Category Archives: Kriminalroman

Maxim Voland – Die Republik

Die alternative Geschichtsschreibung boomt. Losgetreten einst von Fiktionen wie etwa Philip K. Dicks Das Orakel vom Berge oder Robert Harris´ Vaterland, hat sich die alternative Geschichtsschreibung in den letzten Jahren zu einer häufig aufgegriffenen Erzählform entwickelt. Die Frage „Was wäre, wenn?“ bietet zweifelsohne aber auch viel Potential. Gerade die wechselvolle deutsche Historie bietet viele Möglichkeiten, sich über einen anderen Ausgang des Geschichtsverlaufs Gedanken zu machen.

Andreas Eschbach gelang mit seiner Überwachungs-Fiktion NSA 2018 ein großer Bestseller. Doch nicht nur das Dritte Reich ist ein viel verwendete Folie für alternative Geschichten. Auch die DDR ist ein Feld, das von Autor*innen gerne beacktert wird. So entwickelten Harald Martenstein und Tom Peuckert in Schwarzes Gold aus Warnemünde die Idee einer prosperierenden DDR, deren sagenhafter Reichtum und Wohlstand auf einem 1989 in der Ostsee entdeckten Erdölvorkommen beruht. Auch Simon Urban entwickelte in seiner Fiktion Plan D eine DDR, die über 1989 fortbesteht, und in der ein Verbrechen die Kader der darbenden DDR aufschreckt.

Ganz taufrisch ist die Idee Maxim Volands also nicht. Eine DDR voller Wohlstand und ein verarmter Berliner Stadtstaat bilden das Gefälle in seiner Fiktion. Die DDR umfasst bei ihm das Gebiet unserer heutigen DDR, misstrauisch von Amerikanern, Engländern und neidvoll von den West-Berlinern beäugt. Wohlstand, Technologie, Jobs – die DDR boomt und wird von den Genoss*innen an der Spitze des Staats und der Volkskammer eher wie ein Startup denn ein sozialistisches Land per 5-Jahresplan gemanagt.

Ein Giftgasanschlag in der DDR

In das Bild der erfolgreichen und beneideten DDR passt allerdings ein Giftgasanschlag denkbar schlecht. Dieser ereignet sich mitten im DDR-Gebiet in Berlin. Die Führung vertutscht den Anschlag und hinter den Kulissen versucht der Topspion Gustav Kuhn, die Hintergründe der Tat zu klären.

Maxim Voland - Die Republik (Cover)

Derweil reist der Übersetzer Christoph Jean Mueller aus Frankreich in die DDR ein. Zur Beerdigung eines Familienmitglieds wagt er sich auf das ihm unbekannte Staatsgebiet – und wird bald in eine turbulente Jagd verwickelt.

Der dritte Erzählstrang, der sich im Lauf des Romans langsam mit den beiden anderen verfugt, ist der der MI6-Agentin Harper Parker-Moreau, die in der DDR ebenfalls die Hintergründe des Giftgasanschlags recherchiert. Gehetzt und auf den Spuren einer groß angelegten Verschwörung kommen sich die drei Figuren immer näher, ehe sie sich – so will es Genre-Gesetz – für das Finale zusammentun müssen, um die Pläne der Schurken zu vereiteln.

Das geht nur unter einem hohen Bodycount, fast dauerglühenden Läufen von Scharfschützengewehren und einer großen Beschreibungsfreude Volands, was die Auswirkungen der Schießereien und Metzelorgien auf dem Staatsgebiet der DDR betrifft.

Die Späher lagen zerfetzt und in Stücke gerissen auf dem Dach. Keiner von ihnen hatte den Beschuss überstanden. Die leblosen Körper der Männer und Frauen dampften in der Winterkühle, Blut sickerte über den Boden; zerplatzte Gedärme lagen wie bizarre Girlanden zwischen den Toten.

Voland, Maxim: Die Republik, S. 314

Hier wären etwas weniger Plastizität und deskriptive Zurückhaltung durchaus mehr gewesen.

Nicht ausgeschöpftes Potenzial der Republik

Der Plot drängt vorwärts und zeigt einen routinierten Autoren, der die Erzählfäden sicher in der Hand hält und langsam zusammenführt. Das Tempo im Buch ist hoch, Die Republik treibt zusehends auf ihr großes Finale zu. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, als Thriller ist das gut gemacht. Allerdings hätte es dafür nicht unbedingt den vorher so umfangreichen Vorklapp gebraucht, der die alternative DDR und ihre Entstehung erklärt.

Hätte Voland hier die alte Branchenweisheit „Show, don’t tell“ mehr beachtet, hätte dies den ersten Seiten des Romans merklich gut getan, ehe es dann wirklich los geht. Statt in einem Vorklapp über die Genese seiner DDR und die weiteren Umständen zu dozieren und das Szenario des Buchs zu beschreiben, hätte er diesen theoretischen Überbau lieber erzählerisch in seinen Roman eingearbeitet. Denn die Idee erklärt sich eigentlich wie von selbst, da hätte es der Erklärungen nicht bedurft.

Fazit

Generell ist es auch dieser Überbau der DDR 2.0, aus dem Voland dann schlussendlich zu wenig macht. Zwar ist seine Ideenfülle durchaus bestrickend, im Lauf des Buchs verwandelt sich die verheißungsvolle Grundidee dann rasch in ein austauschbares James-Bond-Szenario. Seine moderne Überwachungs-DDR voller Technologie und Wohlstand wird aus einem genau modellierten Modell zusehends zu einer recht flachen Hintergrundkulisse. Wäre Voland hier eher bei der Idee der alternativen DDR und ihrer Bedeutung für unterschiedliche Individuen geblieben, hätte mich sein Buch mehr überzeugt. Anstatt jede Menge bleihaltigen Budenzauber abzufeuern und am Ende einen ziemlich schematischen Gut-Böse-Thriller zu erzählen, hätte dieses Buch durch das Interesse an seiner Grundprämisse mehr gewonnen. Als Unterhaltungsroman ist Die Republik alles andere als schlecht und weiß gut zu unterhalten. Figuren, Sprache und Rede sind zweckdienlich und passen sich gut in das passable Gesamtbild ein.

Dennoch wäre mit dieser Grundidee mehr drin gewesen. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung der Geschichte Der Republik? Dann würde es mich freuen, wenn Voland die Versprechen einlöst, die er mit seiner Idee in diesem Roman gegeben hat.


Nachtrag: inzwischen wurde das Pseudonym Maxim Voland gelüftet. Es handelt sich beim Maxim Voland um den Schriftsteller Markus Heitz.


  • Maxim Voland – Die Republik
  • ISBN: 978-3-492-07071-3 (Piper)
  • 528 Seiten. Preis: 22,00 €
Diesen Beitrag teilen

42 Grad und es wird noch heißer

Wolf Harlander – 42 Grad

36 Grad und es wird noch heißer, so geht der Refrain des Sommerhits von 2Raumwohnung. Was aber, wenn es wirklich noch heißer wird und keine Abkühlung in Sicht ist? Dieses Szenario entwickelt Wolf Harlander in seinem Öko-Thriller 42 Grad. Der Journalist skizziert in seinem Buch den kurzen Weg von der Ordnung ins Chaos. Blockbuster-Literatur mit Schwächen, aber durchaus auch Realitätsbezug.


Was passiert eigentlich, wenn es in Deutschland immer heißer wird? Wenn der Klimawandel fortschreitet und die Wasserversorgung nicht mehr gewährleistet werden kann? Aus dieser Prämisse heraus ist 42 Grad entstanden. Darin erzählt Harlander von einem Hitzesommer, der ganz Europa in die Knie gehen lässt. Ausgangspunkt sind die Erlebnisse mehrerer Figuren über ganz Deutschland verteilt.

Da ist ein Hydrologe, der bei einem Unfall auf der Autobahn nahe Freiburg ein gefährliches Absinken des Grundwasserspiegels bemerkt. Eine Datenanalystin, die bei ihren Recherchen feststellt, dass Europa auf eine dramatische Wasserknappheit zusteuert. Ein Spezialist für Wasserversorgung, der zu mehreren mysteriösen Zwischenfällen in Wasserwerken in Nizza, Dresden und anderswo beordert wird. Oder ein THW-Mitarbeiter, der es mit einer Reihe gefährlicher Waldbrände zu tun bekommt. Alle diese Figuren müssen schnell feststellen, dass da etwas in Deutschland und in der ganzen Europäischen Union vorgeht, das die Gesellschaft an den Rand des Kollaps zu bringen droht.

Eine Ökothriller in der Tradition von Elsberg und Co.

42 Grad ist ein Öko-Thriller in der Tradition von Marc Elsberg und Andreas Eschbach. Während sich diese beiden Autoren mit dem Verschwinden des Stroms (Marc Elsberg Blackout) oder dem Ende des Benzins (Andreas EschbachAusgebrannt) beschäftigten, ist es nun bei Harlander eben das Wasser, das verschwindet. Wie schnell ein solcher Mangel eine Gesellschaft ins Chaos stürzt, das exerziert der Journalist hier durch.

Wolf Harlander - 42 Grad (Cover)

Seinen beruflichen Hintergrund als Journalist kann er dabei allerdings nicht verbergen. Dieser scheint in vielen Erklärdialogen zu den Themen Wasseraufbereitung, Gesteinsschichten oder Funktionsweisen von Wasserkraftwerken auf. Auch sind die Figuren doch holzschnittartig geraten und sind eher Funktionsträger, denn wirklich glaubhafte Figuren. Die Handlung und der Plot stehen im Vordergrund, eine plastische Skizzierung des Personals fällt da hintenüber. Hacking löst alle Probleme und trotz geschlossener Grenzen zu reisen oder unterzutauchen ist im Buch auch kein großes Problem. Ebenso verweisen die klar gezogenen Fronten zwischen Gut gegen Böse in ihrer Schematik auf den klar auf Unterhaltung und Effekt angelegten Charakter des Buchs.

Es ist ja eine starke Grundidee, die 42 Grad zugrundeliegt. Durch die arge Schablonenhaftigkeit von Plot und Figuren wird diese Idee leider etwas gemindert. Persönlich hätte auch auf die angelegte Liebesgeschichte, den Terrorismus-Twist oder die so manches Mal an ein B-Movie erinnernde Action und Dialoge im Buch nicht gebraucht. Da man bei der Lektüre von Harlanders Thriller aber wirklich etwas lernt und gut sich auch Bezüge zur Gegenwart in Pandemiezeiten ergeben, sei dieses Buch allen Spannungsfans mit Einschränkungen empfohlen. Nur ein Glas Wasser sollte man sich während der Lektüre besser neben den Stuhl im Schatten stellen. Man wird es brauchen.


  • Wolf Harlander – 42 Grad
  • ISBN: 978-3-499-00046-1 (Rowohlt Polaris)
  • 528 Seiten. Preis: 15,00 €
Diesen Beitrag teilen

Desert Noir

James Anderson – Desert Moon / Lullaby Road

Es gibt ja vielgestaltige Ausprägungen des Noir-Krimis, also jenem Krimigenre, in dem besonders gerne in die dunklen menschlichen Abgründe geblickt wird und in dem so etwas wie Hoffnung meist völlig fehl am Platz ist. Da gibt es unter anderem das Genre des Domestic Noirs, wie es beispielsweise Paula Hawkins oder Gillian Flynn bedienen. Die Abgründe hinter den scheinbar gutbürgerlichen Fassaden sind hier Thema. Oder etwa der Country Noir, wie er von Daniel Woodrell oder Matthew F. Jones bespielt wird. Die Hoffnungslosigkeit der Provinz, abgehängte Menschen und zumeist Morde und Totschlag, für die sich kaum jemand interessiert. So die Grundzutaten für diese Spielart des Krimis. Und dann gibt es noch James Anderson, dem schon mit seinem Debütroman Desert Moon das Kunststück gelang, sich eine ganz eigene Nische zu schaffen, nämlich den Desert Noir. Mit seinem zweiten Roman Lullaby Road hat er sich diese Nische jetzt komfortabel ausgebaut.

Was zeichnet diese beiden Bände aus und was macht sie zu einem Desert Noir? Das will ich im Folgenden ergründen.

In der Wüste Utahs

Band Nr. 1: Desert Moon

Da ist zunächst das Setting, das James Anderson mit leichter Hand entwirft. Er siedelt seine Geschichten um den Trucker Ben Jones im Hochland Utahs an. Dort durchzieht der Highway 117 die salztrockene und staubige Landschaft. Eine unwirtliche Wüste, die so manches mal fast außerirdisch wirkt. Kein Netz, der nächste Rettungshubschrauber hunderte von Meilen entfernt positioniert. Entlang dieser Route haben sich verschiedene Menschen niedergelassen, die alle ihre Gründe für ihre Abgeschiedenheit haben. Ben beliefert sie mit seinem Truck und sammelt damit hunderte von Meilen in der Woche, die er da draußen in der Wüste zusammenbringt. Liest man Desert Moon und Lullaby Road, meint man förmlich den Staub und die Einsamkeit auch in Bens Fahrerkabine zu spüren. Dies gelingt Anderson durch eine bildhafte Sprache und die Gabe, frische Vergleiche und Sprachbilder zu kreieren. Auch die Übersetzung durch Harriert Fricke hat daran ihren Anteil.

Auch die Handlung kann in beiden Büchern überzeugen. So ist es in Andersons Debüt ein abgeschiedenes Haus und eine darin befindliche Frau, die Ben Jones per Zufall entdeckt. Eigentlich möchte er nur ganz dringend austreten – und gerät dann in den Bannkreis dieser Frau, die im Haus Cello spielt. Die Faszination für die Frau lässt Jones im ganzen Roman nicht los und er entdeckt einige Geheimnisse dieser Menschen, die sich eigentlich an die 117 zurückgezogen haben, um genau das zu vermeiden: dass ihre Geheimnisse aufgedeckt werden.

Ein Trucker als stimmiger Held

Band Nr. 2: Lullaby Road

In Lullaby Road gelingt es ihm nun, an den Erzählkosmos des ersten Bandes nahtlos anzuschließen. Diesmal wird Jones wider Willen zum Aufpasser für ein kleines Mädchen, das nicht spricht. Nur ein Hund begleitet sie. Das weckt Jones‘ Beschützerinstinkt. Daneben gibt es noch weitere Episoden um die schon aus dem Vorgängerband bekannten Figuren. Doch auch ohne die Kenntniss des vorhergehenden Bandes ist der Genuss dieses Buchs uneingeschränkt zu empfehlen. Denn wie Anderson seine Geschichten aus der Wüste erzählt, das kann ich nicht anders als gekonnt nennen.

Und dann wäre da nicht zuletzt einer der Hauptfaktoren eines guten Romans – gerade wenn dieser noch dazu aus der Ich-Perspektive erzählt wird: der Protagonist. Und dieser Ben Jones, der ist stimmig gezeichnet, besitzt Ecken und Kanten und das Herz am rechten Fleck. Er ist kein Held, hat in der Vergangenheit Fehler gemacht. Beziehungen scheiterten, sein Job ist alles andere als glamourös und bringt erst recht kein vernünftiges Gehalt ein. Aber da wo er sitzt, hinter dem Steuer seines geleasten Trucks, da ist er an der richtigen Stelle. Die Krimihandlungen, die sich entfalten, entstehen aus dem Zufall heraus und auch Ben Jones‘ Agieren wirkt zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt oder forciert. Und so entsteht aus diesem realistisch geschilderten Truckerleben in Verbindung mit der Wüste und der poetischen Prosa das, was ich nur eines nennen kann: große Desert-Noir-Literatur auf erstaunlich hohem und konstantem Niveau.


  • James Anderson – Desert Moon
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricket
  • ISBN 978-3-945133-67-5 (Polar-Verlag)
  • 344 Seiten, Preis: 18,00 €
  • James Anderson – Lullaby Road
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricke
  • ISBN 978-3-948392-10-9 (Polar-Verlag)
  • 374 Seiten, Preis: 22,00 €
Diesen Beitrag teilen

Scott Thornley – Der gute Cop

In meiner Vorbereitung auf das diesjährige (beziehungsweise nun eher nächstjährige) Buchmesse-Gastland Kanada beschäftige ich mich etwas mit der literarischen Landschaft dieses Landes. Was mir bei meinen bisherigen Sichtungen ins Auge fielen, waren zahlreiche Krimis.

Die Verlage publizieren auffallend viel Spannungsliteratur und finden in den Vorschauen viele Superlative für ihre Bücher. So auch der Suhrkamp-Verlag im Falle von Der gute Cop von Scott Thornley. Die Zeitschrift Vancouver Sun behauptet auf dem Klappentext des Buchs gar:

Ein großartiger Neuzugang im Pantheon der literarischen Detektive.

Grund genug, für mich etwas genauer hin zu sehen. Was kann dieser kanadische Krimi? Und sind die Lobeshymnen gerechtfertigt? Ein neuer Beitrag in der Reihe #kanadaerlesen.

Im Bezirk Ontario liegt die Stadt Dundurn. Dort, an der Grenze zu den USA, in der Nähe der Niagarafälle, versieht Der gute Cop MacNeice seinen Dienst. Er ist ein angesehener Polizist, hat einen guten Draht zu Kollegen, Mitmenschen und zur Politik. Der erste auf Deutsch vorliegende und von Andrea O’Brien und Karl-Heinz Ebnet übersetzte Fall hat es nun aber in sich. Denn dieser fordert den Detective Superintendent gleich an mehreren Fronten.

So beginnt alles mit einem blutigen Überfall auf ein Rockerheim in Cayuga. Mehrere professionell ermordete Rocker, zahllose Patronen und wenig Wissen über den Tathergang beschäftigten MacNeices Kolleg*innen. Doch viel Unterstützung kann der DS hier erst einmal nicht leisten. Denn ein Anruf des Bürgermeisters beordert ihn zurück nach Dundurn.

Dort möchte dieser sein großes Prestigeprojekt vorantreiben. Ein gigantisches Museum und Mahnmal soll im Hafen der Stadt entstehen. Doch als man die Bauarbeiten beginnt, entdeckt man dort im Hafen ein versenktes Auto mit Toten im Kofferraum. Daneben finden sich Betonsteelen, in die ebenfalls Leichen eingemauert sind. MacNeice soll diesen Fall diskret lösen – denn öffentliches Aufsehen für den Vorfall bei seinem Prestigeprojekt, das möchte der Bürgermeister doch vermeiden.

Rockerkrieg, versenkte Leichen und ein Serienkiller

Und als wäre dem nicht genug, tritt plötzlich auch noch ein Serienkiller auf den Plan. Dieser ermordet junge Frauen mit Migrationshintergrund. Viel zu tun also für MacNeice, der schon bald erste Querverbindungen zwischen diesen scheinbar singulären Ereignissen herstellt.

Tatsächlich ist es angenehm, in der Fülle an exaltierten Ermittler*innen, deren Privatleben und exaltierten Ticks in vielen zeitgenössischen Krimis manchmal der eigentliche Schwerpunkt zu sein scheinen, diesem Ermittler zuzusehen. Zwar hat auch MacNeice eine verstorbene Frau, deren Absenz ihn beschäftigt. Und auch mit Marotten wie der Vogelbeobachtung oder dem häufigen Genuss von Grappa wurde dieser MacNeice von Scott Thornley ausgestattet. Das stört aber bei diesem Buch nicht. Alles, was um die Ermittlungen selbst garniert ist, ist ausnehmend dezent gestaltet. Eine wirkliche wohltuende Ausnahme im Krimi-Einerlei.

Scott Thornley - Der gute Cop (Cover)

Leider stehen dem auch kleine Kritikpunkte gegenüber. So hätten die Figuren auf Polizeiseite und auch ihre Gegenspieler deutlich mehr an Tiefe vertragen können. Die Rocker sind brutal, der Serienkiller mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung ausgestattet, die Veteranen sitzen Jack-Daniels-trinkend den ganzen Tag in der Kneipe und dergleichen mehr.

Hätte Scott Thornley beispielsweise den Serienkillerstrang im Roman zugunsten einer umfassendere Charakterisierung seines Personals gekürzt, hätte mich der Roman noch mehr überzeugt.

Und auch wenn das Buch im Original 2012 und damit vor den aktuellen Debatten um Polizeigewalt erschien: mag sich Scott Thornley Mühe geben, um MacNeice als guten Cop und positiven Kerl darstellen. Am Ende (Achtung Spoiler!) entscheiden sich er und sein Team letztendlich dazu, Geld zu veruntreuen und auch zu übermäßiger Gewalt zu greifen. Das mag alles aus verständlichen Motiven oder gutem Willen geschehen. Aber in Zeiten, in denen die Gesellschaft über gesetzeskonformes Verhalten und willkürliche Gewalt bei der Polizei debattiert, sendet dieses hier geschilderte Verhalten doch fragwürdige Signale.

Ein Zugangskandidat für das Pantheon literarischer Detektive?

Und nun zur großen, abschließenden Frage: ist MacNeice ein weiterer Zugang im Pantheon der literarischen Detektive, wie die Vancouver Sun insinuiert? Ich würde sagen: noch nicht. Der gute Cop hat zwar als Potential. Dieser Band als Eintrittskarte für dieses Pantheon funktioniert allerdings noch nicht. Denn dazu bedürfte MacNeice noch mehr Profil in seiner Geschichte und seinem Wirken. Das Ganze erklärt sich auch durch die merkwürdige Veröffentlichungspolitik vonseiten des Suhrkamp-Verlags. So ist dieser Band nämlich nicht der Reihenauftakt, sondern eigentlich der zweite Band der Reihe. Warum man sich zu dieser Art der unchronologischen Veröffentlichung entschieden hat, erschließt sich mir nicht ganz.

Auch die Sprache ist nicht unbedingt das, das ich als „literarisch hochwertig“ bezeichnen würde. Hier ist noch eindeutig Luft nach oben. Aber als unterhaltsamer Krimi mit leichten Schwächen funktioniert Scott Thornleys Buch doch ganz gut. Weitere Bände der Reihe sind ebenfalls in Planung. Dass dann auch der erste Band veröffentlich wird, das wäre im Sinne der Reihe wünschenswert.


  • Scott Thornley – Der gute Cop
  • Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet und Andrea O’Brien
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN: 978-3-518-47081-7 (Suhrkamp)
  • 523 Seiten, 16,00 €
Diesen Beitrag teilen

Ron Corbett – Preisgegeben

Im Oktober ist es (Stand jetzt) wieder soweit: die Frankfurter Buchmesse öffnet ihre Tore. Eine Ankündigung, die ich mit großer Skepsis zur Kenntnis genommen habe. Denn dass das Covid19-Virus beachtet, dass man die Buchmesse von den sonstigen verbotenen Großveranstaltungen ausgenommen hat, das wage ich zu bezweifeln. Ohnehin ist es eine ganz eigene Logik, Veranstaltungen wie das Oktoberfest abzusagen, die größte Buchmesse der Welt hingegen stattfinden zu lassen. Ob die Besucher und Aussteller das Angebot der Messe in Corona-Zeiten annehmen werden, wage ich zu bezweifeln. Insbesondere, da die großen Publikumsverlage wie etwa Randomhouse oder Bonnier ihre Teilnahme schon abgesagt haben.

Es sei wie es sei. Auch wenn die Buchmesse in diesem Jahr von Absagen gekennzeichnet ist, gibt es trotzdem ein Gastland, das sich im Zuge der Buchmesse präsentieren würde. Nachdem im letzten Jahr Norwegen an der Reihe war, liegt nun der Fokus auf Kanada. Um die Literatur aus diesem Land besser kennenzulernen, starte ich in diesem Jahr eine kleine Reihe unter dem Titel #kanadaerlesen.

Den Anfang macht ein Krimi des Journalisten Ron Corbett mit dem Titel Preisgegeben. Der Roman ist der Auftakt zu einer Reihe um den Cop Frank Yakabuski. Nach einigen Fachbüchern zum Thema Angeln ist das Corbetts erster Ausflug ins Genre des Kriminalromans. Und dieser Ausflug ist mehr als gelungen. So gelungen, dass das Buch eine Nominierung beim Edgar Allan Poe-Award erhielt und weitere Bände der Reihe um den angelnden Cop erschienen sind.

In der Einsamkeit Kanadas

Wenn es um originelle Stimmen im weiten Feld des zeitgenössischen Krimis geht, dann ist der kleine Stuttgarter Polar-Verlag eine gute Adresse. Hier erscheinen Bücher von Leonard Pitts jr., Ken Bruen oder Attica Locke. Seit diesem Jahr werden die Hardcover um eine von Jürgen Ruckh herausgegeben Taschenbuchreihe ergänzt. Der erste Band dieser Reihe ist Preisgegeben, der in die schneereiche Einsamkeit Kanadas entführt.

Ron Corbett - Preisgegeben (Cover)

Dort oben im Norden Kanadas liegt das Nest Ragged Lake. Früher einmal ein blühendes Zentrum der Papierindustrie, ist nun mit dem Ende der Industrie auch das Ende des dortigen Dorfs besiegelt worden. Ein kleines Camp für Sportfischer gibt es noch, aber sonst bietet Ragged Lake außer Bäumen und Schnee nicht viel, das einen Besuch rechtfertigen würde.

Ein Baummarkierer macht bei seiner Arbeit allerdings eine grausige Entdeckung. In einer eigens gebauten Hütte in der Nähe des alten Dorfes findet er die Leiche eines Mannes und seiner Frau. Die beiden galten als Sonderlinge, man hatte sich nicht groß mit ihnen beschäftigt. Nun ruft man die Polizei – die in Form von Frank Yakabuski und zweier Untergebenen nach einer beschwerlichen Anreise per Schneemobilen erscheint.

Kaum haben die beiden mit der Befragung der Ortsansässigen und Gäste im Fischer-Lodge begonnen, zieht ein Schneesturm auf. Doch nicht nur dieser Schneesturm nähert sich Ragged Lake mit unaufhaltsamer Kraft – auch einige Feinde aus Yakabuskis Vergangenheit sind schon auf dem Weg nach Ragged Lake.

Ein unaufhaltsamer Showdown

Das Setting, das Corbett auf den ersten Seiten aufbaut, erinnert an dutzendfach gelesene Krimis. Tote, die kaum jemand kannte. Ein Cop von außerhalb, der mit den Ermittlungen beginnt. Viele Fragen nach Alibis, sinistere Verdächtige und eine mühsame Rekonstruktion des Tatablaufs. Das könnte eine ebenso mühsame Lektüre werden.

Doch schon nach wenigen Seiten pfeift Ron Corbett auf Konventionen und macht aus diesem Police Procedural einen waschechten Thriller mit vielen Twists und hohem Bleigehalt. Der Bodycount in diesem Krimi ist hoch, das Tempo ebenso. Denn im Grunde läuft, wie auch Ulrich Noller in seinem Nachwort bemerkt, alles auf einen Showdown hinaus, auf den das Buch mit aller Macht drängt.

Das ist großartig erzählt, spannend, immer wieder überraschend und erinnert mit dem in der Blockhütte festsitzenden Verdächtigen etwas an Quentin Tarantinos The hateful Eight. Wer hat mit dem Tod der Einsiedler-Familie zu tun? Welche Geheimnisse hüten die Menschen in Ragged Lake? Und wer spielt falsch? In Ron Corbetts Thriller kann man sich nie sicher sein. Dazu überzeugen auch die Schilderungen der kanadischen Einöde, sodass sich hier am Ende alles zu einem verbindet: einem grandiosen Thriller, der viel Aufmerksamkeit verdient hat!


  • Ron Corbett – Preisgegeben
  • Aus dem kanadischen Englisch von Sven Koch
  • Mit einem Nachwort von Ulrich Noller
  • 400 Seiten, Klappenbroschur
  • ISBN 978-3-948392-04-8 (Polar-Verlag)
  • EUR (D) 14,00 / EUR (A) 14,60
Diesen Beitrag teilen