Category Archives: Historischer Roman

Mariam Kühsel-Hussaini – Tschudi

Ein Roman wie ein Gang durch ein Museum. Mariam Kühsel-Hussaini in „Tschudi“ über Kunst, Geschmack, Intrigen und ein brodelndes Berlin um die Jahrhundertwende. Große Sprachkunst und eine Verneigung vor dem Impressionismus.


Mariam Kühsel-Hussaini gelingt in ihrem neuen Buch (zuletzt von ihr 2012 Attentat auf Adam) das Kunststück, sich mit Worten und Beschreibungen ihrem im Buch verhandelten Subjekt so anzugleichen, dass die Grenzen zwischen Kunst und Literatur verfließen. In Tschudi erschafft sie in ihrem Roman eine ganze Ausstellungshalle aus Ideen, Bildern und Künstler*innen, die auf den Lesenden wie ein wirkliches Museum wirken. Alleine schon die auftretenden Figuren in ihrem Roman lesen sich wie ein Who’s Who der damaligen Kunstwelt.

ADN-ZB/Archiv Berlin 1904: Die Ausstellungsvorbereitung der Berliner Sezession. Vorstand und Hängekommision bei der Arbeit. v.l.n.r. Willy Döring, Bruno Cassirer, Otto Engel, Max Liebermann, Walter Leistikow, Kurt Herrmann, Fritz Klimsch. (Aufn. 1904)

Max Liebermann, Wilhelm Bode, Anton von Werner, Max Klinger, Adolph Menzel, Walter Leistikow oder Leo von König geistern durch die Seiten von Kühsel-Hussainis Roman. Und auch sonst sind es große Namen, die das Buch bevölkern. Cosima Wagner, Walther Rathenau oder auch Harry Graf Kessler sind allesamt Figuren, denen allen eines gemeinsam ist: die Bekanntschaft mit Hugo von Tschudi. Der Schweizer aus altem Adel ist das, was wir heute als Netzwerker bezeichnen würden. Ein kunstsinniger Kosmopolit mit besten Kontakten hinein in die oberen Gesellschaftsschichten und die Kunstwelt.

Und dies kam nicht von ungefähr. Schließlich war der Vater als Schweizer Diplomat und Forschungsreisender tätigt. Der Großvater mütterlicherseits war niemand Geringeres als Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld. So war der Weg für Hugo von Tschudi gewissermaßen schon vorgezeichnet. Durch seine Kenntnisse und Beziehungen prädestiniert wurde er 1896 zum Direktor der Nationalgalerie berufen. Ab diesem Zeitpunkt setzt Kühsel-Hussainis Roman ein, der Tschudis Wesen und Wirken auf höchst beeindruckende Weise schildert.

Tschudi gegen Wilhelm II.

Es ist ein brodelndes Berlin an der Jahrhundertwende, das Mariam-Kühsel Hussaini in Tschudi inszeniert. Während die Gebrüder Aschinger das megalomanische Weinhaus Rheingold am Potsdamer Platz in Betrieb nehmen, treibt der Journalist Maximilian Harden den Kaiser Wilhelm II. vor sich her (und wird später die Harden-Eulenburg-Affäre auslösen).

Hugo von Tschudi
Hugo von Tschudi

Der Kaiser steht unter Druck – und prallt nicht nur in Sachen Kunstverständnis des Öfteren mit Tschudi zusammen. Denn während Tschudi fleißig französische Meister für die Nationalgalerie ankaufen lässt, darunter etwa Manets Im Wintergarten (der auch das Buchcover ziert), steht der Kaiser für ein traditionelleres Kunstverständnis. So kann der Monarch weder mit Impressionismus noch mit der Berliner Secession etwas anfangen. Die neuartigen Ausdrucksweisen verstören Wilhelm II. Dass ihm historisierende Maler wie Anton von Werner oder der Museumsdirektor Wilhelm Bode zusätzlich ihr traditionelles Kunstverständnis einimpfen und gegen Tschudi opponieren, macht die Sache für den visionären Schweizer Museumsmacher nicht einfacher.

Während Fans wie etwa Cosima Wagner extra aus Bayreuth anreisen, um in der Gesellschaft des Schweizers die Nationalgalerie zu besuchen, brauen sich am Berliner Himmel dunkel Wolken zusammen. Doch der unter der tückischen Hautkrankheit Lupus leidende und trotzdem höchst virile Tschudi merkt davon erst viel zu spät etwas.

Impressionismus in der Sprache

Man kann von Tschudi nicht reden, ohne von seiner Sprache zu reden. Denn was Mariam Kühsel-Hussaini hier schafft, ist außergewöhnlich. Sie schafft es, die suggestive Kraft des Impressionismus mit ihren Worten abzubilden und so ein außergewöhnliches Lesegefühl zu erzeugen.

Beispielhaft sei hier nur ein Absatz aus dem Roman zitiert, der den Suizid des Malers Walter Leistikow beschreibt. Mit nur wenigen hingetupften Worten entstehen so ganze Bildwelten.

Draußen versank Berlin in den frühen Sommerabend.

Ein Spreetaucher wurde an der Schlossbrücke herausgezogen und sah Tschudi durch das kleine rechteckige Fenster seines alten Helmkastens an.

Tschudi ihn.

Lange.

Und Walter Leistikow legte den Lauf seiner Pistole hart gegen die Braue, als er am Fenster seines Sanatoriums stand, die Stirn fest ans Glas gepresst.

Vollkommen stumm.

Drückte er ab.

Ein spätgotisches, rot zerlaufendes Kirchenfenster.

Kühsel-Hussaini, Mariam: Tschudi, S. 296 f.

Dieses Buch ist mit einer suggestiven Sprachkraft geschrieben, die ihresgleichen sucht. Mal lyrisch im Ton, mal stakkatohaft mit gerade einmal einem Wort pro Zeile, dann wieder elegisch oder vorantreibend, teilweise im Dialekt. Auch die Kapitel sind ganz unterschiedlich verteilt, springen zwischen Tschudi und Wilhelm II. hin und her, erstrecken sich über viele Seiten oder sind dann wieder ganz kurze Miniaturen. 72 dieser so unterschiedlichen Kapitel hat die 1987 geborene Autorin auf insgesamt 320 Seiten arrangiert. Kapitel, die alle für sich genommen kleine Kunstwerke sind.

Nicht alles funktioniert

Bei einem solch vielgestaltigen Bildersturm entstehen aber auch einige weniger überzeugende Produkte, das soll hier nicht verhehlt werden. Gibt es in jedem Museum wohl auch Kunstwerke, die sich dem Betrachtenden nicht erschließen oder ihm nicht zusagen, so gilt das auch für Kühsel-Hussainis Roman. Gerade zu Beginn des Romans meint es die in Kabul geborene Autorin besonders gut. Da pumpt ein Vakuum aus Traurigkeit das Herz leer oder Tschudi fliegt bewusstlos durch den Abend (wie bewusstloses Fliegen funktioniert, habe ich noch nicht verstanden, auch wenn mir klar ist, was Kühsel-Hussaini ausdrücken möchte). Hugo von Tschudi besitzt die schnellsten Tränen, die je ein Mensch geweint oder hinter Augen warten gute Gaben.

Kühsel-Hussaini - Tschudi (Cover)

Manchmal ist das etwas manieriert, pathetisch, ungewollt komisch oder im Suchen nach originellen Wortbildern etwas anstrengend. Dann gelingen Kühsel-Hussaini aber auch wieder unerhörte Metaphern, treffende Vergleiche und eindrückliche Beschreibungen vom brodelnden Berliner Nachtleben oder dem aufkommenden Antisemitismus etwa, die die wenigen nicht funktionierenden Sätze mehr als vergessen machen.

Was Kühsel-Hussaini da mit ihren Worten schafft, ist mehr als nur große Kunst. Das ist Sprachkreativität auf höchstem Niveau, mit dem sie in diesem Frühjahr sogar Valerie Fritsch übertrifft. Etwas in dieser Qualität bekommt man nicht alle Tage zu lesen.

So ist dieser Tschudi vieles. Ein sinnanregender Roman, der Lust auf einen Bummel durch die Alte Nationalgalerie macht. Ein Künstlerroman, der dem Impressionismus ein Denkmal setzt. Und nicht zuletzt ein Sprachkunstwerk, das seinesgleichen sucht.


Bild Hugo von Tschudi: Von unbekannt – www.pinakothek.de, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=7987764

Bild „Berliner Secession“: Von Bundesarchiv, Bild 183-1986-0718-502 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5423516

Diesen Beitrag teilen

Christopher Kloeble – Das Museum der Welt

Bartholomäus: Apostel, Märtyrer, Verkünder der Frohen Botschaft und von Jesus Christus als „Mann ohne Falschheit“ bezeichnet. Vor allem in Indien und Mesopotamien soll er gewirkt haben, was ihn zum perfekten Namenspatron des Helden in Christoph Kloebles neuem Roman Das Museum der Welt macht.

Denn sein Ich-Erzähler Bartholomäus wächst um 1850 als Waisenjunge in Bombay auf. Von seinem Ziehvater „Vater Fuchs“, einem bayerischen Missionar, wird er im Glauben unterwiesen. Aber auch die Naturwissenschaften verehrt jener Vater Fuchs und tritt für die Autonomie Indiens ein. Als Waisenkind unter der Fittiche der bayerischen Missionare lernt Bartholomäus schon früh, wie es ist, ausgegrenzt zu werden. Von seinen Mitbewohnern im Waisenhaus wird er permanent schikaniert und auch von Vater Fuchs Mitbruder züchtigt den circa 12 Jahre alten Jungen, wo es nur geht. Doch Bartholomäus ist ebenso unbeirrbar in seinem Glauben an Vater Fuchs, wie es sein Namenspatron einst war. Als Junge ohne Falschheit erlebt er die Welt, trägt sein Herz auf der Zunge und eckt damit das ein um das andere Mal an in einer Welt, deren Spielregeln sich Bartholomäus nicht immer erschließen.

Doch dann verschwindet Vater Fuchs von einem auf den anderen Tag aus Bartholomäus‘ Leben. Und der junge ist völlig auf sich alleine gestellt, hat er doch seinen einzigen Fürsprecher verloren. Da kommt die Expedition dreier wunderlicher Brüder aus Bayern gerade recht. Diese Brüder, die auf den Namen Schlagintweit hören, wollen ähnlich wie ihr großes Vorbild Alexander von Humboldt, die Welt Indiens erkunden. Dank seiner bayerischen Sprachkenntnisse, die sich Bartholomäus im Haus der bayerischen Missionare erworben hat, wird er zum Übersetzer der drei Brüder. Zusammen brechen sie auf, um Indien zu erkunden.

Die Erkundung Indiens

Die drei so unterschiedlichen Brüder machen sich also mit einem ganzen Treck an Trägern, Übersetzern und lokalen auf, um der Vermessung Indiens voranzutreiben. Im Auftrag der East India Company sollen die das Land vermessen und kartieren. Bombay und Kalkutta sind dabei nur die ersten Stationen auf einer Reise, die mindestens ebenso viele Gefahren wie Entdeckungen bereithält. Ganz nah dran immer Bartholomäus, der auf den Reisen sein Museum der Welt im Gepäck hat. Denn er möchte das erste Museum Indiens gründen und sammelt deshalb alles, was ihm wichtig erscheint. Und das sind von Gegenständen bis hin zu Emotionen die unterschiedlichsten Dinge, die ihm auf seiner Reise mit den Schlagintweits begegnen.

Aus München auf die höchsten Berge und bis nach Indien: Die Gebrüder Schlagintweit

Diese ganzen Gegenstände, die Bartholomäus sammelt, bilden die Überschriften des Buchs. Immer spielen die Fundstücke im folgenden Kapitel eine Rolle. Mal sind es Erfahrungen oder biographische Hintergründe, dann aber auch wieder Begegnungen mit Menschen oder Konkretes wie Opiumpflanzen. Über diese Feinordnung hinaus montiert Christopher Kloeble seinen Roman in chronologischer Reihung, die in Bombay 1854 beginnt.

Als Romancier kann man sich über die Geschichte der Schlagintweit-Expedition freuen. Hier liegt die Geschichte ja schon förmlich auf der Straße. Eine Expedition dreier Bayern ins exotische Indien. Spionage, Vermessung, Humboldt-Freundschaft, ein auf seiner Reise hingerichteter Bruder. Da erzählt sich so eine Geschichte fast wie von selbst.

Erzählerische Manierismen

Tatsächlich ist Das Museum der Welt ein großer Bilderbogen, der mich manchmal mit seinen erzählerischen Manierismen nervte. So ist die Welt Indiens eh schon voller Bezeichnungen und Titel, die sich uns nicht erschließen. Dann hat aber auch Bartholomäus die Angewohnheit, sämtliche Entitäten in seiner Welt mit eigenen Bezeichnungen zu belegen. So sind etwa Vickys die Kolonialherren, da es sich ja um Viktorianische Truppen handelt, die in Bombay das Sagen haben. Ab und an eingestreut haben solche Termini ja ihren Reiz. Aber inmitten dieser Bezeichnungen von Makadam, Devinder, Train, Khansaman, Bihishti, Rakscha, Raja, Smitaben und so weiter und so fort verlor ich sukzessive den Überblick.

Christoph Kloeble - Das Museum der Welt (Cover)

Ein Glossar oder Personenverzeichnis wäre hier eine sinnige Ergänzung zum Roman gewesen, auf das man (zumindest in der mir vorliegenden Ausgabe) verzichtet hat. Eine Entscheidung, die mir den Lektüregenuss etwas verleidet hat.

Abgesehen von diesen stilistischen Arabesken ist das Buch aber nicht nur eingedenk des zuende gegangen Humboldt-Jahres eine reizvolle Lektüre. Ich sehe Das Museum der Welt auch übergeordnet als Teil eines beachtens- und begrüßenswerten Trends. Denn zunehmend interessieren sich Literat*innen auch für die marginalisierten und vergessenenen Figuren der Weltgeschichte. So spielt (wenngleich hier nur fiktiv) Bartholomäus eine entscheidende Rolle bei den Expeditionen der Schlagintweits. Durch seine Brille beobachten wir den ganzen indischen Kosmos, in den die Schlagintweits einfach einbrechen und deren Verhalten für den Jungen oftmals wunderlich wirkt.

Ein Stück postkoloniale Literatur

Auch Christopher Kloeble selbst beschreibt das so, dass er mit Bartholomäus lieber eine unbekannte geschichtliche Perspektive wählte, als der Geschichte der Gebrüder Schlagintweit eine weitere bekannte Facette hinzuzufügen. Damit reiht sich das Buch ein in einen gegenwärtigen Trend, die andere, postkoloniale Seite der Geschichte zu zeigen. Hervorragend gelang das zuletzt Petina Gappah in ihrem Livingstone-Roman Aus der Dunkelheit strahlendes Licht. Auch sie schaffte es eindrücklich, unserer weißen Sicht auf die Kolonial- und Expeditionsgeschichte Afrikas eine neue Sichtweise entgegenzusetzen.

Die Klasse jenes Werks besitzt Das Museum der Welt leider nicht, dafür ist es mir etwas zu verplaudert, überfrachtet und stilistisch nicht ganz überzeugend. Aber nichtsdestotrotz ist das Buch ein klassischer Abenteuerroman alter Bauart, ein Stück postkoloniales Erzählen, die Geschichte der Mannwerdung eines Jungen und eine Erzählung über die Expedition der Gebrüder Schlagintweit. Wenn man über die Schnitzer des Buchs hinwegsehen mag, erhält man hier eine originelle Lektüre, die das alte Indien wieder auferstehen lässt.

Weitere ganz unterschiedliche Meinungen gibt es auf folgenden Seiten: SZ online, Letteratura und Lesenslust.


Bildrechte Porträt Schlagintweit: Von unbekannt – [1], PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3174418

Diesen Beitrag teilen

Einen Flügel kann man nicht reparieren …

Daniel Mason – Der Klavierstimmer Ihrer Majestät

Mit der Veröffentlichung von Daniel Masons Der Wintersoldat gelang dem C.H. Beck-Verlag im letzten Jahr ein kleiner Erfolg. Das Interesse an diesem Buch ist beständig. Immer wieder landen auch Suchanfragen zu diesem Buch auf meinem Blog. Inzwischen hat es meine Rezension hier auf gute vierstellige Abrufwerte gebracht. Für diesen kleinen Blog einsame Spitze, wenngleich das Buch bei mir damals keine ähnliche Euphorie auslöste.

Mein Interesse war groß, als der Vorschau des C.H. Beck-Verlags zu entnehmen war, dass ein weiteres Buch von Daniel Mason veröffentlicht wird. Im Falle von Der Klavierstimmer Ihrer Majestät handelt es sich allerdings um keinen neuen Titel. Vielmehr ist das Buch das Debüt Masons und erschien ursprünglich bereits im Jahr 2002. Nun, da das Buch volljährig geworden ist, erscheint es bei C.H. Beck in einer überarbeiteten und von Barbara Heller ins Deutsche übertragenen Fassung.

Daniel Mason - Der Klavierstimmer Ihrer Majestät (Cover)

Mason erzählt in seinem Roman die Geschichte von Edgar Drake. Dieser lebt 1887 zusammen mit seiner Frau in London und verdient sein täglich Brot mit dem Stimmen von Flügeln. Besonders für Erard-Flügel hat er ein Händchen. In ganz London stimmt er diese Flügel und wird als Spezialist gerufen, wenn die Mechanik der Instrumente hakt oder die Saiten verstimmt sind. Da erreicht ihn ein ganz besonderer Auftrag. Er soll den Erard-Flügel eines britischen Militärarztes reparieren. Dieser befindet sich allerdings nicht in London, sondern im Dschungel von Birma. Dort befehligt der Militärarzt eine Stellung.

Da er in seinem Kampf um die Befriedung des rebellischen Landstrichs dort mehr Erfolge als alle anderen Offiziere vorweisen kann, musste man notgedrungen die Forderung des Militärarztes nach einem Flügel erfüllen. In einer Fitzcarraldo-haften Aktion wurde der Flügel in das Fort des Arztes gebracht. Doch nun ist der Flügel aufgrund der humiden Klimas vor Ort verzogen und der Arzt dringt auf eine Reparatur. Edgar Drake macht sich also auf den Weg in den entlegensten Winkel des Königreichs, um für das Problem Abhilfe zu schaffen.

Der Kampf um Birma

Drake, der bislang kaum etwas von der Welt gesehen hat, erlebt in Birma nun eine ganz andere Welt. Undurchdringliche Dschungellandschaften, das Volk der Shan, in dessen Land sich der Klavierstimmer begibt, englische Kolonialherren, Räuberbanden, genannt Dacoits, die die Dörfer und Besatzer terrorisieren. Eine ganz andere Welt herrscht hier, die Daniel Mason gut einzufangen weiß.

Das Grün des Dschungels, das Prasselns des Monsuns und die völlig andere dort herrschende Kultur mitsamt Pagoden und spielenden Kindern – all das beschreibt Mason wirklich gekonnt. Manchmal sind die Schilderungen von Land und Leuten etwas ausufernd, speziell wenn es um die politische Einordnung der verschiedenen Parteien und ihrer Pläne in Birma geht. Dann aber wieder ist Mason auch höchst präzise, wenn er das Handwerk des Klavierstimmens schildert und die über Sprachgrenzen hinweg wirkende Kraft der Musik in Zeilen bannt. Das überzeugt und ist besser gelungen als zuletzt bei William Boyd, der sich an einem ähnlichen Thema versucht.

Keine unbedingt postkoloniale Erzählhaltung

Weniger überzeugend hingegen ist Masons im Buch vertretende Haltung zum Kolonialismus. Dieser wird an keiner Stelle wirklich kritisch beleuchtet. Staunend tappt sein Edgar Drake durch die von den Briten beherrscht Welt Birmas und hinterfragt das Wirken der Briten kaum. Vielmehr manifestiert sich im Buch eine durchaus fragwürdige Haltung zum Thema Kolonialismus, die beispielsweise in diesem Dialog durchscheint:

„Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie die britische Herrschaft begrüßen?“

„Ich habe großes Glück“, erwiderte sie nur.

„Aber in England“, beharrte Edgar „sind viele entschieden der Meinung, dass die Kolonien sich selbst verwalten sollten, und ich neige ebenfalls zu dieser Ansicht. Wir haben schreckliche Dinge getan.“

„Aber auch gute.“

Mason, Daniel: Der Klavierstimmer Ihrer Majestät, S. 281

Hier hätte ich mir ein wenig mehr kritische Distanz zum Thema gewünscht, wie sie beispielsweise beim großartigen James Gordon Farrell stets Thema ist. In die Gattung der postkolonialen Literatur kann ich Der Klavierstimmer Ihrer Majestät leider nur schwerlich einordnen. Mit seinem unkritischen und auf die Musik fokussierten Erzähler macht es sich der amerikanische Autor etwas zu leicht und traut sich sogar noch, kolonialen Kitsch in Form einer Liebesgeschichte zu einer Birmesin in die Handlung einzuführen.

Wer sich davon nicht stören lässt, der bekommt mit Der Klavierstimmer Ihrer Majestät ein Buch, das die exotische Welt Birmas um 1890 herum gut einzufangen weiß. Ein Blick in die wechselvolle Geschichte Birmas, lange bevor das Land Myanmar hieß. Und nicht zuletzt ein Roman, der dem Beruf des Klavierstimmers und der menschenvereinenden Kraft der Musik ein Denkmal setzt.

Diesen Beitrag teilen

Katerina Poladjan – Hier sind Löwen

Von der Suche nach den eigenen Wurzeln, dem Völkermord an den Armeniern und der hohen Kunst der Restauration erzählt Katerina Poladjan in ihrem Roman Hier sind Löwen. Ein widerspenstiges Buch mit einer ebenso widerspenstigen Protagonistin.


Triumphierend ließ sich Ano wieder auf die Matratze fallen. „Du widersprichst dir.“

„Ja.“

Ich widersprach mir. Auch Danil sagte oft zu mir, du widersprichst dir, du hast gleichzeitig mehrere Gedanken, die nicht zusammenpassen.

Poladjan, Katerina: Hier sind Löwen, S. 218

Helen Mazavian ist in der Tat eine widersprüchliche Heldin. Ein Restaurationsauftrag bringt sie nach Jerewan, die Hauptstadt Armeniens. Dort will sie ein Heilevangeliar restaurarieren und die besondere Kunst der lokalen Buchmacherei erlernen.

Doch es ist nicht nur das Evangeliar, das sie reparieren will. Auch die eigenen Familiengeschichte will sie erforschen, Leerstellen auffüllen und die eigenen biographischen Bruchstellen kitten. Denn neben Russland und Deutschland hat ihre Familie auch in Armenien Wurzeln, über die Helen und ihre Mutter Sara nur wenig wissen. Die Buchrestauratorin will den Aufenthalt im kleinen Land als auch zu einer Art Provenienzforschung in eigener Sache nutzen. Work & Research in Armenien.

Doch die komplizierte und so kunstvolle Arbeit am Evangeliar tritt immer weiter hinter Helens Familienforschung zurück. Fremd im Land lässt sie sich treiben, beginnt eine Affäre, wird auf Familienfeiern eingeladen und sucht doch nur nach ihren Wurzeln. Dabei lernt sie ein Land kennen, das in seiner Zerrissenheit der Seelenlandschaft Helens ähnelt.

Ich weiß, dass viele viele [Armenier] ausgewandert sind, nach Frankreich, nach Amerika, in den Libanon, nach Russland. Es gibt ein armenisches Paradox. Jeder Armenier in der Welt könnte nach Armenien zurückkehren, aber sie denken nicht daran, es zu tun. Sie schicken Geld und sehen aus der Ferne zu, wie das Land vor die Hunde geht.

Poladjan, Katerina: Hier sind Löwen, S. 152

Zwei Kinder auf der Flucht

In diese Geschichte hinein schneidet Katerina Poladjan eine weitere Geschichte, die mit dem von Helen zu restaurierenden Heilevangeliar zusammenhängt. Denn dieses befand sich einst im Besitz einer armenischen Familie, die bis auf zwei Kinder dem Völkermord an den Armeniern zum Opfer fiel. Aus Sicht der beiden Kinder erzählt Poladjan von diesem Genozid, dem zwischen 300.000 und 1.500.000 Menschen zum Opfer fielen, und der bis heute von der Türkei nicht anerkannt wird.

Die Flucht der beiden und der Kampf um das Überleben wird von ihr in kleinen Sequenzen geschildert, die manchmal fast einen bukolischen Ton aufweisen, etwa dann, wenn die beiden kleinen Kinder unter einem Strauch Zuflucht suchen. Was es bedeutet, Familie und die Heimat hinter sich zu lassen, das vermittelt die Autorin eindrücklich.

Das Heilevangeliar, das die beiden mit sich durch die karge und menschenleere Landschaft Armeniens schleppen, wird dabei für die Kinder auch zu einem Überlebensinstrument. Egal ob Entscheidungshilfe oder Kinoersatz – die gebundenen vier Evangelien begleiten die Kinder und finden schlussendlich auch zu Helen.

Ähnlich wie es Nino Haratischwili im Falle Georgiens gelingt, holt auch Katerina Poladjan hier ein uns fernes Land und seine Geschichte mithilfe der Literatur in unser Bewusstsein. Wer könnte schon vor der Lektüre von Hier sind Löwen zweifelsfrei sagen, wie die Hauptstadt Armeniens heißt oder wo das Land überhaupt liegt? Mit ihrer Prosa ruft uns Poladjan dieses in der Vergangenheit so gematerte Land und seine wechselvolle Geschichte wieder in Erinnerung. Und sie setzt nicht zuletzt der Kunst des Büchermachens und Bücherrestaurierens ein Denkmal.


Eine weitere Besprechung dieses Titels findet sich auf dem famosen Blog Kulturgeschwätz von Katharina Herrmann. Sie hat sich hier mit dem Buch und seinen Struktur im Besonderen und den vielen Bedeutungsebenen und Bezügen auseinandergesetzt.

Diesen Beitrag teilen

James Gordon Farrell und seine Empire-Trilogie

Das neue Jahr bringt ja auch immer gute Vorsätze mit sich. So habe ich beschlossen, in losem Abstand hier eine kleine Reihe unter dem Titel Im Fokus zu beginnen. Eine Reihe, die in meinen Augen vergessene oder zu wenig gewürdigte Autor*innen wieder in den Fokus rücken soll.

In Zeiten, in denen die Bestsellerlisten Drehtüren in Kaufhäusern gleichen, in denen Bücher kürzere Haltbarkeitsdaten als Joghurt zu haben scheinen, in denen Vorschauen nun schon mit Vor-Vorschauen einhergehen, um noch zielgerichteter planen zu können, will ich mir ab und an den Luxus des Zurückblickens und des Fokussierens von Unbeachtetem gönnen.

Viele Autor*innen sind viel zu spannend, um sie dem Vergessen anheimfallen zulassen. Bestes Beispiel ist der Auftakt dieser Reihe. Diesen bestreitet der britische Schriftsteller James Gordon Farrell und sein Hauptwerk, die sogenannte „Empire-Trilogie“, die vor einigen Jahren bei Matthes&Seitz Berlin erschien und nun Im Fokus steht.


Der Lost Man Booker Prize

Wir schreiben das Jahr 2010. In England wird der sogenannte Lost Man Booker Prize per öffentlichem Voting vergeben. Die Idee dahinter: Bis 1970 wurden für den Man Booker Prize immer Bücher aus dem Vorjahr nominiert, ab 1971 kamen dann nur Titel aus dem laufenden Jahr in die Auswahl. Dies sorgte natürlich für eine Lücke im Prozedere, die man dann 2010 nachträglich schließen wollte. Und so wurde der Lost Man Booker Prize ins Leben gerufen. Den Sieg in der Abstimmung errang damals James Gordon Farrell, der für seinen Roman Troubles die Auszeichnung erhielt. 38 Prozent aller abgegeben Stimmen entfielen auf sein Werk, das doppelt so viel Stimmen wie das zweitplatzierte Buch auf sich vereinen konnte.

Ein Triumph, den James Gordon Farrell allerdings nicht mehr erleben sollte, war er doch zu dem Zeitpunkt schon seit über 30 Jahren tot. Einmal war ihm allerdings der Triumph des Gewinns vergönnt. 1973 erhielt er für seinen Roman Die Belagerung von Krishnapur den Man Booker Prize. Mit dem Sieg im Jahr 1970 wäre ihm ein ganz besonderes Privilieg zuteil geworden. So wäre James Gordon Farrell der erste Schriftsteller gewesen, der den Man Booker Prize zweimal gewinnen konnte. So war dieser Triumph bislang nur Peter Carey, J.M Coetzee und Hilary Mantel vorbehalten.

Wer ist dieser Mann, der Geschichte hätte schreiben können und der auch 30 Jahre nach seinem Tod noch so beliebt ist, dass er den Man Booker Preis postum erlangen konnte?

Ein Brite in Irland

Geboren wird James Gordon Farrell im Jahr 1935 als Nachfahre irischer Einwanderer in Liverpool. Zeitlebens zieht er viel um, 1945 übersiedelt die Familie nach Irland. Farrell arbeitet als junger Mann in der Arktis, studiert in Oxford und zieht anschließend nach Frankreich weiter, wo er als Lehrer arbeitet. Während dieser Zeit entstehen erste Erzählungen und Romane, in denen er sich unter anderem mit dem französischen Existenzialismus auseinandersetzt.

James Gordon Farrell. Sämtliche Bildrechte: © Armstrong Jones

Weitere Romane folgen, sonderlich erfolgreich sind sie aber alle nicht. Vor allem der experimentelle Roman A Girl in the Head enttäuscht in kommerzieller Hinsicht doch sehr. Immerhin bemerkt ein Rezensent nach drei veröffentlichten Werken von James Gordon Farrell, dass er zwar noch nicht sein Thema und seine Form gefunden habe, das Talent aber durchaus erkennbar sei.

Zum Vorschein kam dieses Talent dann vollumfänglich im Hauptwerk Farrells, nämlich der sogenannten Empire-Trilogie. Diese erschienen 1970 bis 1978. Drei Werke bilden diese Trilogie, die den Niedergang des britischen Empires thematisiert. Den Anfang machte 1970 Troubles, das sich mit der gewaltsamen Abspaltung Nordirlands vom Rest der Insel beschäftigt. 1973 folgte dann Die Belagerung von Krishnapur; ein Buch, das sich mit dem Sepoy-Aufstand in Indien beschäftigt. Den Abschluss dieser Trilogie bildet das mit über 800 Seiten dickleibigste Werke Farrells: Singapur im Würgegriff. Ein Buch, das multiperspektivisch vom Ende der britischen Herrschaft über Singapur erzählt, erschienen 1978.

Eigentlich wäre aus der Trilogie ein Quartett geworden, James Gordon Farrell hatte es so geplant und einen Roman namens The Hill Station begonnen. Das Werk blieb allerdings unvollendet, da Farrell im August 1979 völlig überraschend verstarb.

Nach dem Erfolg seiner Bücher war Farrell auf die irische Halbinsel Sheeps Head gezogen. Dort, im Südwesten Irlands, lebte Farrell gerade einmal 149 Tage, ehe er beim Angeln im Sturm aufs Wasser hinausgezogen wurde. Aufgrund einer Polio-Lähmung in jungen Jahren war er nur eingeschränkt bewegungsfähig und starb so tragischerweise. Er wurde nur 44 Jahre alt.

Der Niedergang des Britischen Imperiums

Nun ist es natürlich immer müßig, über Eventualitäten und andere Ausgänge der Geschichte zu spekulieren. Aber bei James Gordon Farrell ist das Ganze ausnehmend reizvoll. Denn bei einer solchen Reife und Fülle von Themen, wie sie sich in seiner Empire-Trilogie findet, wäre es höchst spannend, welche Werke Farrell im Laufe seines weiteren Lebens noch vorgelegt hätte – das meint auch Salman Rushdie, der bemerkte:

There is no question that he would today be one of the really major novelists of the English language. The three novels that he did leave are all in their different way extraordinary.

Zweifelsohne wäre er [James Gordon Farrell] heute einer der größten englischen Schriftsteller. Die drei Romane, die er hinterlassen hat, sind alle auf ihre Art und Weise außergewöhnlich.

Salman Rushdie in „JG Farrell in His Own Words : Selected Letters and Diaries

Wie gut und beliebt seine Werke auch Jahrzehnte nach seinem Tod noch sind, das zeigt sich nicht zuletzt am Publikumsvoting des Lost Man Booker Prizes.

Auch ich habe mich durch die drei Empire-Trilogie mit höchstem Genuss gelesen; dem Berliner Verlag Matthes&Seitz und den Übersetzern Manfred Allié und Grete Osterwald sei es gedankt. Alle drei Werke sind eigene Kunstwerke, deren Komplexität mit jedem Buch zunimmt. Sie entführen auf meisterhafte Art und Weise in völlig andere Ecken der Erde, gemein ist ihnen nur der Untergang der Welt, die Farrell zuvor so liebevoll aufgebaut und beschrieben hat.

Alles ist vergänglich

Der Untergang der Dinge im Kleinen und der Untergang des britischen Weltreiches im Großen, das sind Themen, die die ganze Empire-Trilogie durchziehen. Denn mag am Anfang der Bücher noch alles in bester Ordnung erscheinen – Hotels noch stehen, Kautschukplantagen ihren Ertrag abwerfen und die Charaktere ihrem täglichen Broterwerb nachgehen – am Ende der Bücher ist nichts mehr davon übrig.

Das was sich gerade en miniature an bzw. in Großbritannien selbst beobachten lässt, das hat James Gordon Farrell schon vor 50 Jahren vorweggenommen: Zerfleischung, Selbstgefälligkeit, Zersplitterung, Verfolgung von Partikularinteressen. Das was der Brexit gerade in Großbritannien bewirkt, in den Kolonien und dem ganzen Empire trat das schon Jahrhunderte zuvor ähnlich auf. Und James Gordon lässt uns ausführlichst daran teilhaben.

Die Empire-Trilogie von James Gordon Farrell

Postkoloniale Literatur

Seine Empire-Trilogie lässt sich ganz klar sowohl in zeitlicher als auch thematischer Hinsicht in den Bereich der postkolonialen Literatur einordnen. Schon mit der Unabhängigkeit Indiens hatte diese Bewegung des Postkolonianismus in England im linksintellektuellen Milieu langsam eingesetzt. Man wollte eine neue Sichtweise auf die kolonialisierten Länder und Kulturen erlangen. So begann man, sich für die zuvor unterjochten und ausgebeuteten Länder außerhalb von Wirtschaftsinteressen zu interessieren. Nicht nur in der Forschung gewann diese neue Betrachtungsweise stetig an Zuwachs, auch die Kunst interessierte sich zunehmend für die Welt der Kolonien, die sich alle sukzessive vom Commonwealth emanzipierten. Mitte der 70er Jahre erreichte die Welle des Postkolonialismus einen ersten Höhepunkt – was genau mit dem Erscheinen der Empire-Trilogie zusammenfällt.

Und auch inhaltlich zeigt sich James Gordon Farrell als aufmerksam betrachtender und beschreibender Postkolonialist. Er interessiert sich für sein Personal, indem neben den britischen Besatzern auch Einheimische immer eine tragende Rolle spielen. Genau analysiert und beschreibt er, welche Auswirkungen die wirtschaftlich und terretorial expansive Politik Großbritanniens hatte. Besonders im Buch Singapur im Würgegriff illustriert er den Kolonialismus umfassend. In Dialogen und Streitgesprächen im Buch lässt er unterschiedliche Ansichten (auch der Briten selbst) aufeinanderprallen. Bringt man dem unzivilisertem Rest der Welt nun Savoir vivre und Wohlstand? Oder beutet man die Ressourcen der Länder auf Kosten der Ärmsten aus (wie im Falle von Singapur im Würgegriff die Kautschukplantagen des Landes)? Manchmal schon fast etwas enervierend genau und vollumfänglich geht Farrell diesen Fragen nach (und bietet auch im Anhang seiner Bücher stets immer eine voluminöse Bibliographie mit weiteren Lektüreeinstiegen an).

Ein Autor mit Haltung und Humor

Koloniale Lehnsherren, Rassismus, Überheblichkeit – all das fängt Farrell präzise in seinen Büchern ein. Seine eigene Haltung (die sich klar auch aus den Büchern herauslesen lässt) wurde bei der Preisverleihung des Booker Preises 1973 sehr deutlich. Dort, auf offener Bühne, kritisierte Farrell den Hauptsponsor des Preises, den er soeben erhalten hatte. Der Firma Booker warf er vor, für den wirtschaftlichen Profit des Unternehmens, die Landwirtschaft der Dritten Welt auszunehmen. Hier zeigte sich ein kämpferischer Mann, der für die in seinen Büchern propagierten Werte auch außerhalb der Papierseiten einsteht.

Wer nun allerdings den Eindruck bekommen hat, Farrells Werk ist politische und geschichtliche Literatur mit einer Prise Aufklärertum, der mag in Teilen rechthaben. Allerdings ist Farrell in meinen Augen zuvorderst ein grandioser Komödiant. Deshalb grandios, weil in seinen Büchern neben dem Witz in seinen verschiedenen Schattierungen auch immer jede Menge Traurigkeit und Nostalgie steckt. Seine Bücher sind beides: tragische Komödien und zugleich komische Tragödien, die Humor jeglicher Couleur beheimaten.

Da tritt eine Irin als lebende Kanonenkugel auf, die zur Freude des malayischen Publikums in die Luft geschossen werden soll. Doch dann gibt es zur Überforderung der lokalen Veranstalter Probleme mit dem Kanonenrohr und der Oberweite der lebenden Kanonenkugel. Oder da ist die Teegesellschaft im Majestic Hotel in Troubles, die in einem Gewächshaus ohne Licht sitzt und schon fast von den Pflanzen überwuchert wird. Betagtes Personal klettert aus Luken, Statuen werden gesprengt, es wird nackt im Garten geturnt. Die Empire-Trilogie ist ein Feuerwerk des eleganten, absurden, skurrilen und pointierten Humors, das nur eines (gottseidank) vermissen lässt: Plattheit und Unterforderung des Publikums.

Hier vereint sich der Humor mit spannenden Rahmenhandlungen, hier bekommt man detailreiche Welten geschildert, die so schon längst untergegangen sind. Hier lernt man viel dazu, hier bekommt man einen Eindruck davon, was Kolonialismus einst bedeutete. Bücher, die informieren, unterhalten und den skurrilen, britischen Humor feiern. Eine Trilogie, die genauso wie ihr Urheber immer wieder neue gelesen und besprochen werden sollte.

P.S.: Sparfuchs-Tipp

Wem die fest gebundenen Bücher im Übrigen für ein Kennenlernen zu teuer sind, für den habe ich noch einen Tipp: Matthes&Seitz veröffentlicht nun sukzessive James Gordon Farrells Empire-Trilogie auch als Paperback zum deutlich günstigeren Preis. Troubles ist bereits erschienen, Singapur im Würgegriff folgt in diesem Frühjahr. Es lohnt sich auf alle Fälle!

P.P.S.: Schöne Kritiken zu zwei von drei Werken finden sich auch auf den Seiten von Deutschlandfunk Kultur. Eine ausführliche Kritik zu Singapur im Würgegriff findet sich hier, eine zu Troubles hier.

Diesen Beitrag teilen