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Ulrike Herrmann – Das Ende des Kapitalismus

Verträgt sich der Kapitalismus mit Umweltschutz und den Anforderungen an eine grüne Zukunft? Ulrike Herrmann meint nein und spricht sich in ihrem neuen Sachbuch für Das Ende des Kapitalismus aus und setzt statt auf neue Technologien auf Grünes Schrumpfen und die britische Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs.


Es könnte doch so einfach sein, wenn man einigen Debatten gerade nach dem Ende der Gaslieferungen aus Russland verfolgte. Wir müssen rasch die erneuerbaren Energien ausbauen, ein paar Leitungen aus dem windstarken Norden in den Süden ziehen, den Umstieg der Verbrenner auf E-Autos vorantreiben, ein paar CO²-Emissionen einsparen, Wärmepumpen hinters Haus – und dann wird das schon etwas werden mit der Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens und einer grünen Zukunft. So einfach kann es sein, schenkt man einigen Stimmen dieser Tage Glauben.

Kann es eben nicht, wie Ulrike Herrmann in ihrem Buch Das Ende des Kapitalismus behauptet. Denn um unseren Kindern eine wirklich ein einigermaßen lebenswerte Erde zu hinterlassen, braucht es weitaus radikalere Ansätze als ein Windrad vor der Haustür oder einen Solarpanel auf dem Dach. Denn eine ökologisch verträgliche Zukunft und Kapitalismus, das geht nicht zusammen. Vielmehr braucht es ein Ende des Kapitalismus und sogenanntes Grünes Schrumpfen, um auf dieser Erde den Ansatz einer Chance zu haben, unsere Umwelt und damit uns zu retten. Ein Vorbild für einen solchen Ansatz findet sie in der britischen Kriegswirtschaft

Eine Geschichte des Kapitalismus

Doch zunächst beginnt Ulrike Herrmann ihr Buch mit einer Geschichte des Kapitalismus. Warum entstand dieser im Globalen Norden und warum waren es erst die vergleichsweise hohen Löhne in Großbritannien, die ausgehend von der britischen Insel zu einem Erstarken des Kapitalismus und dessen späterer Entfesselung führten? Das erzählt die taz-Journalistin einführend, ehe sie sich der aktuellen ökonomisch-ökologischen Lage unseres Landes und der Erde widmet.

Sie blickt auf die Zerstörung, die unser menschliches Handeln angerichtet hat und beleuchtet das krasse Ungleichgewicht zwischen Globalem Süden auf der einen und dem Globalen Norden auf der anderen Seite, dessen momentaner Ressourcenverbrauch momentan eigentlich zwei bis drei Erden bräuchte, um so in der Zukunft in irgendeiner Form Bestand haben zu können. Ein Zustand, der eng mit dem Kapitalismus verknüpft ist, der beständiges Wachstum braucht, um irgendwie fortexistieren zu können, oder wie es Ulrike Herrmann formuliert:

Der Kapitalismus ist faszinierend, weil er Wachstum und Wohlstand erzeugen kann. Aber leider benötigt er diese Expansion auch, um stabil zu sein und nicht in Krisen zu schlittern. Dieser Wachstumszwang kollidiert jedoch mit dem begrenzten Planeten Erde: Unendliches Wachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich.

Ulrike Herrmann – Das Ende des Kapitalismus, S. 84

Schon jetzt sind entscheidende Kipppunkte überschritten, die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens so gut wie unmöglich und die wahren Gefahren wie das die Freisetzung von in Mooren gebundenem Methan, der unwiederbringliche Verlust und damit die Zerstörung unserer Lebensgrundlage so gut wie unumkehrbar. Um auch nur einen halbwegs realistischen Ansatz der Rettung unseres Planeten zu haben, braucht es radikale Ansätze.

Grüne Technologie als Irrweg

Das Hoffen auf neue Technologien, vollständigen grünen Strom und den Fortbestand der Industrie und Arbeitsplätze in der aktuellen Form sind dabei nur Schimären, die wir verzweifelt zu haschen versuchen, um unsere Augen vor der unbequemen Wahrheit noch etwas weiter verschließen zu können und an Illusionen festzuhalten, die eben nicht mehr als das sind.

Ulrike Herrmann - Das Ende des Kapitalismus (Cover)

Denn in Das Ende des Kapitalismus zerstört Ulrike Herrmann gnadenlos und mit Verve sicher geglaubte Wahrheiten und angenehme Scheinsicherheiten. Wind und Sonne? Keine verlässlichen Energielieferanten. Atomenergie? Scheidet ebenfalls aus. Die Probleme von Speicherkapazitäten und Leitungsstrukturen nicht gelöst und technisch wohl auch in Zukunft kaum praktikabel umsetzbar. Generell die Vorstellung von vollumfänglicher grüner Energie eben eine Schimäre und nicht mehr als das (auch wenn beispielsweise ihr ehemaliger taz-Kollege Malte Kreutzfeldt Zweifel an dieser Hypothese äußert).

Das bisher praktizierte ökologisch-ökonomische Lebensmodell ist nicht zu halten und muss nicht nur reformiert, sondern gleich abgeschafft werden, so die mit vielen Quellen untermauerter Befund der Journalistin (die dabei auch historische Mythenbildung zu Fall bringt, wie etwa die der Kolonien, deren wirtschaftliche Bedeutung man völlig überschätzt und die abgesehen von den Verbrechen und Genoziden vor Ort wirtschaftlich immer ein reines Zuschussgeschäft waren, überstieg ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt sowohl in Sachen Import als auch Export nicht einmal ein Prozent)

Digitalisierung und technische Innovationen werden uns nicht retten können, auch Wärmepumpen und neue Wohnmodelle sind nur minimale Pflaster auf einer Wunde, die im übertragenen Sinne nach einer anderen Heilung verlangt als nur kleinteiliger Kurpfuscherei.

Ein Ausweg durch Grünes Schrumpfen

Einen Ausweg sieht Herrmann nur im sogenannten Grünen Schrumpfen, einer Verabschiedung von bisher praktizierten ökonomischen Leitlinien und dem generellen Ende des Kapitalismus, dessen Bedürfnis nach Wachstum nicht mit einer Welt kompatibel ist, die dieses Wachstum nicht mehr hergibt.

Dass das nicht schmerzhaft sein kann, sondern durchaus funktioniert, dafür zieht die Journalistin das Beispiel Großbritanniens zur Zeit des Zweiten Weltkriegs heran. Denn dort hatten sich die Eliten noch zu lange in Sicherheit gewiegt, gar mit dem Hitler-Regime sympathisiert, ehe sie sie von heute auf morgen in einem Krieg wiederfanden, auf den das Land trotz moderner Truppen nicht wirklich vorbereitet war.

So musste plötzlich die ganze Wirtschaft des Landes auf Kriegsproduktion umgestellt werden, Lebensmittel rationiert und von vielen Briten und Britinnen neue Jobs in der Rüstungsindustrie ergriffen werden, um gegen das kriegshungrige Hitler-Deutschland eine Chance zu haben.

Dabei erkennt Herrmann gerade in der egalitären Natur dieser Kriegswirtschaft den großen Vorteil, der auch dem krassen Ungleichgewicht unserer Gegenwart etwas entgegenzusetzen hätte. Denn so standen allen Bürger*innen dieses Landes die gleiche Zahl an Kalorien und übrigen Zuteilungen zu, unabhängig von ihrem sozialen Stand und ihrer Klasse. Die ganze Bevölkerung wurde in dieser staatlichen Planwirtschaft gleichbehandelt, was auch mit Verzicht und der Streichung von Privilegien einherging. In unserer Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher werden und die Armen immer mehr werden, in der oftmals das finanzielle Vermögen und die Herkunft über Chancen in der Bildung und Gesellschaft entscheiden, tatsächlich ein radikaler, aber bedenkenswerter Ansatz.

Eine solche egalitäre Einbeziehung der ganzen Gesellschaft könnte laut Ulrike Herrmann dazu angetan sein, die immer größer werdende Kluft zwischen einem kleinen Prozentsatz der Gesellschaft und dem vom Kapitalismus nicht profitierenden Rest zu verkleinern und durch neue Arbeits- und Lebensmodelle Sinn zu stiften und die von David Graeber einst als Bullshit-Jobs getauften gut bezahlten, aber sinnlosen Tätigkeiten zu überwinden. Die Vorteile fächert Ulrike Herrmann in ihrer ganzen Breite auf, wenngleich die Journalistin auch nicht verschweigt, dass unser momentaner Lebensstandard so oder so nicht zu halten sein wird und etwa Flugreisen oder Früchte außerhalb ihrer Saison ein Auslaufmodell sein dürften.

Ein radikaler Denkansatz

Man kann Ulrike Herrmann wahrlich nicht vorwerfen, dass ihr radikaler Denkansatz zu wenig ambitioniert sei. Vielmehr legt sie einen großen Strategieentwurf für eine halbwegs lebenswerte Zukunft vor, der in vielen Punkten neben der starken Illusionszertrümmerung aber auch durchaus Bereitschaft zu einer Neubewertung der Lage erkennen lässt. Oft betont die Journalistin, dass das Buch gerade in Sachen Innovationen und technischer Neuerungen den gegenwärtige Stand und die absehbare Zukunft abbildet. Sie selbst führt in einigen Passagen auch Gegenbeispiele an, die ihrer eigenen Hypothese widersprechen oder bei denen sich sicher geglaubte Annahmen als Irrtümer herausstellt.

Das mag zwar in einigen Punkten auch zutreffen, aber an der gesamtpessimistischen und alarmistischen Grundhypothese des Buchs dürfte das auch wenig ändern (obgleich man sich natürlich anderes wünscht, Herrmann aber bei ihrer stringent durchargumentierten Schrift leider auch häufiger rechtgegeben muss, als man das eigentlich möchte. Aber tief in sich ahnt doch wohl aber jeder und jede vernunftbegabte Leser*in, dass sich unser Leben in Zukunft nicht mehr so annehmlich gestaltet wird, wie wir es aktuell gewohnt sind).

Fazit

Auch wenn die Verzahnung von Kapitalismusgeschichte und illusionszertrümmernder Streitschrift in manchen Passagen nicht ganz aufzugehen vermag und man an manchen Behauptungen zweifeln darf, so ist Das Ende des Kapitalismus doch ein eindringliches Buch, das uns die Webfehler des kapitalistischen Systems und die beschränkten Potentiale der grünen Energien und der damit verbundenen Technologien vor Augen führt.

Die Stärke von Ulrike Herrmanns Buch ist die Zugänglichkeit, mit der sie von ihrem Thema schreibt. Kurze Kapitel, die die jeweilige These schon im Titel tragen, werden allgemeinverständlich von ihr ausgeführt und mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat belegt. Dabei findet sie immer wieder plausible Bilder wie das des Radfahrers, der als Sinnbild für den Kapitalismus steht. Tritt er nicht mehr in die Pedale um voranzukommen, so droht er umzukippen, denn der Stillstand ohne Bodenkontakt ist für ihn so gefährlich wie der Stillstand für den globalen Kapitalismus.

Stellte Frederic Jameson einst fest, dass man sich leichter das Ende der Welt denn das des Kapitalismus vorstellen könne, so zeigt Ulrike Herrmann hier, dass das durchaus geht.

So ist Das Ende des Kapitalismus ein massenkompatibles Buch, das unbequeme Wahrheiten ausspricht und das energisch für eine kapitalismusfreie Welt eintritt, die weit mehr Chancen als Risiken bereithält, wenn man der Zukunftsvision der Journalistin Glauben schenken darf.


  • Ulrike Herrmann – Das Ende des Kapitalismus
  • Artikelnummer 174324 (Büchergilde Gutenberg)
  • 344 Seiten. Preis: 22,00 €

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Anthony Doerr – Wolkenkuckucksland

Bei manchen Büchern grübelt man auch noch nach der Lektüre: war das Buch jetzt gut oder hat es wenig überzeugt? Warum hat das nicht funktioniert und man keinen Zugang zum Buch gefunden? Sind die eigenen Kriterien falsch, weil der eigene Leseeindruck so gar nicht zum Rest der öffentlichen Wahrnehmung eines Titels passen will? Viele Fragen für Bücher, die es einem manchmal ganz schön schwer machen. Und dann kommt da ein Buch wie Anthony Doerrs neuer Roman Wolkenkuckucksland daher, der es einem dann so leicht macht: ein großartiger Schmöker von Anfang bis Ende, clever konstruiert und mitreißend erzählt. So leicht kann das Leserurteil dann auch manchmal ausfallen.

Tatsächlich wählt Doerr eine komplexe Erzählweise, die an David Mitchells modernen Klassiker Der Wolkenatlas erinnert. Drei ganz unterschiedliche Erzählungen in verschiedenen Zeiten und verschiedenen Milieus, die doch allesamt miteinander verbunden sind. Das Bindeglied ist hier das fiktive Epos vom Wolkenkuckucksland, das einst der Poet Antonio Diogenes ersann. Es handelt von Aethon und dessen Abenteuer, die er in einem fantastischen Reich erlebt. So wird jener Aethon in einen Esel verwandelt, gepiesackt und darf das an das himmlische Jerusalem gemahnende Wolkenkuckucksland schauen. Eine Odyssee-Variation, die Geschichte untrennbar mit den drei Handlungssträngen verbunden ist. Jedem neuen Kapitel ist ein kleiner Auszug aus Diogenes‘ Epos vorangestellt, das so im Lauf des Buchs die vierte Erzählung ergibt.

Schicksale quer durch Raum und Zeit

Anthony Doerr - Wolkenkuckucksland (Cover)

Die drei Hauptstränge bestehen aus einer im Mittelalter, einer in der Gegenwart und einer in der Zukunft angesiedelten Erzählung. Die im Mittelalter spielende Geschichte erinnert von ihrer ganzen Konstruktionsweise an Doerrs Megaseller Alles Licht, das wir nicht sehen. Abermals bewegen sich die Schicksale zweier junger Menschen unablässig aufeinander zu, diesmal ist es eine junge Weberin in der Stadt Konstantinopel sowie der durch eine Scharte entstellte Ochsenhirte Omeir aus den Rhodopen. Im Zuge der Belagerung Konstantinopels 1453 verbinden sich die Schicksale der beiden jungen Menschen miteinander.

Daneben gibt es einen in der Gegenwart angesiedelten Erzählstrang, der in der Bibliothek des kleinen Städtchens Lakeport spielt. Während eine Gruppe von Schulkindern unter der Leitung von Zeno Ninis für die Aufführung von Wolkenkuckucksland probt, droht ein jugendlicher Attentäter die gesamte Stadtbücherei in die Luft zu sprengen. Das Schicksal dieses jungen Mannes sowie das von Zeno Ninis sind Themen in diesem Strang, der bis in die Zeit des Koreakriegs der 50er zurückreicht.

Und dann gibt es noch die Geschichte von Konstance, die sich an Bord der Argos befindet. Dieses Raumschiff ist unterwegs zu einem Exoplaneten, auf dem es noch Hoffnung für die Menschheit gibt, die die Erde aufgebraucht und zerstört hat. Bei ihrer Reise spendet Konstance die Erzählung ihres Vaters Trost, der von einem ebenso rätselhaften wie faszinierenden Reich namens Wolkenkuckucksland erzählt.

Alles ist miteinander verbunden

Obwohl sie zunächst sehr unverbunden erscheinen, fügen sich die drei Erzählungen Stück für Stück in den Gesamtkontext des Buchs ein. Doerr gelingt dabei das Kunststück, die Zusammenhänge klar und nachvollziehbar zu enthüllen. Genauso gelingt es ihm aber auch, alle unterschiedlichen Milieus und Erzählungen glaubhaft auszugestalten, von der antiken griechischen Komödie in all ihren Partikeln bis hin zur Science-Fiction-Erzählung im Raumschiff, in dem Konstance die meiste Zeit der Handlung völlig allein ist. Zu keinem Zeitpunkt kommt in diesem über 530 Seiten starken Buch ein Gefühl von Langeweile auf. Doerr springt von Cliffhanger zu Cliffhanger, vom unter Beschuss stehenden Konstantinopel bis hin zu jenem 20. Februar 2020, an dem die Bibliothek von Lakeport in die Luft gesprengt zu werden droht.

Doerr beherrscht sein Erzählhandwerk traumhaft sicher. Egal ob historischer Roman oder Echtzeit-Thriller in der amerikanischen Kleinstadt – alle Figuren und Orte werden von ihm glaubhaft ausgestaltet und erhalten ein unverwechselbares Profil. Dieser Roman stellt die herausragende Rolle Anthony Doerrs in der amerikanischen Gegenwartsliteratur einmal mehr unter Beweis und zeigt, wie kreatives und überbordendes Erzählen gelingen kann.

Fazit

Großartig erzählt und komponiert ist Wolkenkuckucksland einer der großen Schmöker dieses Bücherherbstes. Von den bulgarischen Rhodopen bis an Bord eines Raumschiffs – Anthony Doerr fühlt sich in seine Milieus gekonnt ein und erschafft so einen clever komponierten und wunderbar unterhaltsamen Roman – der ausnehmend schön gestaltet ist und einmal mehr von Werner Löcher-Lawrence ins Deutsche übertragen wurde.

Und nicht zuletzt ist es auch das Vorwort dieses Romans, das mich ungemein für Wolkenkuckucksland einnimmt:

„Für alle Bibliothekare, damals, heute und in den Jahren, die da kommen werden“

Anthony Doerr – Wolkenkuckucksland, Vorwort

  • Anthony Doerr – Wolkenkuckucksland
  • Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
  • ISBN 978-3-406-77431-7 (C. H. Beck)
  • 532 Seiten. Preis: 25,00 €
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Roman Ehrlich – Malé

Hier ist er: der erste Roman des Friday-for-Future-Zeitalters, ein Klimaroman, der vom Ende der Welt erzählt, wie wir sie kannten. Roman Ehrlich, 1983 in Aichach geboren, hat diesen Roman geschrieben. Er trägt den Titel Malé, ist im S. Fischer-Verlag erschienen und wurde für den deutschen Buchpreis nominiert. Ein Buch, das in eine Stadt entführt, die der Klimawandelt nahezu unbewohnbar gemacht hat.


In Malé steht den Bewohnern das Wasser nicht bis zum Hals, aber mindestens bis zu den Knöcheln. Der Klimawandel hat zu einer Überflutung der Insel geführt, sodass große Teile der maledivischen Inselhauptstadt nicht mehr bewohnbar sind. Zwar tagte 2009 unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit die Regierung der Malediven erstmals unter Wasser, um so auf die Bedrohung durch den steigenden Meeresspiegel hinzuweisen. Gebracht hat es alles nichts. Inselns wie Hulhumalé oder Malé sind Opfer des Klimawandels geworden.

Die wenigen Orte, die noch bewohnbar sind, wurden von einer ganz eigenen Mischung von Menschen in Beschlag genommen. Aussteiger, Überlebenskünstler, Menschen, die aus guten Gründen etwas zu verbergen haben. Einige von ihnen lässt uns Roman Ehrlich im Lauf des Buchs kennenlernen.

Gestrandet auf Malé

Da ist zum Beispiel der Vater der verstorbenen Mona Bauch, der die letzten Lebenstage und den Tod seiner Tochter auf Malé rekonstruieren will. Oder die amerikanische Forscherin Frances Ford, die auf den Spuren eines deutschen Lyrikers nach Malé gelangt ist. Beide, Schauspielerin und Lyriker, verband eine Liasion, der Vater und Forscherin nun von zwei Enden her nachspüren.

Daneben gibt es einen Inselarzt namens Dr. Origineh Sophila (auch genannt Drosophila), einen Professor, der im Hintergrund die Fäden in der Hand hält, oder den Hühnersultan, einen Hähnchengrill, in dem sich ein Stammtisch von Aussteigern trifft. Dort erzählt man sich seine Lebensgeschichten und ergeht sich in Spekulationen. Andere versuchen sich an einem Landgewinnungsprojekt.

Eben so bunt durcheinandergewüfelt wie das Personal in diesem Roman ist auch die Themenpalette. Drogenschmuggel, Aussteigerfantasien, Klimawandel, Lyrik. In Malé treffen all diese Themen aufeinander und ergeben so einen wirklich poylphonen Roman, der manchmal unter sprachlichen Manierismen leidet.

Sprachliche Manierismen

So wird Elmar Bauch fast durchgängig als „der Vater der verstorbenen Mona Bauch“ oder als „der Vater der verschwundenen Mona Bauch“ charakterisiert. Viele Figuren bekommen eine Zuschreibung zugeordnet, die bei nahezu jeder Erwähnung der Figur apostrophiert wird. Mit der Dauer des Buchs nerven solche erzählerischen Marotten, auch da das Buch an anderen Stellen sprachlich sehr unpräzise gearbeitet ist. Auch hat Ehrlich große Freude daran, komplizierteste Namen von autochthonen Gottheiten oder König*innen zeilenlang im Buch auszuführen, was mit Fortschreiten des Roman zu einer zähen Angelegenheit wird.

Als Klimaroman, als dystopischer Blick in eine mögliche Zukunft, auf die wir gerade zusteuern, überzeugt der Roman. Als literarisch-polyphone Erzählung des Inselkollektivs auf Malé hingegen weist Ehrlichs Roman Schwächen auf und benötigt Leser*innen, die es den Inselbewohnern nachtun und sich auf eigene Verantwortung in das überflutete Insellabyrinth wagen. Denn vieles wird angerissen und angedeutet. Eine ausgestaltete Erzählung mit einer klar erkennbaren Schlagrichtung wird daraus allerdings nicht.

Ein eigenwilliges Buch, das Leser*innen erfordert, die sich auf das Wagnis Malé einlassen. Schön, dass dieses besondere und aktuelle Stück Literatur durch die Nominierung für den Deutschen Buchpreis Aufmerksamkeit erhält. Auf der Shortlist des Preises sehe ich den Roman Roman Ehrlichs um ehrlich zu sein jedoch nicht.


  • Roman Ehrlich – Malé
  • ISBN: 978-3-10-397221-4 (S.Fischer)
  • 288 Seiten. Preis: 22,00 €

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Die Bücherei der Zukunft - Das Konzept der Open Library

Wie wir lesen wollen

Abseits von Büchern, Lesungen und literarischen Trends stelle ich mir ab und an auch übergreifende Fragen zum Lesen und zur Rolle der Literatur in der Gesellschaft. Auch bedingt durch meinen Job als Bibliothekar treibt mich die Frage um, welche Rolle das Lesen und die Bibliotheken in Zukunft wohl spielen wird. Vor einigen Tagen habe ich eine mögliche Antwort auf diese Frage erhalten. Ich besuchte nämlich die Stadtbücherei Würzburg, genauer gesagt die neue Filiale Am Hubland.

Ist das ein Co-Working-Space oder eine Bücherei?

Dort, wo früher Flugzeuge abhoben, entsteht gerade ein völlig neues Stadtviertel. Einer der ersten Fixpunkte in diesem Viertel ist die Bücherei, die schon eingezogen ist, obwohl die meisten Häuser um die Bücherei herum erst im Bestehen inbegriffen sind. Das Haus ist als Open Library konzipiert, das heißt eine automatisierte Büchereifiliale, die teilweise geöffnet ist, obwohl kein Personal anwesend ist.

Was beispielsweise bei Bankfilialen selbstverständlich ist, gilt bei uns noch exotisch. Eine Bücherei, bei der niemand als Ansprechpartner vor Ort ist? Eine Bücherei, die ich auch schnell noch um 9 Uhr abends aufsuchen kann, wenn ich ein Kochbuch oder eine DVD für einen schönen Abend benötige? Erst langsam setzt sich dieses Konzept durch, in Hamburg-Finkenwerder oder Köln-Kalk etwa gibt es schon solche Filialen. Meist steht (wie im Falle von Köln oder Würzburg) der niederländische Architekt Aat Vos hinter der Realisierung solcher Projekte.

Die Bibliothek als Dritter Ort

Der Gedanke ist bestechend. Schon heute gelten Büchereien als sogenannte Dritte Orte. Während das Zuhause der Erste Ort und die Arbeitsstelle der Zweite Ort ist, besagt die Theorie des Dritten Orts, dass es abseits von Zuhause und Arbeit noch mehr geben sollte. Der Dritte Ort will eine Art erweitertes Wohnzimmer sein. Ein Ort, an dem man sich gerne und lange aufhält, ohne unbedingt einem Konsumzwang zu unterliegen. Ein Ort, der Begegnungen und Bildung ermöglicht – und das möglichst niedrigschwellig. Solche Räume sind für den Niederländer Aat Vos Bibliotheken, weshalb bei ihrer Gestaltung das Wohlfühlen im Vordergrund steht.

Couchen, Krabbelzone, Ideenboard – hier kann man sich begegnen

Wer sich schon einmal lange in brutalistischen Unibibliotheken oder grauen Büchereien mit entsprechender Inneneinrichtung aus den 70er-Jahren aufgehalten hat, wird das Vos’sche Konzept schätzen. Statt möglichst vieler Regale mit (teils überholter) Literatur, funktionaler Sitzmöglichkeiten und einer asketischen Innengestaltung hat der Architekt alles auf den Kopf gestellt. Das fällt auch beim Besuch in Würzburg direkt ins Auge. Die Bücher sind in den Hintergrund gerückt, sie bilden auf zwei Etagen den Rahmen um die Innenflächen. Diese sind mit vielen Stühlen, Tischen und einer Krabbelzone ausgestattet. Ähnlich wie im vielbeachteten Konzept der Hugendubel-Filiale am Stachus in München geht man nun auch hier weg von thematischen Bereichen, bricht das Raumkonzept auf und schafft kleine Inseln im Raum, die als Anlaufpunkt fungieren.

Alles bleibt anders

Schon seit geraumer Zeit ist das Bild der Bibliotheken und Büchereien im Umbruch. Reine Buchausleihstätten sind die Häuser schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Mediale Trends lassen sich nirgends so gut beobachten wie in den Bibliotheken. Wo früher Kassetten, Atlanten oder Adressverzeichnisse nachgefragt waren, stehen heute Hörbücher und DVDs in den Regalen. Streamingangebote wie Freegal, die Onleihe oder Wissendatenbanken wie Munzinger sind aktuelle Umsatzbringer. Kaum ein medialer Trend übersteht ein Jahrzehnt, schon gibt es die nächste Speichertechnik oder digitalen Trend. Die Halbwertszeiten werden immer kürzer, doch die Büchereien pass(t)en sich immer wieder an. Doch was lässt sich aus dem Blick zurück für den Blick nach vorne mitnehmen?

Wer braucht noch Bücher in Bibliotheken?

Umfassend und luftig gefüllte Regale bilden den Rand der Bibliothek

Wenn es einen übergreifenden Trend gibt, den man an Bibliotheken ablesen kann, dann ist es meiner Meinung nach aber jener: die Bücher und Medien nehmen an Bedeutung ab. Dem (Vor)Lesen kommt in der Gesellschaft keine große Bedeutung mehr zu, stattdessen wandeln sich die Häuser zu Begegnungsstätten und Lernorten. So sind beispielsweise die Lesesäle in den großen Bibliotheken des Landes immer dann besonders ausgelastet, wenn Prüfungszeiten anstehen. Die Bücher in den Sälen sind dabei aber eher meist Kulisse, die für eine ruhige und konzentrierte Lernatmosphäre sorgen. Fürs Lernen selbst sind sie allerdings meist kaum von Belang für die Menschen, die die Lesesäle frequentieren. Als Lernorte und Räume der Stille bieten die Büchereien eine Atmosphäre, die Konzentration und Produktivität begünstigt. Aber die Medien der Häuser selbst, sie spielen doch eine eher untergeordnete Rolle, was sich auch in Würzburg beobachten lässt.

Das Konzept der Kolleg*innen, das das Begegnen und den Aufenthalt in den Mittelpunkt rückt, ist für moderne Bücherei in meinen Augen richtungsweisend. Doch nicht nur für diese – sondern auch für alle Leser*innen und letzten Endes auch für unsere Gesellschaft. Und das aus mehreren Gründen:

Begegnungsstätte

Ich beobachte eine zunehmende Aufspaltung der Gesellschaft nach Interessen, Einkommen oder auch Teilhabe. Man kann es Echokammern, Filterblasen oder Milieus nennen – Tatsache ist doch, dass Begegnungsstätten, in denen sich alle Schichten, Interessen, Ethnien und Alter vorurteilslos begegnen können, verschwinden. Kirchen verlieren an Bedeutung, Stadtviertel werden gentrifiziert – die Möglichkeiten von übergreifenden Kontaktmöglichkeiten schrumpfen. Der virtuelle Raum ersetzt oftmals den reellen Begegnungsraum, mit teils auch verheerenden Folgen. Der Erfolg des Rechtspopulismus, der bedenkliche Rechtsdrift der Gesellschaft und die ressentimentbeladene Sprache und die dadurch verrohenden Diskurse sind meiner Meinung nach nur ein paar Konsequenzen dieses Mangels an Begegnungsstätten und Foren im eigentlichen Sinne. Das Miteinanderreden und Sich begegnen verschwindet oder ist teilweise schon verlorengegangen. Man bleibt lieber unter sich und bestärkt sich in seiner Weltsicht. Aber genau dagegen können und sollen Bibliotheken ankämpfen. Als kostenlose Begegnungsstätten, als Kontaktmöglichkeiten, Menschen außerhalb der eigenen Lebenskreise kennenzulernen.

Damit verbunden ist auch ein weiterer Grund, weshalb ich dieses Konzept so wichtig finde.

Bibliotheken als gesellschaftliche Labors

Viel Arbeitsflächen, Zeitschriften und 3-D-Drucker: Einrichtung der Bücherei Am Hubland

Unlängst überschrieb der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sein Debattenbuch mit dem Titel Die gereizte Gesellschaft. Darin konstatiert er, dass das Erregungspotential der Gesellschaft zugenommen hat. Der Tübinger Professor spricht von einer nationalen Erregung. Dinge, die früher einfach versandet wären, werden – digital begünstigt – schnell zu Shitstorms. Die Gerichte sind überarbeitet, die Streitfreude nimmt zu, die Toleranz ab. Gegen dieses ungute Klima einer Erosion des Miteinanders muss eine Bibliothek wirken und ihre Angebote machen. Exemplarisch lässt sich das in Würzburg beobachten. Wo – aufgrund des begrenzten Platzangebots – verschiedene Bedürfnisse aufeinander treffen, müssen die Menschen auch wieder lernen, Lösungen für ein gutes Miteinander zu finden. Denn das Platzangebot ist endlich, die Nerven mancher Bibliotheksnutzer*innen auch. Die Bücherei kann hier als Labor für ein gutes menschliches Miteinander wirken. Lösungen im Dialog erzielen, Rücksicht auf andere nehmen – das lässt sich nirgends so gut lernen wie in einer so konzipierten Begegnungszone Bücherei.

Rund-Um-die-Uhr-Verfügbarkeit

Schon oft wurde der Rückgang des linearen Medienkonsums prophezeiht und in Studien belegt. Besonders junge Menschen wissen den tageszeitunabhängigen Konsum von Medien zu schätzen. Auch generell greift ein Anspruch nach Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit um sich. Was Spotify, Netflix, Mediatheken und Co. im medialen Umfeld möglich machen, ist auch bei Dienstleistern wie etwa Banken ja schon lange gang und gäbe. Warum sollen Bibliotheken auf diese Anforderungen keine Antworten geben? Ich empfinde auch in dieser Hinsicht den Würzburger Weg als wichtig und richtig. Warum muss ich auf die Dienstzeiten von Angestellten warten, wenn ich schon vor meiner Arbeit um 7 oder am Feierabend nach 8 noch eine Bücherei zum Lernen oder Entleihen von Medien aufsuchen kann? Entleihen und zurückstellen können die Kunden die Bücher selber – warum also nicht unter dem Einsatz von technischen Kontrollmöglichkeiten den Menschen, die mit ihren Steuern solche Einrichtungen finanzieren, die Möglichkeit zur Benutzung geben?


Es gibt also viele gute Gründe, die für die Öffnung der Büchereien sprechen – gerade in diesen Zeiten. Was in Skandinavien gang und gäbe ist, setzt sich hier erst langsam durch. Was haltet ihr von dieser Art von Bücherei? Wie seht ihr die Rolle jetzt und in der Gegenwart, die Lesen und Büchereien spielen? Wart ihr selbst schon einmal in einer solchen Bücherei oder würdet eine solche besuchen? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen!

Hier noch ein paar Eindrücke aus der Bücherei

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Juli Zeh – Leere Herzen

Was wollte uns die Künstlerin damit sagen?

Diese Phrase steht für mich auch am Ende nach der Lektüre von Leere Herzen, dem neuesten Streich von Juli Zeh. Zeh, die mit ihrem letzten Roman Unterleuten zur veritablen Bestsellerautorin mutierte (sage und schreibe 78 Wochen konnte sich das Buch in den Spiegel-Bestsellerlisten behaupten), legt nun eineinhalb Jahre nach Erscheinen ihrer brandenburgischen Dorf-Betrachtung einen neuen Roman vor, der vieles will, aber wenig kann.

Ausgangspunkt ist das Geschäftsmodell der Brücke, einem Unternehmen, das die Geschäftspartner Britta und Babak betreiben. Die Kernidee der Brücke ist folgende: suizidale Menschen werden von den beiden überprüft, bewertet und gecoacht, um diese dann im besten Falle als Märtyrer für bestimmte Aktionen einzusetzen. Der Selbstmord ihrer Kandidaten hilft anderen Organisation wie etwa Umweltschutzgruppen, vor deren Karren sich die willfährigen Suizidenten spannen lassen. Britta und Babak kassieren gutes Geld – dafür leben sie in einer alles anderen als  mondänen Welt. Genauer gesagt in Braunschweig. Die Welt hat sich noch etwas weitergedreht in diesen Tagen, die Regierung wird von der BBB gestellt, der Besorgten Bürger Bewegung, Innenministerin ist Sarah Wagenknecht.  Instabile Zeiten, in denen Zehs Protagonisten leben. Noch instabiler wird das Gefüge, nachdem eine neue Klientin der Brücke auftaucht, die einen Keil zwischen Britta und Babak treibt. In der Folge gerät die Welt der beiden Geschäftsleute aus dem Lot, als auch noch eine Konkurrenzorganisation den beiden das Leben schwer macht – und so steht bald Babaks und Brittas Existenz auf dem Spiel.

So die Synopse von Zehs neuem Buch, das dann deutlich weniger gut funktioniert, wenn es um die Umsetzung von Theorie in Praxis geht. Und das, obwohl Zeh ja schon bewiesen hat, dass sie etwas von Erzählökonomie, Charakterzeichnung und Struktur versteht. Bereits der Grundidee der kommerziellen Nutzung von potentiellen Selbstmördern kann ich wenig abgewinnen. Bis auf wenige plakative Szenen (Waterboarding, etc.) bleibt vieles Behauptung und wird angerissen, wirklich plausibel erscheint wenig. Dies gilt auch für die übrigen dystopischen Elemente des Buchs, die ab und an eingeworfen und eingestreut werden. Nachvollziehbar und genuin entwickelt ist diese Vision in meinen Augen nicht. Auch Zehs HeldInnen scheinen sich mit der Welt versöhnt zu haben, es regiert der Neo-Biedermeier. Höhepunkt ist der eskapistische Trip in die norddeutsche Provinz, bei der dann ein Hauskauf und ein Landlust-ähnliches Bezugsfest des Objekts im Mittelpunkt der Episode stehen. In Unterleuten wirkte all dieser Möchtegern-Eskapismus viel böser, viel echter. Hier ist viel Kulissenschieberei am Werk, die Menschen, die in diesen Kulissen interagieren, bleiben allerdings höchst blass – und wenn sie einmal Kontur gewinnen, dann möchte man doch wieder, dass sie wieder blass werden.

Überspannte und leicht an der Grenze zur Hysterie stehende Charaktere gehören ja zum Markenzeichen der Autorin. Das kann mal nerven (Nullzeit), mal wunderbar funktionieren (Unterleuten). Im aktuellen Fall ist es eher erstere Kategorie, in die Zehs Personal fällt. Ihre Heldin Britta nervt mit zahlreichen Marotten (Putzfimmel, ständige Übelkeit, sprunghaftes Verhalten), die anderen Figuren stolpern alleingelassen durch das Setting. Vieles an den Figuren bleibt reine Behauptung, plausibel ist auch hier wenig. Egal ob Flüchtling und Hacker, Geheimdienstmann oder Ehegatte. Vieles wird gelabelt, mit Leben gefüllt aber nahezu nichts. Je weiter das Buch voranschreitet, desto hanebüchener wird es. Höhepunkt findest das Ganze dann in einem Finale, in dem verschiedene Terror-Organisationen und Geheimdienste aufeinandertreffen. Als erste Opfer sind dann gleich Logik Plausibilität und sprachliche Qualität zu beklagen, die auf der Strecke bleiben.

Als Dystopie ist Leere Herzen zu unentschlossen, als Parabel auf Pegida, AfD und Co. funktioniert das Buch ebenfalls nicht. Das Geschäftsmodell der Brücke bleibt im Ungefähren. Der Roman hat eine deutliche Unwucht, die einzelnen Handlungsabschnitte sind alles andere als ausbalanciert. Besonders offensichtlich wird dies am Schluss des Romans, der in seiner Gehetztheit die vorherigen langweilenden vorherigen Passagen in puncto Tempo und Logik ab absurdum führt. Was zudem auch  unangenehm oft auffällt, ist der übermäßig strapazierte moralische Zeigefinger der Autorin, der hier eindeutig zu oft im Einsatz ist. Nicht ohne Hintersinn trug ihre Kolumne im Magazin Der Spiegel auch den Titel „Die Klassensprecherin“ – vieles von dieser Rechthaberei findet sich auch zwischen den Zeilen in Leere Herzen.

Vieles an diesem Buch ist sicherlich gut gewollt, auch will ich mich eigentlich an dieser Stelle nicht beklagen, dass sich eine Autorin hier mit Politik und zeitgenössischen Aspekten beschäftigt, hatte ich doch so etwas erst in meinem letzten Meinungsbeitrag hier eingefordert. Leider bleibt es beim Wollen und einer mangelhaften Umsetzung der aktuellen Themen und Fragen. Leere Herzen ist einfach schlecht ausbalanciert, unrund, wenig plausibel und somit eine der großen Enttäuschungen dieses Bücherherbstes.

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