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Katharina Köller – Wild wuchern

Eine Alm fernab alle Heidi und Geißenpeterklischees, die zum Ort weiblicher Selbstermächtigung und der Verarbeitung von Traumata wird. Katharina Köller schickt in ihrem neuen Roman Wild wuchern eine junge Frau überstürzt dort auf den Berg hinauf, um sich auf der Alm nicht nur ihrer Vergangenheit, sondern auch ihrer Cousine zu stellen.


Ebenso überhastet wie Köllers Heldin Marie in Wien in den Railjet in Richtung Bregenz springt, stürzen wir in den Text der 1984 geborenen Österreicherin Katharina Köller hinein. Was ist der Grund für die atemlose Flucht, wer ist diese Marie eigentlich? Noch bevor die zentralen Fragen geklärt werden können, stolpert die junge Erzählerin schon im Dunklen einen Berg in Tirol hinauf, wo ihre Cousine Johanna eine Hütte bewohnt.

Dort oben kommt sie langsam zur Ruhe. Allmählich klären sich die Hintergründe für ihre atemlose Flucht aus Wien – doch damit ist es noch lange nicht gut für Marie. Denn so einfach lässt es Johanna auch nicht zu, dass Marie in ihr gewohntes Leben dort oben am Berg einbricht. Besser heute als morgen würde die wortkarge Johanna Marie wieder los, was diese aber keinesfalls möchte. Und so beginnt dort oben auf der Alm ein Kammerspiel mit den beiden Frauen, in dem auch Stück für Stück Verdrängtes oder Verschwiegenes wieder ans Tageslicht drängt.

Ein Kammerspiel auf der Alm

Sie hebt ihren Becher und stößt gegen meinen, und nachdem wir beide einen großen Schluck genommen haben, stopft sie die Pfeife nach, zündet sie an und reicht sie mir. Ich inhaliere, so tief ich kann, und muss dann doch husten. Es kratzt.

„Nicht so gierig“, sagt sie und inhaliert wie ein Profi. Wie kann sie auf einmal so cool sein? Wer ist sie? Wer ist Johanna eigentlich?

Sie schenkt mir Tee nach, den ich verschütte, als ein neuer Hustenkrampf mich packt.

„Überall, wo ich hingeh, vergifte ich die Welt“, würg ich hervor. Sie putzt die Tischplatte, während ich nach Luft schnappe.

Katharina Köller – Wild wuchern, S. 160

Man merkt, dass Katharina Köller ähnlich wie zuletzt Suzie Miller mit Prima Facie ein von ihr geschriebenes Bühnenstück hier als Roman noch einmal neu adaptiert. Drei Jahre zuvor fand das Theaterstück 2022 unter dem Titel Windhöhe zur Uraufführung, ehe Köller draufhin das Buch noch einmal neu zu einem Roman arrangierte.

Auch im Buch vermittelt sich die Enge und die gespannte Stimmung zwischen den Schwestern dort oben auf der Alm ganz hervorragend, wie es auch auf der Vorgängerversion auf der Bühne funktioniert haben muss (in der die Theatermacherin nach eigenem Bekunden die Rolle der Marie spielte und schon damals den Beschluss fasste, den Stoff als Roman noch einmal neu zu arrangieren).

Gewitter auf der Alm

Katharina Köller - Wild wuchern (Cover)

Wild wuchern lebt von seiner Atmosphäre. Packend etwa der Showdown im Gewitter auf der Alm, wenn Marie nicht auf ihre Cousine hören will und trotz Warnung länger draußen auf der Wiese verharrt und so die Kräfte der Natur in der Bergwelt kennenlernt. Durchaus amüsant hingegen das Gegeneinander von Ziegenbock Hubsi und Marie, in dessen Stall sich die junge Frau kurzzeitig flüchtet, als ihre Cousine Marie wieder loshaben möchte. Flucht und Ruhe, Städterin und Almbewohnerin, Rettung am Berg und Sorgen drunten im Tal, Pechmarie und Goldmarie – Wild wuchern arbeitet mit vielen Dichotomien, die sich aber gut miteinander verbinden und mischen.

Ebendiese Mischung aus Themen, Tönen und Stimmungen, der untergründige Suspense und Köllers Gespür für die unterschiedlichen Register des Erzählens machen diesen Roman aus.

Fazit

So ist Köllers Roman ein Stück über weibliche Selbstermächtigung und Solidarität. Auch die die Ver- beziehungsweise Aufarbeitung von Traumata ist zentrales Thema in diesem Text, der sich manchmal fast überschlägt und doch in die Tiefe seiner Figur vordringt. Schnell erzählt, relevant und eindrucksvoll hat sich Katharina Köller speziell zu ihrem Erstling Was ich im Wasser sah noch einmal gesteigert, da dieser Buch in seiner ganzen Reduziertheit und Konzentration in Sachen Gestaltung das klare Gegenteil von Wild wuchern ist. Durch den klaren Fokus auf seine beiden Figuren entfaltet dieses Buch wirklich literarische Kraft!


  • Katharina Köller – Wild Wuchern
  • ISBN 978-3-328-60392-4
  • 204 Seiten. Preis: 22,00 €
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Wolf Haas – Wackelkontakt

Die Kunst, ein literarisches Möbiusband zu schmieden, sie stellt Wolf Haas in seinem neuen Roman Wackelkontakt eindrücklich unter Beweis. Wer sich vom psychedelischen Äußeren des Buchs nicht abschrecken lässt, der darf spätestens im Inneren dann so manches Mal am eigenen Verstand zweifeln. Denn Haas stürzt die Leserinnen und Leser in ein wildes Durcheinander aus einem im Zeugenschutzprogramm befindlichen Killer und einem Trauerreder mit reparaturbedürftiger Hauselektrik.


Die Zweifel setzen schon nach einigen Seiten ein: ist es wirklich ein Roman von Wolf Haas, den man hier liest? Wo ist er hin, der gestammelte Sound, der Haas vor allem mit seinen Brenner-Romanen bekannt gemacht, originell nur Hilfsbegriff? Auch in seinem letzten Roman Eigentum, der erstmals unter dem Dach des Hanser-Verlags erschien, hatte Haas wieder auf diesen markanten Stil zurückgegriffen, um mit der schnellen, schon fast schlampigen Art und Weise ein Buch zu erschaffen, um damit gegen das Sterben der Mutter des Erzählers anzuerzählen.

Nun also Wackelkontakt – und alles ist anders. Keine angerissenen Sätze, Ellipsen oder andere sprachliche Eigenwilligkeiten. Dafür ein Text, der fast ohne Austriazismen und den so unverkennbaren Haas-Stil auskommt, dafür ein Fließtext, der im wahrsten Worte fließt und mäandert.

Willkommen in Eschers Welt

Wolf Haas - Wackelkontakt (Cover)

Denn Haas erzählt zunächst die Geschichte eines Mannes mit dem sprechenden Namen Escher. Dieser sitzt in seiner Wohnung und wartet auf einen Elektriker. Die Zeit bis zur Ankunft des Elektrikers vertreibt er sich mit der Lektüre eines Buchs über einen jungen Mann namens Elio, der sich als Mafiakiller auf eine Kronzeugenregelung mit dem zuständigen Staatsanwalt eingelassen hat und nun danke eines Zeugenschutzprogramms untertaucht.

Mit seinem neuen Namen Marko Stainer beginnt dieser ein neues Leben -und plötzlich sind wir drin in dessen Geschichte, in die Haas übergangslos wechselt – und später immer wieder zurück. Denn auch der Mafioso liest ein Buch. Und dieses handelt von einem Trauerredner, der in seiner Wohnung sitzt und – man ahnt es schon: auf einen Elektriker wartet.

Es ist ein wirkliches literarisches Möbiusband, welches Wolf Haas hier webt und das an die optischen Täuschungen des niederländischen Künstlers M. C. Escher erinnert. Immer wieder gehen beide Erzählungen ineinander über, agieren die Figuren wechselweise und ganz am Ende sind wir wieder da, wo wir am Anfang schon waren, ohne allzu viel von der wilden Handlung des Buchs vorwegnehmen zu wollen.

Wolf Haas‘ Ausflug in die experimentelle Literatur

Die Erzählanordnung dieses Romans erinnert an andere Klassiker der experimentellen Literatur, allen voran natürlich Italo Calvino und dessen Roman Wenn ein Reisender in der Winternacht. Aber auch der jüngst erschienene Roman von Anthony Burgess wäre als Referenz zu nennen, der ebenso voll an undogmatischen Erzähleinfällen ist, wie es Wackelkontakt ist.

Alles ist ineinander verschachtelt und verschränkt und entwickelt sich auf dem doppelten Spielboden dann auch noch zu einem Mafiathriller, sodass die Hochspannung nicht nur im Stromkasten von Escher zuhause ist, sondern auch noch in einem wilden Ritt endet, in dem ein Aktienpaket eines digitalen Buchhändlers eine nicht unwichtige Rolle spielt.

Über allem bleiben aber immer Zweifel bestehen. Welche Geschichte ist nun die echte? Sind wir eher in der Welt des untergetauchten Mafioso zuhause, der über Escher liest – oder ist Eschers Welt die eigentliche, in der er sich in das Buch über den Mafioso im Zeugenschutz versenkt?

Oder ist es am Ende doch alles nur Trick 17 und Haas dreht uns eine lange Nase? Wackelkontakt lässt Deutungen zu und unterhält durch seine verschlungene Erzählweise hervorragend. Ein Mafiakiller unter Hochspannung, ein Elektriker unter Hochspannung und dazu noch der Trauerredner, der vom passiven Leser zum aktiven Helden der Geschichte wird – aber welcher von beiden denn nun?

Hier wackelt nichts

Mit Wackelkontakt weitet Wolf Haas sein Schreiben merklich und zeigt in der Wahl seiner Erzählmittel, zu welchem unterschiedlichen Mitteleinsatz er fähig ist. Hier nun der ineinander übergehende Fließtext, in dem der Humor, eines der entscheidenden Triebmittel seiner nachtschwarzen Krimis um Simon Brenner, hier nur vereinzelt aufblitzt. Aber es gibt sie, diese Blitze:

Die Wohnung lag im dritten Stock und erzählte ihm nicht viel über den Toten. Außer, dass er sich sogenannte Spots in die Zwischendecke gebaut hatte. Diese Beleuchtungskörper deprimierten Escher. Deckenspots erinnerten ihn an Leute, die Deckenspots hatten. In diesem Fall konnte er es aber verwinden, denn wer will einem Elektriker verbieten, sein Handwerk zu übertreiben.

Wolf Haas – Wackelkontakt, S. 142

Hochspannung in Sachen Komposition und Spannung im Plot, das sind die Merkmal dieses neuen Romans von Wolf Haas, der sich hier als versierter Schriftsteller zeigt, der ein metafiktionales Spiel mit seinen Leserinnen und Lesern spielt. Hier wackelt nichts, hier hat nichts Luft: Wackelkontakt passt und ist ein originelles Leseerlebnis!


  • Wolf Haas – Wackelkontakt
  • ISBN 978-3-446-28272-8 (Hanser)
  • 240 Seiten. Preis: 25,00 €
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Julia Jost – Wo der spitzeste Zahn der Karwanken in den Himmel hinauf fletscht

In diesem Frühjahr haben die langen Buchtitel Hochkonjunktur. Nach Owen Booth im vergangenen Jahr fordern heuer etwa Cho Nam-Joo , Saša Stanišić oder Slata Roschal die Tippfähigkeiten von Buchhändlern und Bibliothekarinnen heraus. Nun auch noch Julia Jost, die mit ihrem Debüt Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht einen modernen Heimatroman vorlegt, der den Mikrokosmos eines kärntnerischen Dorfs in einen großen Spielplatz der Sprache und Themen verwandelt.


Tu felix austria kann man nur immer wieder ausrufen. Die Alpenrepublik schafft es in erstaunlich hoher Schlagzahl, immer wieder neue und vielversprechende Autor*innen hervorzubringen, die sich sprachmächtig mit ihrer Heimat befassen und eine neue Form der Heimatliteratur schreiben, die sich mit dem Althergebrachten, der Region, ihren Menschen beschäftigt, dabei aber auch die Verstrickung in die Vergangenheit und die dunklen Seiten der Heimat nicht vergisst.

Raphaela Edelbauer, Leander Fischer, Valerie Fritsch, Helena Adler, Vea Kaiser oder Johanna Sebauer sind nur einige Namen in dieser Riege junger österreichischer Autor*innen, die sich in den letzten Jahren mit dörflichen Gemeinschaften und dem Miteinander unterschiedlichster Figuren auseinandersetzten.

Auch Julia Jost reiht sich nun mit ihrem wirklich außergewöhnlich betitelten Debütroman in diese Riege ein. Denn ihr gelingt mit Wo der spitzeste Zahn der Karwanken in den Himmel hinauf fletscht ein Roman, der vielleicht nicht ganz so sprachverliebt wie die Edelbauer, Fritsch oder Fischer, dafür aber erstaunlich reichhaltig an Themen und Setzungen ist.

Den erzählerischen Rahmen bildet ein Umzugstag, den die junge Erzählerin im heimischen Garten des Gratschbacher Hofs neunzehnhundertvierundneunzig erlebt. Dieser in Kärnten gelegene Gasthof befindet sich in der Nähe der Karwanken, die sich in der Entfernung von gut vierzig Kilometer auftürmen. Mit der Zeit dort auf dem Hof ist es eigentlich schon vorbei, als der Roman einsetzt, denn die Familie will umziehen.

Ein Umzug steht an

Und so schleppen Umzugshelfer Kiste um Kiste, aus dem Zuhause dort, das die Mutter mit Möbeln an- oder besser gesagt schon überfüllt hat. Alle kommen sie noch einmal zum Abschied um beim Umzug zu unterstützen, vom Dorfpfarrer Don Marco bis zu der Generation der Großeltern, die den Hof dort am Fuß der Karawanken begründet haben und den Umzug partout nicht verstehen können. Es ist ein großes Hallo, das die Erzählerin aus der Distanz unter einem LKW heraus beobachtet, wo ihr nur ein schnüffelnder Rauhaardackel Gesellschaft leistet.

Julia Jost - Wo der spitzeste Zahn der Karwanken in den Himmel hinauf fletscht  (Cover)

Durch die Fülle an Gestalten, die sich auf dem Hof die Klinke in die Hand geben entsteht ein erzählerischer Reigen, der die Figuren, den biografischen Hintergrund der Erzählerin und damit auch die Gegend, in der Josts Geschichte spielt, näher definiert und ausgestaltet.

Wo der spitzeste Zahn der Karwanken in den Himmel hinauf fletscht ist reich an Themen. Die Vergangenheit einer Figur als Partisanenkämpfer im slowenischen Teil des Karawankengebirges ist ebenso Thema der Erzählung wie der kaum verborgene Faschismus, der sich auch im Jahr 1994 noch als erstaunlich widerstandsfähig und hartnäckig erweist.

Von der Zeit des Zweiten Weltkriegs bis in die erzählte Gegenwart hinein bildet dieser Faschismus ein Kontinuum, das von alkoholgeschwängerten Besäufnissen, Gedenken an die gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs und Weltkriegsdevotionalien bis zu einem Foto von Kurt Waldheim im Klassenzimmer der Erzählerin reicht. Es ist ein Kontinuum, das man von dem von Jost gezeichneten Bogen mühelos auch bis hinein in die Gegenwart weiterspannen könnte, in der die rechtsextremistische FPÖ kurz vor ihrem Wahlsieg bei den diesjährigen Nationalratswahlen steht.

Partisanen, Rechtsextremismus und Tod im Dorf

Aber auch der Tod als Thema ist präsent in diesem Roman. Das Erwachen der eigenen Sexualität, die den landläufigen Vorstellungen entgegensteht, das Verhältnis zur Tochter des bosniakischen Kustos des Gratschbacher Hofs, die Volksfrömmigkeit, die Konzentration auf das Wirtshaus als mindestens der Mittelpunkt des Dorfs, wenn nicht gar der Welt, von all diesen Themen erzählt Julia Jost in ihrem Debüt, das die Fülle an Themen und Figuren durch den engen erzählerischen Rahmen des einzelnen Tages gut eingebunden bekommt.

Verliert dieser so hochtourig beginnende Roman vielleicht grob aber der Hälfte des Buchs auch etwas an erzählerischer Spannkraft, ist Wo der spitzeste Zahn der Karwanken in den Himmel hinauf fletscht dennoch ein famoses Debüt, das zeigt, wie moderne Heimatliteratur aussehen kann und mit dem sich Julia Jost einen Platz in der vorderen Reihe der österreichischen Erzähltalente sichert.

Weitere Stimme zu Josts Debüt gibt es auch bei Juliane vom Blog Poesierausch und dem Blog Bücheratlas, die sich ebenfalls dem Buch gewidmet haben. Auch Alexander Carmele widmet auf dem Blog Kommunikatives Lesen Julia Josts Roman eine vertiefende Analyse.


  • Julia Jost – Wo der spitzeste Zahn der Karwanken in den Himmel hinauf fletscht
  • ISBN 978-3-518-43167-2 (Suhrkamp)
  • 231 Seiten. Preis: 24,00 €
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Maja Haderlap – Nachtfrauen

Frauen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Emanzipation und Nachfolge, Kärnten und Slowenien. Maja Haderlap gelingt mit ihren neuen Roman Nachtfrauen ein präziser Blick auf die slowenische Minderheit in Kärnten und ein literarisch überzeugendes Porträt verschiedener Generationen von Frauen.


Passend zur Patenschaft der Frankfurter Buchmesse mit dem Gastgeberland Slowenien im vergangenen Jahr erschien im Herbst 2023 auch der neue Roman von Maja Haderlap. Endlich, kann man sagen, denn die Autorin hatte lange nichts mehr von sich hören, geschweige denn lesen lassen. Eine Rede anlässlich des Staatsaktes für den hundertsten Geburtstag der österreichischen Republik im Jahr 2018, vor zehn Jahren ein Gedichtband, das war es dann aber in Sachen vernehmlicher Äußerungen in der Öffentlichkeit.

Umso schöner, dass das Warten nun ein Ende hat und mit Nachtfrauen endlich wieder ein Roman vorliegt, der Haderlaps Profession als Lyrikerin nicht verhehlen kann – und es zum Glück auch nicht will. Denn der Grenzgängerin zwischen slowenischer und österreichischer Literatur gelingt ein Roman, der präzise Menschen zeichnet, Grenzen erkundet und literarisch durch seine Zurückhaltung und Präzision punktet.

Eine Heimkehr nach Südkärnten

Der Inhalt ist dabei schnell erzählt. So kehrt Mira heim nach Südkärnten, wo sie ihre Mutter besucht. Dort, fernab von Wien, wo sie mit ihrem Mann lebt und als Referentin arbeitet, bedeutet die Heimkehr zugleich auch den Abschluss eines prägenden Kapitels ihres Leben. Denn ihre Mutter soll auf Wunsch ihres Neffen aus dem Hof ausziehen, in dem sie aufwuchs und der auch Miras Zuhause war, in dem sie den prägenden Teil ihres Lebens verbrachten.

Maja Haderlap - Nachtfrauen (Cover)

Aus dem Hof soll eine Schreinerei werden – und Miras Mutter in ein altersgerechtes neues Zuhause umziehen. So ist es zwischen Mira, ihrem Bruder Stanko und dem Cousin besprochen. Nur die Mutter weiß noch nicht viel von den Plänen, weshalb es nun an Mira ist, ihr diese Nachricht schonend beizubringen.

Vieles wirbelt ihre Heimkehr nach Südkärnten dabei auf. Das nicht einfache Verhältnis zu ihrer Mutter (womit sich Haderlap in eine ganze Reihe an Elternbüchern einreiht, am augenfälligsten für mich dabei die Verwandtschaft von Nachtfrauen mit der Mutterhommage Eigentum ihres österreichischen Landsmannes Wolf Haas), die Beziehung zu Miras Mann und einer alten Jugendliebe, die natürlich prompt wieder aufflammt, die Zerrissenheit von Mira – und die von ihrer eigenen Mutter, die im zweiten Teil des Buchs dann in den Vordergrund gerückt wird.

Zwischen Slowenien und Kärnten

Denn neben aller gar nicht buchentscheidenden Handlungen ist es vor allem die Frage der Herkunft und Identität, die für mich in Haderlaps Buch im Vordergrund steht. Wie die Autorin selbst sind auch ihre Figuren dort am Fuße der Karawanken binational, entzweigerissen zwischen ihrem arrivierten Leben in Österreich und der slowenischen Vergangenheit. Eine Zerrissenheit, die sich nicht nur, aber am augenscheinlichsten in der Mehrsprachigkeit ausdrückt, in die auch Mira wieder zurückfällt, als sie nun nach Hause zurückkehrt.

Nachtfrauen erzählt von unterschiedlichen Generationen von Frauen, von erlebten Kriegsgräuel, von Emanzipation und der Frage, wo man im Leben eigentlich wirklich hingehört. Wie sie das tut, das ist das Buchentscheidende, das die ganze Klasse dieses Werks ausmacht. Haderlap erzählt in einer reduzierten, genau gesetzten Sprache, die auf den ersten Blick vielleicht trügerisch einfach sein mag, dahinter aber erst in ihrer Klasse aufscheint. Mit dieser genau gesetzten Prosa offenbart die Lyrikerin viele Geheimnisse und Sehnsüchte im Leben oder berührt diese zumindest – vom Glauben bis hin zur Liebe.

Da ist kein Wort zu viel, da ist genug Raum für das Dazwischen, die nicht ausgesprochenen Wort, ungetanen Taten und ungelebten Träume. Ebenso wie die im selben Verlag erscheinende Marion Poschmann, denen beiden die Herkunft als Lyrikerinnen gemein ist, ist auch bei Maja Haderlap alles genau bedacht und sprachlich wunderbar durchgearbeitet. Zart und doch dicht, so ist diese Literatur, der ich hier begegnen durfte.

Fazit

Es ist keine bahnbrechend neue Geschichte, das Thema von Nachtfrauen alt. Die Erzählweise aber, sie ist es, die so überzeugt und der ich persönlich auch bei der Wahl des Österreichischen Buchpreises den Vorzug vor dem ebenfalls nominierten Clemens J. Setz gegeben hätte, ist hier doch alles so viel präziser und genau gerahmt.

Eine wirkliche Entdeckung. Dass sich Maja Haderlap so viel Zeit gelassen hat für einen neuen Titel, bei der Lektüre von Nachtfrauen wird das evident. Genau gesetzt und sich ihrer erzählerischen Mittel sehr sicher erzählt sie großartig gesetzt von verschiedenen Generationen an Frauen und deren Lebenswegen. So bringt sie die slowenische Minderheit Kärntens hierzulande ins öffentliche Bewusstsein. Großartige Gegenwartsliteratur aus Österreich!


  • Maja Haderlap – Nachtfrauen
  • ISBN 978-3-518-43133-7 (Suhrkamp)
  • 294 Seiten. Preis: 24,00 €

Das Buch kaufen: ich empfehle die unabhängige Internetbuchhandlung YourBookshop, bei der man auch gleich noch den lokalen Buchhandel unterstützen kann.

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Wolf Haas – Eigentum

Was bleibt vom Leben nach dem Tod? Und wie ist das mit dem alten Versprechen, jeder könne sich ein Eigentum verschaffen, wenn er sich nur anstrengt und spart? Wolf Haas macht in autofiktionale Manier Inventur und betrachtet das Leben seiner Mutter – und das was am Ende bleibt.


Sie ist an ihrem eigenen Ende angekommen, die Mutter des Erzählers, der auf den Namen Haas hört. Er hat sich ins Altersheim zu ihr begeben, um ihr auf den letzten Metern Gesellschaft zu leisten. Sie, die sie sich in ihren eigenen Erinnerungen verirrt, ihrem Leben und ihrer Lebensleistung will Haas nachspüren, oder wie er es in seinem typischen Stil schildert, den man so auch von seinen Brenner-Romanen oder Werken wie Das Wetter vor 15 Jahren kennt:

Dafür muss ich jetzt ihr Leben nachstricken. Aus einem inneren Zwang heraus. Bis zum Begräbnis bin ich fertig, und dann bin ich es los, die Erinnerung und alles. Ein schneller Text. Und weg damit. Ein Text, der davon lebt, dass er mit dem Tod um die Wette rennt (nur noch zwei Tage). Keine Zeit für Formulierungen. Oder Selbstzensur. Gratuliere, super Idee.

Wolf Haas – Eigentum, S. 9

Und so springt Haas immer wieder hin und her, zwischen den Lebenserinnerungen seiner Mutter, die einst aufgrund ihres Intellekts die Schule und anschließend einen Servierkurs besuchen durfte, ehe der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs alle geplanten Lebensläufe zerstörte. Er selbst reist den Orten ihres Lebens nach, besucht ein Hotel in der Schweiz, in dessen Zwillingsgebäude seine Mutter nach einem Dienst beim Flugwachkommando diente und versinkt während des Besuchs im Altersheim und an prägenden Lebensstationen immer wieder in eigenen Erinnerungen und gedanklichen Abschweifungen, sollte er eigentlich doch auch sein Programm einer Poetikvorlesung langsam zu Ende bringen, von dem aber nichts außer der Titel steht.

Ein typischer Wolf Haas-Roman

Eigentum ist ein typischer Wolf Haas-Roman, auch wenn hier keine eigentlicher Plot im Sinne eines seiner Krimis um Simon Brenner im Mittelpunkt steht. Aber der Plot, um ihn ging es Wolf Haas ja erkennbar wenig in seinen bisherigen Büchern. Vielmehr zelebrieren seine Titel ja schon immer das Abschweifen der Gedanken und das Ausweichen vor allzu dicken roten Erzählfäden.

Wolf Haas - Eigentum (Cover)

Wie schon beim Interview, das den Rahmen seines Romans Das Wetter vor 15 Jahren bildete und in dessen Verlauf sich erst langsam die Handlung herausschälte oder bei seiner phlegmatischen Kultfigur Simon Brenner geht es auch hier ähnlich umständlich zu. Haas‘ Sätze stehen für sich bisweilen markant schief und krumm da und enteilen der erzählten Gegenwart immer wieder in die Erinnerung (was er ja in der Einleitung seines Romans selbst schon so als literarisches Konzept formuliert und absolut einhält).

Es ist auch der Humor, der typisch für das Schreiben des österreichischen Autors ist. So weckt etwa das greise Wegschlummern vor den vollen Suppentellern im Altersheim beim Erzähler Assoziationen zu einer alten Werbekampagne aus England, in der gewarnt wurde: „Vorsicht, die meisten Menschen ertrinken in seichten Gewässern!“

Oftmals erscheint der schwarze Humor als Bewältigungsmittel der eigenen Hilflosigkeit, um das absehbare Sterben der eigenen Mutter irgendwie zu verarbeiten. Bisweilen erfährt Haas als Erzähler sogar die Gültigkeit von Friedrich Nietzsches Worten der Tragödie, die sich als Farce wiederhole, etwa wenn er im noblen Schweizer Hotel auf Spuren seiner eigenen Mutter mit den vom Mund abgesparten Schweizer Franken zahlen möchte, nur um festzustellen, dass diese nach einer Währungsreform gar nicht mehr gültig sind.

Ein Mutterbuch aus Sohnperspektive

In solchen Momenten verbinden sich Humor, Lebenserinnerung und Einfühlen in die eigene Mutter ganz großartig. Überhaupt: Eigentum ist ein Mutterbuch aus Sohnperspektive, das die Fülle der Vaterschaftsbücher in letzter Zeit gut kontrastiert. Haas spürt hier dem Leben einer Frau nach, die beständig im Clinch mit anderen Menschen ihres Dorfes dort irgendwo in der Mitte Österreichs lag. Und deren Lebensmotto eines war, nämlich Sparen, Sparen, Sparen – stets mit dem großen Ziel des Erwerbs von Immobilieneigentum vor Augen.

So sammelte sie schon während ihrer Zeit als Servierkraft in der Schweiz beständig Franken, um sie nach Hause zu schicken, wo von dem Geld ein Haus errichtet werden sollte. Immer wieder war die Wohnsituation Thema, war die Wohnung mit achtundzwanzig Quadratmetern zu klein für die vierköpfige Familie, schrieb Haas‘ Mutter an Behörden, rackerte und sparte sich ab, um wie Sisyphos immer wieder die Unmöglichkeit ihres Traums vor Augen gestellt zu bekommen, schon etwa durch die Erfahrungen der Hyperinflation in ihrem eigenen Geburtsjahr 1923, die für eine Entwertung sämtlicher Vermögen sorgte.

Der Quadratmeterpreis ist immer einen Schritt voraus

Wenn es eine Erkenntnis gibt, die dem Leben dieser Frau innewohnte, dann der, das man sich mühen und eilen kann, wie man möchte, der Quadratmeterpreis, er ist einem stets einen Schritt voraus. Das zeigt Wolf Haas in den Erinnerungen, in der dieses Phantasma eines eigenen Heims immer wieder Thema war und an dessen Ende tatsächlich die eigene Immobilie steht. Nur befindet sie sich jetzt auf dem Friedhof in Form von circa 1,7 Quadratmetern, dafür mit unverstellter Bergsicht, wie der Erzähler in einem dieser Momente hilflos-schwarzen Humors feststellt

Was bleibt am Ende? Dokumente und Formulare, Geldnoten und das letzte Eigentum sind es, die dem Erzähler von seiner eigenen Mutter bleiben und die sich in diesem Wettlauf zwischen Text und Tod herauskristallisieren. Die Schreiben und das Geld entwerten sich und das Eigentum, es ist auch ein flüchtig Ding, frühestens, wenn die Bank zur Räumung der Immobilie auffordert, spätestens, wenn es ans Sterben geht. Eigentum ist möglich, aber nicht für „einfache“ Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Nicht damals, nicht heute. Das ist die bittere Erkenntnis, die Eigentum innewohnt.


  • Wolf Haas – Eigentum
  • ISBN 978-3-446-27833-2 (Hanser)
  • 160 Seiten. Preis: 22,00 €
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