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Gaea Schoeters – Das Geschenk

Wenn die Elefanten an der Spree grasen, dann handelt es sich um den neuen Roman von Gaea Schoeters. In Das Geschenk denkt sie die letztjährige Nachricht einer potentiellen Abgabe von 20.000 Elefanten aus Botswana an Deutschland weiter und strickt daraus eine Politsatire, die viele Debatten dieser Tage berührt und die auch an Schoeters ersten Überraschungserfolg Trophäe anschließt.


Im vergangenen Jahr avancierte der Roman Trophäe der belgischen Autorin Gaea Schoeters zum veritablen und vielbesprochenen Bestseller. Darin stellte sie die Frage nach dem Verhalten von Europäern in Afrika und führte eindringlich die moralischen Fragen und Konsequenzen ihres Tuns dort in Bezug auf die Trophäenjagd vor Augen. Das Geschenk schließt nun gewissermaßen an dieses Werk an, steht auch hier das Verhältnis von Europäern und Afrikanern im Mittelpunkt.

Zunächst allerdings steht erst einmal ein Elefant in der Spree in Berlin.

Der Elefant steht am Flussufer. Zögerlich prüft er mit der Rüsselspitze das Wasser, das kälter ist als sonst. Kurz lässt er unbehaglich die Ohren rotieren und schaut sich um, als würde er irgendwas oder irgendwen suchen. Er stößt ein leises, tiefes Grollen aus, erhält aber keine Antwort. Erneut widmet er sich dem Wasser, beschnüffelt die Oberfläche, entrollt seinen Rüssel vollständig, taucht die Spitze unter und saugt die kühle Flüssigkeit auf. Wirft dann den Kopf in den Nacken, führt die Rüsselfinger zum Mund und trinkt gierig. So bleibt er stehen – mit der Spitze im Mund und genüsslich geschlossenen Augen hinter den sanft zitternden Wimpern.

Gaea Schoeters – Das Geschenk, S. 11

Schon hier zeigt sich die Beschreibungskraft und Beobachtungsgabe, die Schoeters Schreiben kennzeichnet (das abermals gekonnt von Lisa Mensing aus dem Niederländischen übersetzt wurde).

Detailliert entwirft Schoeters ihre Welten – was in Trophäe für den Kontinent Afrika galt (was insofern wirklich bewundernswert ist, dass Schoeters aufgrund der Corona-Restriktionen selbst gar nicht dort war und nur intensiv recherchierte), gilt nun auch für das politische Berlin. Denn bei einem in der Spree badenden Elefanten bleibt es nicht. Schnell tauchen weitere Elefanten in der Bundeshauptstadt auf, die dort für Chaos sorgen und nicht nur verkehrstechnisch, sondern vor allem politische Landschaft der Hauptstadt und des ganzen Landes durcheinanderwirbeln.

Elefanten aus Botswana für Berlin

Gaea Schoeters - Das Geschenk (Cover)

Die Elefanten sind die Revanche des botswanischen Präsidenten, der damit als fiktive Figur das vollzieht, was seine reale Entsprechung Mokgweetsi Masisi im vergangenen Jahr nur ankündigte. Aufgrund eines strengeren Einfuhrgesetzes für Jagdtrophäen drohte dieser, Deutschland 20.000 Elefanten zu schenken, da sein Land die sein Land ohnehin schon unter einer Elefantenplage leide und das geplante Gesetz die Lage noch verschärfe. Und so macht Masisis fiktiver Doppelgänger ernst und lässt die Elefanten in Berlin frei.

Damit beginnt die Politsatire, in der Schoeters ausführlich durchdekliniert, was das Auftauchen der Elefanten verändern könnte. Dass der Reichstag ebenso wie der Fernsehturm bald von Pflanzen überwuchert wird und die Elefanten neue Koordinierungen in der Verkehrsplanung erfordern, ist nur ein Aspekt dieses Gedankenexperiments. Vor allem zielt Schoeters auf die politischen Implikationen ab, die das Auftauchen der Elefantenhorden in der Hauptstadt verursacht.

Während sich Bundeskanzler Winkler als strategischer und ruhiger Planer präsentieren will, gibt die Invasion der Dickhäuter dem populistischen Treiber Fuchs weiter Auftrieb, der gegen die Elefanten, vor allem aber gegen den Bundeskanzler und dessen Kurs in Sachen Elefantenkrise agitiert.

Während man sich in Berlin „Wir schaffen das!“ sagt und nach allgemeinverträglichen Wegen zum Umgang mit den umherziehenden Horden sucht, schieben sich die Behörden die Verantwortung zu, werden neue Ministerien geschaffen und versucht jeder der Protagonisten in der Krise seinen eigenen Vorteil zu erlangen. Das ist ebenso knapp wie gut beschrieben und bietet viel Anknüpfungspunkte an die heiß diskutierten Problemlagen unserer Tage.

Welche Bedeutung hat der Umweltschutz und welchen Preis ist man für ihn zu zahlen bereit? Wie managt man allgemeinverträglich eine Krise neu ankommender Bewohner dieses Landes, seien es hier die Elefanten oder im wahren Leben Geflüchtete aus Krisengebieten? Wie umgehen mit Populisten und Diskurszündlern? Und welche Verantwortung hat der reiche Süden gegenüber dem Globalen Süden?

Für die Kürze von unter 150 Seiten steckt Das Geschenk voller aktueller Fragen und ist obendrein noch höchst unterhaltsam. Freilich, so krass und ethisch herausfordernd wie Trophäe ist dieses Buch nicht, das im besten Sinne eher wie eine Fingerübung wirkt, eine kleine Nachricht jenseits des großen Nachrichtengeschäfts einmal konsequent durchzudenken.

Fazit

Und doch bleibt sich Gaea Schoeters auch hier treu und liefert viel Nachdenkenswertes im Gewand einer schnellen Politsatire, die durch eine genaue Zeichnung politischer Dynamiken unserer Tage besticht – und zudem neu nachdenken lässt über unsere manchmal so schizophrene Haltung gegenüber Umweltschutz, Neokolonialismus sowie die Dynamiken im politisch-medialen Diskurs, der unsere Gegenwart prägt.


  • Gaea Schoeters – Das Geschenk
  • Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
  • ISBN 978-3-552-07574-0 (Zsolnay)
  • 144 Seiten. Preis: 22,00 €
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Baret Magarian – Die Erfindung der Wirklichkeit

Es gibt wirklich spektakulärere Leben als jenes, das Oscar Babel führt. Nachdem der Erfolg und die Inspiration als Maler ausblieben, fristet er nun als Kinovorführer sein Dasein. Da ihm dieses Leben zu trist ist, beschließt sein Bekannter Daniel Bloch zumindest auf dem Papier für etwas Schwung in Babels Leben zu sorgen. Doch die Fiktion wird schnell zur Realität – mit ungeahnten Folgen, wie Baret Magarian in Die Erfindung der Wirklichkeit zeigt.


Es sind zunächst äußerst subtile Änderungen, die Bloch seiner Version von Oscar Babel auf den Leib schneidert beziehungsweise schreibt. Er mag plötzlich die Kompositionen Wagners und sein Vermieter, in realiter ein echter Haustyrann, umschlingt diesen mit Liebe. Beängstigend wird es allerdings, als diese auf dem Papier erdachten Veränderung tatsächlich in Babels Leben Einzug halten. Sein Vermieter ist frisch verliebt, Tristan und Isolde üben plötzlich einen hohen Reiz auf Babel aus, er wird zum Aktmodell – und ein Kätzchen läuft ihm auch noch zu.

Bei diesen Veränderungen bleibt es nicht – denn Babel gerät in den Fokus des Medien-Impressarios Ryan Rees, der Babel zu einer Art modernem Propheten aufbauen will. Er steckt viel Geld in eine Kampagne, die Oscar Babel bekannt machen soll. Bei der Verleihung des Duchamp-Preises beleidigt er die anwesenden potentiellen Preisträger*innen, später werden einzelne Reden von Babel aufgenommen und entwickeln sich zum Hit. Und dann bucht Rees auch noch den Park Kensington Gardens, wo Babel erstmals vor großem Auditorium auftreten soll. Dieser Gig entwickelt sich dann aber völlig unerwartet und weckt an Erinnerungen an das Geschehen, das einst ein literarischer Antiheld namens Jean-Baptiste Grenouille mit seinem Parfum auf dem Marktplatz von Grasse auslöste.

Der Aufstieg des einen, der Abstieg des anderen

Während Oscar Babel zum Stadtgespräch avanciert, geht es mit dem Initiator von Babels Aufstieg immer weiter bergab. Bloch will nach den beängstigenden Ergebnissen seiner Fiktion von Babels Neuschreibung ablassen – und wird immer kränker, während den Menschen um ihn herum allzu Unwahrscheinliches geschieht.

Baret Magarian - Die Erfindung der Wirklichkeit (Cover)

Davon erzählt Baret Magarian, der mit Die Erfindung der Wirklichkeit nun zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen ist. Ähnlich wie seine Figur Oscar Babel hat auch Magarian schon als Aktmodell gearbeitet, zudem nennt der Verlag noch Tätigkeiten als Theaterregisseur, Übersetzer, Musiker oder Dozent, derer der Autor mit anglo-armenischen Wurzeln schon nachgegangen ist.

Seinem Buch stehe ich etwas zweigespalten gegenüber. So ist die Idee eines Aufstiegs eines Nobodys durch literarische Fiktion und skrupellose Medienmanager hin zu einem vieldiskutierten Mann mit hoher Reichweite durchaus interessant. Vor allem in Bezug auf das Spiel mit der Öffentlichkeit, die in Babel Dinge sehen möchte, die er gar nicht vorweisen kann, ist das Buch durchaus interessant und weist einige Parallelen zur Gegenwart auf.

Dennoch funktioniert das Buch für mich leider nicht wirklich. Mit Humor ist es ja eh so eine Sache, ist er doch höchst subjektiv und erreicht Menschen ganz unterschiedlich. Hier war ich für die Satire, die von vielen Seiten aus gepriesen wird, nicht wirklich empfänglich. Und auch in der „Gesellschaft der modernen europäischen Meister“ sehe ich dieses Buch im Gegensatz zum Klappentextlob von Jonathan Coe nicht wirklich, selbst wenn Magarian seinem Buch ein Zitat aus Bulgakows Der Meister und Magarita voranstellt.

Eine Nummernrevue und alberne Figurennamen

Das beginnt mit der Benennung von Figuren wie eben Oscar Babel, Vernon Lexicon, Tracy Fudge oder einer Journalistin namens Rebecca Murdeck, die man durchaus als satirisch bezeichnen kann, ich allerdings nur albern fand. Mag man über solche geschmacklichen Petitessen noch streiten, reichen meine Schwierigkeiten – und hier wird es deutlich gravierender – bis zur Struktur des Buchs selbst, das mir zu oft in eine klamaukige Nummernrevue zerfällt, anstatt eine stringente Geschichte zu erzählen.

So gibt es immer wieder eine komische Szenen wie die des Wahrsagers Alexi Sopso (auch hier wieder so ein überdrehter Name), der sich als völliger Dilettant seiner Zunft herausstellt. Das hält ihn dennoch nicht davon ab, seine Kundin zu überreden, bei einem Abendessen mit seinen strengen Eltern als Alibi-Freundin zu fungieren. Auch andere Szenen offenbaren Magarians Sinn für Komik, etwa wenn eine Figur ihr eigenes Haus anzündet oder Babel bei einem äußerst merkwürdigen Dreh für einen Dokumentarfilm zugegen ist.

Insgesamt fehlt der Geschichte in meinen Augen aber etwas der Zug und der klare Fokus auf die Erzählabsichten Baret Magarians. Sein Handling der Figuren ist nicht immer ganz souverän, denn während Bloch ziemlich schnell aus dem Fokus gerät, schieben sich andere Nebenfiguren in den Vordergrund, um erst viele Dutzend Seiten später wieder eine Rolle zu spielen, während sich immer wieder wirre Pamphlete Blochs oder Online-Artikel im Buch finden, die das Ganze etwas zerfahren wirken lassen. Darüber hinaus befremdeten mich Formulierungen wie die der Essenstafel beim Duchamp-Preis, die im Lauf des Abends langsam vergewaltigt wird.

Fazit

An solchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass Magarian selbst seine Fabrikation, wie der Titel im englischen Original heißt, etwas entglitten ist. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht sonderlich empfänglich für den im Buch gepflegten Humor dieser parabelhaften Satire und kurzum schlicht der falsche Leser. Aber mit etwas mehr erzählerischem Zug, klareren Fokus auf die Hauptfiguren und eine weniger ausufernde Erzählweise hätte es vielleicht geklappt mit mir und der Erfindung der Wirklichkeit. So bleibt bei mir leider der Eindruck einer lauwarmen und deutlich zu langen Satire, der einige Straffungen gutgetan hätten.


  • Baret Magarian – Die Erfindung der Wirklichkeit
  • Aus dem Englischen von Cathrine Hornung
  • ISBN 978-3-85256-861-4 (Folio Verlag)
  • 481 Seiten. Preis: 28,00 €
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Peter Richter – August

Neues von Peter Richter. Nach seinen beiden in Ostdeutschland spielenden Büchern (zuletzt Dresden revisited, 2016) wechselt er nun den Schauplatz. Der ehemalige New York-Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung erzählt nun von zwei Paaren, die ihren Sommer dort auf Long Island verbringen, genauer gesagt in den Hamptons. Im luxuriösen Milieu voller Villen mit hauseigenem Gärtner, Swimmingpools und Gartenpartys wollen die beiden Paare mit deutsche Wurzeln einen sorglosen Sommer verbringen. Und merken dabei doch, dass selbst im vermeintlich den Sorgen enthobenen Idyll der Hamptons nicht alles perfekt ist.


Geladen zum sorglosen Sommer hat Richard (die Betonung liegt auf Rich), der mit seiner Frau Stefanie, einer ehemaligen Moderatorin im Musikfernsehen, aus Berlin in die Hamptons gezogen ist. Reichgeworden mit Immobiliengeschäften hat er sich einen Bungalow in den Hamptons gekauft, in dem er den Impressario gibt. Zu laut über das Grundstück tönender Jazzmusik pflegt man zusammen mit dem befreundeten Ehepaar Alec und Vera das süße Nichtstun. Das Apartment der beiden in New York ist vermietet, die Kinder spielen gemeinsam und so kann das gemeinsame sorglose Sommern beginnen.

Denn Vera hatte bis dahin weder das Wort noch die Sache gekannt: to summer. Allein die Idee, den kompletten Sommer da draußen zu verbringen, kam ihr so verlockend wie abszön vor – auch noch in den mythischen Hamptons, wo nach allem, was sie darüber wusste, siebzigjährige Bienenköniginnen inmitten unverstellbarer Reichtümern auf den Dünen hockten.

Peter Richter -August, S.14

Vera versucht, von ihrem Job in der Klinik abzuschalten, Alec seine ausufernden Materialsammlungen zu einem Buchprojekt zu bündeln (von der Hitlerjugend zu Facebook, von der Waldorfschule zum Waldorf Astoria, so die ungefähre Synopse seine Frau). Die Routine aus Rammdösigkeit aus Swimmingpool und dem Bad im nahegelegenen Ozean wird allenfalls von der Fahrt zum Indianerreservat (besonders günstige Zigarettenstangen!) oder zum Discounter (zwei Flaschen Champagner zum Preis von einer!) unterbrochen.

Wollen und Nicht-Ganz-Können

Peter Richter - August (Cover)

Ein schönes Bild ist es, das Peter Richter hier für den Status von Richard und Co und deren Wunsch nach einer Hochglanzfassade zeigt. Während Vera und Alec ihr Appartment via AirBnB untervermietet haben, um sich den Luxus der Auszeit zu gönnen, darf diese Auszeit für Richard und Stefanie nur den August über dauern. Danach ist der Bungalow wieder vermietet. Überhaupt – was wie purer Luxus klingt, ist dann doch nicht DER Luxus, der in den Hamptons angestrebt wird. Statt einem feudalen Anwesen reicht es bei den beiden doch nur zum Bungalow plus beengter Gästehütte. Zudem liegt dieser auf der falschen Seite des Highways. Aber immerhin, für einen Parkberechtigungsschein am Strand reicht es.

Und wenn man schon nicht die erste Geige im Konzert der Upperclass spielt, so muss wenigstens ein Lifestyleguru für die Paare drin sein. Was andere Hollywoodstars vormachen, das ahmen Richard und Stefanie natürlich begeistert nach. Und so besucht diese regelmäßig ein Guru mit wallendem Haar, aufgrund seiner österreichischen Provenienz Kaunsler getauft. Er animiert besonders Stefanie zu Yoga, Globuliexzessen und Esoterik. Und auch das heimischen Zierpflanzen sind vor den halluzinogenen Versuchen es österreichischen Schamanen nicht sicher.

Eine Satire auf das Streben nach Aufstieg

Die Figuren und die Setzung des Romans zeigen schon, in welche Richtung Peter Richter in seinem neuen Buch geht. August ist eine Satire auf das Streben nach sozialem Aufstieg und den Wunsch, selbst in der Upperclass mitzumischen. Er beschreibt ein vermeintliches Paradies, das doch nach und nach seine Risse offenbart. Je länger der Sommer dauert, desto mehr Störfaktoren tauchen innerhalb und außerhalb der Beziehungsgefüge auf.

Es sind schöne Bilder, die Richter neben so manchem Klischee hier aufbietet. Ein Beispiel für die Koexistenz von beidem wäre etwa die übers Grundstück tönende Musik und deren Begleitumstände. Ist es zunächst wilder Jazz (den die Sommerfrischler eher aus Distinktionsgewinn denn Genuss konsumieren), der zur Untermalung der mondänen Lebenswelt dient, wird dieser später im Buch von Dolly Parton und ihrem Schlager Jolene abgelöst, passend zur Affäre mit dem Schweizer Kindermädchen. Ist das vielleicht auch etwas zu plakativ und erwartbar, sind es weitere Bilder und Motive, die noch stärker, da unaufdringlicher sind.

So versammeln sich auf dem Grund des Pools immer mehr Gegenstände, die ihren Weg im Lauf des Sommers dort hineinfinden. Der Gärtner Ramon ist nicht auffindbar, und so bleibt alles eben einfach alles im Schwimmbecken zurück. Wer will sich schon im Sommer mit Aufräumen beschäftigen? Zunächst fällt ein Buch stellvertretend für alle Ambitionen in den Pool. Später ist es ein Handy, dann – nein, es soll hier nicht verraten werden. Die Lektüre bis zum Schluss lohnt und dieses Bild ist gelungen und vielgestaltig interpretierbar.

Vielgestaltiger Humor

Überhaupt – vielgestaltig ist auch der Humor, den Peter Richter in August aufbietet. Dieser reicht von erwartbar und vielleicht etwas flach („Ihr Trainer hieß auf Englisch so, wie sie sich auf Deutsch fühlten, seit sie den Raum betreten hatten: Matt. S. 139 ) über intellektuell-hintersinnig (etwa die ganzen ergebnislosen Gedankenschleifen und Monologe Alecs) bis zu dem distinguierten und fast an Thomas Mann erinnernden Humor, der an anderen Stellen aufblitzt:

„Champagner“, rief Richard, als sie alle wieder aufgetaucht waren. „Ein Bad in Champagner, oder etwa nicht?“. Nicht nur der Sand sei weißer, auch die Gischt moussiere feiner hier draußen. „Alles westlich von hier ist bestenfalls Prosecco dagegen: Jones Beach, sogar Fire Island.“ Und was Coney Island oder Rockaway Beach waren, wo Alec und die Seinen normalerweise schwimmen gingen, was also diejenigen Strände dagegen waren, die man mit der Subway erreichen konnte, das wollte Richard lieber gar nicht in den Mund nehmen.

Peter Richter – August, S. 36

Für meinen Geschmack hätte Richter diesem feineren Humor noch etwas mehr Platz einräumen dürfen, gegenüber den oftmals schon reichlich karikaturesk wirkenden Beschreibungen seiner Protagonist*innen (besonders überzeichnet in meinen Augen die ökologische Übermutter Stefanie, die dem Nachwuchs selbst gemachte Sonnencreme der Vermeidung von Chemikalien wegen auf die Haut schmiert, Globuli verfüttert, sämtliche Kellner am Tisch peinlichen Verhören über die Öko-Bilanz des Essens unterzieht, etc.). Auch bleibt Richter in seinen Sottisen etwas erwartbar (das Geiern der am Strand zurückgelassenen Mütter nach dem athletischen Lifeguard, die amerikanische Prüderie egal ob Kleinkind ohne Bikini oder Champagnerkonsum, die Esoterik-Begeisterung in Teilen der Upperclass, die Begeisterung der Eliten für das vermeintlich Einfache und Echte, und so weiter).

Fazit

Insgesamt aber gelingt Peter Richter eine ansprechende Satire auf die (amerikanische) Upperclass und den unbedingten Wunsch, dazugehören zu wollen. Eine Satire, die klarmacht, dass auch hinter den vermeintlich paradiesischen Zuständen immer ein Abgrund lauert und die bereit ist, die Abgründe auch zu beschreiben und zu bebildern. August ist ein Buch, das sommerliche Langeweile und amerikanischen lifestyle beschreibt und persifliert und dabei auch ohne Politik und große Gegenwartsanalysen auskommt, wie es bei manch einem anderen amerikanischen Kollegen wahrscheinlich der Fall wäre. Manchmal eine Spur zu überzogen und etwas erwartbar, aber von hoher Unterhaltsamkeit und mit viel funkelndem (oder moussierendem?) Humor versehen.


  • Peter Richter – August
  • ISBN 978-3-446-26763-3 (Hanser)
  • 256 Seiten. Preis: 22,00 €
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Kristof Magnusson – Ein Mann der Kunst

Es könnte nicht passender sein: der dritte Roman des Übersetzers und Schriftstellers Kristof Magnusson heißt Ein Mann der Kunst. Dieser erscheint bei Kunstmann. Dort veröffentlichte der deutsch-isländische Autor bereits seine Bücher Arztroman und Das war ich nicht. Nun wendet er sich dem Genre des Künstlerromans und der Persiflage des Bildungsbürgertums zu. Gelingt Kristof Magnusson hier große Kunst?


Es hätte alles so schön sein können. Zusammen mit dem Direktor des kleinen, aber feinen Frankfurter Museums Wendevogel macht sich der illustre Förderkreis des Museums auf eine Busreise zur Burg Ernsteck. Dort lebt zurückgezogen von der Welt der Malerfürst mit dem großartigen Namen KD Pratz. Ein gefeierter Künstler, der irgendwo zwischen Richter, Baselitz und Polke changiert. Legendenumwoben und seit einer kurzen Liason mit Marina Abramovic auch in den Klatschspalten zuhause.

Dass KD Pratz dem Museum Wendevogel fast freundschaftlich verbunden war, war außergewöhnlich, galt er doch gemeinhin als schwieriger Mensch. Inzwischen Ende sechzig, war er einer der letzten verbliebenen Old-School-Künstler, der sich von Anfang an jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hatte und allgemein als sperrig galt und zu keiner Gefälligkeit bereit, kurz: er war offenbar ein ziemliches Ekel.

Magnusson, Kristof: Ein Mann der Kunst, S. 9

Jenem KD Pratz möchte das Museum einen eigenen Anbau widmen, in dem die Werke des renommierten Malers präsentiert werden. Doch zuvor gilt es neben der Förderung durch Bund und Land auch den Förderkreis ins Boot zu holen. Und so hat der Direktor (beziehungsweise seine Assistentin) eine Reise für die Mitglieder des Vereins organisiert. Ein Ausflug ins sommerliche Rheingau, bildungsbürgerliche Ausflüge und als Höhepunkt ein Blick ins Atelier auf des Meisters Burg. Jede Menge Goethe-Zitate und erlesene Gespräche inklusive. So der Plan.

Doch dass ein solches Wochende auch eskalieren kann, ganz egal wie gut es geplant ist, das erfahren auch die Mitglieder des Fördervereins rasch. Denn KD Pratz stellt eindrücklich unter Beweis, dass die Gerüchte über seine Weltabgewandheit und Misanthropie alles andere als Gerüchte sind.

Ein Wochenende eskaliert

Erzählt wird die Reise von einem der Gruppe relativ außenstehenden Mann: Constantin Marx. Dieser ist eigentlich Architekt und nutzt das geplante Wochenende, stressigen Abstimmungen mit Bauherren und Firmen zu entkommen. Seine Mutter ist wie er selbst Mitglied im Förderverein und bewundert seit jeher KD Pratz. Als Ideengeberin eines eigenen KD-Pratz-Anbaus ist sie nun natürlich Feuer und Flamme, ihr Idol einmal aus nächster Nähe zu erleben.

Kristof Magnusson - Ein Mann der Kunst (Cover)

Die Turbulenzen und Komiken, die diese Reise birgt, schildert Constatin aus der Ich-Perspektive. Er wirft einen sezierenden Blick auf die Reisegesellschaft, die aus einem gescheiterten Kurator, einer überqualifizerten Assistentin, einem pensionierten Pfarrersehepaar oder auch einem millionenschweren Finanzier mit Einstecktuch besteht. Die Eigenheiten dieser Menschen und das hochkomische Zusammenwirken zwischen Bildungsbeflissenheit und gegenseitiger Ablehnung birgt jede Menge komisches Potenzial. Und Magnusson schöpft das voll aus.

Wie sich die Gruppe selbst zerlegt, wie der schwierige Malerfürst die Ansichten der Förder*innen erschüttert, wie sich das Bildungsbürgertum teilweise selbst demaskiert – hier lässt es sich mit großer Lust und Laune geschildert beobachten. Als Persiflage auf den Künstlerroman und das Bildungsbürgertum funktioniert Ein Mann der Kunst ganz hervorragend. Dass Magnusson dabei eher mit dem großen Pinsel malt, das ist bei seinem Thema verständlich. Seine Figuren sind größtenteils eher Karikaturen – aber diese sind wirklich gut gezeichnet. Der deutschen Literatur gebricht es eh an Autor*innen, die niveauvolle und lustige Satiren schreiben können. Hier liegt nun endlich wieder ein gelungenes Beispiel vor, wie das gehen kann. Keine ganz große Kunst. Aber mindestens mittelgroße!


  • Kristof Magnusson – Ein Mann der Kunst
  • ISBN 978-3-95614-382-3 (Kunstmann)
  • 236 Seiten, 22,00 €
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Kakerlakack

Ian McEwan – Kakerlake

Lieber Ian McEwan,

was war das denn bitte? Mit diesem Buch hast du dir leider überhaupt keinen Gefallen getan. Eindrucksvoll beweist du, dass eine gute Absicht noch lange kein gutes Buch ausmacht. Immerhin ist dir das Kunststück gelungen, ein Buch mit Verfallsdatum zu produzieren, das schon wenige Monate nach dem Erscheinen deutlich überschritten ist.


Sicher, ich kann dich verstehen. Dieses Theater um den Brexit, du warst von Anfang an dagegen. Dieser Wahnsinn, den Verbleib in der EU und alle komplexen Abwägungen einfach an eine simple Ja-Nein-Abstimmung zu binden. Und dann auch noch das Theater, das folgen sollte. Remain-Kampagnen, Busse versehen mit offenkundigen Lügen, dutzendfach verschobene Abstimmungen. Brexiteers versus Remainers, Chaos im Unterhaus, sogar ein politisch motivierter Mord. Auch du magst dir verwundert die Augen gerieben haben. Diese Nation, die sich da gerade fröhlich selbst zerlegt, sie soll einst über den halben Erdball geherrscht haben? Schwerlich vorstellbar angesichts dieses Chaos, das die Insel erfasst hatte.

Was aber tun? Erst einmal zur Feder gegriffen und die Unterschrift unter einen offenen Brief gesetzt. Immerhin, John Le Carré, Vivienne Westwood oder Tom Stoppard taten das auch. Über 300 prominenter Brit*innen protestierte gegen den Austritt aus der EU. Aber hat es etwas gebracht? Man sieht es ja recht deutlich.

Das Buch als Protest

Dir war klar, dass es damit nicht getan sein kann. Deine Motivation hat dir dein Diogenes-Verlag auch prominent auf die Rückseite deines Buchs gedruckt: Was kann ein Schrifsteller in diesen Zeiten nur tun? Schreiben! So deine Erkenntnis. Das mag schon alles richtig sein. Aber doch bitte um himmelswillen nicht dieses Buch!

Gewiss, du warst wütend. Und eine Satire war dir früher doch schon einmal gut von der Hand gegangen. Warum also nicht auch jetzt? Und Material war ja auch in Übermaße vorhanden. Eine Nation, die austreten will, aber nicht mehr vor und zurück kann. Eine Regierung, voll mit Exzentrikern und Rücktritten im Wochentakt. Und dann erst dieser Premierminister. Ein Hasardeur, ein Spieler, ein clownesker Eliteschulen-Absolvent, der sich gerne als Mann des Volkes mit wirrem Haar und eigenwilligen Ansichten produziert.

Also die Feder gespitzt und drauflosgeschrieben. Einen wirklichen Plan hattest du allerdings nicht, wie mir nach der Lektüre deines mit viel guten Willem auf 140 Seiten und von Bernhard Robben hurtig ins Deutsche übersetzten Machwerks scheint. Gewiss, du hast dich von Franz Kafka inspirieren lassen. Die Verwandlung, einmal anders herum. Eine Kakerlake, die sich dann in den britischen Premierminister verwandelt. Und dann auch noch der Name. Jim Sams, damit es auch wirklich jeder versteht. Sams – Samsa. Klare Sache! Und fast alle anderen Mitglieder deines Kabinetts – auch eigentlich Kakerlaken. Ja witzig! (Das war jetzt Ironie meinerseits. Nein, ich finde es nicht sonderlich witzig. Der PM eine Kakerlake? Ist das wirklich dein Niveau, der du in wirklich schwarzem Humor einen Nobelpreisträger lügen und täuschen oder eine einen Säugling aus dem Mutterbauch heraus Intrigen beobachten ließt?)

Ein Kessel voll Buntes

Dass diese Idee gerade einmal für ein paar Seiten und einige witzige Sätzen reichen würde, das ging dir dann selbst auf. Also flugs noch ein paar andere Themen hineingezimmert. Eine vogelwilde Theorie namens Reversalismus, die du im Stil eines BWL-Einführungsseminar seitenlang erklärst (für alle Taten, die man verrichtet, muss man Geld errichten. Für alle Erwerbungen hingegen gäbe es Geld). Dann noch ein bilateraler Konflikt mit Frankreich um ein versenktes Fischerboot im Ärmelkanal. Anschließend eine Prise Parodie auf den anderen twitterenden Hasardeur im Weißen Haus und auf Frau Merkel geschrieben. Dann noch ein bisschen übers Abstimmungsverhalten im britischen Unterhaus referiert. Zack fertig, schon ist die Kakerlake fertig.

Dass ein Kessel Buntes voller halbgarer Ideen noch kein Buch ausmacht, das sollte doch auch dir aufgegangen sein? In deiner Kakerlake knirscht es nicht im Er-zäh-lgefüge, nein, es ist schon komplett zusammengebrochen. Platteste Figuren, ein nicht vorhandener Erzählbogen, vier völlig disparate Kapitel, die zwischen Kafka-Adaption, Brexit-Parodie und Shakespeare’schem Intrigenstandel irrlichtern.

Gewiss, an der Realität des Brexits konntest du eigentlich nur scheitern. Das monatelange Chaos, dem man immer fassungsloser beiwohnte. Die Spektakel im Unterhaus voller Oooooorda! und Medien, die in die Brosche einer Verfassungsrichterin seitenweise größte Geschichten hineininterpretierten.

Wie da noch eine vernünftige Satire schreiben, zudem dir auch dein Verlag und das immer näher rückende Datum einer der finalen Brexit-Abstimmungen im Nacken saßen. Aber hättest du es doch einfach gelassen oder das Buch in deine Schreibtischschublade oder einen diskreten Ordner auf deinem Arbeits-PC-Desktop verschoben.

Warum dieses Buch?

So ist Die Kakerlake ein Tiefschlag in deinem Schaffen, ein Buch, das sich in deinem sonst so beeindruckenden Oeuvre ausnimmt wie eine Burger vom Vortag gegenüber einem 3-Sterne-Menü in einem guten Restaurant.

Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen: ich weiß es auf alle Fälle zu schätzen, wenn sich exponierte Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur für etwas einsetzen und einstehen. Aber man sollte auch immer die Wahl seiner Mittel bedenken. So nützt auch eine Satire nichts, wenn sie unlogisch, stumpf und völlig durchschaubar daherkommt. Und vielleicht hättest du sie auch vorher verfassen sollen, als die Abstimmung zum Brexit offensichtlich wurde, als nachher in dieser Form zu lamentieren.

Oder um es kurz zu machen. Lieber Ian, bitte sieh mir es nach: aber ich kann von deinem Buch nur abraten. Du hast so großartige Bücher geschrieben, da sollte über diesen literarische Rohrkrepierer (das Wort Schnellschuss kommt mir zu harmlos vor) ein gnädiger Mantel des Schweigens gebreitet werden.

Diesmal empfehle ich viel lieber ein anderes Buch, das gelungen die Entstehung des Brexits und die Verwerfungen in den sozialen Schichten Großbritanniens nachzeichnet. Ein Buch, das stark in Sachen Analyse ist, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben oder sich zu einfachen Schlüssen verleiten zu lassen.

Der Verfasser des Buchs trägt den Namen Jonathan Coe, das Buch heißt Middle England, wurde von Cathrine Hornung und Dieter Fuchs ins Deutsche übertragen und erscheint im Folio-Verlag. Diese um Welten bessere Alternative zur deiner Kakerlake wollte ich unbedingt noch an dieser Stelle erwähnt haben.

Bitte sieh mir meine offenen Worte nach, aber es war mir ein Anliegen!

Dein Marius

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