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Hummer und Sorgen

Erik Fosnes Hansen – Ein Hummerleben

Und weiter geht es in der losen Reihe #norwegenerlesen hier in der Buch-Haltung. Heute mit dem neuen Buch von Erik Fosnes Hansen, das im Original 2016 in Norwegen erschien. Drei Jahre später liegt Ein Hummerleben nun in der Übersetzung durch Hinrich Schmidt-Henkel auch auf Deutsch vor.

Erik Fosnes Hansen gelangte mit seinem Roman Choral am Ende der Reise zu großer Bekanntheit über die Grenzen Norwegens hinaus. Darin beschreibt er die Lebensgeschichte von sieben Musikern, die auf einem Schiff dessen Jungfernfahrt begleiten sollen. Bei jenem Schiff handelt es sich allerdings um die Titanic, die ihren Zielhafen nie erreichen wird. Nun also das neue Buch des norwegischen Schriftstellers.

Ein Hummerleben beschreibt das Leben im norwegischen Berghotel Fåvnesheim. Das Tun und Treiben in diesem Hotel bekommen wir durch die Augen von Sedd, kurz für Sedgewick, erzählt. Er wächst in diesem Hotel unter der Obhut seiner Großeltern auf. Seine Herkunft – oder Provenienz, wie seine österreichstämmige Großmutter es auszudrücken pflegt – liegt etwas im Unklaren. Doch nicht nur über seine Herkunft weiß Sedd zu Beginn des Buches nicht wirklich Bescheid. Auch die wirtschaftliche Lage des Berghotels und damit die Lage seiner Familie enthüllt sich den Kinderaugen erst nach und nach.

Erik Fosnes Hansen - Ein Hummerleben (Cover)

Dabei ist das Hotel durchaus respektabel. In einem großen Wasserbassin im Hotelrestaurant wohnen zahlreiche Hummer, die sich die Gäste je nach Gusto zur Mahlzeit aussuchen können. Zahllose Hotelzimmer, eine Minigolfbahn und ein Schwimmbecken zählen zu den Merkmalen von Fåvnesheim. In den Hotelgängen, in der Küche oder in der Lobby ist stets Sedd anzutreffen, der als Hotelboy überall dort zur Stelle ist, wo man ihn braucht. Denn von seinem Großvater, dem Hoteldirektor Zacchariassen, hat er die Maxime übernommen „Für die Gäste nur das Beste“.

So umsorgt Sedd die Gäste, die zum großen Kummer seiner Großeltern in immer geringerer Frequenz das Hotel aufsuchen. Langsam dämmert auch Sedd, dass das Hotel seine besten Zeiten schon hinter sich hat. Aber als 11-jähriger hat man auch andere Sorgen. So erlebt er Angelausflüge, muss mit einem jungen weiblichen Hotelgast die Minigolfbahn unsicher machen und versucht das Geheimnis seiner Herkunft zu ergründen.

Zwischen Leben und Tod

Es ist kein Wunder, dass Erik Fosnes Hansen an den Beginn seines Textes ein Zitat von Frances Hodgson Burnett aus Der Kleinen Lord setzt.

Cedric himself knew nothing whatever about it. It had never been mentioned to him.

[Cedric ahnte von alle dem nichts. Man hatte es ihm gegenüber nie erwähnt. (Eigene Übersetzung)]

F. Hodgson Burnett: Little Lord Fauntleroy

Ähnlich unschuldig-naiv wie der kleine Lord in Burnetts Erzählung wirbelt auch Sedgewick das Leben seiner Großeltern durcheinander. Großartig gelingt es Erik Fosnes Hansen, die kindliche Perspektive einzunehmen, dabei aber auch immer schon einen Blick in die Erwachsenenwelt hineinzuwerfen. Sedds Tun und Treiben erinnert in manchen Passagen auch an den Hotelboy Zero Moustafa in Wes Andersons Film Grand Budapest Hotel.

Im Ganzen gesehen ist Ein Hummerleben auch ein Roman, der den Tod und das Leben auf eindrückliche Weise miteinander verbindet. So ist es kein Zufall, dass das Buch gleich mit einem Todesfall beginnt. Immer wieder wird so die scheinbar idyllische Welt in den abgelegenen Bergen Norwegens kontrastiert. Besonders eindrücklich ist da auch die Szene zum Ende des Buchs hin, als eine hochkomische Weihnachtsfeier nur Bruchteile von einem schrecklichen Todesfall entfernt ist. Diese Dichotomie auf nur wenigen Seiten so miteinander verbunden zu bekommen, das ist große schriftstellerische Klasse.

Insgesamt ist Ein Hummerleben eine wirklich großartige Lektüre, die noch einmal den verblassenden Glanz eines Hotels und eine Kindheit in den norwegischen Bergen auf Papier bannt. Eine große Empfehlung meinerseits, auch als Einstieg in die reichhaltige norwegische Literaturszene!

Roy Jacobsen – Die Unsichtbaren

Zwar ist es noch ein paar Monate hin, doch Mitte Oktober findet in Frankfurt wieder die jährliche Frankfurter Buchmesse statt. Gastland ist dieses Mal Norwegen. Grund genug, mir im Vorfeld schon ein paar norwegische Autor*innen anzusehen und mich in der Reihe #norwegenerlesen mit ihren Werken auseinanderzusetzen. Den Anfang macht in dieser Reihe Roy Jacobsen mit seiner Insel-Saga Die Unsichtbaren.

Bei seiner Insel-Saga handelt es sich um drei Bücher, die ab 2013 regelmäßig alle zwei Jahre erschienen. Der C.H. Beck-Verlag hat diese drei Bücher in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann unter dem Titel Die Unsichtbaren zu einem Buch zusammengefasst. Jener Titel ist zugleich der des ersten Buchs der Trilogie. De Usynlige, so der norwegische Originaltitel, stand im Jahr 2013 sogar auf der Shortlist des internationalen Booker-Preises.

Leben und Sterben auf Barrøy

Schauplatz dieser Insel-Saga ist das Eiland Barrøy, eine norwegische Schäreninsel. Nicht einmal einen Kilometer an der breitesten Stelle misst die Insel, die beständig von Wind und Meer in den Zangengriff genommen wird. Dort lebt Hans Barrøy als Familienoberhaupt seines Clans. Zusammen mit seinem Vater, Frau und Tochter sowie weiterer Verwandschaft bewirtschaften sie den heimischen Hof und die Insel. Ein paar Schafe, Eiderenten, ein Pferd – mehr gibt die karge Insel nicht her. Die Haupteinkommensquelle der Familie ist der Fischfang, später wird man sich auch an einer reduzierten Milchwirtschaft versuchen.

Diese Insel erlebt man nun auf den folgenden 600 Seiten in Zeiten der Not, in Zeiten der relativen Prosperität. Der Winter bringt das Meer rund um die Insel zum Gefrieren, im Sommer wird die ganze Insel unter Wassermangel ächzen. Kinder werden geboren, Alte sterben. Der Lauf des Lebens, er lässt auf Barrøy sehr gut nacherleben. Dabei schwebt über allem ein ein Gefühl der Entschleunigung und des Wissens um die Unwiderbringlichkeit des Vergangenen.

Ein längst vergangener Takt

Roy Jacobsen - Die Unsichtbaren (Cover)

Roy Jacobsen schafft es vor allem im ersten Buch ganz hervorragend, die verschrobenen Inselbewohner*innen auf Papier zu bannen. Ihre Macken, ihre Sorgen, ihre Nöte – glaubhaft vermittelt der norwegische Schriftsteller seine Figuren an die Leser*innen. In seiner Inselsaga schafft er es, nicht nur das Leben mit seinem längst vergangenen Takt zu schildern, sondern dieses auch erfahrbar zu machen. Eine Besonderheit, die nicht vielen historischen Romanen gelingt.

Leider schafft es Roy Jacobsen nicht, die Dichte und Stringenz aus dem Anfangsteil seiner Saga über die ganze Länge des Buchs zu wahren. Je größer der Exodus von der Insel und je tiefgreifender die Ereignisse (vor allem der Zweite Weltkrieg), umso mehr Längen schleichen sich im Text ein. Vor allem der letzte Teil (Die Augen der Rigel) zerfällt zusehends.

In diesem Teil macht sich Ingrid, die Tochter Hans Barrøys, auf die Suche nach einem Mann, den sie einst angeschwemmt auf ihrer Insel auflas. Zwar beeindruckt die Hartnäckigkeit der Suche Ingrids, mich langweilte sie dann aber auch stellenweise sehr. Zu langatmig sind die Reisen, die Ingrid quer durch Norwegen unternimmt, immer mit viel Verzweiflung, aber wenig Erfolg unterwegs.

Starker Beginn, weniger starke Fortführung

Zwar vermitteln die beiden übrigen Teile der Insel-Saga der Trilogie auch Wissen über die Zeit der norwegischen Besetzung und die Zwangslage Norwegens zwischen den Expansionsbewegungen von Deutschem Reich und Russland (völlig neu war mir etwa die Geschichte des Konzentrationslagers Mysen) – aber dennoch reicht das alles nicht, um eine packende Geschichte zu erzählen. Das ein ums andere Mal ertappte ich mich, als meine Gedanken abschwiffen – und auch das ausufernde Personaltableau benötigt viel Konzentration und Übersicht. Schade, dass hier vonseiten des Verlags die Chance verpasst wurde, ein Personenverzeichnis an den Anfang oder das Endes dieser voluminösen Saga zu setzen. Mir hätte es die Lektüre doch etwas erleichtert.

Aber auch ohne diese Mängel ist Die Unsichtbaren ein Buch, das hervorragend einen Blick ins Leben einfacher norwegischer Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zulässt. Vor allem der erste Teil der Trilogie weiß zu überzeugen (ein Problem, das das Buch ja mit vielen anderen Buch- und Filmtrilogien teilt). Deshalb sei, bei allen Schwierigkeiten, die ich mit dem Buch hatte, die Insel-Saga doch empfohlen. Ein guter Auftakt zu Norwegen erlesen.

Maja Lunde – Die Geschichte des Wasser

Dieses Buch dürften wenige im Vorfeld auf dem Zettel gehabt haben, als Prognosen für den erfolgreichsten Roman des Jahres 2017 abgegeben wurden. Doch Maja Lunde hatte mit Die Geschichte der Bienen die Nase vorn, als es um die höchsten Verkaufszahlen ging. Und das sogar vor Größen wie Ken Follett und Sebastian Fitzek. Das dürfte bei der Autorin und im Verlag für einige geköpfte Flaschen Champagner gesorgt haben – zugleich ist aber natürlich auch die Erwartungshaltung gestiegen. Würde es der Autorin gelingen, einen derartigen Husarenstreich ein zweites Mal abzuliefern?

Die Geschichte des Wassers von Maja Lunde

Die Geschichte des Wassers ist nun der zweite Teil eines geplanten Klimaquartetts, das sich literarisch dem Umweltschutz widmet – grüne Literatur sozusagen. Im Vergleich zu ihrem Erstling hat Lunde die Anzahl der Erzählstränge eingedampft, statt drei Geschichten beinhaltet ihr neues Buch nun nur noch zwei Erzählungen, die abermals miteinander zusammenhängen. Eine Geschichte ist die von Signe, die 2017 mit einem Boot von einem Gletscher in Norwegen zu einem alten Freund aufmacht, der in Frankreich wohnt. An Bord dieses Boots führt Signe Eisblöcke vom Gletscher mit sich (da werden Erinnerungen wach an Lize Spits Debüt Und es schmilzt). Die andere Geschichte ist in der Zukunft angesiedelt, genauer gesagt im Jahr 2041. Darin dreht sich alles um David und seine Tochter Lou. Mit er hat er sich auf den Weg in den Norden Richtung Frankreich machen müssen, da eine große Dürre halb Europa unbewohnbar gemacht hat. Wasser ist zum flüssigen Gold geworden und hat große Fluchtbewegungen in Kraft gesetzt. Die Menschen werden zu Klimaflüchtlingen – so auch David und Lou. In einer französischen Notunterkunft müssen die beiden um ihr Leben kämpfen.

In ihrem neuen Buch macht Maja Lunde genau das, was sie schon bei ihrem Roman über die Bienen getan hat. Sie entwickelt von der Gegenwart ausgehend eine Vision, wie unsere Zukunft aussehen könnte, quasi als Mahnung und Warnung. Im schon fast dystopisch anmutenden Setting des Jahres 2041 schafft es Lunde glaubhaft, die Konsequenzen von übermäßigem Wasserverbrauch und Klimaerwärmung plastisch und nachvollziehbar zu schildern. Gegen diese spektakuläre Schilderung verliert Signes Geschichte der Bootsreise zwangsläufig etwas, auch wenn Lunde ihre Reise in schon manchmal an Moby Dick gemahnende Bilder packt.

Pantha Rhei

Auch in Die Geschichte des Wassers ist er wieder da – der Lesefluss. Die Norwegerin hat sich wirklich am griechischen Motto Pantha Rhei – also Alles fließt – orientiert. In nicht zu langen Kapiteln springt Lunde immer wieder zwischen ihren beiden Erzählsträngen hin und her, die am Ende ineinanderfließen und ein großes Ganzes ergeben. Dabei ist ihre Geschichte leider auch etwas absehbar, da viele Erzählelemente schon früh zueinanderfinden und so wirkliche Überraschungen in der Erzählung ausbleiben. Wer sich an dieser gewissen Berechenbarkeit, sowohl in puncto Buchaufbau als auch den Erzählungen selbst nicht stört, der bekommt mit Die Geschichte des Wassers wieder ein Buch, das den Umweltschutz und das Erzählen gleichermaßen als Anliegen verfolgt.

Gute Unterhaltung bietet das Buch für mein Empfinden auf alle Fälle, auch wenn ich den Überraschungserfolg der Bienen etwas stärker empfand. Welche Wünsche hege ich für den kommenden Band des Klimaquartetts? Ein bisschen mehr Raffinesse für Band Drei wäre in meinen Augen wünschenswert. Auch habe ich die Hoffnung, dass sich Maja Lunde nicht von der Leserschaft und den Verlagen zu sehr unter Druck setzen lässt und ihr neues Buch etwas reifen lässt. Die Taktung von einem neuen Buch pro Jahr erscheint mir zu hektisch, als dass wirklich jedes Mal ein Buch mit Tiefgang entstehen könnte. Lieber sollte etwas das Tempo aus der Reihe genommen werden, um das Quartett zu einem lesenswerten Abschluss zu bringen. Von diesem Meckern auf hohen Niveau abgesehen ein guter Unterhaltungsroman, der sich begrüßenswerterweise einmal mit relevanten Themen, denn hyperintelligenten Serienkillern oder Ähnlichem widmet!

Jo Nesbø – Durst

Vier Jahre hat sich Jo Nesbø gelassen, ehe er Harry Hole einen neuen Fall servierte. Nun liegt Durst in der deutschen Übersetzung durch Günther Frauenlob vor – wie ist der inzwischen elfte Fall des norwegischen Ermittlers geraten?

Mit seinem zehnten Fall Koma schien Jo Nesbø mehr oder minder am Ende seiner Reihe angekommen zu sein. Die Luft war für mein Empfinden aus der einst  Maßstäbe setzenden Krimireihe entwichen: Motive wiederholten sich, die Plots waren irgendwie vorhersehbar, Harry schien die Kollegen und Leser nicht mehr so begeistern zu können wie in den den frühreren Tagen.

Nesbø wandte sich anderen Werken zu, der Standalone-Thriller Der Sohn erschien genauso wie die zwei kurzen (und recht mediokren) Blood on Snow-Krimis Der Auftrag und Das Versteck. Auch die in wenigen Wochen startende Verfilmung des achten Harry Hole-Falls Der Schneemann mit Michael Fassbender und Rebecca Ferguson band Kapazitäten – und Harry musste erst einmal ruhen. Diese Pause hat Harry und dem neuen Fall merklich gutgetan!

In Oslo sterben mehrere jungen Frauen, nachdem sie sich über die populäre Tinder-App verabredet haben. Der Täter entwischt der Polizei ein ums andere Mal und lässt an den Tatorten blutige Spuren zurück. Da ein solcher Serientäter in Norwegens Hauptstadt schlechte Presse für die Polizei bedeutet, sieht der ambitionierte Polizeipräsident Mikael Bellmann Handlungsbedarf und erpresst Harry Hole, die im Dunkeln tappende Ermittlungsgruppe um Harrys Vertraute Katrine Bratt inoffiziell zu unterstützen. So lässt Harry seine Lehrtätigkeit an der Polizeihochschule ruhen, um einmal mehr die Spuren an den Tatorten so zu interpretieren, wie nur er es kann. Unterstützung erhält er dabei schon bald von einem neuen Polizeimitarbeiter und einem Psychologen. Denn es scheint, als habe der Serientäter großen Durst …

Mit Durst gelingt es Nesbø endlich wieder, ein raffiniert konstruiertes, bis zum Ende hin unvorhersehbares und trotz einer Länge von 620 eng bedruckten Seiten stets spannendes Buch vorzulegen. Abgesehen von kleinen Redundanzen und stilistischen Ausrutschern trägt die raffinierte Konstruktion über die gesamte Länge des Buchs, vor allem da Nesbø hier wieder ein paar schöne Kniffe einfallen.

Nach zwei Dritteln des Buchs könnte der Fall eigentlich gelöst sein (der erfahrene Krimileser weiß hier natürlich schon, dass nichts ist, wie es scheint), bevor Nesbø noch einmal ein paar Finten schlägt und dem Leser dann erst die wahren Verwicklungen preisgibt. Auch das ist schön gemacht und erinnert an die „klassischen“ zumeist aus britischer Feder stammenden Krimis, bei denen alle Verdächtigen versammelt werden, um dann dem Ermittler Raum zu geben, der alle Anwesenden mit seinen Schlussfolgerungen überrascht und seine Deduktionen darlegt – und den Täter einem Kaninchen gleich aus dem Hut zaubert.

Ein warnendes Wort sollte an dieser Stelle aber an alle Neulinge im Harry Hole-Kosmos gerichtet werden: als Einstieg in die Buchreihe empfiehlt sich dieser elfte Band auf keinen Fall. Ein chronologisches Lesen der Reihe ist von großem Nutzen, besonders der Vorgängerfall Koma sollte gelesen sein, ehe man sich an Durst macht. In meinen Augen ist jener elfte Fall nämlich mehr oder minder nahtlos die Fortsetzung von Koma und sollte zügig im Anschluss gelesen werden, um die Kontinuität nicht außer acht zu lassen. Wichtige Personen und Stränge aus Fall Zehn setzen sich im Fall Elf fort und erleichtern bei Kenntnis des Vorgängers das Verständnis allgemein.

Fazit: Durst ist endlich wieder ein echter Nesbø’scher Pageturner, der alles hat, was die Fans an der Reihe schätzen, Twists, Serientäter, raffinierte Morde und ein Harry Hole in Bestform inklusive. Die Reifezeit von vier Jahren hat dem Buch merklich gutgetan und wenn es Nesbø gelingt, wieder Thriller auf ähnlich hohem Niveau abzuliefern, bin ich gerne bereit, längere Durst-Strecken in Kauf zu nehmen (der obligatorische Cliffhanger am Ende deutet ja schon etwas in die Richtung an).

Kurz und Kompakt

Rebecca Hunt – Everland

Sie erzählt in ihrem Buch von zwei Antarktisexpeditionen, eine davon im Jahr 1913, die andere im Jahr 2012. Mit welchen Schwierigkeiten beide Teams zu kämpfen hatten und welche unerwarteten Probleme bei diesen Expeditionen auftauchten, davon berichtet die Autorin und springt dabei in kurzen Kapiteln immer zwischen den beiden Teams hin und her.

Das Problem, das ich allerdings mit Everland hatte, war, dass es Rebecca Hunt für mein Empfinden nicht schafft, aus dem Stoff eine packende Erzählung und tiefergehende Charaktere zu entwickeln. weder im 20. Jahrhundert noch in der Neuzeit sind ihre Forscher und Abenteurer viel mehr als Namen und Behauptungen. Das ist vor allem schade, da die Grenzerfahrungen im ewigen Eis eigentlich viel Raum für derartige schriftstellerische Unternehmungen böten. Wie man es besser macht, das hat für mich Dan Simmons mit Terror vorgemacht – hier wird aus den existenziellen Trips für mein Empfinden viel zu wenig gemacht (was auch gut daran gelegen haben kann, dass diese sommerlichen Temperaturen mich gerade weniger ins Ewige Eis locken konnten).

 

 

Tore Renberg – Wir sehen uns morgen

Der norwegische Autor Tore Renberg kreist in seinem über 700 Seiten starken Roman um ein Figurenensemble, das in Renbergs Heimatstadt Stavanger beheimatet ist. Da gibt es einen Vater mit Spielschulden, einen jugendlichen Ausbrecher, in den gleich zwei Mädchen verliebt sind, Möchtegern-Gangster und viele Personen mehr.

Drei Tage im September bilden den Rahmen des Buches; innerhalb dieser drei Tage springt der Norweger beständig von Figur zu Figur und knüpft so Fäden zwischen den ProtagonistInnen, dass am Ende ein starkes Beziehungsgeflecht entsteht.

Man muss sich wirklich auf Tore Renbergs Kosmos einlassen – seine Gestalten haben alle ihre Probleme, die Sprache ist derb und grob, die ständigen Anglizismen erfordern Durchhaltevermögen. Und dennoch gelingt dem Autor bei aller Düsternis eine klare Beschreibung und Skizzierung seiner Protagonisten, sodass sie Tiefe und Glaubwürdigkeit erhalten. Wer bereit ist, sich in dieses Geflecht zu verstricken und direkte Sprache über 700 Seiten auszuhalten, der bekommt ein Buch serviert, welches man im Gegensatz zu vielen nordischen Krimis nicht so schnell vergisst.