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Slata Roschal – Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten

Eine Frau sitzt in ihrem Hotelzimmer und reflektiert über ihr Leben als Mutter, Übersetzerin und Ehefrau. Mit Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten legt die Schriftstellerin Slata Roschal eine wenig hoffnungsfroh stimmende Lektüre vor, die durch ihre pointierten Betrachtungen und Sentenzen überzeugt.


Im Februar 2022 erschien im fränkischen Indie-Verlag homunculus das Debüt von Slata Roschal. In 153 Formen des Nichtseins unternahm die Erzählerin eine identitätspluralistische Eigenerkundung, die auch die Jury des Deutschen Buchpreises überzeugte. Sie wählte den Roman vor zwei Jahren auf die Longlist des Preises.

Nun liegt zwei Jahre später der neue Roman von Slata Roschal vor. Der Verlag hat gewechselt, die Kreativität in Sachen Titelfindung ist geblieben Und auch inhaltlich gibt es einige Berührungspunkte mit der Introspektion in Roschals Debüt. Denn auch in Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten geht der Blick hauptsächlich nach innen und bringt die verschiedenen Facetten der Ich-Erzählerin zum Vorschein.

Selbsterkundungen einer Frau

Dies geschieht, während sich die Übersetzerin in ihrem Hotelzimmer in Berlin befindet. Schon lange ist sie nicht mehr ohne ihren Mann und die zwei kleinen Kinder Laura und Eliah verreist. Doch nun ist das Bedürfnis nach Abstand von ihrem Alltag als Mutter und Übersetzerin am Rande eines prekären Beschäftigungsverhältnisses zu übermächtig geworden, als dass sie es weiter hätte ignorieren können. Getrennt von ihrer Familie möchte sie ein Seminar besuchen und während ihres Aufenthalts einen Brief an die Familie verfassen.

Dieser Brief ist ein Stück weit auch das Gegenmodell zu den Briefen, mit denen sie sich während ihres Aufenthalts in Berlin beschäftigt. Denn wo die historischen Auswandererbriefe von dem Bedürfnis nach Weite, neuen Erfahrungen und der Sehnsucht nach der Familie zuhause erzählen, da geht es der Erzählerin deutlich anders.

Sie fühlt sich eingeengt durch ihre Rolle als Mutter, die ihr wenig sinnstiftend und vielmehr überfordernd vorkommt. Denn wo andere Mutterschaft als Erfüllung ihrer Bedürfnisse sehen, verhindert für die Übersetzerin ebenjene Mutterschaft ihre eigenen Bedürfnisse, sodass das einzige, das angesichts von Unmengen an Care-Arbeit bleibt, lackierte Fingernägel sind, wie sie an einer Stelle des Buchs bitter feststellt.

Regretting Motherhood?

Überhaupt, dieser Blick auf Mutterschaft, er ist wenig von Freude, vielmehr von einem Gefühl der Erschöpfung und Überforderung geprägt. Die Erzählerin selbst überlegt, ob sie sich schon dem Phänomen der Regretting Motherhood zurechnen kann und findet für den eigenen Seelenzustand drastische Bilder:

Fühle mich wie ein morscher Baum, wie ein gefällter Baum, irgendwo im Sumpf, der so gut wie nicht mehr existiert, von dem sich neue Wesen nähren, Pilze, Moose, lassen ihre Wurzeln in ihn treiben, ziehen seine Säfte in ihre eigenen Körper, er hat seinen Sinn darin, einzugehen für neue Leben und von ihm selbst bleibt irgendwann nichts übrig.

Slata Roschal – Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten

Es ist eine Lektüre, die die Übersetzerin selbst in die Nähe anderer weiblicher Wutausbrüche und Überforderungsanklagen stellt, indem sie beispielsweise im Text selbst auf ein im Rowohlt-Verlag erschienenes Buch anspielt, in dem sich eine Mutter eines Abends aus dem Fenster stürzt. Doch neben der so indirekt zitierten Mareike Fallwickl wären über die deutsche Sprachgrenze hinweg auch Rachel Yoder, Doireann Ní Ghríofa oder vor allem Sarah Moss als Bezugspunkte dieses Romans zu nennen.

Herkunft, Mutterschaft, Überforderung als Themen des Romans

Neben der Reflektion ihrer eigenen Mutterschaft und ihrem Dasein als Ehefrau, Mutter und Übersetzerin ist es auch die eigene Herkunft, sowohl in familiärer als auch soziologischer Hinsicht, die sie als Tochter von Ausländern, so die Selbstbezeichnung, beschäftigt. Das Gefühl von Fremdheit und die Veränderungen in Bezug auf die eigenen Eltern sind Themen, die in dieser traurig-wütend-resignativ-selbsterkundenden Suada verhandelt werden.

Mag dem Ganzen zum Ende hinweg auch etwas die Luft ausgehen, so ist Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten doch ein durchaus eine literarisch interessante, wild sprudelnde Erkenntnissuche in Form einer Selbsterkundung, bei der man in Sachen und Verve, Rhythmik und inhaltlicher Polyphonie genau das sagen kann, was die Erzählerin über den Aufruhr in ihrem Inneren konstatiert:

All die Geister, die mich bevölkern, wütend mit den Fäusten drohen, Strafen prophezeien, oder mitleidig, ironisch kommentieren, manchmal glaube ich, ich sei ein Rahmen, eine Hülle für die Stimmen, die es sich bequem machen in mir, von meinen Ängsten zehren, dämonische Bewohner, werde von innen ausgehöhlt, aufgefressen.

Slata Roschal – Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten

  • Slata Roschal – Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten
  • ISBN 978-3-546-10076-2 (Claassen)
  • 176 Seiten. Preis: 22,00 €
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Sara Mesa – Eine Liebe

Das Landleben, es wirkt nicht nur auf deutsche Autor*innen anziehend, auch in Spanien gibt es das Phänomens des Dorfromans. Das beweist Eine Liebe, der neue Roman von Sara Mesa. Darin schickt sie eine Übersetzerin in eine kleines Dorf im spanischen Nirgendwo und konfrontiert sie mit sehr speziellen Männern und Tieren.


Das Dorf, in das es die Erzählerin Nat verschlägt, trägt den sprechenden Namen La Escapa. Es handelt sich dabei um einen winzigen Weiler, der umgeben von einer kargen Landschaft im Schatten des Glauco, eines massiven Bergs, seine Existenz fristet. Dort in diesen winzigen Weiler zieht sich die Übersetzerin zurück, um an einer Übertragung aus dem Französischen zu arbeiten. Doch auch das Erlebte aus der jüngeren Vergangenheit hat einen entscheidenden Einfluss auf den aktuellen Rückzug.

Das Haus, welches sie bezieht, ist nicht anders als eine Bruchbude zu bezeichnen. Der Wasserhahn leckt, die Bohlen sind von der Feuchtigkeit verzogen, das Dach undicht, der Garten verwildert und kaum fruchtbar. Und dennoch knüpft der unverschämte Vermieter Nat viel Geld für die Baracke ab, das sie ihm eingeschüchtert von seiner Präsenz monatlich aushändigt. Immer wieder taucht er unverhofft auf, bedrängt Nat und fällt mit einem übergriffen Verhalten auf, die sie ihm verängstigt und unterwürfig durchgehen lässt.

Ein unverschämter Vermieter

Unversehens taucht der Vermieter bei ihr auf – sie hatte ihn vollkommen vergessen. Wie gewohnt starrt er ihr ungeniert auf die Brüste, lässt dabei keinen Zweifel an an seiner Überlegenheit und Unverschämtheit. Nat hat das Geld nicht parat. Normalerweise hebt sie an einem Automaten in Petacas so viel ab, wie sie gerade braucht, aber als sie das letzte Mal dort war, hat sie nicht dran gedacht. Sie entschuldigt sich. Sagt, sie habe viel zu tun gehabt. Und ihn nicht schon wieder erwartet. Die Zeit vergehe einfach unglaublich schnell. Er blickt sie von der Seite an, presst die Lippen aufeinander, bis sie fast nicht mehr zu sehen sind. (…)

Wenn sie ihm das Geld überweisen könnte -die normalste Sache der Welt-, würde das alles nicht passieren. Oder wenn er wenigstens Bescheid geben würde, bevor er auftaucht, statt sich wie aus heiterem Himmel mit den Rechnungen in der Hand vor ihr aufzubauen, als hätte sie nichts anderes zu tun, als den ganzen Tag mit dem abgezählten Geld in einem Umschlag auf ihn zu warten. Diese Antworten kommen ihr aber erst im Nachhinein. Jetzt macht er es ihr durch sein Auftreten unmöglich, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Seine immer schmaler werdenden Lippen. Der funkelnde Blick. Die großtuerisch vor der Brust verschränkten Arme.

Sara Mesa – Ein Liebe, S. 120

Beistand findet sie im alten Hippie Píter, der Nat seine Hilfe anträgt, aber auch durch eigenwilliges Verhalten und abrupte Stimmungswechsel überrascht. Mal drängt er ihr Hilfe auf, mal äußert er sich verächtlich über Nachbarn oder den Vermieter, dann sucht er wieder Nats Nähe. Ebenso widersprüchlich wie Píter ist auch das Verhalten von Sieso, einem wilden Hund, den Nat gerne zähmen möchte und ihn nachts in ihrem Garten anbindet.

Ein unmoralisches Angebot

Sara Mesa - Eine Liebe (Cover)

Auch mit diesem Tier ist die Interaktion schwierig, fasst der Hund doch kaum Zutrauen, sucht mal das Weite, dann wieder Nats Nähe. Und auch bei Andreas, dem von anderen „Der Deutsche“ geheißenen Mann ist dieses Verhalten beobachtbar. Er wird im Dorf gemieden und argwöhnisch beäugt. Píter verachtet den Mann und bezeichnet ihn aufgrund dessen nicht vorhandenen sozialen Kompetenzen einen Autisten.

Mit ihm beginnt Nat eine Affäre, die unter denkbar eigenwilligen Voraussetzung mit einem unmoralischen Angebot ihren Ausgang nimmt. Denn nachdem sich das Dach von Nats Unterkunft als bei Regen sehr durchlässig erweist, weigert sich der Vermieter in irgendeiner Form den Mangel zu beheben. Andreas bietet ihr seine Hilfe bei der Reparatur an. Seine Forderung: Sex gegen Arbeit. Ein Agreement, auf das sich Nat nach einigem Nachdenken einlässt und aus dem sich eine im Dorf argwöhnisch beäugte Affäre entwickelt. Und dennoch kommt Nat diesem rätselhaften und widersprüchlichen Mann nicht wirklich näher.

Ein Buch voller widersprüchlicher Figuren

Eine Liebe ist eine Buch, das von der Widersprüchlichkeit handelt. Das beginnt bei der Tat, die Nat zu ihrem Zuzug nach La Escapa bewogen hat, setzt sich in ihrem eigenen Verhalten gegenüber dem unverschämten Vermieter oder Andreas fort und ist jeder Figur in diesem Buch eingeschrieben. Sei es Mensch oder auch Tier, viele Figuren in diesem Buch fassen einem Moment Zutrauen, dann aber zeigen sie sich wieder abweisend oder aggressiv beißen – im übetragenen Sinn und wörtlich.

Auch ist der Stil dieses Romans bemerkenswert. Figuren und Prosa sind hier ebenso karg wie die unwirtliche Landschaft, die La Escapa umgibt. Wirkliche Liebe, ein dörfliches Miteinander oder Harmonie sind hier kaum zu entdecken und höchstens in Ansätzen vorhanden. Stattdessen lebt in La Escapa jeder für sich, verachtet die Nachbarn, ist unfreundlich und macht des dem Dorfneuling Nat nicht wirklich einfach, die zudem auch mit ihrer Übersetzung kämpft.

Wenn der Klappentext des Buchs bemerkt, dass Sara Mesa auf den Luxus von Details verzichtet, dann ist das mehr als zutreffend, auch wenn ich persönlich Details nie als erzählerischen als Luxus sehen würde. Aber die Kargheit ist diesem Buch auf jeder Seite eingeschrieben (ins Deutsche übertragen durch Peter Kultzen). Auch das erratische und widersprüchliche Verhalten der Figuren wird letzten Endes auch nicht durch die Psychologie der Figuren erklärt, sondern steht einfach unaufgelöst für sich. Alles in Sara Mesas Buch ist staubig, schmutzig und wenig wohnlich eingerichtet.

Fazit

Mit La Escapa entwirft Sara Mesa ein Dorf, in das man nicht wirklich gerne ziehen möchte. Sie schreibt einen Dorfroman, der durch seine Unbehaustheit und seinen schonungslosen Blick auf das gesellschaftliche Miteinander oder eher Gegeneinander im spanischen Hinterland besticht.

Mit Eine Liebe gelingt es Sara Mesa, die Schroffheit der Umgebung und das karge Leben dort in Prosa zu überführen. Sie zeigt widersprüchliche Figuren und deren schwieriges Miteinander und liefert so einen Dorfroman, der frei von Klischees oder romantischer Verblendung ist. Eine Liebe fällt eher das Genre des Anti-Dorfromans. Denn wer dieses Buch gelesen hat, der überlegt sich den Umzug in ein Dorf vom Schlage La Escapa im spanischen Hinterland sicherlich noch einmal gut.


  • Sara Mesa – Eine Liebe
  • Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
  • ISBN 978-3-8031-3351-9 (Wagenbach)
  • 192 Seiten. Preis: 23,00 €
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Idra Novey – Wie man aus dieser Welt verschwindet

Am 4. Dezember 1926 erhielt die Sekretärin der Autorin Agatha Christie einen Brief. Darin teilte sie mit, dass sie zur Kur nach Yorkshire fahren wolle. Zuvor gab es schon massive Probleme in der Beziehung von Agatha Christie und ihrem Mann. Dieser pflegte Affären und hatte sie über Monate hinweg mit seiner Golfpartnerin betrogen. Als dies aufflog, trat Christie die Flucht an.

Doch in dem Hotel, das sie in ihrem Schreiben angegeben hatte, kam die britische Starautorin nie an. Man fand an jenem 4. Dezember das Auto von Christie am Rande eines Sees, in dem sie in einem ihrer Bücher schon eine Figur umkommen ließ. Auf der Rückbank des Autos befanden sich der Mantel der Autorin, ihr Führerschein sowie ein Koffer. Was war mit Agatha Christie geschehen?

War sie einem Mord zum Opfer gefallen? Hatte Agatha Christie eventuell Suizid begangen? Oder war war alles nur inszeniert, um von dem Gerede über die Beziehung von Christie und ihrem Gatten abzulenken?

Eine großangelegte Suche nach der Autorin setzte ein, in der sogar der Innenminister Stellung bezog. Auch ihre Schriftstellerkollege Arthur Conan Doyle stürzte sich mit Begeisterung in die Suche nach seiner Kollegin. Als leidenschaftlicher Anhänger des Spiritismus befragte er auch ein Medium und erhielt die Botschaft, dass Christie noch am Leben sei.

Schlagzeile über Christies Verschwinden

Tatsächlich fand man die Autorin elf Tage nach dem Eintreffen des Briefs wohlbehalten in einem Hotel in Harrogate. Dort tanzte Agatha Christie Charleston und gab an, sie sei eine Touristin aus Südafrika. Sie blieb auch nach ihrer Enttarnung bei dieser Version. Sie behauptete, an Amnesie zu leiden und nicht zu wissen, was in den entscheidenden elf Tagen passiert sei. Auch in ihrer Autobiographie sparte sie jene elf Tage aus. Bis heute ist nicht ganz geklärt, wie sich der Ablauf des Verschwindens der Autorin ganz genau gestaltete.

Zum Nachteil sollte dieser Trubel der Autorin nicht gereichen. Schließlich sorgte die Episode für einen großen Popularitätsschub und kurbelte die Verkaufszahlen der Bücher von Agatha Christie ordentlich an. Nun war die Schöpferin von Hercule Poirot und Miss Marple zu einer Ikone geworden. Schließlich hätte auch das turbulente Privatleben und diese Episode Teil eines ihrer Kriminalromane sein können …

Eine Autorin verschwindet

An diese Geschichte musste ich denken, als ich Wie man aus dieser Welt verschwindet von Idra Novey (Übersetzung von Barbara Christ) las. Dieser Plot: eine erfolgreiche brasilianische Schriftstellerin verschwindet. Zuvor war sie in einen Baum geklettert, doch dann verlieren sich die Spuren. Niemand kann sich das Verschwinden so recht erklären. Kinder, Verlag, Übersetzerin, sie alle sind ratlos. Die Öffentlichkeit verfolgt begierig die Suche und die Bücher der Autorin erfahren eine ganz neue Nachfrage.

Idra Novey - Wie man aus dieser Welt verschwindet (Cover)

Bis auf die Baum-Episode könnte man in der Erzählung den Namen von Noveys Autorin Beatriz Yagoda und den von Agatha Christie austauschen, die Geschichte würde immer noch funktionieren. Doch wohin hat es Beatriz Yagoda verschlagen? Wie achtzig Jahre zuvor bei Agatha Christie herrscht hier auch zunächst Unsicherheit. Ist die Autorin freiwillig verschwunden, oder ist sie das Opfer eines Verbrechens geworden? Wo liegt das Motiv hinter dem Verschwinden?

In die Suche nach der Autorin und ihrem Motiv bindet Idra Novey vier Charaktere ein, die alle in Beziehung zu der brasilianischen Autorin stehen. Da sind zum einen ihre beiden Kinder, dann ihr Verleger sowie ihre amerikanische Übersetzerin. Diese gehen alle auf ihre eigene Art und Weise den Spuren nach.

In der Konstruktion zeigt sich auch schon die Eigenheit von Idra Noveys Roman. So springt die Autorin immer wieder von Figur zu Figur, gönnt sich für die Erzählung selbst aber nur 266 Seiten. Der geneigte Leser ahnt es schon: hier wirds hektisch, es wird viel angerissen und hingetupft. Ein wirklich erzählerischer Fluss mit ein oder mehreren starken Figur, die sich im Gedächtnis verankern, der entsteht leider durch die erzählerische Knappheit der Anlage nur im Ansatz.

Eine Dichterin schreibt einen Roman

Idra Novey hat sich mit Gedichten und Kurzprosa einen Namen gemacht, so kündet es der Klappentext. Schon mehrere Gedichtbände sind von ihr erschienen, darunter The next country (2008) und Civilian (2011). Diese Verhaftung in der kurzen Form, das merkt man auch Wie man aus dieser Welt verschwindet sehr stark an. Selten reicht ein Kapitel über drei Seiten hinaus; ein immer wieder auftretendes Stilmittel sind Einwürfe. So tauchen E-Mails und Wörterbucheinträge auf, die den Text unterbrechen, so aber auch eine Struktur schaffen. Auch in der Sprache selbst ist viel Poesie und durchaus auch Stilwillen (der für meinen Geschmack manchmal etwas am Ziel vorbeischießt, dies aber nicht in dramatischem Umfang). Man merkt aber schon deutlich, dass Novey in der kurzen Form und Miniatur am stärksten ist.

Auch die Themenfindung des Buches kann man, insofern man das möchte, gut aus der Autobiographie der Autorin ableiten. So stammt Idra Novey zwar nicht aus Brasilien, das im Buch eine zentrale Rolle spielt, aber die in Pennsylvania geborene Autorin übersetzt aus dem Spanischen und Portugiesischen. Eine Portugiesisch-Übersetzerin aus Amerika zur Heldin des Buchs zu machen, das liegt also nahe.

Tatsächlich ist diese Übersetzerin auch der stärkste Charakter. In der pointillistischen Gesamtstruktur des Romans ist Emma Neufeld (so der Name der Übersetzerin) am ehesten das, was man einen Leitfaden nennen könnte. Dass die Übersetzerin mehr oder minder ebenfalls aus Amerika verschwindet, um die verschwundene Autorin zu suchen, das ist für mein Empfinden etwas dick aufgetragen. Aber nun gut, im Roman ist ja alles erlaubt, auch die Dopplung und Engführung der Motive.

Der Roman unterhält, unterfordert nicht, spielt in einem interessanten Umfeld – und dennoch fehlt mir eine Komponente, die aus dem Titel eine wirklich nachhaltige Erzählung gezaubert hätte: und das ist die Metaebene.

Etwas mehr Metaebene wäre schön

Eine Übersetzerin als Heldin, eine Schriftstellerin, deren Spuren gesucht werden. Dabei hätte ich mir Reflektionen zu dem Thema der Übertragung von Sprache und Texte in eine andere Sprache gewünscht. Was bedeutet Übersetzen? Wie wahrt man als Übersetzerin Distanz? Oder ist das am Ende eigentlich nur hinderlich? Kann man besser übersetzen, wenn man der Autorin selbst nachspürt? Was bedeutet überhaupt eine gelungene Übertragung des Textes?

Alles Fragen, die die Geschichte hätte beleuchten können – doch Idra Novey macht für mein Empfinden zu wenig aus diesem Potential. Die Übersetzungstätigkeit von Emma Neufeld ist nur der Aufhänger, die mit Fortschreiten des Buchs kaum eine Rolle mehr spielt.  Vielmehr ist die Suche nach Beatriz Yagoda das treibende Motiv, die Literatur spielt nur eine untergeordnete Rolle. 

Das macht das Buch nicht schlechter, im Gegenteil. Über weite Strecken halte ich Idra Noveys Prosadebüt für sehr gelungen. Nur hätte für mein Empfinden aus dieser Ausgangslage noch etwas deutlich Spannenderes auch auf der Metaebene erwachsen können. So ist Wie man aus dieser Welt verschwindet ein gut gemachter Unterhaltungsroman, der nach Brasilien entführt und bei einigen Leser*innen sicher den Wunsch weckt, ebenso einmal in Brasilien verloren zu gehen. Nicht mehr und nicht weniger.

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