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Buchtipps für Weihnachten 2022

Nur noch ein Monat, dann steht Weihnachten wieder einmal völlig überraschend vor der Tür. Deshalb erlaube ich es mir heute, in drei verschiedenen Kategorien als Geschenkanregungen Buchtipps zu geben, mit denen man sicher nichts falsch macht. Es handelt sich bei den ausgesuchten Titeln um aktuelle Neuerscheinungen, die man im gut sortierten Buchhandel finden sollte (oder zumindest bestellen und dann am nächsten Tag dann abholen kann).

Vor allem angesichts eventueller Engpässe im stationären Buchhandel empfiehlt es sich ja aktuell eh, ein wenig früher mit den Bestellungen dran zu sein. Das macht es den Buchhändler*innen im Weihnachtsstress ein bisschen einfacher – und zudem kann man sich dann selbst beruhigen, dass man einen Teil der Geschenke schon besorgt hat. Anderweitigen Stress an Weihnachten gibt es ja schon genug.

Deshalb hier nun meine diesjährigen Empfehlungen, sortiert nach den Kategorien Sachbuch, Belletristik und Kinder- und Jugendbuch. Viel Vergnügen und gute Inspiration!

Sachbuch

Andrea Wulf – Fabelhafte Rebellen

Ihre Biografie über Alexander von Humboldt zählt zum Besten, das ich im Genre der historischen Biografie in letzter Zeit gelesen habe. Nun nimmt sich Andrea Wulf in ihrem neuen Buch Zeit der frühen Romantiker*innen und deren Wirkungsschwerpunkt Jena vor und erzählt, wie sich in jener Stadt die Geistesgrößen Fichte, Schelling und Co. trafen – und sich gegenseitig beeinflussten. Eine hervorragende Zeitreise, unterhaltsam und lehrreich – und dabei auch erstaunlich aktuell.

Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. 525 Seiten. 30,00 €. ISBN 978-3-570-10935-1 (C. Bertelsmann)

Patrick Radden Keefe – Imperium der Schmerzen

Die Opioidkrise der USA, das ist etwas, das man hierzulande nicht wirklich auf dem Schirm hat, außer vielleicht wenn ein Roman mal davon erzählt. Aber dass flächendeckend große Mengen Amerikaner*innen bis in die Mittelschicht hinein schmerzmittelabhängig sind und dadurch durchs soziale Raster gefallen sind, das macht die packend erzählte Geschichte von Patrick Radden Keefe klar. Darin erzählt er, wie die Pharma-Dynastie der Familie Sackler diese Krise verursacht und ausgeschlachtet hat – spannend wie ein Krimi und dabei (leider) sehr faktenbasiert.

Übersetzung aus dem Englischen von Benjamin Dittmann-Bieber, Gregor Runge und Kattrin Stier. 639 Seiten. 36,00 €. ISBN 978-3-446-27392-4 (hanser blau)

Volker Ullrich – Deutschland 1923

Dass der deutsche Buchmarkt nicht allzu originell ist, das fällt aktuell besonders deutlich ins Auge. Was einmal gut lief, das wird munter kopiert und fortgeführt. Bestes Beispiel ist zur Zeit der von Florian Illies angestoßene Trend zum anekdotischen Jahrbuch. Mindestens fünf Bücher über das Jahr 1923 erschienen diesen Herbst in verschiedenen Verlagen in ganz unterschiedlicher Qualität. Für sich steht darunter das Buch des Historikers Volker Ullrich, in dem er auf plaudrige Zeitkoloritschnipsel verzichtet und sich stattdessen dem Jahr in thematischen Schwerpunktsetzung näher, wobei er sachkundig von der Inflation, von der Tanzwut, dem Erstarken rechter Kräfte oder Kultur im Zeichen der Krise erzählt. Fundiert, genau und umfassend.

441 Seiten. 28,00 €. ISBN 978-3-406-79103-1 (C. H. Beck)

Eberhard Seidel – Döner

Ein Buch über Döner, das man auch Veganerinnen und Vegetariern schenken kann? Unbedingt, denn Eberhard Seidels Buch ist weitaus mehr als eine Hymne an das Kultgericht. Er bietet darin eine Geschichte der (türkischen) Migration in Deutschland und erzählt von Aufstieg und Ausgrenzung, von Xenophobie, die sich vom Gammelfleischskandal bis hin zur NSU-Mordserie aka „Dönermorde“ immer wieder zeigte und zeigt und für türkische Mitbürger*innen zu oft auch Todesgefahr bedeutet. Ein Buch, das weit über die reine Kulinarik hinausblickt, und das es deshalb so empfehlenswert macht.

257 Seiten. 20,00 €. ISBN 978-3-7550-0004-4 (März-Verlag)

Irene Vallejo – Papyrus

Eine Geschichte der Schrift, des Buchs, der Kulturtechnik des Lesens, all das vereint Irene Vallejos Sachbuch Papyrus, das mitreißend von der Kraft des gedruckten und geschriebenen Worts zu erzählen vermag. Denn eines wird in Vallejos über 750 Seiten starken (aber niemals langweiligen) Buch auch klar – die Geschichte der Welt ist auch eine Geschichte der Bücher und umgekehrt.

Übersetzung aus dem Spanischen von Maria Meinel und Luis Ruby. 752 Seiten. 28,00 €. ISBN 978-3-257-07198-6 (Diogenes)

Belletristik

Prosaische Passionen

Männer schreiben Literatur, Frauen Unterhaltung. Deshalb braucht man sie auch nicht in den literarischen Kanon aufnehmen. Gegen diese jahrhundertealte und grotesk falsche Praxis setzt der von Sandra Kegel herausgegebene Sammelband ein wuchtiges Kontra. Denn der Band versammelt Shortstorys von vielfältigen weiblichen Erzählerinnen quer über den ganzen Erdball verteilt. Von großen Namen wie Colette oder Virginia Woolf bis hin zu echten Entdeckungen wie Chawa Schapira oder Out el-Kouloub oder Ding Ling. Erzählerinnen, denen in einer gerechteren Welt ein ebenbürtiger Platz im Kanon der Literatur gebührte.

928 Seiten. 40,00 €. ISBN 978-3-7175-2546-2 (Manesse)

Maggie Shipstead – Kreiseziehen

Ein Schmöker im besten Sinne, der mitreißend vom Leben der Pilotin Marian Graves erzählt. Diese verschwand vor Jahrzehnten im ewigen Eis der Antarktis und nur ein Tagebuch blieb von ihr zurück. Nun soll der gefallene Hollywoodstar Hadley Baxter Marian Graves in einem Film verkörpern und taucht dafür ganz tief ein in das Leben der eigensinnigen Pilotin, das uns Maggie Shipstead als emotionalen, fesselnden und unheimlich suggestiven Bilderbogen präsentiert. Hier lohnt sich jede der über 800 Seiten fiktiver Lebensgeschichte, in der man wirklich versinken kann.

Aus dem Englischen von Harriet Fricke, Susa Goga-Klinkenberg und Sylvia Spatz. 861 Seiten. 28,00 €. ISBN 978-3-423-29020-3 (dtv)

Lucy Fricke – Die Diplomatin

Taut das Leben einer Staatsdienerin im Auswärtigen Dienst für einen Roman? Unbedingt, wie Lucy Fricke in Die Diplomatin beweist. Ihr gelingt ein Buch auf Höhe der Zeit, das die Frage nach dem Nutzen von Demokratie und demokratischen Prozessen stellt und das mit der Erzählerin Fred eine wunderbar ambivalente und lebensnahe Heldin in den Mittelpunkt stellt. Hier finden Privates und Politik gelungen zusammen. Und außerdem schreibt Lucy Fricke mit die wohl trockensten und besten Dialoge, die man für Geld kaufen oder in Bibliothek leihen kann.

256 Seiten. 22,00 €. ISBN 978-3-546-10005-2 (Claassen)

Amor Towles – Lincoln Highway

Ein Schmöker irgendwo zwischen Jules Vernes In achtzig Tagen um die Welt und den Romanen Mark Twains, das ist Lincoln Highway von Amor Towles. Jener legendäre Highway, die erste Schnellstraße von Ost nach West, wird bei Towles zur Richtschnur für ein Brüderpaar, die den Spuren ihrer Mutter folgen wollen. Doch die Reise entwickelt sich ganz anders als geplant – zum Glück, denn so lässt es sich wunderbar mit den jugendlichen Protagonisten mitfiebern und bangen. Großartige Unterhaltung mit dem Zeug zum modernen Americana-Klassiker.

Aus dem Englischen von Susanne Höbel. 576 Seiten. 26,00 €. ISBN 978-3-446-27400-6 (Hanser)

Johanna Adorján – Ciao

Bei diesem Buch hat es im vergangenen Jahr nicht zu einer Rezension gereicht, was keinesfalls der Qualität von Johanna Adorjáns Prosa, sondern vielmehr meinen eigenen Zeitreserven geschuldet war. Umso schöner, dass sich das Buch jetzt als kostengünstiges Taschenbuch zum Verschenken anbietet. Denn Adorján erzählt darin augenzwinkernd von einem Großfeuilletonisten, der erkennen muss, dass seine besten Jahre schon hinter ihm liegen.

272 Seiten. 13,00 €. ISBN 978-3-462-00399-4 (KiWi)

Kinderbuch

Oliver Jeffers, Sam Winston – Wo die Geschichten wohnen

Das, was Irene Vallejo für Erwachsene in Papyrus tut, das schaffen Oliver Jeffers und Sam Winston in ihrem fantasieanregenden und poetisch abstrakten Buch Wo die Geschichten wohnen für die kleineren Leserinnen und Leser. Sie zeigen, wie vielfältig die Welt der Literatur und der Bücher ist und wie wunderbar es sein kann, sich ganz in diese zu versenken. Ein großartiges Bilderbuch, in dem auch Erwachsene noch viel entdecken können.

44 Seiten. 14,90 €. ISBN 978-3-95854-092-7 (mixtvision)

Das Buch vom Dreck

Zugegeben, ein Buch vom Dreck, das klingt nicht nach dem angemessensten Buchgeschenk. Aber das ist es, vereint das Buch von Piotr Socha und Monika Utnik-Strugala doch witzige Grafiken und viel Informationen über Hygiene, Viren und wichtige Errungenschaften im Kampf (oder besser der Koexistenz) mit dem Dreck. Nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen viralen Ausnahmesituation eine großartige Kulturgeschichte der Hygiene für die ganze Familie

Übersetzt von Dorothea Traupe. 216 Seiten. 30,00 €. ISBN 978-3-8369-6164-6 (Gerstenberg)

David Walliams – Gangsta-Oma

Gibt es etwas langweiligeres, als bei seiner Oma die Freitagabende zu verbringen, nur damit Mama und Papa tanzen gehen können? Ja, nämlich wenn sich herausstellt, dass die eigene Oma eine Juwelendiebin ist, mit der man den Tower of London ausrauben könnte. So abgedreht und so humorvoll wie der Brite David Walliams schreiben derzeit nicht viele Autor*innen. Umso schöner, dass Band 2 der Reihe dieser Tage ebenfalls bei Rowohlt erschienen ist.

Aus dem Englischen von Salah Naoura. 272 Seiten. 11,00 €. ISBN 978-3-499-21795-1 (Rowohlt)

Nils Mohl – Henny & Ponger

Eine S-Bahnfahrt in Hamburg, zwei Jugendliche, die das gleiche Buch lesen und eine Notbremsung. So beginnt das Roadmovie Henny & Ponger, in dem Nils Mohl die ungewöhnliche Geschichte der beiden gleichnamigen Held*innen erzählt, in der man nie ganz genau weiß, woran man ist. Nur eines weiß man: das hat Drive, das zieht in die Geschichte und ist sprachlich so gut geschildert, dass man immer weiter möchte mit Henny und Ponger.

320 Seiten. 18,00 €. ISBN 978-3-95854-182-5 (mixtvision)

Kirsten Boie – Dunkelnacht

Nicht nur aus Gründen des Heimatbezugs sei auch dieses Buch von Kirsten Boie, für das sie den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis in diesem Herbst erhielt, nachdrücklich empfohlen. Denn in Dunkelnacht erzählt sie aus Sicht von Kindern von einem der grausamsten Endphaseverbrechen, nämlich der Penzberger Blutnacht. Eindringlich, erschütternd und mahnend, ohne dass das Buch je ins Moralinsaure kippen würde. Einfach ein beeindruckendes Buch für eine historisch interessierte Leserschaft.

112 Seiten. 13,00 €. ISBN 978-3-7512-0053-0 (Oetinger)

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Warum ich (noch) blogge.

In diesen Tagen, in denen die Buchmesse in Frankfurt wieder ihre Tore öffnet, ist es auf meinem Literaturblog soweit: mein 1000. Beitrag erscheint. Sagt zumindest meine Blogstatistik und die muss es wissen. Da ich in ein paar Monaten sowieso den zehnten Geburtstag dieses kleinen Blogs hier begehe, hielt ich es für angezeigt, nach all der Zeit doch einmal das bisher Erreichte zu reflektieren und ein paar Gedanken rund um mein Tun zu sammeln.

Begünstigt wurde dies durch eine Veranstaltung, zu der ich jüngst in München im Hause der Monacensia eingeladen war. Unter dem Titel „Feuilleton vs. Blog – Buchkritik im Wandel“ wollten wir über die mögliche Zukunft von Literaturkritik sprechen – und damit verbunden die Bedeutung von Blogs und die Motivation für die eigene Arbeit.

Grund genug, das Schreiben auf dem Blog zu beleuchten und zu hinterfragen – und damit auch die Kernfrage, warum ich überhaupt (noch) blogge, sodass 1000. Beiträge zusammengekommen sind.

Beginn während meines Studiums 2013

Ist das Lesen von Büchern schon eine einsame Angelegenheit, so ist es das Sprechen darüber noch viel mehr, besonders im ländlichen Raum Bayerns. Kaum jemand mit dem gleichen Lesegeschmack, Lesungen oder gar Literaturfestivals in der näheren Umgebung. Und dazu die eigene Hybris, selbst über Bücher sprechen und schreiben zu wollen, wie ich es mir vom Feuilleton abgeschaut zu haben meinte.

Als Ergebnis dieser Überlegungen startete ich bar nennenswerter Kenntnisse von Programmierung oder dem Literaturmarkt den Blog unter dem Namen Buch-Haltung, der sich seitdem immer weiterentwickelt hat. Früher noch mit einem verspielten Motiv auf einer einfachen Google-Anwendung namens Blogspot, wagte ich aus dem Bedürfnis nach einer professionelleren Gestaltung heraus vor einigen Jahren den Umstieg auf WordPress, das seitdem zum Zuhause geworden ist.

Screenshot des Literaturblogs aus alten Tagen
Screenshot des Blogs aus frühen Jahren

In dem Maße, in dem sich mein Lesehorizont erweiterte, wuchs auf der Umfang der Besprechungen, die heute zumeist über 600 Wörter umfassen. Die Optik und die Qualität der Texte verbesserten sich (zumindest nach meinem Dafürhalten) und die Referenzrahmen des Besprochenen wuchsen. Lese ich mir früher publizierte Besprechungen durch, so lassen mich viele davon heute manchmal doch arg die Stirn runzeln. Die Urteile in der Retrospektive nicht immer nachvollziehbar und die Sprache bisweilen recht rumpelig und unbeholfen, so mein Eindruck der eigenen Kritiken aus den Anfangsjahren.

Und dennoch haben sie nach wie vor ihre Daseinsberechtigung im Blog-Archiv, zeigen sie doch, wie sich meine Lesesozialisation seit damals gewandelt hat, als ich als Student Anfang 20 den Blog begann. Heute ist mein literarisches Durchhaltevermögen deutlich stärker, sodass ich inzwischen auch schon einmal zu einem tausendseitigen Klassiker von Thomas Manns greife oder aber ob der vielfachen Abgegriffenheit von Themen und Motiven weniger Krimis lese und bespreche als einst. All das sind spannende Entwicklungen, die der Blog abbildet und die nach wie vor sichtbar sein dürfen.

Bleibt nur die große Frage bestehen, warum das alles? Und damit sind wir bei der Kernfrage dieses Beitrags angekommen, der mich schon seit gewisser Zeit umtreibt. Denn die Arbeit, die hinter diesem Blog steckt, ist immens, versucht man all die Arbeit hinter den Kulissen einmal aufzulisten.

Viel Arbeit, wenig Ertrag

Programmvorschauen sichten, mit den Presseabteilungen kommunizieren, die Bücher einplanen, Beiträge schreiben, korrigieren, die Grafiken erstellen und einsetzen, die Beträge an die verschiedenen Social Media-Kanäle einbinden, dort noch einmal gesondert mit Posts auf die neuen Beiträge hinweisen, den Newsletter pflegen, die Domain hosten und bezahlen, Lesungen besuchen, auf eigene Kosten Buchmessen zu besuchen, an abendlichen Buchpräsentationen teilnehmen – und dann fehlt noch der zeitintensivste Posten, nämlich das Lesen und Überdenken der Bücher. Das alles passiert hier mit einer Frequenz von ungefähr zehn Besprechungen im Monat.

Keine Frage, all das macht viel Arbeit, die am Tag einige Stunden verschlingt, und die ich unbezahlt neben meinem Vollzeit-Job erbringe. Ertrag wirft der Blog trotz über 700 Abonnent*innen nicht ab, sodass sich wie bei so vielen anderen Bloggenden auch bei mir die frühere Hoffnung auf eine monetären Vergütung nicht erfüllte.

Reich wird man mit dem Blog schon einmal nicht – eher ist es ein deutliches Minusgeschäft mit vielen dutzenden Stunden an Arbeit im Monat. Bleibt noch der zweite Wunsch, den ich damals neben der Hoffnung auf Buchkritik als auskömmliches Hobby hegte. Es war der Wunsch nach Sichtbarkeit im literarischen Raum, nach potentiellen Lesungsmoderationen oder Jury-Tätigkeiten durch das Bloggen. Auch diese Hoffnungen blieben in den vergangenen Jahren so gut wie unerfüllt und kamen erst in jüngster Zeit etwas in Schwung.

Man mag ein solches Begehren angesichts eines einfachen Lesers vermessen finden, habe ich doch weder Germanistik noch Literaturwissenschaft studiert und mich ungefragt erdreistet, meine Privatmeinung zu Büchern zu publizieren. All das mag zutreffen. Aber die Zeit, in der die Wünsche entstanden, war die „goldene“ Zeit der Blogs, in der alles möglich schien und sich Blogs in der Wahrnehmung anschickten, dem Feuilleton fast ebenbürtig zu werden. Deshalb an dieser Stelle ein ganz kleiner Blick zurück.

Tempi passati

In dieser Blütezeit der Blogs war die Szene unglaublich vielfältig und bestach durch eine Diversität in Ton und Thematik, wie ich sie heute etwas vermisse. Tilmann Winterling schrieb ebenso witzige wie zugängliche Beiträge auf 54 Books, Birgit Böllinger widmete sich in Sätze und Schätze der Weimarer Republik und neuen Sachlichkeit, Jochen Kienbaum trug lange Beiträge zu Klassikern und anspruchsvollen Titeln bei und wollte Lust auf Lesen schüren, Tobias Nazemi schrieb von sich und seinen Lektüreeindrücken im Buchrevier. Sogar in die Jury des Deutschen Buchpreises schaffte es ein Blogger, nämlich Uwe Kalkowski, der Kaffeehaussitzer.

Und heute? Tempi passati. Immer wieder muss ich Blogs von meiner Blogroll nehmen, manche haben sich erheblich gewandelt, andere sind seit Jahren nicht mehr gepflegt oder ganz verstummt. Viele Bloggende haben den Absprung in die Buchbranche gewagt oder, das Schreiben über Bücher ganz aufgegeben. Oder sie sind zu anderen, einfacher zu bespielenden Medien wie etwa Instagram gewechselt.

So der subjektiver Eindruck meinerseits bislang, der nun durch die statistische Auswertung von Tobias Zeising untermauert wurde. Alleine in seinem Untersuchungszeitraum der letzten drei Jahre stellte er fest, dass fast die Hälfte der im Jahr 2019 aktiven Blogs und damit über 400 Stück verschwunden sind. Zwar herrscht immer noch Fluktuation, neue Blogs kommen hinzu, die an die Stelle von alten, verwaisten Blogs treten. Doch der Boom dieser Form der Auseinandersetzung mit Büchern ist allerdings schon lange vorbei, das zeigen die Zahlen sehr deutlich. Die Buchblogszene schrumpft.

Nur ein paar wackere Schreiber*innen aus den Anfangstagen wie Constanze Matthes, Julia Schmitz, Katharina Herrmann oder ebenjener schon erwähnte Uwe Kalkowski bloggen nach wie vor und bereichern die rückläufige Szene, aus der eben kein zweites Feuilleton im Internet geworden ist, auch wenn diese Fehlannahme viele der sich ewig perpetuierenden Debatten prägte.

Und dann sind da auch noch einige andere Erkenntnisse, die auch schon andere Bloggende artikuliert haben, und die sich auch mit meiner Wahrnehmung decken. Rezensionen auf dem Blog interessieren kaum. Vielmehr sind es alle anderen Beiträge von Verlagsvorschauen bis zu Buchpreis-Tipps, die nachgefragt sind. Kleine Verlage und unbekannte Namen ziehen nicht wirklich, vielmehr steigt das Interesse mit dem Grad der Popularität und der Bestseller-Nähe der jeweils besprochenen Titel. Das Versprechung auf Vernetzung der Blogs und der Literaturkritik untereinander ist ausgeblieben, vielmehr werkelt jeder vor sich hin, ohne dass sich nennenswerte Debatten im Umfeld von Blogs entspinnen.

Verpasste Chancen

Auch die Verlage selbst tragen in meinen Augen etwas zu dieser Entwicklung bei, gäbe es doch von Seiten der Bloggerinnen und Blogger viel qualitativ hochwertige Beiträge, die man bequem verlinken könnte oder mit wenig Aufwand sich gegenseitig zu viel Sichtbarkeit verhelfen könnte. Aber zumindest in meiner Wahrnehmung bleiben Beleglinks so gut wie unbeachtet, werden einzelne Kritik ab und an vielleicht noch unter der Rubrik der Pressestimmen abgelegt wenn eine Rückmeldung nicht komplett ausbleibt.

Gefühlt herrscht wenig Wertschätzung. Viele Verlage agieren im Netz noch immer, als sei es Neuland für sie. Blogger*innen sind in dieser Welt oft wenig mehr als ein verlängerter Arm des Marketings, die mit ihrer Reichweite zur Bewerbung des eigenen Verlagsprogramms gut sind, recht viel mehr aber nicht.

Natürlich gibt es Ausnahmen, leisten viele Mitarbeitende in den Verlagen tolle Arbeit und bemühen sich engagiert um Aktionen, Kontakt auf Augenhöhe und lassen sich spannende Aktionen zur Darstellung der eigenen Häuser einfallen. Die Presseabteilungen sind oftmals unterbesetzt, nicht gut bezahlt und die Interaktion mit digitalen Rezensent*innen macht durchaus Arbeit. Aber diese Arbeit würde sich wirklich lohnen, wird doch auf diesem Feld noch immer erstaunlich viel Potential verschenkt. Vielen Verlagen scheint es auch zu genügen, mit ein paar Bildkacheln das jeweilige Programm zu präsentieren um in den Netzwerken irgendwie präsent zu sein.

Aber ich möchte eine vielfältigere Welt, in der unterschiedliche Stimmen und Blicke zu Büchern, Programmen und Schreibenden ihren Platz in der digitalen Welt haben – und weit darüber hinaus. Eine Welt, in der Verlage mithilfe von Außenstehenden neue Blickwinkel auf Bücher ermöglichen und schreibende Stimmen aus der Blogwelt aufgreifen und als Chance begreifen. Souverän genug sein, Kritik an Büchern zuzulassen, Debatten ermöglichen, begleiten und Schreibende wertschätzen, das würde ich mir von den Verlagen wünschen, sind Blogger*innen doch gerade für Genretitel und kleinere Namen abseits der Bestsellerlisten ein wichtiger Faktor, da sie Büchern Sichtbarkeit verschaffen, die sonst vielleicht komplett untergingen.

Dass das Ganze nicht in Bauchpinselei enden sollte, versteht sich von selbst. Das Zusammenwirken von Autor*innen, Verlagen und Blogger*innen sollte zum gegenseitigen Ansporn für bessere und vielfältigere Arbeit werden. Wenn diese Arbeit herausfordert, allen Beteiligten neue Aspekte eröffnet und die ganze Breite der digitalen Beschäftigungsformen mit Literatur abbildet, dann wäre schon viel gewonnen. Das wäre mein hehrer, vielleicht auch naiver Wunsch zum Blogjubiläum.

Es geht weiter

Für das Durchhalten dieser möglicherweisen latent pessimistisch-larmoyanten Suada, und meinen potentiell völlig verzerrten Blick auf die kontemporäre Welt der Literaturblogs bis hierhin möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. So soll dieser Text auch nicht enden, denn es gibt es ja auch Gründe, warum ich diesen Blog weiterführe und trotz der enttäuschten Hoffnungen auch ins zehnte Jahre seines Bestehens gehe.

Denn ich glaube, dass Blogs nach wie vor eine große Bedeutung zukommt, gerade in diesen Zeiten. Nennenswerte Buchkritik im Fernsehen findet abseits von Nischen nicht statt, die Zeitungsauflagen und damit auch der Platz für das Feuilleton schrumpft. Im Formatradio hat abseits von Kulturformaten und-sendern das gedruckte Wort kaum Platz. So ist etwa der Kulturteil von Spiegel Online ein Schatten seiner selbst. Wenn dann hier alle paar Wochen einmal ein Buch besprochen wird, dann verwechselt der Autor auch noch den Buchautor mit dessen Bruder. Das Bild, dass die Literaturkritik in der aktuellen medialen Landschaft abgibt, es ist mehr als bedauerlich.

Dabei ist es wichtig, für das Lesen zu werben, indem man die Fahnen der literarischen Vielfalt hochhält und versucht, die Breite der Literaturproduktion abzubilden, auch wenn meine Mittel und Möglichkeiten natürlich bescheiden sind.

Nichts langweiliger als ein Feuilleton, das von der Zeit bis hin zur FAZ in den Anfangstagen dieses Jahres unisono die Romane von Hanya Yanagihara und Michel Houellebecq bespricht und damit den Begriff der Bibliodiversität ad absurdum führt. Solche besprechungsmäßigen Monokulturen versuche ich zu vermeiden. Nicht umsonst ist zu keinem der beiden Titeln auch noch an dieser Stelle eine Besprechung erfolgt. Generell gilt für mich nach wie vor das Credo, dass man Bestsellertitel hier eher selten findet (obgleich die kommende Besprechung hier eine Ausnahme macht).

Ich mag es, meinen Platz für neue Stimmen und unbekannten Titel zu nutzen und als Entdecker von Lesenswertem zu fungieren.

Austausch, der bereichert

Und nicht zuletzt sind es die vereinzelt eintreffenden Rückmeldungen zu vorgestellten Büchern oder Literaturempfehlungen, die mich weiterhin an mein eigenes Tun glauben lassen. Nette Mails, die sich für Leseanregungen bedanken oder die ganz gegensätzlicher Meinung zu Titeln mitteilen. Bilder aus Urlauben, bei denen es ein hier vorgestelltes Buch in den Urlaubskoffer geschafft hat, Gespräche auf Bühnen oder im Radio über besondere Bücher, all das lässt die viele Arbeit sinnvoll erscheinen und bestärkt mich in meinem Schreiben, das die gute Literatur in den Mittelpunkt rücken will.

Immer wieder ergeben sich inspirierende Begegnungen oder ein Austausch, der mich bereichert, meinen Blick auf die Welt der Literatur und damit auch meinen Blick auf die Welt selbst weitet. Das möchte ich keinesfalls missen.

Und deshalb wird die Arbeit hier definitiv weitergehen. Die Vielfalt der literarischen Szene verdient es. Ob es nun weitere zehn Jahre mit diesem zeitintensiven und aufwändigen Hobby werden, das wage ich zu bezweifeln. Aber was ich weiß, dass es nach diesem reichlich nostalgischen, möglicherweise arg larmoyanten und sehr persönlichen 1000. Beitrag hier auf dem Blog wieder in gewohnter Form mit Besprechungen von Neuem, Altem, Besonderen und Überraschenden weitergeht. On y va!

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Von entsorgten Büchern und Bibliotheken in Gefahr

Seit einigen Wochen stehen Bibliothek vermehrt unter Beschuss. Sie sie in den Fokus der russischen Trollarmeen gerückt – und auch auf Twitter werden munter Ressentiments gepflegt. Zeit für eine Entgegnung.


Dass sich auf Twitter Debatten entspinnen und Diskussionen heißlaufen, das gehört ja zum guten Ton auf der Plattform und sollte nicht verwundern. Die folgende Debatte hingegen hat mich aber wirklich überrascht – und das nicht im positiven Sinne.

So nahm alles mit folgendem Tweet am 29.09.2022 seinen Ausgang:

Makulatur von Büchern aus Bibliotheksbeständen - Twitter Screenshot
Screenshot: Twitter

Der Nutzer zeigte hier Bilder entsorgter Bücher, sie sich neben einem Baucontainer fanden. Mit seinem Tweet rückt er die Entsorgung dieser Bücher in die Nähe der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten und insinuiert eine Parallele von den Gräuel der Nazizeit hin zum Vorgang der Aussonderung von Bibliotheksbestand in unseren Tagen. Ich halte diesen Vergleich für infam und beleidigend, ist er doch ebenso falsch wie uninformiert und kränkt mich durchaus etwas in meiner Berufsehre.

Vermeintlich frevelhafter Umgang mit Büchern

Was auf die geposteten Bilder folgen sollten, waren die plattformtypischen Erregungsmechanismen, die logischerweise einsetzten. Nutzer beklagten den hier begangenen Frevel, da die Bibliothek hier achtlos wichtige und unwiederbringliche Wissensschätze fortwürfe und zeige, was ihr Bücher bedeuten würden – nämlich nichts. Richtigstellungen wie die des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldtuni, die erklärten, dass es sich hier um Dubletten handeln würde, die im Zuge der Renovierung von Fachschaftsräumen erst zur Mitnahme angeboten und die Reste dann entsorgt worden seien, kamen gegen das Twitter-Tribunal nicht wirklich an.

Jedes Antiquariat hätte die Bestände mit Kusshand genommen, als Student wäre man froh über diese Bücher gewesen, das Bild der Humboldt-Universität erlitte Schaden und überhaupt: Lieben Bibliothekar*innen Bücher überhaupt, da sie doch so offensichtlich derart barbarisch mit den ihnen anvertrauten Büchern umspringen? Das waren nur ein paar alarmistischen Fragen, denen viele Twitteruser*innen aus dem bibliothekarischen Umfeld entgegentraten.

Und auch ich möchte das tun, ist diese Debatte für mich doch nicht nur ein typischer Sturm im Twitter-Wasserglas, sondern symptomatisch für grassierende Vorurteile Bibliotheken gegenüber. Und noch wichtiger: auch ein Ausdruck für besorgniserregende gesellschaftliche Entwicklungen in diesen Tagen.

Die Makulatur als daily business

Zunächst muss ich ein vielleicht romantisiertes Bild von Bibliotheken und deren Arbeit geraderücken. Denn ja – es gibt Archivbibliotheken, die sämtliches Schriftgut einer Region oder eines Fachbereichs archivieren und für die Nachwelt aufbewahren. Aber der Großteil von Bibliotheken und Büchereien sind Gebrauchsbibliotheken, deren Bestände für aktuelle Forschung und ein Studium auf dem neuesten Stand der Wissenschaft ausgelegt sind. Makulatur von Beständen gehört daher zum unabdingbaren Tätigkeitsbereich dieser Häuser, deren Regalplatz eh meist zu knapp bemessen ist, als dass man größere überkommene Bestände archivieren und diese neben dem ständigen Neuzugang an Literatur ebenfalls aufzubewahren könnte.

Dabei kann ich beruflich bedingt sowohl von wissenschaftlicher als auch öffentlicher Bibliotheksseite berichten. Der Platz ist endlich, der Zustrom an neuen Medien reißt nicht ab – und das Interesse für ältere Titel ist beschränkt. Das war in der Stadtbücherei so, in der ich arbeitete, und das gilt auch jetzt für meinen aktuellen Arbeitgeber, eine Studienbibliothek.

Vorsicht bei Buchspenden

Immer wenn jemand „gut erhaltene“ und „ganz neue“ Bücher spenden wollte, war Vorsicht geboten, ist dieser Begriffe doch ein sehr subjektiver mit viel Ermessensspielraum, wie sich spätestens bei Eintreffen der Bücher zeigte. Viele Büchereien nehmen aus diesem Grund gar keine Buchspenden mehr an, sind die als nagelneu angepriesenen Medien doch zumeist eher ein Fall fürs Altpapier denn Anlass für eine aufwendige Einarbeitung in den Bibliotheksbestand bei geringer Personaldecke.

Ephraim Kishon, ein Duden von 1993, Simmel, Konsalik, May, Readers Digest aus den 80ern, dazwischen noch ein Medicus von Noah Gordon oder die hundertste Ausgabe eines seelenlosen Flughafenbestellers (Shades of Grey, Follett, Fitzek, Lorentz oder Grisham, tbc). Das, was tausendfach verkauft wurde und heute schon Bücherschränke landauf landab verstopft und weder auf Medimops noch im Antiquariat ein paar Cent bringt, es soll plötzlich von Bibliotheken mit Kusshand angenommen werden.

Das soll nicht undankbar klingen – auch ich weiß um den ideellen Wert mitunter auch älterer Titel, mit denen man viel Lesezeit verbracht hat und mit denen man vielleicht lange den Wohnraum teilte. So leid es mir aber tut, diese Illusion jetzt zerstören: das Gros der Lesenden interessiert all das nicht wirklich. Die Nachfrage geht zu möglichst aktueller Literatur in neuwertigen Ausgaben.

Dementsprechend haben die meisten öffentliche Büchereien schon rigorose Annahmerichtlinien erlassen, sollten sie dies überhaupt noch tun oder nicht schon die Annahme solcher Spenden komplett zu verweigern. Der Arbeitsaufwand in Form des Sichtens von Bücherkisten, des Herausfischen genau jenes relevanten Titels, der Katalogisierung und Einarbeitung, erst steht zumeist in keinem Verhältnis, auch wenn die Spenden lieb gemeint sind.

Wissen erneuert sich – Buchbestände auch

Und auch wissenschaftliche Bibliotheken kämpfen mit Büchermassen und zu wenig Platz, als dass man sich viel Sentimentalitäten erlauben könnte, was die Aufbewahrung des Bestands angeht.

In dem Maße, in dem die Wissenschaft voranschreitet, sich Sachstände überholen und neue Erkenntnisse publiziert werden, muss sich auch der Bestand erneuern. Alte Lehrbücher vor zwanzig Jahren sind da kein wirklicher Ausleihrenner mehr und müssen immer wieder ersetzt werden. Alte Standardwerke gibt es in neuen Auflagen – und vieles, das früher noch aufwendig in teuren mehrbändigen Werken präsentiert wurde (Stichwort Duden) ist heute schon längst im Netz zu finden und über Bibliotheken digital zugänglich.

Das bedeutet natürlich keinesfalls, wie auch im Falle in Berlin nicht geschehen, dass man konzeptlos einfach ein paar Regalmeter Bücher wahllos in die nächste Tonne wirft, um Platz zu schaffen. Vielmehr werden die auszusondernden Bücher hinsichtlich ihrer Aktualität geprüft und auch die restliche Verfügbarkeit der Titel gecheckt, ehe sie makuliert werden. Somit ist auch stets die Möglichkeit gegeben, über Fernleihe ein Buch zu beziehen, das sich vielleicht nicht mehr in der gegenwärtigen Bibliothek befindet.

Das hat nichts mit der Liebe zu Büchern zu tun – es ist schlicht und ergreifend unser Job, durch kluges Management in Form von Erwerbung und Aussondern den Bestand aktuell zu halten und so den Nutzer*innen den aktuellen wissenschaftlichen Sachstand zur Verfügung zu stellen. Das macht Aufwand und mag manchem auch geradezu barbarbarisch erscheinen (insbesondere wenn man etwa Bücher als Grundnahrungsmittel mystifiziert und diese nicht als Ware, sondern als sakrosankte Heiligtümer betrachtet).

Aber man sollte Polemiken unterlassen und gerade Vergleiche mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten verbieten sich von selbst.

Die wahre Gefahr droht von außen

Die wirkliche Gefahr droht dieser Tage von außen. Sie sollte man eher in den Blick nehmen, anstatt die wichtige Arbeit von Bibliotheken mit substanzlosen Anwürfen zu schwächen. Gerade Bibliotheken stehen für die Bewahrung von Wissen und leisten wichtige Arbeit für das kulturelle Gedächtnis von Nationen.

Dass ihre Arbeit rund um den uneingeschränkten Zugang zu Wissen und informatorischer Selbstbestimmung etwa in Amerika momentan beschnitten wird und sich das Bibliothekspersonal zunehmenden Angriffen gegenübersieht, dies wäre ein wirklicher Anlass für eine kritische Diskussion über die herrschenden Zustände.

Angriffe auf Bibliotheken aus Russland und in Amerika

Aber auch von russischer Seite sieht es gerade nicht besser aus. So sind die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden und die Bücherhallen Hamburg ins Visier einer von Russland gesteuerten Fakenews-Kampagne geraten. Es wird behauptet, dass die Bibliotheken russischer und andere Buchspenden sammeln, um diese als Wärmegewinnung zu verbrennen.

Eine groteske Unterstellung, die auch hier wieder Bibliotheken in eine direkte Linie mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten stellt und die Arbeit von Bibliotheken sabotieren soll, was auf schnellen und auf Erregung ausgelegten Plattformen natürlich besonders gut verfängt.

Hier zeigt sich eindrucksvoll, dass Bibliotheken in ihrem Eintreten für Bildung, kritisches Denken und vollumfängliche Information tatsächlich zu Feindbildern geworden sind, die mit gezielten Kampagnen und neuen Gesetzgebungen angegriffen und mundtot gemacht werden sollen.

Würden viele der Kommentator*innen in den nationalen Debatten ihre Energie auf die Kritik dieser internationale Zustände richten und diese adressieren, so wäre schon viel gewonnen.

Fazit

Schließen möchte ich diese kleine Einlassung meinerseits mit einem Appell:

Bibliotheken sind wichtig für freie Gesellschaften und für freies Denken. Ihre Arbeit sollte geschützt und geachtet werden – und nicht Ziel von anlasslosen Shitstorms sein. Ihr wollt moderne Bibliotheken mit einem modernen Bestand – das wollen wir auch. Dazu gehört eben auch das aktive Aussondern von Beständen und die aktive Arbeit mit den uns anvertrauten Medien. Wir erklären das gerne, helfen euch bei Fragen weiter, recherchieren und schulen auch Medienkompetenz, mithilfe derer sich durchsichtige Kampagnen wie die aktuellen Angriffe gegen unsere Häuser schnell enttarnen lassen.

Nehmt diese Angebote wahr, besucht uns, sprecht mit uns, bleibt kritisch – aber richtet euren Blick auch auf die Zustände, die wirklich Kritik verdienen. Kleiner Tipp: die Aussonderung von überholten und alten Büchern durch uns Bibliotheken ist es nicht.

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Die Büchergilde vor Ort

Seit August diesen Jahres darf ich eine neue Funktion wahrnehmen: für die Büchergilde bin ich nun als Botschafter unterwegs und werde neue Titel aus dem Programm hier auf dem Blog und auf Instagram vorstellen.

Die Büchergilde ist eine Buchgenossenschaft, die bereits 1924 in Leipzig zur Förderung des schönen Buchs gegründet wurde. Die Mitgliedschaft kostenfrei ist. Im Gegenzug verpflichtet man sich dazu, viermal im Jahr jeweils einen der besonders gestalteten Titel auszusuchen und abzunehmen. Sollte man den Quartalskauf vergessen, bekommt man automatisch ein ausgewähltes Buch zugesandt. Neben den Büchern gibt es auch ein kostenloses Magazin, in dem alle Neuerscheinungen und Gestaltungsschwerpunkte vorgestellt werden.

Ein Schwerpunkt auf Gestaltung

Besonders macht die Bücher neben der thematischen Auswahl nämlich ihre Gestaltung, die durch eigene Ideen und Bildsprache überzeugt und bei der ganz unterschiedliche Künstler*innen ihre Ideen einbringen. So werden hierfür gezielt Gestaltungswettbewerbe durchgeführt und junge Illustrator*innen gefördert.

Neben aktuellen Belletristik- und Sachbuchtiteln gibt es darüber hinaus immer wieder Klassiker wie etwa Erich Maria Remarques Die Nacht von Lissabon oder Vladimir Nabokovs Pnin. Auch findet man innerhalb des Sortiments diverse Reihen wie etwa die Büchergilde unterwegs mit Reisebüchern, die in Form einer Postkarte gestaltet sind – oder etwa den Weltempfänger, der sich für welthaltiges Lesen fernab aller eurozentristischen oder amerikanisch geprägten Kulturwelt einsetzt, z.B. mit Damon Galguts Das Versprechen.

Beschäftigung mit dem Buch vor Ort

Nun kann man das Ganze natürlich nur auf das Internet-Shopping beschränken und seine Titel online ordern. Dabei entgeht einem allerdings der größte Spaß, denn die Titel wollen mit ihrer besonderen Gestaltung in die Hand genommen und betrachtet werden.

So möchte ich die Gelegenheit nutzen, neben meinem steten Anliegen im Werben für den lokalen Buchhandel heute konkret drei Buchhandlungen vorzustellen, die eine haptische Beschäftigung mit diesen besonderen Büchern ermöglichen.

Hierfür stehen drei unterschiedliche Partnerbuchhandlungen der Büchergilde im Fokus, die ich selbst sehr gerne aufsuche. Buchhandlungen, die durch ihr Engagement für besondere Bücher und lebendige Veranstaltungsarbeit auffallen. Gemäß meines Wohnorts habe ich mich hierbei auf drei süddeutsche Buchhandlungen beschränkt, die für mich in der erweiterten Nachbarschaft liegen und deren Konzepte mich überzeugen.

Aegis in Ulm

Die Buchhandlung Aegis in Ulm

Eine echte Institution in Ulm ist die Buchhandlung Aegis. Einst wurde sie vom Widerstandskämpfer Ernst Bauer gegründet und war die Ausbildungsstelle von keinem Geringeren als dem späteren Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Im Jahr 2018 macht sich Rasmus Schöll mit seinem Team daran, die Geschichte der Buchhandlung fortzuführen und neue Impulse zu setzen. 2021 kam dann sogar noch eine weitere Filiale im Ulmer Stadtteil Söflingen dazu. Seit neuestem gehört auch das neben der Buchhandlung gelegene Restaurant „Kokoschinski“ als Teil zur Aegis-Buchhandlung, in dem Lesungen und Events stattfinden. Mit dem Deutschen Buchhandlungspreis wurde die Buchhandlung seitdem bereits doppelt ausgezeichnet, nämlich in den Jahren 2019 und 2020.

Teil der sorgsam ausgesuchten Buchauswahl ist auch die Büchergilde, die sich in einem Regal in der Mitte der Buchhandlung befindet und die sich zentral den Blicken darbietet. Darüber hinaus gibt es auf zwei Stockwerken Lyrik und Kinderbücher und andere Preziosen. Und wer möchte, der bekommt seine Einkäufe dekorativ in einer Tüte vernäht – ein wirklicher Hingucker!

Erreichbarkeit: Aegis Literatur | Breite Gasse 2, 89073 Ulm | info@aegis-literatur.de | 0731 64051

Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. 10 bis 19 Uhr, Samstag 9 bis 17 Uhr

Internetpräsenz: https://aegis-literatur.buchhandlung.de/shop/

Dombrowsky in Regensburg

Das Büchergilde-Sortiment als Bühne

Betritt man den Kassiansplatz in Regensburg, so verheißen links neben dem Café Kona drei stets mit schönen Büchern versehene Schaufenster den Weg zur Buchhandlung Dombrowsky, die sich dem Eintretenden als großer Raum öffnet. Neben der Kasse und dem Auskunftsplatz in der Mitte des Raumes sind bibliophil gestaltete Bücher überall anzutreffen. Neue Belletristik und Spannungsliteratur auf der linken Seite, Kinder- und Jugendbücher im Anschluss an den Erwachsenenbereich, Tische mit Neuerscheinungen und Herzensbücher – und dann auch noch ein Bereich, der für Veranstaltungen als Bühne fungiert und im hinteren Teil des Ladens vorzufinden ist.

Als Rückseite der Bühne dient hierbei das Sortiment der Büchergilde, auf das die Zuschauer*innen sehen dürfen und dabei die schön gestalteten Bücher im Blick haben, wie Inhaber Ulrich Dombrowsky betont. Vertikal in den Regalen einsortiert und präsentiert lässt sich hier die gestalterische Vielfalt bewundern und vor oder nach den Veranstaltungen auch in die Hand nehmen. So verbinden sich Optik und Funktion vortrefflich.

Erreichbarkeit: Buchhandlung Dombrowsky | St.-Kassians-Platz 6, 93047 Regensburg | ulrich.dombrowsky@t-online.de | 0941 56 04 22

Öffnungszeiten: Mo. – Fr. 9.30 bis 18.30 Uhr, Sa. 9.30 bis 18.00 Uhr

Internetpräsenz: www.dombrolit.de

Die Buchhandlung am Obstmarkt in Augsburg

Inhaber Kurt Idrizovic händigt mir die Büchergilde-Mitgliedschaft aus

Eine Institution ist die Buchhandlung am Obstmarkt in Augsburg. Buchhändler Kurt Idrizovic betreibt seine Buchhandlung schon seit vielen Jahren und hat sie zu einem Anlaufpunkt für Literaturinteressierte ausgebaut. Neben einem großen, auf Tischen präsentierten Sortiment der Büchergilde gibt es daneben einen extra Raum für das Oeuvre von Bert Brecht, das der Buchhändler mit Lampionspaziergängen oder Stadttouren auf den Spuren des berühmten Sohns der Stadt lebendig hält.

Regelmäßige Veranstaltungen wie Literatur im Biergarten oder Literarische Salons ergänzen das umfangreiche Angebot des umtriebigen Buchhändlers, der stets zu einem Plausch über aktuelle Lektüre aufgelegt ist und mit dem es sich auch auf der Bühne exzellent über gute oder schlechte Literatur diskutieren lässt (wie ich es auch schon des Öfteren erleben durfte). Zudem ist der Verleger der Büchergilde selbst hier auch häufiger anzutreffen, etwa wenn die Lounge des lokalen Hotels neu mit Büchern aus der Büchergilde ausgestattet oder bespielt wird.

Erreichbarkeit: Buchhandlung am Obstmarkt | Obstmarkt 11, 86152 Augsburg | post@buchhandlung-am-obstmarkt.de | 0821-518804

Öffnungszeiten: Mo. – Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa. 10 bis 14 Uhr

Internetpräsenz: www.buchhandlung-am-obstmarkt.de


So viel zu meinen favorisierten Büchergilde-Buchhandlungen hier im Süden. Gibt es für euch auch besondere Buchhandlungen in eurer Nähe – und kennt ihr die Büchergilde bereits oder seid gar Mitglieder? Ich wäre gespannt!

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Das Deutscher Buchpreis-Lotto 2022

Wie jedes Jahr gibt es auch heuer wieder meine Tipps in Sachen Deutscher Buchpreis. Titel, die ich mir auf der Longlist vorstellen könnte, Titel, die ich mir auf der Longlist wünschen würde – und alles dazwischen.

Rege wird sie diskutiert werden, wenn die Liste am 23.08.2022 erscheint. Was fehlt, was steht zu Unrecht auf der Liste, und warum nur hat sich die Jury für diesen einen Titel entschieden? Zu viele große Namen, zu wenig Neues, zu viele Männer, zu wenig Debüts? Diese Fragen gehören zum Prozedere einfach dazu.

Nun aber erst einmal meine Lottotipps für 20 potentielle Kandidat*innen auf der Longlist:

Lucy Fricke – Die Diplomatin | Robert Menasse – Die Erweiterung | Annika Büsing – Nordstadt | Mirjam Wittig – An der Grasnarbe | Viktor Funk – Wir verstehen nicht, was passiert

Senthuran Varatharajah – Rot (Hunger) | Eckhart Nickel – Spitzweg | Claudia Schumacher – Liebe ist gewaltig | Fatma Aydemir – Dschinns | Heinz Strunk – Ein Sommer in Niendorf

Esther Kinsky – Rombo | Norbert Scheuer – Mutabor | Steffen Mensching – Hausers Ausflug | Reinhard Kaiser-Mühlecker – Wilderer | Karen Duve – Sisi

Abbas Khider – Der Erinnerungsfälscher | Katharina Hacker – Die Gäste | Bettina Scheiflinger – Erbgut | Anna Yeliz Schentke – Kangal | Leona Stahlmann – Diese ganzen belanglosen Wunder

Daneben bleiben natürlich viele weitere mögliche Tipps. Schafft es Wolf Haas mit seinem neuen Brenner-Krimi Müll auf die Liste? Oder Charles Lewinsky nach dem Halbbart erneut mit Sein Sohn? Oder macht im Verbrecher-Verlag statt Viktor Funk Bettina Wilpert das Rennen? Findet ein spannendes Debüt wie die Nachtbeeren von Elina Penner Widerhall auf der Liste? Fragen über Fragen, auf die wir am 23.08.2022 um 10:00 Uhr eine finale Antwort bekommen werden. Habt ihr Tipps oder rechnet ihr fest mit bestimmten Büchern?

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