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Auf Schmugglerpfaden

Matteo Righetto – Die Seele des Monte Pavione

Italien und der Anbau von Tabak. Zwei Dinge, die man nicht automatisch in Verbindung miteinander setzt. Ich assoziiere Tabak stets mit Südamerika und erfuhr erst durch Matteo Righettos Buch von der Geschichte des Tabakanbaus in Italien. Und tatsächlich ist es so, dass auch heute noch in verschiedenen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, Tabak angebaut wird. Der Anbau wird sogar von der EU subventioniert, allerdings gilt die Aufzucht der Tabakpflanze als kaum rentabel.

Matteo Righetto - Die Seele des Monte Pavione (Cover)

Wie aufwändig das Geschäft mit dem Tabak ist, das erfährt man auch in Die Seele des Monte Pavione. In diesem Roman schildert Righetto das Leben einer Familie von Tabakpflanzern, die im Norden Italiens an der Grenze zu Südtirol leben. Man schreibt das Ende des 19. Jahrhunderts. Obwohl die Industrialisierung auch in dieser Region langsam Einzug hält, geht in Nevada alles noch einen anderen Takt. Augusto de Boer pflegt zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern die Tabakpflanzungen, die nur einen kümmerlichen Profit abwerfen. Genau von Behörden kontrolliert obliegt dem Mann die Aufzucht und Trocknung der begehrten Blätter.

Doch das Auskommen aus dem Verkauf der Tabakblätter reicht hinten und vorne nicht. Und so bedient sich Augusto kreativer Möglichkeiten, um das Einkommen der Familie zu verbessern. Wie andere Bauern in der bergigen Grenzregion verdient er sich beim Schmuggel von heimlich abgezweigter Tabakgüter etwas dazu. Nur so kann er sicherstellen, dass seine Familie genug zu essen hat, wenn saisonal bedingt keine Aufzucht der Tabakpflanzen möglich ist. Doch dann passiert es: von einem seiner Schmuggelgänge nach Österreich kommt er nicht wieder. Und so obliegt es nun seiner ältesten Tochter Jole, die Schmuggeltätigkeit des Vater aufzunehmen.

Righettos Schilderungen der Natur

Von diesem Schmuggelgang erzählt Righetto in seinem Buch in einer romantischen, manchmal fast märchenhaft anmutenden Sprache. Ein ums andere Mal auch knapp an der Grenze zum Kitsch entlanggeschrammt.

Der Himmel füllte sich mit Sternen, leuchtend hell, schön und frei. So schön und erhaben dieser Augenblick war, fühlte Jole doch mit plötzlicher Bitterkeit ihre Einsamkeit und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Und es kam ihr so vor, als weine das Firmament über ihr ebenfalls.

Righetto, Matteo: Die Seele des Monte Pavione, S. 184

Gewiss, man sollte eine gewisse Toleranz für Pathos, klopfende Spechte, wisperndes Gras und einfach gezeichnete Figuren mitbringen. Aber wer zu einem Buch mit dem Titel Die Seele des Monte Pavione greift, bringt diese Toleranz wahrscheinlich auch mit. Wie schon vor ein paar Jahren, als Paolo Cognetti mit Acht Berge ein Überraschungserfolg und veritabler Longseller gelang, rückt auch hier sein Landsmann Righetto die innere Reifung und die Naturerfahrung in unwirtlicher Umgebung in den Mittelpunkt. Durch die gefährliche Schmuggeltour, auf die sich Jole notgedrungen begibt, reift die junge Frau und lernt auch sich im Kampf der Bergwelt Südtirols kennen. Den Monte Pavione, der die Wegscheide auf dieser Tour darstellt, inszeniert Righetto mit geisterhaft brausenden Winden als eine Art italienischen Untersberg. Und auch sonst ist die unberührte Natur der zweite große Hauptdarsteller neben Jole.

Zwar hört man von drunten im Tal schon die Bauarbeiten der Eisenbahn heraufklingen. Aber von Jole und ihrem Pferd, die sich oben am Berg auf den Schmugglerpfaden bewegen, ist dies alles denkbar weit entfernt. Eine Szene mit Aussagekraft. Hier lässt jemand noch einmal die Naturidylle aufleben und taucht in die archaische Bergwelt Südtirols ein.

Dieses Buch trifft einen Nerv der Zeit – auch bei mir. Die entschleunigte Lektüre, die trotzdem nicht vergisst, die Handlung voranzutreiben und die bildreichen Naturbeschreibungen – sie gelingen Righetto sehr gut. Oder um es mit der Bergmetaphorik auszusprechen: Righetto ist ein erzählerischer Wanderer, der für seine Tour das richtige Tempo anschlägt und nur wenige Mal neben seinen Pfad in die Abgründe des Kitsches tritt.


  • Matteo Righetto – Die Seele des Monte Pavione
  • Aus dem Italienischen von Bruno Genzler
  • ISBN: 978-3-89667-616-0 (Blessing)
  • 240 Seiten, 20,00 €

Vom Werden und Vergehen

Zeit für einen echten Klassiker in der Buch-Haltung: Giuseppe Tomasi di Lampedusas Der Leopard, in einer Neuübersetzung von Burkhart Kroeber. Ein Meilenstein der italienischen Literatur und auch über 50 Jahre nach seinem Erscheinen immer noch mehr als lesenswert.

Wir schreiben das Jahr 1860. In Italien regiert König Vittorio Emmanuele II.. In ganz Italien? Nein, die Macht des Königs bröckelt zusehends, denn die Truppen Garibaldis blasen zum Kampf auf die Monarchie. Die von Garibaldi angezettelten Unabhängigkeitskriege haben die Einheit Italiens zum Ziel. Denn noch ist Italien in einzelne Provinzen aufgesplittert. Im Norden bekommt man wenig vom Süden mit – und umgekehrt. Neapel und Sizilien sind eine eigenständige Provinz, die von Fürsten als Abgesandte des Königs verwaltet werden. So auch die Insel Salina, die dem König untersteht und die von Don Fabrizio Corbera, dem Prinz von Salina, verwaltet wird.

Don Fabrizio Corbera, der Leopard

Dieser lebt in mit seiner Familie in einem verwinkelten Palast auf der Insel. Seine Frau, seine drei Töchter, der verhätschelte Neffe Tancredi – alle haben Platz in dem hochherrschaftlichen Anwesen. Neben dem Hauptsitz der Familie gibt es auch noch ein weiteres Sommerdomizil im ländlichen Donnafuggata. Und überall prangt der Leopard als Insigne des Herrschers von Salina.

Doch ebenso wie die königliche Herrschaft über den Stiefelabsatz Italiens bröckelt, so schwindet auch die Kraft und die Macht des Leoparden. Garibaldis Truppen landen in Sizilien an und beginnen ihre Eroberungsfeldzüge, die später unter dem Begriff Risorgimento zusammengefasst werden sollten. Das Land ist im Umbruch, die alte Ständeordnung verliert zusehends an Bedeutung. Der Leopard kann sich damit nicht wirklich anfreunden. Er gibt lieber Bälle, geht auf die Jagd, besucht Laufhäuser in Palermo und pflegt den Lebensstil seiner Ahnen.

Ganz anders da sein Neffe Tancredi. Er sympathisiert mit den Truppen Garibaldis und wird Kämpfer in ihren Reihen. Auch sucht er das Glück in der Liaison mit der Tochter des Bürgermeisters von Donnafugata. Don Fabrizio sieht hier die neue Zeit heraufdämmern, in der wendige Menschen wie sein geliebter Neffe ihren Platz finden. Doch die Zeit des Leoparden, sie geht zuende, woran wir als Leser teilhaben.

Giuseppe Tomasi di Lampedusas Buch ist ein Werk, das vom Werden und Vergehen kündet. Meisterhaft fängt er die alte, zerbröckelnde Welt der Monarchie ein. Symbolhaft der Palast des Leoparden, der langsam so zerfällt, wie es die royale italienische Welt auch tut. In der Gestalt des Tancredi stellt er zugleich einen wendigen und anpassungsfähigen Mann dem Leoparden gegenüber, der sich die Zukunft untertan macht.

Aus dieser Dichotomie zieht der Roman einen großen Reiz. Aber nicht nur in dieser Gegenüberstellung ist Der Leopard sehr präzise. Auch in der Darstellung der höfischen Welt, den Ritualen und des Alltags im Hause Salina ist Di Lampedusa ausnehmend detailfreudig. Förmlich meint man selbst mit dem Leopard durch Palermo und die Berghänge Siziliens zu streifen. Der auktoriale Erzähler führt kundig durch die Handlung und auch einige Vorgriffe in der Zeit (Sergej Eisenstein, Flugzeuge, etc.) hat di Lampedusa eingearbeitet.

Eine hervorragende Neuübersetzung

Die Qualität dieses Romans ist völlig offensichtlich- Di Lampedusa zeigt im Kleinen, wie sich die großen Machtverhältnisse ändern und umgekehrt. Besonders erhellend ist neben der fraglosen Klasse des Werks auch die Neuübersetzung und das Nachwort Burkhart Kroebers. In diesem schildert er die Motivation seiner Übersetzung (schließlich liegen schon zwei Übersetzungen durch Charlotte Birnbaum und Giò Waeckerlin Induni vor). Seine Bemühungen, die verschiedenen Sprachebenen und damit die ganze literarische Klasse des Werks zugänglich zu machen, sind absolut gelungen.

Fürderhin wird diese Übersetzung als Referenz gelten, davon bin ich überzeugt. Auch ist der Blick in die Übersetzerwerkstatt wirklich erhellend. Die Probleme bei einem Text, dessen Verfasser schon vor dem Erscheinen seines Werks verstorben ist, macht Kroeber nachvollziehbar deutlich. So schildert er die Schwierigkeiten des richtigen Titels (eigentlich wäre der titelgebende Gattopardo eher ein Pardellkatze oder ein Ozelot, oder wortspielerisch übertragen gar ein Katzopard). Er erzählt von Recherchen über schmerzensreiche und glorreiche Mysterien und dergleichen mehr.

Dieses Nachwort zu lesen ist eine wahre Freude und macht klar, welche Aufgabe die Neuübersetzung eines Klassikers bedeuten kann. Ein literarischer Diamant, der durch die Übersetzung Burkhart Kroebers wieder einen neuen Schliff und damit wirkliche Brillanz erhalten hat.

Wenn die Mitmenschlichkeit Schiffbruch erleidet

Davide Enia – Schiffbruch vor Lampedusa

Im Zuge des Europawahlkampfs 2019 wollte vor zwei Wochen die Satirepartei Die PARTEI einen Wahlwerbespot im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk platzieren. Eine Ausstrahlung dieses Spots wurde aber zunächst verweigert. Der Grund hierfür: die PARTEI hatte ihre Sendezeit der privaten Seenotrettung „Sea Watch“ zur Verfügung gestellt. Dass ZDF argumentierte folglich, dass es sich hier nicht um Wahlwerbung, sondern um einen Aufruf zur Unterstützung der Organisation „Sea Watch“ handele. In geänderter Form war der Film dann aber doch zu sehen. Im Einerlei aus Stockphoto-Wohlfühl-Mainstream-Clips und absurd-dilettantischen Beiträgen ragt dieser Beitrag krass heraus – und ist mehr als notwendig, wie ich finde.

Wahlwerbung der Partei „Die PARTEI“

Einen ähnlichen Effekt verspürt man, wenn man Davide Enias Buch Schiffbruch vor Lampedusa liest (Deutsch von Susanne Van Volxem und Olaf Matthias Roth, erschienen im Wallstein-Verlag).

Denn genauso wie dieser Spot richtet auch Enias Buch unseren Blick auf dieses Thema, das wir so bequem verdrängen. Das Mittelmeer ist zu einem riesigen Friedhof geworden. Jeden Tag sterben im Schnitt sechs Menschen auf dem Mittelmeer beim Versuch, dieses zu überqueren. In rechten Kreisen und sozialen Medien ist gerne von Asyltourismus und Wassertaxis die Rede, als sei die Überquerung des Mittelmeer ein Spaziergang.

Private Seenotrettern wird der Zugang zum Mittelmeer immer weiter erschwert und sogar die die Wochenzeitung Die Zeit sah sich im letzten Jahr genötigt, in ihrem Editorial ein Pro und Contra für private Seenotrettung zu veröffentlichen. „Oder soll man es lassen“, so die zynischen Contra-Überschrift, die auf das Argument abhob, dass solche private Rettungsmissionen den Schleppern ja nur die Arbeit erleichtern würden und noch mehr Menschen nach Europa lockten.

Leben und Sterben vor und auf Lampedusa

Lässt man die Politik und dass dumpfe rechte Gebrüll einmal außen vor und schaut sich an, was da im Mittelmeer so passiert, dann wird man schnell sehr still und betroffen. Davide Enia hat das für uns Leser*innen getan und hat sich nach Lampedusa begeben, jene vorgelagerte italienische Insel, auf der viele der Flüchtlingsboote anlanden. Er hat sich umgesehen auf der Insel, mit den Bewohner*innen gesprochen, war bei dem Eintreffen von Flüchtlingsbooten Zeugen und schildert das alles nüchtern – und deshalb umso ergreifender.

Auf Lampedusa sagte ein Fischer zu mir: »Weißt du, was für Fische wir hier neuerdings wieder haben? Seebarsche.«

Er zündete sich eine Zigarette an und verfiel in ein tiefes Schweigen. »Und weißt du, warum die Seebarsche zurückgekommen sind? Weißt du, wovon sie sich ernähren? Genau.«
Er drückte seine Zigarette aus und ging.
Es gab nichts, aber auch wirklich nichts hinzuzufügen.

Enia, Davide: Schiffbruch vor Lampedusa, S. 2

Man kann Schiffbruch vor Lampedusa nicht lesen, ohne ergriffen und beschämt zu sein. Es zeigt sich, wie stark unsere Mitmenschlichkeit schon Schiffbruch erlitten hat. Die Geschichten, die Rettungstaucher, Kapitäne und Inselbewohner erzählen, sind verstörend. Doch allzu bequem ist es für uns, diese Geschehnisse an den Außenposten Europas zu verdrängen und uns mit wohlfeilen Worthülsen wie etwa „man müsste die Fluchtursachen bekämpfen“ abspeisen zu lassen. Doch Davide Enia tut dies eben nicht – wofür ich ihm wirklich dankbar bin.

Zudem ist das Buch nicht nur ein Buch über den Verlust von Mitmenschlichkeit und den omnipräsenten Tod im Mittelmeer – auch auf persönlicher Ebene sind diese Themen bei Enia präsent. Denn über seinen Aufenthalt auf der Insel versucht er auch eine Annäherung an seinen Vater und seinen krebskranken Onkel, der den Tod ebenfalls vor Augen hat. Hier zeigt sich eine andere Spielart des Humanismus, den wir leider zu sehr aus dem Blick verloren haben.

Ein Appell an unsere Mitmenschlichkeit

Mit den beiden erzählerischen Fäden webt Davide Enia ein Buch, das man so schnell sicher nicht vergisst. Man kann sich natürlich in unserer privilegierten Wohlstandsblase einschließen und die Augen vor der Realität verschließen. Man kann aber auch Davide Enias Buch lesen und sich der so erodierenden Mitmenschlichkeit entsinnen. Denn ich finde, dass Nächstenliebe, Hilfe und Unterstützung von Schwachen keine Frage von Rechts oder Links sind, sondern Grundpflichten eines jeden Menschen sein sollten. Davide Enia erinnert uns in Zeiten von Abschottung und Mauerbau wieder daran – und das ist mehr als notwendig!

Zurück in die Renaissance Italiens

Michael Römling – Pandolfo

Von einem verlorenen Gedächtnis, Machtkämpfen in Europa und rätselhaften Flugmaschinen erzählt Michael Römling in seinem Roman Pandolfo. Ihm gelingt ein stimmiger und außerordentlich unterhaltsamer historischer Roman, der die Leser*innen in die Epoche der italienischen Renaissance zurücktransportiert.


Alles beginnt mit einem scheinbar toten Mann, der unter einem Haufen aus Unrat und Abfällen auf einem Markt in Italien begraben liegt. Er hat ein Loch im Schädel und ist dem Tod näher als dem Leben. Zu seinem Lebensretter wird der Mailänder Magnat und Abenteurer Bernado Bellapianta, der Pandolfo unter dem Abfallhaufen herauszieht und ihn unter seine Fittiche nimmt. Er lässt den Mann zu sich nach Hause bringen und dort gesundpflegen.

In der Folge wird Pandolfo im Palast des reichen Mailänders heimisch und freundet sich auch mit Bellapiantas Zwillingsbruder Giancarlo an. Jener ist weniger ein ausgebuffter Händler wie sein Bruder als vielmehr ein begnadeter Ingenieur. Egal ob Verbesserungen für Schiffe oder neue wissenschaftliche Theorien – Giancarlo macht seine körperlichen Defizite mit erstaunlichen Geistesleistungen wett. Dabei ist sein größter Wunsch, an dem er beständig arbeitet, der Traum vom Fliegen.

Die beiden Brüder sind beseelt von neuen Ideen und gestalten mit ganzer Kraft die Zukunft. Pandolfo wirkt am Tun und Treiben im Bellapiant’schen Hause mit. Doch ist es seine Vergangenheit, die ihn nicht ruhen lässt. Wer hat ihn damals angegriffen und ihn fast tödlich verwundet auf dem Markt zurückgelassen? Welche Geheimnisse hütet Pandolfo, weswegen er sterben sollte? Und warum kann Pandolfo ohne nachzudenken, die kompliziertesten Zeichnungen und Bilder auf Papier bannen?

Ein Mann ohne Erinnerung, zwei Brüder mit Expansionsstreben

Für die Erzählung von Pandolfos Geschichte und der der Gebrüder Bellapianta wählt Michael Römling einen tollen Kniff. So berichtet Pandolfo immer wieder aus der Ich-Perspektive von seinen Abenteuern und seinem Schicksal. Kontrastiert wird das Ganze von einem kommentierenden Chor, der das Geschehen einordnet und von Zeit zu Zeit in die Teleologie eingreift. So entfaltet sich neben Pandolfos Rekonstruktion der eigenen Geschichte auch die der Bellapiantas. Man ist Zeuge, wie die Brüder wagemutig ihre Expeditionen starten, mit geistigen und weltlichen Würdenträgern feilschen und beständige ihre Macht und ihr Einkommen mehren.

Vor allem über die Brüder wird die Welt der italienische Renaissance in ihrer ganzen Komplexität greifbar. Die Expeditionen treiben die Bellapiantas und Pandolfo bis nach Konstaninopel. Immer wieder begegnen sie Figuren, die auch heute noch aufhorchen lassen. Kardinäle wie die della Rovere, Medici oder ein gewisser Meister Leonardo, der für Ludovico Sforza tätig ist, sie alle haben in Pandolfo ihre Auftritte. Erbfolgekriege, Intrigen im Vatikan, Streitereien unter den lokalen Fürsten – Pandolfo atmet die italienische Renaissance.

Nun ist es höchst erfreulich, dass trotz dieser berühmten Protagonisten und Schauplätze Römling nicht den Fehler macht, lediglich eine historische Nummernrevue aufzuführen. Sein Roman hat eine durchgängige Handlung, bindet den Zeit- und Lokalkolorit gut ein und schafft einen wirklich homogenen Roman, der mich hervorragend unterhalten hat. Sprachlich überzeugt vor allem die außergewöhnliche Form mit der kommentierenden Erzählstimme und so entsteht im Ganzen betrachtet ein ausgezeichneter historischer Roman, den ich ausdrücklich empfehle!

Elena Ferrante – Frau im Dunkeln

Kein Lächeln, nirgends

Mit ihrem Neapolitanischen Quartett gelang Elena Ferrante auch in Deutschland der große Durchbruch. Die Kritiker jubelten, die Bücher verkauften sich wie geschnitten Brot und sogar eine Serienadaption steht in den Startlöchern.

Die erste Minute dieses Trailers fängt mein Lesegefühl der vier Bände sehr gut ein. Alles düster, dumpf, gewaltgesättigt. Der Rione in Neapel und seine Einwohner, von einer Sonnenseite zeigten sich diese beiden Parteien in den Büchern nie. Von dolce vita war das Neapolitanische Quartett so weit weg wie der italienische Staatshaushalt von einer Konsolidierung.

Zum Nachteil gereichte das den Bänden nicht – und damit auch dem Suhrkamp-Verlag, der jene vier Bände veröffentlichte. Vom Erfolg beflügelt, widmet man sich in Berlin nun in hoher Taktung der Backlist der Autorin. Im Oktober erschien der Roman Lästige Liebe, der sich um eine Mutter-Tochter-Beziehung drehte. Ebenfalls im Oktober brachte man (wie alle bisherigen Titel von Karin Krieger übersetzt) in der Inselbücherei Der Strand bei Nacht auf den Markt. Eine Schauergeschichte über eine Puppe, die am Strand zurückgelassen wird.

Nun veröffentlicht Suhrkamp – erstmals in der Übersetzung durch Anja Nattefort – den Roman Frau im Dunkeln, im Original erschienen 2006. Um den Plot zu erzählen, reicht es eigentlich, die beiden vorher erwähnten Bücher Lästige Liebe und Der Strand bei Nacht einmal kräftig zusammenzuschütteln – und schon erhält man Frau im Dunkeln. Denn die Motive der Erzählung, sie dürften Lesern der bisherigen Bücher bekannt vorkommen.

Ein Strand, zwei Mütter, eine Puppe

Ein heißer Sommer an der süditalienischen Küste, Leda – knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter – verbringt unbeschwerte Tage am Strand. Sie vertreibt sich die Zeit damit, eine junge Mutter und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen. Doch plötzlich verdüstert sich das Idyll und die sonst so beherrschte Leda lässt sich zu einer unbegreiflichen Tat hinreißen …

So raunt es der Klappentext. Die neugierige Leser*in mag sich da natürlich fragen – welche Tat? Entführt sie das Kind? Wagt sie es, den Badeplatz der Mutter mit einem eigenen Handtuch zu belegen? Nein, es ist noch eine viel unbegreiflichere Tat: Leda nimmt die Puppe des Kindes an sich (so viel Spoilern muss erlaubt sein).

In der Folge beobachtet sie den neapolitanischen Familienclan mit Mutter, Kind und restlicher Sippschaft. Dabei steigen auch bei Leda Erinnerungen an die Oberfläche, die sie an ihre Töchter und ihr Familienleben erinnern.

So gelingt es Elena Ferrante, ein ambivalentes Bild der Mutterschaft zu zeichnen. Über Leda und die von ihr betrachtete Familie entwirft Ferrante ein Bild von Mutterschaft, das nichts verklärt, sondern eher dem Themenbereich Regretting Motherhood zuzuschlagen ist. Dies alles konzediere ich, dennoch ist Frau im Dunkeln eine Lektüre, die mich nicht zu überzeugen vermochte.

Dies hat auch einen Grund – das Personal von Ferrantes Roman ist das, was ich „hochgradig unsympathisch“ nennen würde. Die Frauen in Ferrantes Buch sind durch die Bank weg Furien. So zischt Rosaria, eine Frau aus der neapolitanischen Sippschaft, nachdem der Verlust der Puppe offenbar wird:

Derjenige, der sie geklaut hat, soll einen Gehirntumor kriegen.

Ferrante, Elena: Frau im Dunkeln, S. 83

Hier zeigt sich schon eine gewisse Überspanntheit und Hysterie, die alle Figuren in diesem Buch befallen zu haben scheint. Wir rufen uns noch einmal in Erinnerung, dass es hier um den Verlust einer Puppe geht.

Überspannte Figuren, Furor furioso

Doch auch die Ich-Erzählerin Leda legt kein entspannteres Verhältnis an den Tag, wenn es um den Umgang mit einer Spielzeugpuppe geht. Vielleicht liegt es auch an mir als Mann, dass ich eine derartige Bindung nur unzureichend nachvollziehen kann. Aber in einer Szene mit ihren eigenen Kindern finde ich auch die Handlungsmotivation einmal mehr reichlich übertrieben. So hat eine von Ledas Töchtern ihre geliebte Puppe im Spiel verletzt,

(…)sie hatte sie von oben bis unten mit einem Kugelschreiber vollgekritzelt. Ein Schaden, der sich beheben ließ, aber mir schien sie hoffnungslos verloren. Alles in jenen Jahren schien mir hoffnungslos, ich selbst war hoffnungslos. Ich warf die Puppe über das Eisengeländer des Balkons.

Als ich sie auf den Asphalt zufliegen sag, empfand ich grausame Genugtuung. Ich sah sie fallen, und sie erschien mir wie ein unflätiges Wesen. Ich weiß nicht, wie lange ich an das Geländer gelehnt hinunterblickte und zusah, wie die Autos darüberfuhren. Dann bemerkte ich, dass auch Bianca zuschaute, auf Knien, die Stirn an die Streben des Geländers gedrückt. Ich nahm sie auf den Arm, sie ließ es ergeben geschehen. Ich küsste sie lange, drückte sie fest an mich, als wollte ich sie mir wieder einverleiben.“

Ferrante, Elena: Frau im Dunkeln, S. 62

Hier zeigen sich die Affekte, zwischen denen Leda beständig oszilliert. Sympathisch macht sie das für mich leider in keinster Weise – was auch meine Lektüre stark hemmte.

Ständig wird entweder „leicht hysterisch gekreischt“ (S. 170) oder den Partner angekeift und geschrieen (S. 100). So etwas wie Liebe oder zwischenmenschliche Wärme findet sich auch in diesem Buch wieder nur im Promillebereich. Kein Lächeln, nirgends. Eher ist es ein Furor furioso, der sich aller bemächtigt hat.

Regretting Motherhood in Romanform

Zur Illustration meiner Probleme mit dem Buch hier nur noch ein letztes Beispiel für den Erzählton, der mir das Buch verleidete.

Doch dann kam Marta. Sie war es, die meinen Körper attackierte, ihn unkontrollierbar aufbegehren ließ. Sie war von Anfang an nicht Marta, sondern ein lebendiger Eisenklumpen in meinem Bauch. Mein Leib war nichts als blutiger Schleim, mit einem breiigen Bodensatz, in dem sich ein aggressiver Polyp ausbreitete, der so fern war von jeder menschlichen Natur, dass er mich, obwohl er sich von mir nährte und aus mir wuchs, auf eine faulende Substanz ohne Leben reduzierte. In meiner zweiten Schwangerschaft ähnelte ich der schwarzen Moder speienden Nani (die andere Mutter am Strand).

Ferrante, Elena: Frau im Dunkeln, S. 162

Lebendiger Eisenklumpen, Polyp, schwarzer Moder – eine Nummer kleiner geht es bei Leda selten. Dass sie da ihre Familie einmal verlassen hat und nun fern von ihren Töchtern lebt, das überrascht nun wirklich nicht.

Mit einem Blick als Frau oder Mutter mag man diesen Roman vielleicht anders lesen – für mich bleibt leider nur der Eindruck überspannter Figuren, die unlogische Handlungen begehen, zurück. Natürlich dürfen Charaktere in einem Roman auch mal unsympathisch sein – doch wenn man keinerlei Identifkationspotential in solch einem Roman findet, wird es schwierig.

Von Strand, la dolce vita und Entspannung ist bei Elena Ferrante nicht viel übrig. Auf ihre Welten muss man sich einlassen – mir ist das hier leider überhaupt nicht gelungen. Die Faszination für die Frau im Dunkeln liegt für mich im Dunkeln.