Tag Archives: Sommer

Peter Richter – August

Neues von Peter Richter. Nach seinen beiden in Ostdeutschland spielenden Büchern (zuletzt Dresden revisited, 2016) wechselt er nun den Schauplatz. Der ehemalige New York-Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung erzählt nun von zwei Paaren, die ihren Sommer dort auf Long Island verbringen, genauer gesagt in den Hamptons. Im luxuriösen Milieu voller Villen mit hauseigenem Gärtner, Swimmingpools und Gartenpartys wollen die beiden Paare mit deutsche Wurzeln einen sorglosen Sommer verbringen. Und merken dabei doch, dass selbst im vermeintlich den Sorgen enthobenen Idyll der Hamptons nicht alles perfekt ist.


Geladen zum sorglosen Sommer hat Richard (die Betonung liegt auf Rich), der mit seiner Frau Stefanie, einer ehemaligen Moderatorin im Musikfernsehen, aus Berlin in die Hamptons gezogen ist. Reichgeworden mit Immobiliengeschäften hat er sich einen Bungalow in den Hamptons gekauft, in dem er den Impressario gibt. Zu laut über das Grundstück tönender Jazzmusik pflegt man zusammen mit dem befreundeten Ehepaar Alec und Vera das süße Nichtstun. Das Apartment der beiden in New York ist vermietet, die Kinder spielen gemeinsam und so kann das gemeinsame sorglose Sommern beginnen.

Denn Vera hatte bis dahin weder das Wort noch die Sache gekannt: to summer. Allein die Idee, den kompletten Sommer da draußen zu verbringen, kam ihr so verlockend wie abszön vor – auch noch in den mythischen Hamptons, wo nach allem, was sie darüber wusste, siebzigjährige Bienenköniginnen inmitten unverstellbarer Reichtümern auf den Dünen hockten.

Peter Richter -August, S.14

Vera versucht, von ihrem Job in der Klinik abzuschalten, Alec seine ausufernden Materialsammlungen zu einem Buchprojekt zu bündeln (von der Hitlerjugend zu Facebook, von der Waldorfschule zum Waldorf Astoria, so die ungefähre Synopse seine Frau). Die Routine aus Rammdösigkeit aus Swimmingpool und dem Bad im nahegelegenen Ozean wird allenfalls von der Fahrt zum Indianerreservat (besonders günstige Zigarettenstangen!) oder zum Discounter (zwei Flaschen Champagner zum Preis von einer!) unterbrochen.

Wollen und Nicht-Ganz-Können

Peter Richter - August (Cover)

Ein schönes Bild ist es, das Peter Richter hier für den Status von Richard und Co und deren Wunsch nach einer Hochglanzfassade zeigt. Während Vera und Alec ihr Appartment via AirBnB untervermietet haben, um sich den Luxus der Auszeit zu gönnen, darf diese Auszeit für Richard und Stefanie nur den August über dauern. Danach ist der Bungalow wieder vermietet. Überhaupt – was wie purer Luxus klingt, ist dann doch nicht DER Luxus, der in den Hamptons angestrebt wird. Statt einem feudalen Anwesen reicht es bei den beiden doch nur zum Bungalow plus beengter Gästehütte. Zudem liegt dieser auf der falschen Seite des Highways. Aber immerhin, für einen Parkberechtigungsschein am Strand reicht es.

Und wenn man schon nicht die erste Geige im Konzert der Upperclass spielt, so muss wenigstens ein Lifestyleguru für die Paare drin sein. Was andere Hollywoodstars vormachen, das ahmen Richard und Stefanie natürlich begeistert nach. Und so besucht diese regelmäßig ein Guru mit wallendem Haar, aufgrund seiner österreichischen Provenienz Kaunsler getauft. Er animiert besonders Stefanie zu Yoga, Globuliexzessen und Esoterik. Und auch das heimischen Zierpflanzen sind vor den halluzinogenen Versuchen es österreichischen Schamanen nicht sicher.

Eine Satire auf das Streben nach Aufstieg

Die Figuren und die Setzung des Romans zeigen schon, in welche Richtung Peter Richter in seinem neuen Buch geht. August ist eine Satire auf das Streben nach sozialem Aufstieg und den Wunsch, selbst in der Upperclass mitzumischen. Er beschreibt ein vermeintliches Paradies, das doch nach und nach seine Risse offenbart. Je länger der Sommer dauert, desto mehr Störfaktoren tauchen innerhalb und außerhalb der Beziehungsgefüge auf.

Es sind schöne Bilder, die Richter neben so manchem Klischee hier aufbietet. Ein Beispiel für die Koexistenz von beidem wäre etwa die übers Grundstück tönende Musik und deren Begleitumstände. Ist es zunächst wilder Jazz (den die Sommerfrischler eher aus Distinktionsgewinn denn Genuss konsumieren), der zur Untermalung der mondänen Lebenswelt dient, wird dieser später im Buch von Dolly Parton und ihrem Schlager Jolene abgelöst, passend zur Affäre mit dem Schweizer Kindermädchen. Ist das vielleicht auch etwas zu plakativ und erwartbar, sind es weitere Bilder und Motive, die noch stärker, da unaufdringlicher sind.

So versammeln sich auf dem Grund des Pools immer mehr Gegenstände, die ihren Weg im Lauf des Sommers dort hineinfinden. Der Gärtner Ramon ist nicht auffindbar, und so bleibt alles eben einfach alles im Schwimmbecken zurück. Wer will sich schon im Sommer mit Aufräumen beschäftigen? Zunächst fällt ein Buch stellvertretend für alle Ambitionen in den Pool. Später ist es ein Handy, dann – nein, es soll hier nicht verraten werden. Die Lektüre bis zum Schluss lohnt und dieses Bild ist gelungen und vielgestaltig interpretierbar.

Vielgestaltiger Humor

Überhaupt – vielgestaltig ist auch der Humor, den Peter Richter in August aufbietet. Dieser reicht von erwartbar und vielleicht etwas flach („Ihr Trainer hieß auf Englisch so, wie sie sich auf Deutsch fühlten, seit sie den Raum betreten hatten: Matt. S. 139 ) über intellektuell-hintersinnig (etwa die ganzen ergebnislosen Gedankenschleifen und Monologe Alecs) bis zu dem distinguierten und fast an Thomas Mann erinnernden Humor, der an anderen Stellen aufblitzt:

„Champagner“, rief Richard, als sie alle wieder aufgetaucht waren. „Ein Bad in Champagner, oder etwa nicht?“. Nicht nur der Sand sei weißer, auch die Gischt moussiere feiner hier draußen. „Alles westlich von hier ist bestenfalls Prosecco dagegen: Jones Beach, sogar Fire Island.“ Und was Coney Island oder Rockaway Beach waren, wo Alec und die Seinen normalerweise schwimmen gingen, was also diejenigen Strände dagegen waren, die man mit der Subway erreichen konnte, das wollte Richard lieber gar nicht in den Mund nehmen.

Peter Richter – August, S. 36

Für meinen Geschmack hätte Richter diesem feineren Humor noch etwas mehr Platz einräumen dürfen, gegenüber den oftmals schon reichlich karikaturesk wirkenden Beschreibungen seiner Protagonist*innen (besonders überzeichnet in meinen Augen die ökologische Übermutter Stefanie, die dem Nachwuchs selbst gemachte Sonnencreme der Vermeidung von Chemikalien wegen auf die Haut schmiert, Globuli verfüttert, sämtliche Kellner am Tisch peinlichen Verhören über die Öko-Bilanz des Essens unterzieht, etc.). Auch bleibt Richter in seinen Sottisen etwas erwartbar (das Geiern der am Strand zurückgelassenen Mütter nach dem athletischen Lifeguard, die amerikanische Prüderie egal ob Kleinkind ohne Bikini oder Champagnerkonsum, die Esoterik-Begeisterung in Teilen der Upperclass, die Begeisterung der Eliten für das vermeintlich Einfache und Echte, und so weiter).

Fazit

Insgesamt aber gelingt Peter Richter eine ansprechende Satire auf die (amerikanische) Upperclass und den unbedingten Wunsch, dazugehören zu wollen. Eine Satire, die klarmacht, dass auch hinter den vermeintlich paradiesischen Zuständen immer ein Abgrund lauert und die bereit ist, die Abgründe auch zu beschreiben und zu bebildern. August ist ein Buch, das sommerliche Langeweile und amerikanischen lifestyle beschreibt und persifliert und dabei auch ohne Politik und große Gegenwartsanalysen auskommt, wie es bei manch einem anderen amerikanischen Kollegen wahrscheinlich der Fall wäre. Manchmal eine Spur zu überzogen und etwas erwartbar, aber von hoher Unterhaltsamkeit und mit viel funkelndem (oder moussierendem?) Humor versehen.


  • Peter Richter – August
  • ISBN 978-3-446-26763-3 (Hanser)
  • 256 Seiten. Preis: 22,00 €
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Benedict Wells – Hard Land

Einer der auffallendsten Trends in der Literatur der letzten Jahre ist der des Booms der Coming-of-Age-Erzählungen.

„Nur was verstehen wir unter dem Begriff eigentlich?“

Niemand meldete sich. Er zog eine Augenbraue hoch.

„Nun bei einem Blick in die Literaturgeschichte fällt auf, dass der klassische Held oft auf einer inneren oder äußeren Reise ist. Ausgelöst in der Regel durch ein einschneidendes Erlebnis wie Verlust oder Liebe, aber auch durch eine erste Konfrontation mit den großen menschlichen Fragen. Das alles zwingt den Helden, sich zu verändern, zu reifen und seinem alten Leben zu entwachsen. Kurz: Coming of Age.

Benedict Wells – Hard Land, S. 306

So lässt Benedict Wells in seinem Roman einen Lehrer dozieren, der den Schülern dieses Genre nahebringen will. Und schaut man auf die Bucherscheinungen der letzten Zeit bis hin zu den aktuellen Neuerscheinungen, dann muss man konstatieren: Coming of Age boomt wie selten zuvor. Egal ob Sebastian Stuertz, Ronya Othmann, Verena Guentner, Benjamin Myers, Matthias Brandt, Johann Scheerer oder ebenfalls in diesem Monat Callan Wink. Sie alle haben in jüngster Zeit Romane vorgelegt, die um ihre jugendlichen Protagonisten kreisen, deren Reifung in den Büchern nacherzählt wird, das Ganze angesiedelt meist während der Sommermonate. Und auch Benedict Wells fügt diesem langsam immer unübersichtlicher werdenden Berg an Büchern nun ein weiteres Werk hinzu. Es trägt den Namen Hard Land und spielt, wie auch schon Wells dritter Roman Fast genial, in den USA.

Willkommen in Grady

Aber im Gegensatz zu diesem Roadnovel siedelt Wells diesmal seine Erzählung in der fiktiven amerikanischen Kleinstadt Grady an. Dort lebt Wells Held und Ich-Erzähler Sam mit seinen Eltern. Der Vater ist arbeitslos, die Mutter betreibt eine Buchhandlung in der lokalen Mall und ist schwer krank. Sams ältere Schwester Jean hat der Familie schon lang den Rücken gekehrt, um als Drehbuchautorin in Los Angeles zu leben.

Wir schreiben das Jahr 1985. VHS-Kassetten boomen, das Internet ist noch weit weg, die Simple Minds liefern mit Don’t you einen der größten Hits des Jahrzehnts ab und Marty McFly wird mit Zurück in die Zukunft zum Vorbild einer ganzen Generation. In diesem Jahr passiert das, was Sam schon im ersten Satz des Buchs beschreibt.

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

Benedict Wells – Hard Land, S. 11

Damit ist die Rahmenhandlung des Buchs umrissen. Während Sam auf seinen 16. Geburtstag zusteuert und sich auf dem Höhepunkt der Pubertät befindet, kommt das familiäre Gefüge daheim langsam ins Rutschen. Die Mutter ist von ihrer Erkrankung schwer gezeichnet und Sam flüchtet sich zu seinem Job im Kino Metropolis. Dort lernt er eine Clique von Freunden kennen und exerziert mit ihnen all das durch, was man in einem Coming of Age-Roman eben so erleben muss: erste Liebe, Hauspartys, Mutproben, Musik machen und Baden im See.

Die 49 Geheimnisse

Wells Roman zieht seine Struktur dabei aus der erdachten Kleinstadt Grady. Diese besitzt nämlich laut der urbanen Legende 49 Geheimnisse. Folglich teilt sich das Buch auch in 49 Kapitel, deren Rahmenhandlung ja tatsächlich schon mit dem ersten Satz abgedeckt wird.

Und ja, man nimmt Benedict Wells nach der Lektüre sofort die Faszination für die „geliebten Eighties-Filme“ (so der Autor im Nachwort) ab. Breakfast Club, Zurück in die Zukunft, Stand by me. All das sind Namen, die beim Lesen des Buchs unwillkürlich auftauchen. Denn Hard Land ist Paraphrase und Pastiche dieser Filme zugleich. Eine Kleinstadt, eine Gruppe Jugendlicher, Abhängen in Kinos und Diners, ds nervige Schulleben, erste Liebe, Pubertät und unverhoffte Abenteuer. Diese Zutatenmischung verwendet Wells auch in seinem Roman – und schafft damit einen gut konsumierbaren Unterhaltungsroman, der auch als Jugendroman durchgeht.

Wells huldigt einer längst vergangenen Welt. Sein Amerika endet an den Stadtgrenzen von Grady, von einer gesellschaftlichen Spaltung ist hier noch nichts zu sehen. Auch wenn Sams Freunde aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung in der Kleinstadt beäugt werden – irgendwie fügt sich in Grady alles und bleibt weitestgehend harmonisch. Und selbst wenn die Themen Tod und Trauer plötzlich für Sam aktuell werden – irgendwie findet sich dann doch wieder alles. Das ist manchmal dann doch etwas banal, genauso wie der ein oder andere Dialog im Buch.

Fazit

Ein melancholisch-kindliche Ton ist kennzeichnend für Hard Land. Benedict Wells gibt dem boomenden Coming of Age-Affen Zucker und beschwört einen doppelt nostalgischen Roman herauf. Eine längst vergangene (bzw. sehr verklärte) Epoche der amerikanischen Geschichte trifft auf einen Erzähler, der seine Jugend noch einmal durchlebt. Das ist solide erzählt, weiß als Roman zu unterhalten, fügt dieser ohnehin schon übersättigen Romangattung aber keine wesentlich neuen Facetten hinzu.


  • Benedict Wells – Hard Land
  • ISBN: 978-3-257-07148-1 (Diogenes)
  • 352 Seiten. Preis: 24,00 €
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Callan Wink – Big Sky Country

Football, Burger, Farmleben und die unendlichen Weiten Montanas. Callan Wink erzählt in seinem ersten Roman von der Mannwerdung eines Jungen in der amerikanischen Provinz. Und liefert dabei wenig Erhellendes.

Gäbe es einen Bausatz für einen Coming of Age-Roman, die Zutaten Sommer, Liebe, Unsicherheit, eine bevorstehende richtungsweisende Entscheidung und nächtliche Partys gehörten sicher zu den unverzichtbaren Ingredienzen eines solchen Bausatzes. Und auch der Amerikaner Callan Wink bedient sich dieser Elemente in seinem ersten Roman Big Sky Country ausgiebig. In jenen im Volksmund so betitelten amerikanischen Bundestaat zieht der junge Protagonist August mit seiner Mutter.

Callan Wink - Big Sky Country (Cover)

Nachdem sie sich mit ihrem Mann auseinandergelebt hat, beschließt Augusts Mutter, sich in Montana eine neue Arbeitsstelle in einer Bibliothek zu suchen. Ihren Mann, der eine Milchwirtschaft in Michigan betreibt, lässt sie dort mit seiner Geliebten allein. Nach der Kindheit im Mittleren Westen findet sich August so in einem ihm unvertrauten Landstrich wieder, der von Weite, Farmen und wenigen Menschen geprägt ist.

Anschluss findet er dort zunächst kaum. Er ist Teil des örtlichen Football-Teams und schließt erst allmählich Kontakt zu anderen Jugendlichen. Während sich Schulkameraden zum Krieg im Irak verpflichten – das Buch spielt um das Jahr 2001 herum – weiß August nicht so wirklich etwas mit sich anzufangen. Er angelt, feiert ein Sommerfest zu Ehren eines gefallenen Mitschülers, lässt sich treiben und besucht in losen Abständen seinen Vater auf der heimischen Farm. So richtig weiß August nicht, wie sein weiterer Lebensweg aussehen soll. Studium am College, Übernahme des väterlichen Hofs oder etwas völlig anderes? Seine Eltern und Freunde sind ihm bei diesen Fragen auch keine wirkliche Hilfe.

Wohin mit mir im Leben?

Diese Frage umkreist Callan Wink in seinem Buch. Etwas antriebslos lässt er August über die endlosen Straßen Montanas radeln und einsam an Ufern fischen, während er sich zunehmend von seinen Eltern entfremdet. Das alles schildert Callan Wink in einer ruhigen Prosa, die auch die nicht so schönen Seiten in Augusts Leben in den Blick rückt. Nicht alles ist so sommerhell, wie es uns das Feld auf dem Buchcover glauben machen will. Die düster dräuenden Wolken, es gibt sie auch im Text selbst.

So schildert Wink mit großer Genauigkeit, wie August von seinem Vater beauftragt wird, die sich wild vermehrenden Katzen auf dem Hof zu töten. Die Sommerparty der Jugendlichen kippt dann in eine Gruppenvergewaltigung, in der Einöde Montanas sind auch neurechte Spinner und Verschwörungstheoretiker zuhause. Das alles lässt Wink in seinen Roman einfließen und erschafft so Tiefe im Buch. Dennoch macht die manchmal an John WilliamsStoner erinnernde Sprache und die Genauigkeit des Blicks allein noch kein gutes Buch aus.

Denn thematisch weiß das Buch nichts Neues zu erzählen. Machte man sich die Mühe, und fertigte für Big Sky Country einen thematischen Thesaurus an, dann sähe dieser ungefähr so aus: Mittlerer Westen, Montana, Farmen, College, Umzug, Football, Rodeo, Burger, Bier, Freundschaften, rechte Hillibillys, Pick-Up, Feldarbeit.

Wenig Überraschendes

Dass ein Buch über einen Jungen in der amerikanischen Provinz von diesen Themen erzählt, das ist wenig überraschend. Und genau das war, was mich an Callan Winks Buch auch störte. Er weiß der ganzen Fülle an thematisch ähnlich gelagerten Büchern nicht Neues hinzuzufügen. Big Sky Country liest sich, wie ein dutzendfach gesehener Film oder ein ebenso oft gelesenes Buch über einen Jungen in der amerikanischen Provinz. Natürlich spielt August Football, cruist mit seinem Auto ziellos durch die Gegend, trinkt Bier, futtert Burger oder sucht beim Tanz den Kontakt mit Mädchen (und zimmert dem Nebenbuhler dann natürlich an der Bar die Faust ins Gesicht). Das ist solide erzählt, aber es reicht nicht, um etwas Besonderes aus dem Buch zu machen.

August bleibt ein blasser Held, dessen Erlebnissen und Aventüren es an Außergewöhnlichem, Besonderem oder Unerhörtem gebricht. Alles ist so, wie man es sich von einem Teenager in der amerikanischen Provinz vorstellt. Die erzählerischen Figuren bleiben so blass und oberflächlich wie die Telefonate, die August mit seinem Vater führt. Und das genügt mir dann leider nicht, um als gutes Buch durchzugehen.

Nach der Lektüre von Big Sky Country bleibt für mich die Erkenntnis, dass Callan Winks Form doch vielleicht eher die der Kurzgeschichte ist. Sein Erzählungsband Der letzte beste Ort hat die Qualitäten, die ich in seinem Roman vermisste. So gibt es von mir die Empfehlung, sich eher an diese Storys zu halten, wenn man einen tollen amerikanischen Erzähler entdecken will. Big Sky Country bietet nicht viel Neues unter dem weiten Himmel Montanas.

Weitere Stimmen zum Buch gibt es hier: Meike Feßmann in der SZ und Jana vom Blog Wissenstagebuch.


  • Callan Wink – Big Sky Country
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer
  • ISBN 978-3-518-42983-9 (Suhrkamp)
  • 378 Seiten. Preis: 23,00 €

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Ronya Othmann – Die Sommer

Große Erwartungen hatte ich an das erzählerische Debüte von Ronya Othmann, die im renommierten Hanser-Verlag ihr Debüt Die Sommer veröffentlichte. Leider schaffte es die 1993 geborene Autorin in meinem Fall nicht, die hohen Erwartungen und Vorschusslorbeeren so ganz einzulösen.


Als die Ankündigung für Ronya Othmanns Debüt in der Vorschau des Hanser-Verlags auftauchte, war ich mir sicher, einen gesetzten Kandidaten für die Longlist des Deutschen Buchpreises ausgemacht zu haben. Verheißungsvoll die Ankündigung schon alleine durch die politisch relevante Themensetzung (der syrische Bürgerkrieg und die Geschichte der Jesiden) und dazu noch Motive, auf die man bei solchen Preisen gerne setzt, nämlich Coming-of-Age und das Aufwachsen zwischen zwei Kulturen.

Zudem war dem Buch im Vorfeld schon viel Publicity gewiss, bedingt durch die reichweitenstarke Twitter-Präsenz von Ronya Othmann und ihre Tätigkeit als Kolumnistin der taz. Auch der Gewinn des Publikumspreises beim Ingeborg-Bachmann-Preis im vorigen Jahr hatte die Erwartungen gesteigert. Beste Startbedingungen für einen großen Erfolg also.

Etwas überrascht war ich dann allerdings schon, als die Jury mein Buchpreis-Lotto nicht bedachte und Die Sommer die Nominierung vorenthielt. Nach der Lektüre des Buchs kann ich diese Entscheidung allerdings auch etwas nachvollziehen. Denn trotz der richtigen Themen offenbart das Erzählen Othmanns doch Mängel, die die Entscheidung der Jury plausibel erscheinen lassen.

Die Sommer in Tel Khatoun

Den erzählerischen Bogen des Romans bildet die Familiengeschichte Leylas. Diese wohnt eigentlich in München. Die Sommer verbringt sie allerdings in der Heimat ihres Vaters. Dieser ist Jeside aus Kurdistan, einem Land, das sich auf Teile Syriens, der Türkei und den Irak erstreckt. Vor Jahren ist er nach Deutschland geflüchtet. Seine Familie allerdings wohnt immer noch im Dorf Tel Khatoun. Dorthin kehrt Leyla immer wieder zurück, in den Schoß der Familie. Mit ihrem Aufwachsen weitet sich auch ihr Blick. Die kulturellen Eigenheiten der lokalen Bevölkerung, die Mentalitätsunterschiede, die Vertreibung der Jesiden – all das nimmt Leyla in den Sommer immer dezidierter wahr und prägt so ihre eigene Identität.

Ronya Othmann - Die Sommer (Cover)

Doch was in Othmanns Buch wie auch in vielen anderen Erzählungen 2011 mit einem harmlosen Graffiti an einer Schulmauer beginnt (so geht zumindest die Legende, über deren Wahrheitsgehalt die Meinungen auseinandergehen), mündet in einen Bürgerkrieg, der Syrien seit nunmehr neun Jahren in seinem unerbittlichen Griff hat. Tausende Tote, Zerstörung, eine immer unübersichtlicher werdende Gemengelage aus Assad-Unterstützern, Milizen, Aufständischen und Stellvertreter-Fronten sind die Bilanz dieses Bürgerkriegs. Die Auswirkung des Großen spüren auch die Dorfbewohner im Kleinen.

Und davon erzählt Ronya Othmann. Und erzählt und erzählt. Gerade im ersten Teil des Buchs drängte sich für mich der Eindruck auf, ich würde in einem erzählerischen Flugzeug sitzen, das beständig hochtourig seine Runden auf der Rollbahn dreht, allerdings nie wirklich abhebt.

Ihre Exkurse in die Geschichte, die soziologischen Betrachtungen ihres Dorfes, der kulturellen Identitäten, die ihr innewohnen: all das ist eigentlich spannend – allerdings nicht als Roman. Und so tat ich mich mit dem zähen Erzählen wirklich schwer, das unter der Fülle der Themen leidet, die aufgrund ihrer Exotik und Unverständlichkeit für die westlichen Leser eingeführt werden müssen.

Ein starker zweiter Teil

Doch dann kommt der zweite Teil dieses Romans, der mich dann doch wieder für Othmanns Erzählen einnahm. Wie der Bürgerkrieg beginnt und so die Rückkehr ins familiäre Dorf unmöglich macht und zudem auch die Pubertät die Orientierungslosigkeit Leylas verstärkt, das ist gut gemacht. Während sie nach Halt im Leben sucht, verliert Syrien diesen Halt zusehends.

Durch diese doppelte Auflösung vorher so gefestigt scheinender Strukturen gewinnt das Buch. Zudem darf auch Leylas Vater hier seine Geschichte dann zu Gehör bringen, die symptomatisch für so viele andere Schicksale steht. Wir im Westen, die wir von all den Meldungen rund um den syrischen Bürgerkrieg schon abgestumpft sind, bekommen hier die Brisanz und die Auswirkungen jenes Kriegs ganz unverhüllt geschildert. Die Sommer macht klar, was dieser Krieg bedeutet und welche Schicksale damit verknüpft sind. Besonders das radikale Ende, das zwar nicht ganz unvorhersehbar kommt, aber trotzdem überrascht, ist für mich neben der Geschichte des Vaters einer der wichtigsten Punkte, die der Roman auf der Haben-Seite verbuchen kann.

Das überzeugte mich mehr als all die Schilderungen und Beschreibungen im ersten Teil. Ein Stück weit versöhnte es mich sogar mit der in meinen Augen schwächeren ersten Hälfte des Buchs. Hätte ich diese Geduld in der Lektüre nicht mitgebracht und mich unter Zeitdruck dazu verführen lassen, die Lektüre abzubrechen, wäre mir ein Buch entgangen, das sich zusehends bessert und an Form und Relevanz gewinnt. Vollumfänglich überzeugte es mich nicht. Aber als Debüt, das relevantes zeitgeschichtliches Erzählen in den Mittelpunkt rückt, ist das doch sehr beachtenswert.

Weitere Meinungen zum Buch gibt es hier: Aufklappen hat sich des Buchs angenommen, genauso wie Carsten Otte. Auch die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit haben das Buch besprochen.


  • Ronya Othmann – Die Sommer
  • ISBN 978-3-446-26760-2 (Hanser)
  • 288 Seiten. Preis: 22,00 €
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The time of my life

Tom Barbash – Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens

Wenn man zurückschaut, dann neigt man ja dazu, alles zu verklären. Insbesondere im Blick auf die USA hat man das Gefühl, dass früher doch alles noch ein bisschen besser war. Es gab die bessere Musik, von einem narzisstischen Populisten im Weißen Haus ahnte man noch nichts und auch die Risse in der Gesellschaft waren noch nicht so ausgeprägt. Tom Barbash hat einen Roman geschrieben, der in diese „gute, alte“ Zeit zurückversetzt. Und dem es gelingt, nostalgisch zu sein, ohne zu romantisieren. Und der John Lennon noch einmal auferstehen lässt. Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens.


Eine solche Berühmtheit hätten wohl viele Menschen gerne zum Nachbarn gehabt – für Anton Winter ist es Realität. John Lennon heißt der berühmte Nachbar. Er wohnt mit Yoko Ono und seinem Sohn Sean unter einem Dach mit der Familie Winter. Beide Familien sind nämlich Mieter im legendären Dakota Building in New York, einem Appartementhaus der Upper Class.

Nach dem Ende der Beatles hat sich Lennon in das Haus zurückgezogen und will dort seine Ruhe genießen. Auch Anton Vaters Buddy sehnt sich nach Ruhe. Denn als berühmter Talkmaster ist ihm seine Show und sein Dasein irgendwann über den Kopf gewachsen. Und so verschwand er vor einigen Jahren während einer seiner Talkshows von der offenen Bühne. Seither reiste er umher und suchte sich selbst.

Auch Anton selbst war irgendwann mit dem Status Quo als Sohn und Zuarbeiter des berühmten Buddy Winter unzufrieden. Und so begab er sich nach Afrika, wo er als Mitglied des Peace Corps Aufbauhilfe leistete. Doch eine lebensbedrohliche Malaria-Erkrankung zwang ihn zurück nach New York in die Arme seiner Familie. Und so treffen nun diese drei Männer unterschiedlichen Alters im Dakota Building aufeinander. Sie alle kämpfen mit ihren eigenen Problemen und laborieren an ihrem momentanen Dasein.

Die Suche nach Erfolg

Buddy Winter möchte eigentlich wieder an die goldenen Talkshow-Zeiten anknüpfen, zugleich ist er höchst unsicher, ob er dem Druck des Fernsehens noch genügt. Mit dem Ich-Erzähler Anton hat er allerdings Unterstützung an seiner Seite. Und wäre der Nachbar John Lennon nicht der ideale Talkshowgast für ein Comeback – oder warum nicht gleich eine triumphale Reunion der Beatles? Die Pläne der Winters im Sommer 1980 sind wahrlich groß, nicht zuletzt, da auch die finanziellen Ressourcen der Familie zusehends schmelzen.

Tom Barbash - Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens (Cover)

Allerdings hält das Buddy und seine Familie nicht vom Feiern ab. Eine Party reiht sich an die nächste, Berühmtheiten geben sich die Klinke in die Hand, Antons Mutter macht Werbung für die Kampagne Ted Kennedys. Man besucht die Olympischen Spiele in Lake Placid. Anton unternimmt sogar einen Segeltörn mit John Lennon. Über allem schwebt aber die Frage – kann Buddy noch einmal an seine alten Erfolge anknüpfen?

Es ist bemerkenswert, wie es Tom Barbash gelingt, die Welt der Jahre 1979/80 auferstehen zu lassen. Die Welt der Hauspartys, Segeltrips und Wahlkämpfe fängt er atmosphärisch dicht und für mich als Nachgeborenen durchaus glaubhaft ein. Seine Reanimation von John Lennon in diesem hell-nostalgischen Roman ist ebenfalls mehr als gelungen. Auch als Hommage an die Beatles und Lennon funktioniert dieser Roman ausgezeichnet.

Nostalgie ohne Verklärung

Seine wahre Klasse aber besteht nun darin, dass dieser Roman nicht in die Kitsch- und Verklärungsfalle tappt. Denn Barbashs New York ist eben nicht nur eine sonnendurchflutete Partymetropole, in der jeder jeden kennt. Morde und Gewalt (auch gegenüber Kindern) sind eben auch hier an der Tagesordnung. Mit der aufziehenden Bewerbung Ronald Reagans für das Amt des Präsidenten zeigt sich, dass Lügen, Fake-News und Unsinn verbreitende Präsidentendarsteller nicht nur ein Menetekel unserer Tage sind. Dieser Roman beherrscht das Kunststück der Nostalgie ohne Verklärung. Geradezu bittersüß wirkt das Buch, wenn Barbash einen John Lennon in voller Schöpferkraft zeigt, der von seiner Hamburger Zeit mit den Beatles erzählt oder ein Schiff über das Meer steuert. Einen John Lennon, der am Ende des Buchs – die Historie verrät es – vor den Türen des Dakota Buildings erschossen werden wird.

Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens ist auch ein Buch, das sich mit dem Thema der Depression auseinandersetzt. Wie umgehen mit Druck und Erwartungen, die von außen an einen herangetragen werden? Und warum nicht einfach mal aus den gewohnten Mustern ausbrechen? Das Werk von Tom Barbash ist den Grundzügen ein leichter Roman. Aber die Qualität des Buchs besteht eben auch darin, in dieser Leichtigkeit genug Ebenen mit tiefergehenden und durchaus bewegenden Themen eingebunden sind. Die Emanzipation von den eigenen Eltern etwa und die Kunst, ein eigenes Leben zu führen sind integraler Bestandteil seiner Erzählung.

Man könnte Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens auch auf folgenden Nenner bringen: Nostalgie ohne Kitsch, Romantik ohne Verklärung. Das kennzeichnet dieses Buch, das ich hiermit nachdrücklich empfehle, wenngleich es eine etwas rundere Übersetzung vertragen hätte.

Nicht nur eingedenk des 80. Geburtstags, den Lennon vor wenigen Tagen hätte feiern können. Eine schöne Hommage!


  • Tom Barbash – Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens
  • Aus dem Englischen von Michael Schickenberg
  • ISBN: 978-3-462-05311-1 (Kiepenheuer-Witsch)
  • 352 Seiten: Preis: 22,00 €
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