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Adam Johnson – Nirvana

Neue und neueste Geschichten

Nach dem großen Wurf Das geraubte Leben des Waisen Jun Do, für das Johnson nicht nur viel Lob sondern auch den Pulitzerpreis zugesprochen bekam, gibt es nun Nachschub.

Abermals übersetzt von Anke Caroline Burger bietet Nirvana sechs Kurzgeschichten auf insgesamt 265 Seiten. Der geneigte Statistiker kommt hier auf eine Länge von durchschnittlich rund 45 Seiten pro Kurzgeschichte. Tatsächlich differieren die Geschichten beträchtlich, von 60 Seiten bis hin zu 30 Seiten reichen die Stories, die Johnson in seinem Band präsentiert.

Seine Geschichten sind doppelbödig – mal verweist eine Geschichte mit ein paar Worten auf eine andere Erzählung, mal wechselt er die Perspektive und schreibt aus der Sicht seiner Frau über deren Brustkrebserkrankung.

Ob als UPS-Auslieferer in einem von Hurrikanen völlig zerstörten New Orleans oder als uneinsichtiger ehemaliger Aufseher eines Berliner Stasi-Gefängnisses – stets findet Johnson ein originelles Setting und eine nicht minder passende Sprache. Seine Geschichten vermögen durch ihre Figuren und Lokalitäten überzeugen. Sogar nach Korea, wenn auch diesmal Südkorea, kehrt Johnson für eine Erzählung zurück.

Großartig erzählte Kurzgeschichten

Oftmals drängt sich bei mir beim Lesen von Kurzgeschichten bekannter Autoren der Eindruck auf, noch ein paar Restematerialen von Recherchen oder Romanentwürfen zu lesen. Mit dem Namen des prominenten Autors sollen Leser (und damit natürlich auch Käufer) angelockt werden, doch das Endprodukt vermag nicht zu überzeugen. Ganz anders nun Nirvana. Den Ton, den Johnson in seinen Kurzgeschichten anschlägt ist präsent, das Setting seiner Erzählung sehr originell und anders als bei mittelmäßigen Kurzgeschichten bleiben diese auch nach der Lektüre im Gedächtnis des Lesers (allen voran wohl Interessant!). Keine der sechs Geschichten ist schlecht und noch dazu gibt es obendrein eines der für meinen Geschmack ästhetisch ansprechendsten Buchcover des Jahres 2015.

Fazit: Eine der besten Story-Sammlungen, die ich in meinem Bücherregal aufbewahren darf!

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Adam Johnson: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Im Reich des Geliebten Führers

Der Roman von Adam Johnson könnte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen: Die Welt schaut auf Nordkorea, das Land das hermetisch abgeschottet vom Geliebten Führer Kim Jong Un regiert wird und dessen außenpolitischen Drohungen die Nachbarstaaten alarmieren.

Während sich die Politik im Zaudern verliert hat Adam Johnson den Versuch unternommen, sich dem Land auf literarischer Ebene zu nähern – und wurde prompt mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Sein Werk, im Original schlicht mit dem Titel „The Orphan Master’s Son“ versehen, wurde für den deutschen Buchmarkt von Suhrkamp Nova als „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ veröffentlicht, übersetzt von Anke Caroline Burger. Ebenso sperrig wie der Titel ist auch die Gesamtstruktur und seine Länge von über 680 Seiten – ein Wagnis, das in meinen Augen geglückt ist.

Der in meinen Augen ebenso falschen wie überflüssigen Unterscheidung zwischen E und U verweigert sich Das geraubte Leben des Waisen Jun Do konsequent und erlaubt es sich, einen brutalen Konflikt literarisch aufzulösen und sogar manchmal zum Stilmittel des Humors zu greifen.

Der Roman von Adam Johnson lässt sich vortrefflich mit einem Zitat aus dem Buch beschreiben:

Es gibt kein Wort dafür […] Es gibt kein Wort, weil es noch nie jemand getan hat.

Johnson, Adam: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do, S. 384

Jun Dos Erlebnisse in Nordkorea

In „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ entwirft der amerikanische Autor zugleich die Charakterstudie eines nordkoreanischen Bürgers und die der nordkoreanischen Republik. Nicht von ungefähr erinnert der Name des Protagonisten Jun Do lautmalerisch stark an das amerikanische Wort für unbekannte Leichen – John Doe. Im Buch gerät der höchst durchschnittliche Genosse Jun Do in unterschiedlichste Verwicklungen und erfährt die Abgründe des menschenverachtenden totalitären Regimes um den Geliebten Führer.

Das Buch basiert auf eigenen Eindrücken des Autoren, der für den Roman extra nach Nordkorea reiste um seine Erzählung auf eigenen Beobachtungen aufbaute. Dies gibt dem Buch eine zusätzlich ernüchternde Note, wenn Johnson in Interviews zu seinem Roman bemerkt, dass er für das Buch die schwarzen Seiten Nordkoreas noch aufhellen musste. So rückt der Autor nämlich wieder in den Fokus, was wir bei allen medialen-politischen Berichterstattungen gerne vergessen: Es geht beim Nordkorea-Konflikt noch immer um die Menschen, deren Leid vom totalitären Regime einfach hingenommen wird.

Insgesamt ist Das geraubte Leben des Waisen Jun Do nämlich deprimierend durch und durch. Immer wieder muss Jun Do Gewalt ertragen, Verluste hinnehmen und sich an neue Situationen anpassen. Dies wäre an sich noch nicht unbedingt neu oder besonders literarisch – das Neue an dem Buch besteht in meinen Augen in seiner sperrigen Konstruktion. In zwei Teile aufgeteilt erzählt Adam Johnson manchmal etwas komplizierter als vielleicht nötig von der Entwicklung Jun Dos. Er flicht Rückblenden, parallele Stränge und kurze Propagandatext-Splitter zu einem großen Epos, der aufmerksame Leser verlangt. Ein Buch, das keine Zerstreuung, dafür aber Erkenntnis bietet.

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