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Anthony McCarten – Jack

Im nächsten Jahr jährt sich der Tod des legendären Beat-Schriftstellers Jack Kerouac zum 50. Mal. Die beste Gelegenheit, sich auf dieses Ereignis einzustimmen, bietet nun der neuseeländische Bestsellerautor Anthony McCarten mit seinem neuen Streich Jack (erschienen im Diogenes-Verlag, übersetzt von Gabriele Kempf-Allié und Manfred Allié).


Ausgangslage ist das ambitionierte Projekt der Literaturstudentin Jan, die ihr literaturwissenschaftliches Forschen dem damals noch etwas belächelten Jack Kerouac widmen will. D

er wissenschaftliche Mainstream der damaligen Zeit hat Kerouacs Bedeutung als wichtiger Impulsgeber der Beatniks und Schöpfer des legendären Romans On the road noch nicht erkannt. Das wissenschaftliche Interesse an dem Autoren aus Massachusetts ist sehr gering – Jans ist es dafür umso mehr. Sie beschließt von ihrer Alma Mater aufzubrechen und die Spur Kerouacs aufzunehmen. Jener Poet lebt zu dieser Zeit nämlich abgeschirmt von der Öffentlichkeit und hat eigentlich beschlossen, sich zu Tode zu trinken. Jan begibt sich nun ebenfalls on the road und bricht zu ihrem persönlichen Projekt auf.

Gelungen schafft es Anthony McCarten in seinem neuen Buch, die Biographie Kerouacs mit der wendungsreichen Geschichte von Jan zu verknüpfen. Geschickt baut er einige falsche Böden und Überraschungen ein, denn so eindeutig wie zunächst alles scheint, ist es dann im Lauf der Geschichte keinesfalls. Er arbeitet mit Gegenbewegungen, lässt Jan durch ihren eigenen Roadtrip Kerouac näherkommen, reißt immer weiter Schleier von seinem Gesamtbild und unterhält dabei die Leser genauso gut wie er sie über Jack Kerouacs Leben informiert.

Eine erzählerische Annäherung an einen großen Dichter

Jack ist eine erzählerische Annäherung an einen großen Dichter, eine Geschichte von Identitäten und der großen Frage, wer wir tatsächlich sind und was uns im Kern ausmacht. Eine weitere, sehr interessante Stimme im Chor der zahlreichen Schriftsteller-Romane, die in diesem Bücherfrühling erscheinen (beispielsweise seien hier noch die Romane Keyserlings Geheimnis von Klaus Modick genannt und Hans Pleschinskis Wiesenstein. Zu ersterem Roman wird auch noch bald eine Besprechung folgen.)

Bei Sarah vom Blog studierenichtdeinleben gibt es ebenfalls eine Einschätzung zu diesem Buch. Auch meine geschätzte Kollegin und Buchpreisbloggerin Birgit Böllinger hat sich etwas ausführlicher dieses Buchs angenommen – ihre Meinung zu Jack findet sich auf ihrem Blog Sätze&Schätze.


Das Beitragsbild „Jack Kerouac (#2)“ stammt von Devin_Smith und steht unter der Lizenz CC BY 2.0.

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Jon McGregor – Speicher 13

Es beginnt wie bei einer Netflix-Serie – ein junges Mädchen ist verschwunden, Suchmannschaften durchkämmen die mittelenglische Landschaft. Ein Hubschrauber knattert über der Szenerie, die Speicherseen und umliegenden Wälder werden durchsucht – ohne nennenswerte Spuren. Wer nun aber erwartet, einen Thriller über eine Kindesentführung und die verzweifelte Suche von Polizei und Angehörigen zu erleben, der sieht sich schnell getäuscht.

Denn Jon McGregor erzählt in Speicher 13 weniger einen Kriminalfall, denn eine komplexe Gesellschafts- und Naturstudie. Der Auftakt rund um das Verschwinden der jungen Rebecca Shaw legt da noch einige falsche Fährten, aber schon bald muss man als Leser erkennen, dass das Verschwinden kaum zu lösen ist. Immer spärlicher tröpfeln die Erkenntnisse über Rebecca ein, immer mehr Sand gerät ins Getriebe der Ermittlungen. Ganz langsam kehrt wieder so etwas wie Normalität im Dorfleben ein, als absehbar wird, dass das Mädchen so schnell nicht gefunden werden wird. Die Dorfgesellschaft geht langsam wieder zur Routine über, Rebeccas Angehörige müssen verzweifelt erkennen, dass sich die Welt trotz des Verschwindens weiterdreht. Auch die Natur nimmt weiter ihren Lauf, Nachwuchs wird geboren, Flüsse treten über die Ufer und der Kreislauf des Lebens wird immer wieder neu angestoßen.

Über zehn Jahre beobachtet Jon McGregor in seinem Roman (den Begriff Krimi möchte ich trotz des klassischen Einstiegs nicht verwenden) das Dorf und die umgebende Landschaft. Er beschreibt in Schlaglichtern die Veränderungen, die mit dem Verschwinden Rebeccas einhergehen, er interessiert sich für die Fauna genauso wie die kleine Dorfgemeinschaft, die das einschneidende Erlebnis prägt. Kinder werden erwachsen, Menschen sterben und das tragische Verschwinden eines Mädchens bringt das Rad des Lebens auch nicht außer Takt – für mich steht diese Erkenntnis als prägendes Motiv im Mittelpunkt von Speicher 13. Oder um es etwas flappsig mit der Lebensweisheit des Fußballtrainers Dragoslav „Stepi“ Stepanovic auszudrücken: „Lebbe geht weider“.

Einer Genreeinordnung widersetzt sich das Buch konsequent, als naturalistische Schilderung von Menschen und Natur trifft man das jüngst mit dem Costa-Award ausgezeichnete Buch in meinen Augen am besten. Klassische Spannungsleser werden mit diesem Buch sicher nicht zufrieden sein, wer allerdings Freude an breit angelegten Gesellschaftschroniken mit vielen Naturelementen hat, der wird hier glücklich. Für mich oszilliert dieses Buch irgendwo zwischen Dorfdrama und Entwicklungsroman, ganz unterschiedliche Bücher wie etwa Josef Bierbichlers Mittelreich oder Adam Thorpes Ulverton kamen mit bei der Lektüre in den Sinn. Ein eigenwilliges und besonderes Buch!

Speicher 13 erscheint im Münchner Liebeskindverlag. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Anke Caroline Burger. ISBN 978-3-95438-084-8.

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Grégoire Hervier – Vintage

Wieder einmal könnte man bei Wer wird Millionär zu den großen Gewinnern zählen, wenn man Vintage gelesen hat und anschließend die Frage gestellt bekommt: Worum handelt es sich bei dem, der oder die Gibson Moderne?

Der aufmerksame Leser weiß es nach der Lektüre des Romans sofort – es handelt sich bei der Gibson Moderne um eine geheimnisumwitterte Gitarre, die die Hauptrolle in Gregoire Hérviers Buch spielt. Auf die Suche nach dieser Gitarre begibt sich der verhinderte Profimusiker und Ich-Erzähler Thomas Dupré, der von einem reichen Lord auf die Spur des Instruments gesetzt wird. Jenem Lord wurde aus seinem Anwesen die legendäre Gitarre gestohlen und Thomas soll sie nun für seinen Auftraggeber wieder auftreiben.

Das ist die Rahmenhandlung hinter Vintage, als besonderer erzählerischer Clou folgt der Roman dabei keiner herkömmlichen Kapiteleinteilung, sondern ist wie einer Song strukturiert. Das heißt, statt Kapitel 1-20 gibt es hier schnell getaktete Refrains, Bridge und Strophen,  (400 Seiten umfasst das Buch). Man hetzt mit Thomas durch die USA, seine Schnitzeljagd führt ihn von Schottland über Memphis und weitere Stationen bis tief in den amerikanischen Süden der Cajun-Sümpfe.  Die Anhaltspunkte seiner Odyssee liefert ihm dabei der mythenumrankte und nahezu völlig vergessene Musiker Li Grand Zombi, dessen Werk und Wirken Hinweise auf den Verbleib der Moderne liefern könnte.

Im Vorbeigehen rollt Hervier neben seiner Schnitzeljagd noch zahllose Informationen über Gitarren und den Rock’n Roll aus. Namen wie Robert Johnson oder Elvis Presley spielen im Buch eine große Rolle – das ist für jeden Musikfan buchstäblich Musik in den Ohren. Bei allen musikhistorischen Exkursen vergisst Grégoire Hervier dabei aber auch die Handlung und Spannung nicht, was aus Vintage einen unterhaltsamen und informativen Pageturner macht, der nicht nur Rock ’n’ Roll-Liebhabern wärmstens empfohlen sei.

Nota bene: Wer Geschmack an derartigen Musik-Krimis gefunden hat, dem seien hier noch zwei weitere Geheimtipps genannt: zum Einen der famose Krimi Back Up des Belgiers Paul Colize und zum anderen Roadkill von Eyre Price. Auch in diesen Büchern ist Spannung und Musik drin!

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Jan Schomburg – Das Licht und die Geräusche

Ausgerechnet nach Island verschlägt es die Protagonisten in Jan Schomburgs Schriftstellerdebüt Das Licht und die Geräusche. Jenes Land, das klischeemäßig mit Elfen, Trollen, Geysiren und eigenwilligen Menschen besetzt ist, wird in Schomburgs Debüt zum Dreh- und Angelpunkt für drei Protagonisten, deren Schicksal er in Das Licht und die Geräusche erzählt.

Schomburg, der bislang eher als Drehbuchautor und Regisseur in Erscheinung trat (z.B. bei den Filmen Vergiss Mein Ich oder Vor der Morgenröte) hat sich getraut und unternimmt eine Forschungsreise in die wohl spannendste Zeit des Lebens – die Teenagerzeit. Er erzählt aus Sicht von Johanna eine Dreiecksgeschichte, die sich im Koordinatennetz zwischen Parties, Liebe, Klassenfahrt und Freiheitsdrang entfaltet. Der Rhythmus, der von der Schule vorgegeben wird kontrastiert mit dem immer spannender werdenden sozialen Leben und der bevorstehende Sommer bringt viele Verheißungen mit sich. Diese Zeit elektrisiert nicht nur Johanna – die Erzählung kreist auch um ihren besten Freund Boris und dessen portugiesische Freundin Ana-Clara, deren Schicksale eng aneinander gekettet sind.

Schomburg erzählt flirrend und zerrissen von der Zeit der Pubertät, eine Zeit, mit der sich wohl jeder Leser identifizieren kann. Parties in Hobbykellern mit Alkoholexzessen, nächtliche Ausflüge zu Freunden, Nacktbaden im See. Er verdichtet diese Zeit auf Schlaglichter, ehe dann im zweiten Teil des Romans immer mehr Struktur zutage tritt. Denn Boris scheint sich plötzlich nach Island abgesetzt zu haben, um dort seinem Leben ein Ende zu setzen. Die überforderten Eltern setzen sich mit Johanna und Ana-Clara ins Flugzeug, um Boris vielleicht noch rechtzeitig zu finden. Vor Ort entspinnt sich dann eine ganz eigene und auch überraschende Dynamik, der man als Leser dann beiwohnt und die auch Wiedererkennen birgt.

Jan Schomburg ((c) Gunter Glücklich)

Jan Schomburg gelingt das, woran Arno Frank in So und jetzt kommst du brachial gescheitert ist – eine glaubhafte Stimme für seine jugendlichen Protagonisten zu finden. Die Sprache ist nicht anbiedernd, sondern authentisch und genau passend für die Geschichte, die Schomburg erzählen will. Man erkennt sich und seine Jugend im Handeln und in den Gedanken wieder- ein Flashback in vergangene Zeiten.

Ich bin geneigt Das Licht und die Geräusche in die Reihe gelungener Adoleszenzromane zu stellen, in denen für mich  Auerhaus, Der Fänger im Roggen und Tschick stehen!

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Ben Aaronovitch – Der Galgen von Tyburn

Peter Grant ist wieder da! Der etwas tollpatschige Nachwuchsmagier und Police Constable aus London hat seinen Ausflug aufs Land in Fingerhut-Sommer überlebt und bekommt es nun in seinem angestammten Terrain in London abermals mit einem kniffligen Fall zu tun.

Ausgangspunkt ist eine aus dem Ruder gelaufene Drogenparty, die zahlreiche Jugendliche in der Luxusimmobilie One Hyde Park feierten. Eine an der Party Beteiligte ist auch die Tochter der Flussgöttin Lady Tyburn, die von Peter einen alten Gefallen einfordert. Er soll den Namen ihrer Tochter aus den Ermittlungen heraushalten. Doch nicht nur Peter kann schon bald die Ermittlungen kaum mehr überblicken, denn die Drogenparty scheint nur ein Dominostein in einer Kette weiterer Ereignisse zu sein, die allesamt mit Peters alter Nemesis, dem gesichtslosen Magier in Verbindung zu stehen scheinen. Es geht um ein mythenumwobenes Buch Issac Newtons, Fehden unter Flussgöttern, die Deals der oberen Zehntausend und noch viel mehr.

Der Galgen von Tyburn ist ein verschachteltes und verzwicktes Stück Amalgam von Kriminalroman und Fantasy – und sicher nicht der beste Einstieg in das immer komplexer werdende Universum des Peter Grant und des Londoner Follys. Die Welt aus Flussgöttern und deren Zwistigkeiten, die Feindschaft mit dem Gesichtslosen Magier, die zahlreichen fantastischen Kreationen aus der Feder Aaronovitchs – ein Neuling kann sich mit diesen ganzen als bekannt vorausgesetzten Eigenheiten der Reihe schnell überfordert fühlen. Hier empfiehlt sich wirklich der chronologische Einstieg mit ersten Band Die dunklen Flüsse von London.

Der Galgen von Tyburn ist in dieser Reihe der inzwischen schon sechste Band der Reihe – und das Fortschreiten der Reihe merkt man dem Buch durchaus an. Ganz so frisch ist der Humor nicht mehr, etwas Routine schleicht sich ein in Peters Fälle ein und wirklich befriedigt fühlt man sich mit diesem Band wirklich nicht. Das Buch wirkt wie ein Binnenspiel für die kommenden Fälle, denn ohne zu viel verraten zu wollen: am Ende hat sich nicht viel vorangekommen und mir blieb die Frage, ob im nächsten Band wieder mehr Entwicklung zutage tritt. Verdient hätte es diese tolle Buchreihe auf alle Fälle.

So manches Mal rumpelt auch die Übersetzung des Buchs etwas vor sich hin (Deutsch von Christine Blum) und die vielen Aaronovit’schen Wortschöpfungen und Neologismen ermüden dann doch mit der Dauer des Buches etwas.

Fazit: Fans von Peter Grant und dieser tollen Buchreihe werden sicherlich auf ihre Kosten kommen, das stärkste Buch der Serie ist Der Galgen von Tyburn allerdings nicht.

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