Die (Wieder-)Entdeckung von Maria Borrély geht weiter. Nachdem der Kanon-Verlag im letzten Jahr erstmalig den Roman Mistral der deutschen Leserschaft zugänglich machte, gibt es nun mit Das letzte Feuer ein weiteres Werk aus dem Schaffen der vergessenen französischen Autorin zu bestaunen – abermals übersetzt von der Borrély-Entdeckerin Amelie Thoma.
Dass in öffentlichen Bücherschränken veritable Überraschungen bereithalten können, das bewies die Geschichte hinter der deutschen Übersetzung von Maria Borrély Roman Mistral im vergangenen Jahr eindrücklich. Die Übersetzerin Amelie Thoma hatte das Werk der hierzulande völlig und in ihrer Heimat zumindest weitgehend unbekannten Autorin in einem offenen Bücherschrank in einer Kneipe in der Provence entdeckt, wo Thoma regelmäßig ihren Urlaub verbrachte.
Ihre Übersetzung des ebenso sinnlichen wie kraftvollen Buchs aus der Haute-Provence erwies sich als Erfolg, weshalb der Kanon-Verlag nun mit Das letzte Feuer einen weiteren Roman aus der Feder Maria Borrélys in deutscher Übersetzung von Amelie Thoma veröffentlich. Und ähnlich wie in Mistral finden auch hier wieder alle Zutaten zusammen, die Borrélys Schreiben auszeichnen: die Kraft der Natur und deren Lauf, dazu menschliche Schicksale, die in die geradezu archaische Natur eingebettet werden.
Ein typischer Roman von Maria Borrély
So vereint schon der erste Satz ihres 1931 erschienen Romans all das, was das Buch im Folgenden kennzeichnen wird:
Im wilden Duft des Buchsbaums, unterhalb des Dorfes und von weiter oben kommend, liegt gewunden wie eine Schlange dieses Schreckenstal der Terre-Rompues mit dem Riou-Sec, der alles Land der Bewohner von Orpierre-d’Asse gefressen hat.
Maria Borrély – Das letzte Feuer, S. 8
Wie schon in Mistral ist auch hier die Natur einmal mehr der eigentliche Hauptdarsteller, der bei Maria Borrély seinen großen Auftritt bekommt. Bislang hat es die Natur mit den Bewohner*innen des Dorfes Orpierre-d’Asse alles andere als gut gemeint.
Gemeinsam versuchen die Bergbewohner*innen dem steinigen Boden dort oben so gut es geht etwas abzutrotzen. Aber dennoch bleibt die Ausbeute der Felder und der Tierzucht mehr als mager. Schmalhälse werden die Bewohner*innen von Orpierre-d’Asse in den umliegenden Dörfer geheißen. Hunger und Mangel sitzen bei allen Mahlzeiten stets mit am Tisch.
Karges Leben am Berg, fruchtbares Leben im Tal
Doch mit dem kargen Leben am Berg ist es schon bald vorbei und das Leben in Armut nur noch eine ferne Erinnerung für die meisten der Schmalhälse. Denn diese haben fast alle nacheinander den Abstieg ins Tal gewagt, wo die Asse in ihrem Bett ruht.
Das Leben dort unten scheint deutlich leichter und erträglicher zu sein. Der Fluss sorgt für fruchtbare Böden, das Getreide gedeiht ebenso wie die Tierzucht. Man hat sich dort Häuser gebaut und genießt den Reichtum des neuen Lebens, was Maria Borrély mit ihrer kraftvollen Prosa anschaulich zu schildern vermag.
Durch die Fenster mit den halb geschlossenen Läden hört man Kaninchenpfeffer und Ragouts brutzeln und die Kutteln auf großem Feuer brodeln. Der Schmorbraten riecht nach Pfifferlingen. Man ruft einander von einem Fenster und einer Tür zur anderen. Mädchen im Rock, ein Tuch über den bloßen Schultern, spülen am Brunnen die Karaffen, die sie mit Sand geschmirgelt haben, waschen die Winterendivien. Man öffnet Trüffelkonserven aus Montagnac und Puimoisson.
Maria Borrély – Das letzte Feuer, S. 44
Schönheit und Zerstörung
Lebensklug stellt Pélagie, eine von Borrélys Hauptfiguren, am Ende des Buch fest, dass es sich mit der Zeit wie mit der Asse verhält. Beide hinterlassen Zerstörung auf ihrem Weg. Und von beidem versteht es Maria Borrély, klug zu erzählen.
Sowohl den Gang der Natur auch den Gang des Lebens fängt Das letzte Feuer hervorragend ein. So altern ihre Figuren innerhalb der wenigen Seiten (knapp 130 an der Zahl) deutlich. Sterben und Leben, Umzug und Neubeginn sind Themen, die den Roman durchziehen.
Alles drängt hin zur Erneuerung, zum besseren Leben und einer Abkehr von den Entbehrungen des Lebens, die man dort oben am Berg zurückgelassen hat. Dies führt mitunter zu kuriosen Szenen, etwa als in der Euphorie des Neubeginns sogar die Kirche von ihrem angestammten Ort oben auf dem Berg ins Tal versetzt wird.
Nur Pélagie Arnaud und ihre Ziehtochter Berthe nehmen nicht Anteil an diesem neuen Leben. Pélagie harrt dort oben im Dorf aus, ihr ist die Nähe des umgezogenen Dorfs zur nahen Asse nicht wirklich geheuer. Und selbst als Berthe auszieht und selbst eine Familie gründet, bleibt Pélagie im Dorf zurück.
Die Zähmung der Natur als Ausgangspunkt für die Katastrophe
Es spricht aus ihrem Verhalten die Verbundenheit zum alten Dorf genauso wie ein Misstrauen gegen den neuen Komfort und die trügerische Idylle, den die Tallandschaft mitsamt der Asse bietet. Ein Misstrauen, das sich im Verlauf des Buches noch bestätigen wird…
Hier kommt dann der zweite Aspekt der Feststellung der erfahrenen Pélagie zum Tragen, denn Das letzte Feuer erzählt auch von der Katastrophe, den der Eingriff in die Ökologie bedeutet. Die Besiedelung von flussnahem Gebiet und einer Unterschätzung der Kräfte der Natur führt hier zur Katastrophe, die auch in die Gegenwart verweist.
Man kann Das letzte Feuer nicht lesen, ohne an Flutkatastrophen wie etwa die Ahrtal-Überflutung vor wenigen Jahren zu denken. Der Versuch der Menschen, sich mit den Gegebenheiten der Natur zu arrangieren und diese für eigene Zwecke zu zähmen, er findet nicht nur in Maria Borrélys Roman keinen guten Ausgang und ist damit nicht nur in unserer Gegenwart aktuell, sondern wird auch in einer Zukunft mitsamt der möglichen Klimakatastrophe an Brisanz gewinnen.
Fazit
Zwar vermisst man ein einordnendes Nachwort in Das letzte Feuer ebenso wie das damalige Vorwort ihres Schriftstellerkollegen Jean Giono, von dem nur noch ein Zitat auf dem Cover dieser Ausgabe zeugt. Dieser kleine Makel wird aber von der Freude über die Entdeckung dieser so kraftvollen Autorin, die nach wie vor gültige Brisanz ihrer Prosa und die nuancenreiche Übersetzung durch Amelie Thoma bei Weitem überwogen. Es bestätigt sich eindrücklich: die (Wieder-)Entdeckung dieser Autorin ist ein großer Glücksfall!
- Maria Borrély – Das letzte Feuer
- Aus dem Französischen von Amelie Thoma
- ISBN 978-3-98568-113-6 (Kanon-Verlag)
- 128 Seiten. Preis: 20,00 €