenommen hat.

[Stefan Thome: Gott der Barbaren, erschienen im Suhrkamp Verlag. ISBN 978-3-518-42825-2 . 719 Seiten, 25,00 €]

 

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Kurz und gut

Gael Faye- Kleines Land

Was passiert, wenn man den Ort seiner Kindheit hinter sich lassen musste und in einem anderen Land erwachsen wird? Davon erzählt Gael Fayes Debüt Kleines Land. Sein Protagonist Gabriel, genannt Gaby, wächst in Burundi mit seiner Schwester auf. Sein Vater ist Franzose, seine Mutter stammt aus Burundi und gehört der Ethnie der Tutsi an. Die unbeschwerte Kindheit endet aber recht bald, als nach einem Militärputsch die Auseinandersetzungen von Hutu und Tutsi zunehmen und schließlich in einem brutalen Bürgerkrieg münden. Nach der Flucht aus diesem sich selbst zerstörenden Land lässt Gaby die Erinnerung allerdings nicht los und er beschließt, noch einmal nach Burundi zurückzukehren.

Ein Buch, das ordentlich beginnt und dann immer faszinierender und besser wird, ehe es in einen packenden Schluss mündet. Faye erzählt bildstark und sehr farbig. Literatur über Afrika und dessen Menschen und Länder fristet in unserem literarischen Bewusstsein doch eher ein Nischendasein, umso schöner, dass uns hier ein junger frankophoner Autor in die wechselvolle Geschichte Burundis eintauchen lässt. (Übersetzung von Brigitte Große und Andrea Alvermann)

 

Hari Kunzru – White Tears

Hari Kunzru erschafft mit White Tears einen reizvollen Bastard aus Musikgeschichte, magischem Realismus und amerikanischer Gesellschaftsanalyse. Ähnlich wie Grégoire Hervier in Vintage ist es bei Kunzru auch die Musik, die einen Strudel aus Tod und Verderben auslösen wird. Dabei beginnt bei Kunzru eigentlich alles recht unscheinbar, und zwar mit der Freundschaft von Seth und Carter. Jene freunden sich auf dem Campus an und halten ihre Freundschaft auch nach dem Studium aufrecht. Ein von ihnen aufgenommenes und verfremdetes Musikstück wird dann allerdings zum Wendepunkt, an dem sich ihre Freundschaft und schon bald ihre Leben scheiden. Denn dieses Musikstück führt zu einem schweren Angriff auf Carter – und Seth beschließt, dem von ihnen produzierten Musikstück auf den Grund zu gehen. (Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner)

Kunzru schickt seinen Helden auf einen düsteren Trip in den (musikalischen) Süden der USA. Dabei stößt er an die Wurzeln von Rassismus, Blues und kultureller Aneignung vor. Ein Buch, das sich einer Einordnung konsequent entzieht, und das durch seine flirrende Art zu den eindrücklichsten und originellsten Büchern dieses Bücherherbstes gezählt werden darf.

 

Sarah Perry – Die Schlange von Essex

In ein unbekanntes England entführt die Autorin Sarah Perry in ihrem wirklich wunderbar gestalteten Buch Die Schlange von Essex. Ihre Geschichte spielt im ländlichen Essex gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Während sich zu dieser Zeit Sherlock Holmes bereits durch ein rasch wandelndes und von der Industrialisierung gekennzeichnetes England ermittelt, herrscht bei Perry noch höchste Entschleunigung. Ihre Heldin ist Cora Seaborne zieht sich aus Land nach Essex zurück, nachdem ihr Mann verstorben ist. Dort kollidiert sie mit dem ansässigen Pfarrer, der einen Gegenpol zu Cora bildet. Denn die Leidenschaft der jungen Frau gilt den Naturwissenschaften und dem Kampf um Selbstbestimmung. Punkte, die zu Konfrontationen mit William Ransome, so der Name des Pfarrers, führen. Doch lauert unter allem Streit auch eine starke Anziehungskraft zwischen beiden Parteien. (Übersetzung von Eva Bonné)

Leider konnte der von Sarah Perry entfachte Funke bei mir nicht überspringen. Über allen eigenwilligen Figuren vergisst Perry für meinen Geschmack etwas zu sehr, die Handlung zu strukturieren und voranzutreiben. Stattdessen dominiert das Figurenensensemble, was bei mir für einige Lesedurchhänger sorgte. Mehr Esprit und Agilität hätten dieser Schlange gut getan!

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Omar El Akkad – American War

Schon bevor die erste Zeile in diesem Roman des Journalisten Omar El Akkad gelesen ist, weiß man, worauf man sich bei American War einstellen muss. Denn vor dem Prolog des Buches prangen zwei Landkarten, die ein Amerika im Jahr 2075 zeigen, das mit unseren tradierten Vorstellungen kollidiert. Denn von Mexiko aus dem Süden ausgehend zeigt die Karte eine Zone mit dem Titel Mexikanisches Protektorat, die Vereinigten Staaten von Amerika und ein abgetrenntes Territorium mit dem Titel Freie Südstaaten.

Diese verschiedenen Zonen sind Ausgangspunkt für die Welt, die Omar El Akkad in seinem Debüt schildert. Startpunkt ist jenes Jahr 2075, von dem ausgehend die Handlung ihren Verlauf nimmt. Denn in Amerika herrscht zu dieser Zeit gerade Krieg, die Südstaaten haben sich von den USA losgesagt, Tod und Vernichtung landauf, landab. Man könnte meinen, die Zeit der Sklavenkämpfe sei zurück. Der Norden gegen die Blauen, Mexiko als Puffer im Süden und außerhalb des amerikanischen Territoriums die arabischen Staaten, die sich zum sogenannten Bouazizireich zusammengeschlossen haben.

Ein beunruhigende Vision, die wir durch die Augen von Sara T. Chestnut, genannt Sarat, beobachten. Diese wächst mit ihrer Familie in Louisiana relativ unberührt von den Schrecken des Bürgerkriegs auf. Doch schon bald stirbt Sarats Vater durch eine Bombe und die Familie wird zu Flüchtlingen und muss in einem Camp unterkommen. Bei Sarat setzt ein schleichender Prozess der Radikalisierung ein und so nährt sich in der heranwachsenden jungen Frau der Hass – bis es zu fatalen Verwicklungen kommt.

Eine Dystopie reinsten Wassers

Omar El Akkads Buch ist von lobenden Kurzzitaten der New York Times bis zur Washington Post bepflastert. Jene Zeitung hat es sogar mit zwei Zitaten ins Buch geschafft. „Der Roman für alle, die die Trump-Ära umtreibt“, ist auf einem Sticker zu lesen, der das Buch zusätzlich noch bewirbt.

Lässt man all das Marketing-Gedöns, alle vielbeschworenen Verweise auf die aktuelle Situation der USA beiseite und die Trump-Referenzen weg, was bleibt dann von diesem Roman?

American War ist eine astreine, über zwanzig Jahre erzählte Dystopie in klarer Sprache und mit einprägsamer Handlung. Neben der chronologischen, meist aus Sarats Perspektive erzählten Handlung streut El Akkad viele Dokumente wie etwa Protokolle oder Ausschnitte aus fiktiven Biografien ein, die die Hintergründe des amerikanischen Bürgerkriegs erklären.

Das alles vermischt sich zu einer bedrückenden und eindringlichen Vision, von der man sich wünscht, sie möge nie wahr werden. Andererseits realisiert man auch, dass das ganze Leid, das in die Zukunft und in die USA projiziert ist, bereits jetzt an zahllosen Stellen der Welt traurige Realität ist. So ist der Roman Dystopie und Parabel, Warnung und gute Unterhaltung zugleich.

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Anthony Marra – Die niedrigen Himmel

Mein Lieblingsbuch des Jahres

Noch nie ist es mir passiert, dass ich ein Buch in der Mitte abbrach, um gleich noch einmal mit der Lektüre zu beginnen – bis ich auf Anthony Marras Debüt Die niedrigen Himmel stieß. Bei diesem Buch ist es mir zum ersten Mal passiert, dass ich die Welt, die der amerikanische Schriftsteller in seinem Buch schildert, nicht früher als unbedingt notwendig verlassen wollte und so einen Neustart in der Mitte des Buchs vornahm. Und das obwohl die Welt in diesem Roman alles andere als hell oder strahlend ist. Vielmehr geht es an einen Ort, der von Düsternis, Verzweiflung und Grausamkeit geprägt ist – die Rede ist von Tschetschenien.
 

 

Dort kulminiert das Schicksal mehrerer Menschen. Da ist zum Einen Achmed, der die kleine Hawah vor Soldaten rettet. Diese versteckt sich, als das Militär das Haus ihres Vaters überfällt und vernichtet. Achmed kann sie retten und macht sich zusammen mit ihr auf den Weg Richtung Grosny. In einem Hospital kommt er unter und findet bei der Ärztin Sonja Asyl. Dieser kommt es zupass, dass Achmed auch ein studierter Arzt ist, allerdings ein wirklich schlechter, dessen Talent eher beim Porträtieren von Menschen mit dem Zeichenstift liegt. Während die Versehrten im Hospital versorgt werden, droht im Dorf von Hawah und Ahmed ein Verräter alle in ein noch größeres Unglück zu stürzen.
 
Anthony Marra hat ein Figurenensemble entworfen, dessen Abhängigkeiten erst langsam im Lauf des Romans auffächern. Alle Charaktere bleiben glaubhaft und werden vom Autoren mit Tiefe und Widersprüchlichkeit versehen. Hilfreich bei der Geschichte auch die Zeitleiste, die immer wieder zu Beginn der Kapitel markiert, in welchem Zeitraum sich die Geschichte gerade befindet. Immer mehr wird offenbar, wie dicht das Netz zwischen den Figuren ist und welche Geheimnisse sie verbindet. Dies ist meisterhaft erzählt und ließ mich an einigen Stellen staunend innehalten.
 
Auch wenn ich nun Die niedrigen Himmel erneut lesen würde (was ich sicher auch tun werde) – es wird sich immer Neues in diesen Seiten entdecken lassen, kleine Details, Querverbindungen, Motive. Wie eine sorgsam komponierte Fuge eröffnen sich bei der erneuten Lektüre Details, die beim schnellen Lesen so erst gar nicht auffallen.
Neben aller schriftstellerischen Raffinesse vergisst Marra bei seiner Lektüre auch das Herz nicht und zeigt, wie Mitmenschlichkeit und Erbarmen auch unter schwierigsten Bedingungen von Menschen aufrecht erhalten werden. Sein Buch ist ein Fanal wider die Gleichgültigkeit und spendet Hoffnung bei aller Tristesse, die einem beim Anblick der Lage Tschetscheniens überkommen könnte.
 
Wenn man mich nun nach der Lektüre von Die niedrigen Himmel fragen würde, welches mein Lieblingsbuch ist – ich wäre geneigt die Frage genau mit diesem Titel zu beantworten. Ein Buch, das zum Wieder-Lesen einlädt und das einfach ein Genuss ist.
 
 
Ein besonderes Augenmerk verdient auch die Sonderseite, die sich der Suhrkamp-Verlag zum Buch Anthony Marras ausgedacht hat.
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