Monthly Archives: September 2018

Lukas Rietzschel – Mit der Faust in die Welt schlagen

Der Osten Deutschlands. Abgehängte, Landflucht, AFD und Pegida-Kernland. So die Buzzwords der Medien, wenn es um die ostdeutschen Bundesländer geht. Der Debütautor Lukas Rietzschel, selbst aus Ostsachen stammend, wagt sich nun literarisch weit hinein in dieses Gebiet und erzählt von der Provinz und ihren Bewohnern.

Dies tut er mithilfe zweier Brüder, die die erzählerische Grundachse seines Romans Mit der Faust in die Welt schlagen bilden. Von ihrer Kindheit an begleitet er Philipp und Tobias, die mit ihrer Familie in Neschwitz an der Grenze zu Polen aufwachsen.

Lukas Rietzschel - Mit der Faust in die Welt schlagen (Cover)

Dort verwirklichen ihre Eltern ihren Traum vom Eigenheim und bauen in die Provinz ein Haus. Doch der Traum von Eigenständigkeit und Angekommensein erweist sich als brüchig. Da ist schon zum einen die Familie selbst, deren Zusammenhalt äußerst fragil ist. Der Großvater tritt immer auf das Gaspedal, wenn Philipp und Tobias mit ihren Großeltern die Flüchtlingswohnheime in Hoyerswerda passieren. Und auch ansonsten schweigt man sich über so manches aus.

Und zum anderen ist da das Umfeld  So etwas wie große Perspektiven gibt es nicht. Namhafte Firmen, Karrieremöglichkeiten? Alles Fehlanzeige. Lieber schimpft man auf die Sorben oder die Zecken, die man als Feindbilder ausgemacht hat.

Bonjour Tristesse

Und so gleiten Tobias und Philipp auch schon in der Schule in einen verhängnisvollen Kreislauf ab, der durch einzelne Klassenkameraden und Freude bedenklich angestachelt wird. Fremdenhass, Gewalt und Nullbock-Mentalität sind die Folgen.

Bestes Symbol für dieses Gefühl der Frustration und Stagnation ist dabei der Schulhof, den die beiden Jungen frequentieren. Blicken sie zunächst als Schüler noch respektvoll bis neidisch auf die halbwüchsigen Schulabgänger, die trotz der schon zurückliegenden Schulzeit noch immer mit ihren Mofas jeden Tag zum Pausenhof kommen. Jeden Tag tauchen diese auf, um besonders den Mädchen ihre Aufwartung zu machen. Am Ende des Romans ist es Philipp selbst, der auf seiner Maschine als Ritual wieder oder immer noch – das kann man sehen wie man will – den Pausenhof frequentiert. Entwicklung und Perspektive sehen anders aus.

Dieses In-Worte-Fassen des Alltags, das macht Mit der Faust in die Welt schlagen aus. Präzise zeichnet der 24-jährige Rietzschel nach, wie aus die großen Träume platzen und langsam der Hoffnungslosigkeit Platz machen. Dass diese dann in Mutproben ihr Ventil finden, die nahezu nahtlos in  fremdenfeindlichen Aktionen übergehen, das wirkt hier in seinem Roman nur konsequent.

Über mehrere Jahre beobachtet er die Brüder und ihr Umfeld, zeigt wie Beziehungen in die Brüche gehen, Hoffnungen platzen und der Frust immer größer wird über dieses Gefühl des Abgehängt-Seins.

Im Osten nichts Neues

Recht viel Neues kann Rietzschel seinem Thema dabei aber nicht abgewinnen. Die latente Fremdenfeindlichkeit, die Perspektivlosigkeit und die Wut – die kennt man ja bereits hinlänglich aus Reportagen und Berichten aus dem Osten. Spätestens nach jeder Wahl in den neuen Bundesländern, die der AFD Stimmgewinne bringt, wird die Ursachenforschung betrieben, die auch Lukas Rietzschel hier vollbringt – jeweils mit ähnlichen Ergebnissen.

Als Erklärung für den Rechtsdrift und als Analyse der gesellschaftlichen Verwerfungen taugt Mit der Faust in die Welt schlagen insofern nur bedingt – auch wenn viele Medien und Blogs aus Rietzschels Buch gerne mehr als das machen würden, als was er eigentlich geschrieben hat.

Ist das Buch dennoch lesenswert? In meinen Augen ja, denn hier zeigt sich ein junger Erzähler, der genau hinschaut und sich als Chronist ostdeutscher Befindlichkeiten bewährt und der mit reduzierten sprachlichen Mitteln die Geschichte des Heranwachsens zweier Brüder schildert. Ein Talent, das man weiterhin im Blick haben sollte!

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Stefan Thome – Gott der Barbaren

Zurück auf Null. Mit seinem aktuellen Roman Gott der Barbaren betritt Stefan Thome neues Gelände – sowohl formal als auch inhaltlich. Denn sein Buch ist eine Abkehr von den in der Gegenwart angesiedelten Charakterauslotungen Gegenspiel oder Grenzgang. Stattdessen widmet  sich der gebürtige Hesse nun dem historischen Roman, Marke Monumentalepos.

Unbekanntes China

Er betritt hierfür ein (zumindest in der deutschen Literatur) fast vollständiges Terra incognita – nämlich China zur Zeit um 1860. Um dieses Land und seine Menschen herum baut er seinen Roman, der den ganz großen Bogen aufspannt. Er erzählt von deutschen Missionaren, englischen Kriegsherren, chinesischen Rebellen und zeigt ein zerrissenes Land, dem Wunden beigebracht wurden, an denen China noch heute laboriert.

Stellenweise erinnert das an den Reisebericht von Victor Segalen, der Anfang des 19. Jahrhunderts ebenfalls China mit europäischem Blick bereiste und seine Eindrücke unter dem Titel Ziegel &Schindeln publizierte. Dann ist man wieder in einer mit viel Pathos und Pulverdampf inszenierten Schlacht um Nanking dabei, an der auch ein Ridley Scott seine Freude hätten.

Mangelnde Abwechslung kann man Thome wirklich nicht vorwerfen. Seine Ambitionen sind wirklich enorm – nur überspannte er für meinen Geschmack seinen Bogen das ein oder andere Mal deutlich.

Dies beginnt damit, dass er eine fast unübersichtliche Zahl an Akteuren auffährt. Er entscheidet sich für keine Seite, sondern ist permanent in allen Lagern mit dabei, seien es die feindlichen chinesischen Seiten oder auch die englischen Invasoren.

Eine Fülle an Figuren

So ist eine seiner Hauptfiguren ein deutscher Missionar namens Philipp Johann Neumann, von den Chinesen auch Fei Lipu getauft. Enttäuscht vom Verlauf der Revolution 1848 sucht er sein Glück in China. Dort soll er den Chinesen im Rahmen des Basler Mission den christlichen Glauben näherbringen, um die Seelen der Barbaren durch Bekehrung zu retten. Ihn lässt Thome in der Ich-Perspektive von seinen Erfahrungen berichten und macht ihn so zunächst zum Orientierungspunkt in seiner Geschichte. Neumann macht die Bekanntschaft von Hong Jin, der dann mit anderen Chinesen eine wichtige Rolle in der sogenannten Taiping-Revolution einnehmen wird (die nebenbei bemerkt mit 20 bis 30 Millionen Opfer zum größten Bürgerkrieg der Geschichte zählt).

Der Rebellenführer Hong Xiuquan (Quelle: Wikipedia)

Jene Revolution bedroht die Stabilität des chinesischen Kaiserreichs, da sie eine Form des christlichen Glaubens etablieren und den Kaiser stürzen will. Schon bald verlor ich in den chinesischen und europäischen Strategien und Kämpfen den Überblick. Da gibt es den Himmlischen Kaiser, die Hunan-Armee, den Ostkönig oder den Schildkönig auf Seiten der Aufständigen. Ständig wechselt Thome die Seiten, zeigt die Kämpfe um Einfluss und die Herrschaft im Reich.

Wenn das alles gut inszeniert wäre, dann wäre das kein Problem. Allerdings sehe ich bei Gott der Barbaren deutliche Inszenierungsschwächen bzw. eine mangelnde Regie in seinem Werk. Oftmals hätte ich mir eine Hand gewünscht, die mich gekonnt durch das Geschehen leitet. Diese fehlt dem Buch aber größtenteils (bestes Symbol hierfür: Philipp Johann Neumann dem passenderweise eine Pratze abgängig ist). Diesen Eindruck vom Fehlen einer ordnenden Hand hatte ich an vielen Stellen im Werk, das durch die Fülle von Personen und Schauplätzen an Übersichtlichkeit einbüßt.

Das angehängte Personenregister hilft nur bedingt, da Thome seine Figuren nicht kontinuierlich begleitet, sondern immer mal wieder im Geschehen zurücklässt. So kann es sein, dass man über hunderte Seiten nichts von den Figuren hört, ehe diese dann plötzlich wieder auftauchen. Auch ändert Thome von Zeit zu Zeit die Erzählperspektive seiner Figuren; so wechselt er von der Ich-Erzählinstanz zur 3. Person und umgekehrt. Dies sorgte bei mir für zeitweilige Konsternierung. Bei den vielen Schlachten und strategischen Gesprächen fühlte ich mich überfordert, da nicht immer ersichtlich wurde, wer nun gegen wen aus welchen Motiven kämpft.

Zudem schneidet er zwischen seine Kapitel immer wieder fiktive Tagebucheinträge, Briefe oder Berichte, die die Handlung immer noch aus anderen Blickwinkeln beleuchten. Nachdem dieses aber auch nur spärlich erscheinen, braucht man hier wirklich ein gutes Gedächtnis, um diese auch noch in die Handlung integriert zu bekommen.

Chinesische Dörfer

Da wird es dann schon schwierig, auch da die Handlungsorte munter wechseln, von Peking nach England, von Hongkong bis nach Tibet. Auch bin ich einfach nicht firm, was chinesische Handlungsorte angeht. Ganzhou, Hangzhou, Hankou, Suzhou oder Fuzhou – das sind für mich alles chinesische Döfer. Es klingt alles gleich und bekommt für mein Empfinden nicht genug Kontur, um eine klare Unterscheidung hinsichtlich der vielen Schauplätze beim Lesen zu erzielen.

Dankenswerterweise sind die Vorsatzpapiere des Buchs einmal mit einer Karte vom Handlungsort Peking und zum anderen mit einer Karte des damaligen Chinas versehen, um hier wenigstens die Chance einer groben Einordnung des Geschehens zu ermöglichen.

Fazit

Ohne intellektuelle Wachheit und Wendigkeit wird man diesem Buch nur unzureichend beikommen. Diese Erkenntnis steht für mich am Ende dieses monumentalen Buchs. Sein Anspruch und der ambitionierte Plot lassen das Buch zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2018 stehen. Zur Entspannung allerdings empfiehlt sich Gott der Barbaren keineswegs.

Ich persönlich bin mehrmals mit dem Buch gescheitert, da es mich einfach mit seiner überbordenden Struktur und seinen verwirrenden Handlungsfäden in die Irre führte. Es sind für mein Empfinden zu viele Charaktere, Themen und Stile und Schlachten, die der gebürtige Hesse aufs Tapet bringt.

Aber man muss Stefan Thome auch Respekt zollen für seinen Willen und die Akribie, ein solches Opus Magnum zu verfassen. In Zeiten von unterambitionierten Plots und der Beschreibung von Milieus, die man selber teilweise besser kennt als die Autoren höchstselbst, ist Gott der Barbaren eine rühmliche Ausnahme, die die Leser fordert.

Das findet im Großen und Ganzen auch Stefan vom Blog Poesierausch, der sich ebenfalls des Titels angenommen hat.

[Stefan Thome: Gott der Barbaren, erschienen im Suhrkamp Verlag. ISBN 978-3-518-42825-2 . 719 Seiten, 25,00 €]

 

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María Cecilia Barbetta – Nachtleuchten

Ein Roman wie eine Stadt voller Winkel und Gassen – in Nachtleuchten versucht sich María Cecilia Barbetta an einem großen Panorama Argentiniens im Umbruch zwischen 1974 und 1975. In meinem Falle mit durchwachsenem Erfolg.

Schon der Blick in die Inhaltsangabe macht klar – hier schreibt jemand mit einem großen Stilwillen und Formbewusstsein. Genau 100 Kapitel weist Barbettas Roman auf, aufgeteilt in drei große Teile á 33 Abschnitte (33 die magische Zahl, wie es im Buch thematisiert wird) sowie ein Schlusskapitel namens Die vierte Dimension. Hier zeigt sich der Anspruch der Autorin, die ihr Geschichte als Brennglas für die Umsturzsituation 1974/1975 in Argentinien nach Juan Péron benutzt.

Die in den drei Teilen im Mittelpunkt stehenden Figuren erleben alle aus eigenen Blickwinkeln den Alltag und die Veränderungen im Land, wobei Barbetta vom Kleinen auf das Große kommt. Ihre Geschichte spielt in Ballester, einem Viertel Buenos Aires, das auch die Heimat von María Cecilia Barbetta selbst  ist. Dort kam die Autorin 1972 zur Welt, siedelte allerdings 1996 nach Deutschland über. Ihren Roman hat sie auf Deutsch verfasst. Und hier liegt für mich nun der Reiz ihres 521 Seiten starken Textes, den Barbetta gewissermaßen in spanischem Deutsch schreibt. Sie selbst drückt es wie folgt aus:

Das Überbordende gehört zu mir, es gehört zu Lateinamerika. es gehört zum Katholizismus, meine Sprache ist blumig und ich hab ein großes Herz für Kitsch.

Damit schafft sie eine Gratwanderung zwischen spanischer und deutscher Welt – und bringt damit auch ein Kapitel argentinischer Geschichte ins deutsche Bewusstsein, welches nicht allzu präsent ist. Dies gelang ihr bereits so gut, dass es für einen Ausschnitt des Romans den Alfred-Döblin-Preis gab. Und nun befindet sie sich mit Nachtleuchten auch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Doch befindet sich die Autorin zu recht auf dieser Liste und ist ihr gar noch mehr zuzutrauen?

Würdig für den Deutschen Buchpreis 2018?

Ich selber hatte meine Probleme mit dem Buch – denn es ist für meinen Geschmack zu wuchtig, zu umfassend und verliert sich dabei selbst aus den Augen. Was ein wenig überrascht, da die durchkomponierte Strenge des Inhaltsverzeichnisses ja etwas anderes suggeriert.

Doch mein Problem mit Nachtleuchten lässt sich am besten mit einem Zitat aus dem Anfang des Romans von Seite 18 illustrieren:

Die Mädchen setzten sich schweigend in Bewegung. Sie schritten würdevoll durch das Kirchenschiff. Sie schritten wie die Nereiden. Sie schritten wie die Begleiterinnen des Poseidon, wie die verspielten Bewohnerinnen der Höhlen der Tiefen des Ozeans, sie schritten selbstvergessen wie die Beschützerinnen der Schiffbrüchigen, die edlen Töchter des Nereus und der Doris, Naturgottheiten, anmutige Nymphen, die auf Namen hörten, die wie Meeresrauschen klangen und an Schaum erinnerten, sie schritten wie Glauke, Eudora und Ligea, wie Eurydike, Klio und Xantho, wie Galateia, Kalypso, Thetis und Arethusa. Die Jungfrauen des SANTA ANA schritten, als erschlösse sich ihnen die Sprache der Delphine, Seesterne und Hippokampen.

Barbetta, María Cecila: Nachtleuchten, S. 18

Diese Pleonasmen finden sich häufig im Text. Für mich sind diese von redundanter Natur, die für mich eher die Belesenheit und Sprachmacht der Autorin zeigen sollen, denn den Text verbessern oder den Lesefluss ihrer Geschichte erhöhen.

Dieser Stilwillen zeigt sich an unzähligen Stellen im Buch – so lässt es die Autorin selten mit einer Zuschreibung gut sein, sondern häuft ganze Berge von Adjektiv- und Substantivgewittern auf, die meine Lektüre immer wieder hemmten. Ein letztes Beispiel sei hier noch zitiert, um einen Eindruck von der Beschaffenheit Barbettas Sprache zu geben:

Hier hast du deinen einzigen schwülstigen Matschhaufen, eine einzige faulige Melange aus Blutorange, Nelkenrot, Lippenstiftrot, Erdbeerrot, Merinorot, Rosenrot, Karminrot, Nagellackrot, na klar, wenn man in den eigenen vier Wänden eine Putzfrau gefangen hält und sich an den Rund-um-die-Uhr-Luxus leisten kann, ist es ja egal, Brillantrot, Mohnrot, Kirschrot, Blutrot, dann macht es überhaupt keinen Unterschied, Glutrot, Paprikarot, Hennarot, Leinrot, Saturnrot, Scharlachrot, Gelbrot, Tomatenrot angelaufen: denn dann putzt mir keiner hinterher, Sonnenuntergangsrot, Tizianrot, Safranrot, Purpurrot (…).

Barbetta, María Cecilia: Nachtleuchten, S. 119 f.

Der Abschnitt hier ergeht sich im Übrigen noch eine weitere halbe Seite in der Beschreibung der Rottöne, die in den Dialog eingeschnitten werden. Man kann das stilistisch brillant finden – für mich hingegen ist es nur anstrengend und vermindert den Lesegenuss dieser Geschichte erheblich, die für mich viel Potential hätte.

Ein Roman wie ein Stadtviertel

Mich erinnerte die Lektüre von Nachtleuchten selbst an eine Stadt beziehungsweise eine Stadtviertel wie Ballester, das Barbetta beschreibt. Es gibt schöne Ecken, tolle Plätze, viele geschichtsträchtige Winkel, in die man sich gerne verirrt. Dann gibt es aber auch Passagen, die wie aus einem Sachbuch abgeschrieben wirken oder stilistische Einsprengsel, die alles andere als zum Aufenthalt einladen. Diese Mischung aus verschiedenen Stilen und sprachlicher Opulenz überzeugte mich nicht wirklich, obwohl die Grundidee und die Ansätze ihres Buchs gut sind. Viel Lesefreude konnte mir das Buch nicht vermitteln – da sehe ich leider andere Titel auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2018. Doch Nachtleuchten ist für meinen Geschmack einfach zu anstrengend.

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Christian Torkler – Der Platz an der Sonne

In diesem Bücherherbst ist es noch nicht so oft vorgekommen, dass sich Sprache, Botschaft und Inhalt eines deutschsprachigen Romans auf eine derartig großartige Art und Weise vermengt haben. Umso verblüffender, dass dieses Stück Literatur ein Debüt ist. Geschrieben hat es Christian Torkler und es hört auf den Namen Der Platz an der Sonne.

Auf der Flucht nach Afrika

Torklers Grundidee ist dabei bestechend und macht das Buch zur Pflichtlektüre unserer Tage. Denn er dreht die Fluchtbewegung von Afrika ins wirtschaftlich so prosperierende Europa einfach um. Bei ihm zieht es nun die Deutschen nach Afrika, so auch den Ich-Erzähler Josua Brenner, der sich auf eine unglaubliche Odysee hin zu seinem eigenen Platz an der Sonne macht.

Denn jenen Platz an der Sonne, den Bernhard von Bülow noch 1897 für das aufstrebende Deutsche Kaiserreich forderte, den hat Deutschland in Torklers Buch nicht bekommen. Stattdessen liegt Deutschland im Jahr 1978 in Kleinstaaten zersplittert danieder. Brenner lebt in der Preußischen Republik, die von  großer Armut, einer desolaten Infrastruktur und wild wuchernder Bürokratie gekennzeichnet ist. Mögen auch die Machthaber und ihre Wahlparolen wechseln, die Grundübel einer Nation im Niedergang bleibt. Und so beschließt Brenner, sich auf den Weg ins Gelobte Land zu machen, das hier der Afrikanische Kontinent ist

Nach der klassischen Einführung (Mann legt Beichte ab, die ihn in diese Situation gebracht hat, wir erfahren nach und nach seine Geschichte) formuliert Torkler eine wild wuchernde und überbordende Geschichte. Diese ist genauso eine alternative Geschichtsschreibung wie eine klassische Odyssee. Torkler formuliert einen fantastischen Bilderbogen, mitreißend und nachdenklich stimmend.

Für seinen Ich-Erzähler Josua Brenner findet er genau den richtigen Ton, genauso wie für alle anderen Menschen, denen er begegnet. Dass ein Debütant derart vielgestaltig und -sprachig zu erzählen weiß, das überrascht positiv und nimmt mich noch mehr für das Buch ein.

Ein anderer Blick

Hier zeigt sich wieder einmal was Literatur in ihrem besten Sinne kann. Sie lässt uns unsere Weltbilder hinterfragen, schürt Empathie und unterhält dabei auch noch auf das Beste. Wer Der Platz an der Sonne gelesen hat, der sieht neu auf Fluchtbewegungen und bekommt auch einen neuen Blick auf den Komplex Flucht. Gerade in Zeiten, in denen Diskurse vergiftet, Positionen verschoben und Mitgefühl als Schwäche verleugnet werden, rückt dieses Buch wieder vieles gerade.

Für mich ist Der Platz an der Sonne das Buch der Stunde, die Antwort auf alles fremdenfeindliche Geblöke und eine geistige Kur für alle, die von Wohlstandsflüchtlingen und Ähnlichem schwafeln. Eines der literarischen Highlights dieser Saison. Bitte lesen – danke!

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Thomas Klupp – Wie ich fälschte, log und Gutes tat

Dieses Buch ist wie eine Zeitmaschine – man steigt ein und wird unvermittelt in die eigene Jugend zurückgebeamt. Denn die Geschichte, die Thomas Klupp in seinem neuen Roman erzählt, hat weist viele Elemente auf, die man selbst aus den „wilden“ Jugendtagen kennt.

Bei ihm ist der Ich-Erzähler Benedikt „Ben“ Jäger, der in Weiden in der Oberpfalz lebt. Von den tatsächlichen Wirtschafts- und Arbeitslosigkeitsverhältnissen ist in Klupps Version der oberpfälzischen Stadt nichts zu merken. Stattdessen prosperiert die Stadt an der Grenze zu Tschechien, die Lion-Ladies laden zum Wohltätigkeitsbrunch in das Eigenheim der Jägers, die Flüchtlinge präsentieren am Büffet Speisen aus ihrer Heimat.

Eigentlich eine richtige Klischeerevue, dieses Weiden. Doch Thomas Klupp kontrastiert die Vorzeigewelt mit Abgründen, die sich vor Ben auftun. An diesen lässt er uns Leser durch eine Art Tagebuch teilhaben, in dem er seine Eskapaden und Abenteuer chronologisch schildert.

So bewahrheitet sich der Buchtitel schon bald und zeigt, welche kleinen und großen Notlügen Ben auffährt, um sich unbeschadet durch sein Leben zu schummeln. Doch eine Lüge führt zur anderen und stellt ihn alsbald vor wirklich enorme Herausforderungen. Da ist es kein Wunder, dass sich Ben in einer Englisch-Schularbeit die Hasardeure Jay Gatsby und Tom Ripley für eine Charakterisierung herauspickt.

Von kleinen und großen Lügen

Diese kleine Lügen, dieses Schummeln (auch wenn natürlich nicht in dem Maße, in dem es Ben betreibt) – das kennt wohl jeder von uns. Die eine Notlüge, die zum anderen führt oder die eine Ausrede, die unnötig war, uns das Leben aber vereinfacht. Egal ob Erwachsene oder Jugendliche, in Klupps Welt erfassen diese Lügen uns alle – und das lädt natürlich zur Identifikation ein.

Wohl keiner von uns, der nicht schon einmal daran gedacht hat, nach einer Klausur das Ergebnis zu fälschen oder sich in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Wie ich fälschte, log und Gutes tat zeigt, was das bedeuten kann. Doch dabei verzichtet Klupp wohltuende auf eine Moralisierung – er lässt Ben einfach auf der schiefen Ebene seiner Täuschungsmanöver schlittern – und wir schauen ihm dabei wohlig zu.

Das Ganze ist in eine jugendlichen Sprache gekleidet, die zwar manchmal ins Klischee kippt, aber das passende Vehikel zu Klupps Text ist. Als Coming-of-Age-Geschichte passt hier alles recht gut zusammen und weiß besser als Ben selbst zwischen Nostalgie und Realismus zu balancieren. Dass das Buch so etwas wie eine Meta-Ebene nicht enthält, zeigt, dass Wie ich fälschte, log und Gutes tat nicht viel mehr ist, als ein Unterhaltungsroman. Aber ein gut relativ gemachter.

Fazit

Das Buch als Jugendbuch zu klassifizieren, greift zu kurz. Wie ich fälschte, log und Gutes tat lädt ein zu einer Reise zurück in die eigene Jugend und lässt den Fälscher in uns wieder ans Tageslicht kommen. Ungelogen – eine unterhaltsame Empfehlung.

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