Trauerarbeit an der Côte d’Argent. Franziska Gänsler schickt in ihrem zweiten Roman Wie Inseln im Licht eine junge Frau in ein Hotel an der Atlantikküste in Nordfrankreich, wo sie sich ihren Erinnerungen und der Verarbeitung des Todes ihrer Mutter stellt.
Im Westen Frankreichs gelegen ist die Cóte d’Argent ist ein Strandabschnitt, der sich von Soulac-sur-mer bis nach Biarritz an der französisch-spanischen Grenze zieht. Reiseführer apostrophieren diese Küste gerne mit den Schlagworten von ausgedehnten Sandstrände, duftenden Pinienwälder und spannenden Ausflugszielen.
Was sich so reichlich malerisch und nach einem Sehnsuchtsort anhört, ist bei Franziska Gänsler alles andere als idyllisch und pittoresk. Vielmehr hat sich die junge Zoey hier in ein Hotel zurückgezogen, um sich zu erinnern und den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten.
Vier Tage ist der Tod her und nun wartet sie auf die Leiche der Mutter, die dorthin nach Südfrankreich überführt werden soll, um anschließen eingeäschert zu werden. Denn Zoey will die Asche ihrer Mutter dort verstreuen, wo sie zusammen mit ihrer Schwester Oda und der Mutter vor zwanzig Jahren einst Urlaub machten.
Zwischen Tod und Neubeginn
Schwebend zwischen dem Wissen um den Tod ihrer Mutter, die Realisierung ihrer neuen Situation und der Ungewissheit alles Kommenden wartet sie nun dort an der Côte d’Argent auf das Eintreffen der Leiche. Passend zur Düsternis der inneren Verfasstheit Zoeys nimmt sich auch das ganze Setting dort in Südfrankreich außerhalb der Hochsaison aus.
Zwischen Möwenattacken, Regenschauern am Strand und der trostlosen Atmosphäre im Hotel beschäftigt sich Zoey viel mit den eigenen Gedanken und Erinnerungen. Eine enge Verknüpfung sind Dabei auch die Arbeiten und das Leben der US-amerikanischen Künstlerin Tracey Emin für die junge Frau.
Denn diese teilt nicht nur den Geburtstag mit ihrer Mutter, auch in ihrer Kunst und deren Schmerzen fand und findet sich Zoey immer wieder. Ursprünglich wollte sie sogar ihre Masterarbeit in Kunstgeschichte über die britische Künstlerin schreiben, dieses Projekt wich über die letzten drei Jahre der Pflege ihrer Mutter.
Trost mit Tracey Emin
Auch wenn sie sich in der Zwischenzeit von ihren akademischen Ambitionen verabschiedet hat, so lässt die Künstlerin und ihre Radikalität Zoey nicht los. Den Titel von Tracey Emins Arbeit aus dem Jahr 1994 Exploration of the Soul könnte man auch als programmatische Arbeit über diese Zwischenzeit stellen, in der sich Zoey nun befindet.
Ich war Teil eines bizarren Duos, jetzt bin ich eine bizarre Einzelheit. Allein, in diesem Zimmer am Atlantik, im bläulichen Licht, während draußen der Regen auf den Sand fällt. Ich warte auf den Transport der Mutter, und in mir liegen die Gedanken an sie wie ein Pool, in den ich eintauche, sobald es keine Ablenkung gibt.
Franziska Gänsler – Wie Inseln im Licht, S. 18
Während sie sich der Trauerarbeit dort im Hotel hingibt, drängen auch immer mehr verschüttete Erinnerungen ans Tageslicht. Das Zusammenleben mit ihrer Mutter, vor allem aber das Verschwinden ihrer kleinen Schwester Oda, die sie zuletzt dort an der Côte d’Argent auf dem Campingplatz vor zwanzig Jahren gesehen hat. Wohin ist ihre Schwester einst verschwunden und warum gibt es keine Spuren von ihr? Warum kann sie sich nicht mehr wirklich an das erinnern, was einst vor zwanzig Jahren an diesem Ort geschah, an den sie nun zurückkehrt
Während sie sich in schnellem Tempo durch die Trauerphasen arbeitet, beginnt Zoey auch vor Ort nachzuforschen. Recherchen im Zeitungsarchiv und Gespräche mit Menschen dort auf dem Campingplatz, wo auch Zoeys Mutter einst mit ihren Kindern den Urlaub verbrachte
Abschied von einem komplizierten Verhältnis
Wie Inseln im Licht beschreibt Trauerarbeit und den Abschied von einem komplizierten Verhältnis zweier Frauen. Parallel zum Verblassen der Mutter in Zoeys Leben schälen sich nun die Erinnerungen an die eigene Schwester und deren ungeklärtes Schicksal heraus. Diese Gegenläufigen Entwicklungen kombiniert Franziska Gänsler mit einer Liebesgeschichte, die sich dort im Hotel langsam entspinnt und die die Autorin gelungen einfängt.
Im Gespräch über ihr Schreiben und die erzählerische Idee hinter dem Roman gab Franziska Gänsler zu Protokoll, dass es ihr ein Anliegen war, dass dieser Roman aus dem Dunkel der Trauer ins Helle führt. Es ist ein Konzept, das aufgeht und das der Autorin in der Ausführung gelungen ist.
Beeinflusst auch von Kunstarbeiten wie Anne Imhof und ihrer Arbeit Untitled (Wave) oder der schon erwähnten Tracey Emin gelingt es diesem Roman, stimmige Bilder für die Trauer und deren Verarbeitung zu finden. Neben aller Schwere der erlebten und erinnerten Verluste findet auch Humor ins Buch, etwa von der eigenen Mme. Future, die als Wahrsagerin aus dem Campingwagen heraus auf Social Media reüssiert und trotzdem vom Wunsch nach mehr Reichweite getrieben ist
Die Sprache ist zurückgenommen und präzise gesetzt. Mit diesem gekonnten Einsatz ihrer erzählerischen Mittel benötigt Franziska Gänsler dann tatsächlich auch nur 200 Seiten, um ihre Geschichte eindrucksvoll zu gestalten und zu präsentieren.
Fazit
So ist Wie Inseln im Licht ein Trauerbuch, das neben aller Schwere aber auch Platz für Neues im Leben von Zoey findet. Eine stimmungsvolle Schilderung einer tristen Côte d’Argent, ein tiefes Eintauchen in die Psyche ihrer Figur und nicht zuletzt einfach ein gut gemachtes Stück deutsche Gegenwartsliteratur.
Mit ihrem Roman schafft Franziska Gänsler die Anschlussfähigkeit an eine jugendliche Leserschaft bis hin zu einem erwachsenen Publikum. Sie erschafft, wenn man so will, vom Ton und Thema her eine Brücke von adoleszenter zu erwachsener Literatur. Es ist eine Brücke, die von Trauer zu Trost, von Ernst zu einem versöhnlichen Blick, von Sterben zu Neubeginn führt. Was kann einem Buch mehr gelingen?
- Franziska Gänsler – Wie Inseln im Licht
- ISBN 978-3-0369-5034-1 (Kein & Aber)
- 208 Seitne. Preis: 23,00 €