Annie Proulx – Aus hartem Holz

Bäume wohin man sieht – sie begegnen den Franzosen René Sel und Charles Duquet, als diese 1693 aus Frankreich nach Neu-Frankreich, später Kanada genannt, aussiedeln. Als Waldarbeiter sind sie in die neue Welt gekommen und durchstreifen auf den ersten Seiten des Buchs Urwälder, in denen man sich verlieren kann. Bäume ohne Ende, die auch dem Leser in Annie Proulx neuem Werk (das erste seit vierzehn Jahren) auf fast 900 Seiten ständig begegnen werden. Darunter sind Pflanzen wie Hemlocktannen, Weymouthkiefer, Kauribäume, Douglasien und viel mehr. Doch die wichtigsten Bäume des Buchs sind die Stammbäume, die Annie Proulx als gute Autorin über hunderte Seiten entwickelt und aufgehen lässt.

Ausgangspunkt und Keimzelle des Buchs sind die beiden schon eingangs erwähnten französischen Sieder René Sel und Charles Duqet, die Ende des 17. Jahrhunderts nach Kanada gelangen. Beide beginnen mit der Rodung des Waldes und begründen Dynastien, die über hunderte von Jahren bestehen werden. Dabei sind die eingeschlagenen Lebenswege und -modelle ganz unterschiedlich. René Sel steht für den Brückenschlag zu den Ureinwohnern der Wälder Kanadas. Er zeugt mit einer Indianerin vom Mi’Kwam-Stamm Kinder und begründet so eine Stammbaum von Indianern und Mischlingskindern, die alle um ihren Platz in einer Welt kämpfen müssen, in der ihr Lebensraum immer rapider verschwindet.

Charles Duquet hingegen steht für den amerikanischen Traum, er sieht den Wald nicht als Lebensraum und Biotop, sondern als nachwachsendes Kapital, das seinen Lebensstil finanziert. Er erfindet sich als Unternehmer Charles Duke neu und denkt unternehmerisch, versucht seinen Absatz im Ausland zu steigern und ist eigentlich der typische Fall eines Selfmade-Millionärs. Auch er hat Kinder, die das von ihm geschaffene Holz-Imperium weiterführen und ausbauen werden, Niederlagen und Ernüchterung inklusive.

Diese beiden Grundstränge verfolgt Annie Proulx über 300 Jahre und verwendet zehn Kapitel, die verschiedene Zeitspannen umfassen. Immer wieder wechselt sie für ihre Kapitel vom Sel- zum Duquet-Strang und schafft so viel Abwechslung. Die Chronologie hält die Amerikanerin dabei ein, der Schwerpunkt des Buchs liegt aber eindeutig auf dem 18. und 19. Jahrhundert (die auch am meisten überzeugen), je näher es an die Gegenwart geht, umso spärlicher wird das Buch.

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1 Kilo Kultur

Zunächst einmal – ich halte den Titel dieses Buchs für falsch gewählt. In meinen Augen müsste das gewichtige Buch aus dem C. H. Beck-Verlag eigentlich 1 Kilo (Allgemein)Wissen heißen, denn Kultur ist nur ein Teil dieses Mammutwerks, das einen Überblick über Geschichte und Denken von der Antike bis hin zur Gegenwart gibt.

Verfasst wurde das Werk von Florence Braunstein und Jean-Francois Pépin. Erstere lehrte in Frankreich an Universitäten das Studium generale, Pépin ist Universitätsprofessor. Aus den Lehrtätigkeiten der beiden erwuchs nun dieses 1246 Seiten starke Buch, das von Nikolaus de Palézieux ins Deutsche übertragen wurde. Zudem wirkte an der deutschen Übertragung des Wissenbrockens auch Alexander Kluy mit, der für den deutschen Sprachraum Anpassungen und Ergänzungen vornahm.

Die generelle Ordnung des Buchs ist eine chronologische. Von der Antike ausgehend behandelt das Buch alle Epochen über das Mittelalter bis hinein die Gegenwart. Jede Epoche wird dabei strukturiert und geordnet. Diese Ordnung erfolgt meist anhand von Ländern oder Lebensräume, deren einzelnen Aspekte beleuchtet werden. Manchmal sind es auch die Völker (z.B. in der Zeit der Völkerwanderung), an denen sich die Autoren orientieren. Neben dieser Grobgliederung gibt es weitere Unterpunkte, die innerhalb der Themen Ordnung schaffen. So erhalten beispielsweise wichtige Philosophen wie Thomas Hobbes eigene kurze Kapitel innerhalb der Themen. Diese Exkurse sind profund und lockern den Lesefluss auf.

Das Buch ist sinnvoll geordnet – dank der Epochenmarkierungen, die auch auf dem Buchschnitt aufgegriffen wird, findet man sich im Buch gut zurecht. Im Text selbst finden sich wenige Bilder oder Darstellungsformen, der reine Text überwiegt. Die übergreifende (Ein-)Ordnung unterscheidet 1 Kilo Kultur von herkömmlichen Lexika, auch findet sich ein lexikon-typisches Sachregister nicht in diesem Buch. Nur ein ausführliches Personenregister ergänzt die Monographie und bietet die Möglichkeit zur Recherche.

Über manche der Informationen in 1 Kilo Kultur ließe sich trefflich streiten (ist nun wirklich Miguel de Cervantes der Erfinder der Novelle oder verdient nicht vielmehr Giovanni Boccaccio diesen Titel?), dennoch ein gutes Übersichtswerk, das alle wichtigen Strömungen und Entwicklungen der Geschichte zusammenfasst.

Und auch wenn es bis Weihnachten gottseidank noch etwas hin ist – für Freunde von Wissen und Kultur kann man sich dieses Buch durchaus schon einmal auf einem Merkzettel notieren.

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Margaret Atwood – Hexensaat

Welch schönes Projekt: als Verneigung vor dem vor 400 Jahren verstorbenen Barden und ikonischen Dichter William Shakespeare schrieben beziehungsweise schreiben 8 Bestseller-Autoren unter dem Titel Shakespeare-Projekt Neuinterpretationen der Werke Shakespeares. Das Ganze erscheint bei uns nach und nach in schöner Ausstattung im Knaus-Verlag. Zu dem Autorenkreis zählen Größen wie Tracy Chevalier, Gillian Flynn, Howard Jacobson oder auch Jo Nesbø.

Als viertes Werk erschien nun das Werk Hexensaat der kanadischen Großmeisterin Margaret Atwood, das von Brigitte Heinrich ins Deutsche übertragen wurde. Grundlage ist Shakespeares Stück Der Sturm, der im Buch zum Prüfstein für den Regisseur Felix wird. Jener plante eigentlich eine furiose Inszenierung des Stücks, die ihn zum Gesprächsthema in der Theaterwelt machen und sein persönlicher Triumphzug werden sollte. Doch eine Intrige seines engsten Mitarbeiters verhinderte das. Gebrochen, durch den Tod seiner Frau und Tochter zerstört und von der Welt vergessen zieht er sich in eine bruchfällige Hütte zurück. Aufgeben will Felix dennoch nicht und sinnt auf Rache. Der Schlüssel hierfür ist eine Theatertruppe im Gefängnis, mit der er ebenjenen – wie könnte es anders sein – Sturm einstudiert, um sich an seinen Feinden zu rächen.

Folglich inszeniert Margaret Atwood eine Neuinterpretation jenes vielgespielten Werkes des Barden aus Stratford-upon-Avon, die auf drei Ebenen funktioniert. Da ist zunächst der klassische  Sturm mit seinen Motiven: der Insel, auf der Caliban, Prospero, Miranda und der Geist Ariel leben, der Schiffbruch, der neue Gestrandete bringt und all die Intrigen, die klassisch im Werk Shakespeares sind. Auch wenn man mit dem Opus des Barden nicht vertraut ist – durch einen raffinierten Kniff löst Margaret Atwood dieses Problem. Denn für seine Neuinszenierung muss Felix den Gefängnisinsassen jenes Werk auch erst einmal mit vielen – manchmal sogar etwas zu vielen – didaktischen Kniffen näherbringen. Neben dieser aktuellen Ebene ist da auch noch Felix selbst, der von der Welt vergessen gestrandet ist und nun seinen eigenen Sturm durchlebt und ein wahrer Prospero ist.

Margaret Atwood strukturiert ihre Neuinterpretation Hexensaat durch die klassischen fünf Akte nebst einem Epilog, der die Inhalt des Original-Sturms zusammenfasst und damit auch einen genauen Vergleich zwischen Interpretation und Originalquelle erlaubt. Insgesamt ein sehr gelungenes Remake (wenngleich Atwoods Gefängnisinsassen schon wirkliche Pappkameraden sind) – und ein frischer Zugang zu Shakespeares Werk, das den Staub von 500 Jahren locker wegpustet und vielleicht auch Atwood-Fans zu Shakespeare-Fans machen könnte und umgekehrt.

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#verlagebesuchen am 23.04.2017

Im Rahmen des Welttag des Buches boten in ganz Deutschland Verlage unter dem Motto #verlagebesuchen eine Art Tag der Offenen Tür an. Eingeladen waren interessierte Leser, die einen Blick hinter die Kulissen der Verlagshäuser werfen wollten – meist garniert mit Lesungen oder Führungen durch die Örtlichkeiten. Auch der in München ansässige Piper-Verlag hatte in seine Räume in die Georgenstraße eingeladen – und dieser Einladung kam ich natürlich gerne nach.

Volles Haus im Piper-Konferenzsaal

Das Programm umfasste 3 Stunden im Verlag; nach der Begrüßung durch die Verlegerin Felicitas von Lovenberg ging es dann auch schon los. Im bis auf den letzten Platz besetzten Konferenzsaal stießen die Piper-Autoren Georg M. Oswald, Pierre Jarawan und Su Turhan zur Rund, die sich zusammen mit der Verlegerin und Lektorinnen den Fragen des Publikums stellten. Welche Rolle spielt ein Verlag für einen Autoren? Welche Rolle spielen Literaturagenten im Literaturbetrieb? Welche Kriterien gelten für LektorInnen, anhand derer sie die Güte eines Textes beurteilen? Diese und viel mehr Fragen wurden den Gästen beantwortet ehe nach einer kurzen Pause die drei Autoren dann unisono die ersten Kapitel ihrer Bücher lasen.

Die drei Bücher, die die Autoren vorstellten waren Alle, die du liebst (Georg M. Oswald), Am Ende bleiben die Zedern (Pierre Jarawan) und Getürkt (Su Turhan). Vor allem Su Turhan, dessen Kommissar-Pascha-Krimis jüngst zur Primtime im Fernsehen liefen, erwies sich als unterhaltsamer Erzähler und Entertainer. Im Anschluss stellten sich die drei Autoren den Fragen der Zuhörer und gaben Einblicke in ihre Schreibwerkstätten, ehe alle erworbenen Bücher signiert wurden.

Verschiedene Coverentwürfe für Margaret Atwood und Zia Hader Rahman

Interessant auch die Einblicke in die anderen Abteilungen des Verlags – viele Mitarbeiter aus den Abteilungen Herstellung, Lektorat und Gestaltung standen parat und zeigten ihre Arbeitsfelder, mit denen sie sich täglich befassen. Hierbei fand ich besonders den Blick in die Herstellung erhellend – die MitarbeiterInnen zeigten verschiedene Coverentwürfe für Piper-Bücher. Sehr aufschlussreich, was sich der Verlag und Grafikagenturen für die Cover der jeweiligen Bücher überlegen – und welche dieser Cover es dann schlussendlich schaffen und welche Entwürfe wieder verworfen werden.

Schön auch dass die Kollegin Sabine von Bingereading & More ebenso wie ich den Weg zum Piper-Verlag fand und man sich nach der Leipziger Buchmesse schon wieder über den Weg lief.. Nicht nur die Welt ist ein Dorf – auch die Bloggerwelt ist es.

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Dominic Smith – Das letzte Bild der Sara de Vos

Im 17. Jahrhundert versank ganz Europa in Streit und Zwistigkeiten, der Dreißigjährige Krieg erschütterte den Kontinent – nur in den Niederlanden sah es etwas anders aus, denn das Land feierte das sogenannte Goldene Zeitalter, in dem die Kunst zu einer neuen Blüte fand.

Die Bildung, Erkenntnisse in Wissenschaft und Forschung – in allen Bereichen entwickelten sich die Niederlande weiter, insbesondere auf dem Feld der Malerei. Künstler wie Rembrandt, Frans Hals, Vermeer oder Willem Van De Welde brachten die Kunst auf ein ganz neues Niveau – doch Frauen waren in den damaligen Malergilden so gut wie gar nicht repräsentiert.

Dominic Smith erfindet nun in seinem Roman Das letzte Bild der Sara de Vos ebenjene Künstlerin und stützt sich dabei auf tatsächliche Biografien von Malerinnen des Goldenen Zeitalters. Seine Sara de Vos erschafft in großer Armut um 1636 Stilleben und Gemälde, die eigentlich nur dazu dienen, den ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihres Mannes zu sichern. Doch die damaligen Gilden versagen der Künstlerin ihren Ruhm und so gerät die Malerin fast in Vergessenheit.

Doch ein Gemälde von Sara de Vos überdauert alle Zeit und erfreut noch Jahrhunderte später den Anwalt Marty de Groot, dessen Schlafzimmer das Gemälde schmückt. Doch plötzlich muss er eines Tages feststellen, dass das Gemälde offenbar durch eine gekonnte Kopie ausgetauscht wurde. Bestürzt macht sich de Groot daran, die Übeltäter und Fälscher zu finden. Doch natürlich kommt alles anders anders als geplant, denn nicht nur die Fälschung der Kunst ist ein Thema, denn de Groot selbst begeht auch eine Täuschung, die ihn Jahre später immer noch verfolgt.

Durch Welt- und Kunstgeschichte

Munter springt Dominic Smith für seinen Roman durch die Welt- und Kunstgeschichte. Von den Niederlanden im 17. Jahrhunderten geht es über die 50er Jahre in New York bis nach Sydney an der Schwelle ins neue Jahrtausend. Für jedes der drei Zeitalter gibt es eine beziehungsweise einen Protagonisten, ehe Smith zum Ende hin die Schicksale miteinander verknüpft. Dabei erzählt er von den prekären Lebensbedingungen in den Niederlanden im 17. Jahrhundert genauso wie von der Kunst, Gemälde zu fälschen.

Durch seine drei Erzählstränge gewinnt das Buch an Abwechslung und bleibt mit einer Länge von 350 Seiten angenehm konzise. Besonders schön ist auch das Cover des Buchs gelungen, das haptisch gleich auf das Kunstmilieu einstimmt, in dem das Buch spielt – insofern auch eine schöne Geschenkidee für Literatur- und Kunstfreunde!

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