Category Archives: Historischer Roman

Esi Edugyan – Washington Black

Man nehme etwa 30 Prozent Jules Verne und 70 Prozent Colson Whitehead, vermische kräftig, rühre einmal um et voilà: man erhält Washington Black von Esi Edugyan. Ein Roman, der von einer unglaublichen Reise erzählt, von Rassismus und von unbändigem Forscherdrang (übersetzt von Anabelle Assaf).


Schon das Cover zeigt die Richtung, in die sich das Buch bewegt. Denn die darauf abgebildete Flugmaschine spielt eine zentrale Rolle in Edugyans Buch. Sie ist es, die den Sklavenjungen George Washington Black und den Weißen Christopher Wilde zusammenbringt. Dieser ist der Bruder von Blacks Herr und Plantagenbesitzer Erasmus Wilde. Jener herrscht auf Barbados über seine Leibeigenen mit sadistischer Härte und quält sie, wo er nur kann. Ganz anders sein Bruder Christopher, der Erasmus besuchen kommt und zu dem Washington schon bald eine Beziehung aufbaut.

Christopher, genannt Titch, ist ein Charakter, der Züge Alexander von Humboldts trägt: Naturwissenschaftler, aufgeschlossener Geist und Abolitionist. Ihn treibt der Plan eines Luftschiffs um – und Washington Black erscheint ihm dafür der perfekte Partner zu sein. Der junge Schwarze ist ein talentierter Zeichner, neugierig und ergänzt sich intuitiv mit Wilde. Zusammen arbeiten sie an dem Start der wunderlichen Flugmaschine, die tatsächlich bald zur Notwendigkeit für Titch und Washington wird. Denn nach dem Freitod von Christophers Cousin müssen die beiden von Erasmus‘ Plantage fliehen. Zusammen treten sie die Reise im Fluggerät an, die die beiden einmal um die Welt führen wird. Südamerika, Nova Scotia und England sind dabei nur ein paar Stationen, die wir mit Washington im Laufe des Buchs bereisen.

Einmal um die halbe Welt

Washington Black ist eine reizvolle Mischung aus historischer Fiktion und Reiseroman. Wie der eingangs erwähnt Jules Verne hat auch Esi Edugyan viel Freude dabei, technische Gerätschaften zu erfinden, mit der sie ihr Personal auf Reisen schickt. Doch eine heitere Schnitzeljagd ist ihr Buch zu keiner Zeit. Stattdessen wirft sie auch einen genauen Blick auf die damaligen Zustände auf Barbados, Südamerika und anderswo. Die brutale Sklaverei (die Colson Whitehead in seinem Roman Underground Railroad ähnlich präzise beschrieb) und die ständige Gefahr, selbst außerhalb der Südstaaten gefangen genommen und versklavt zu werden, Edugyan schildert sie eindrücklich. Sie zeigt den brutalen Rassismus ungeschönt und wie verschiedene Gesellschaften auf Washington Black reagieren (etwa im vermeintlich aufgeklärten England oder im Ewigen Eis).

Dennoch hat ihr Roman nie eine zu große Schwere, weil Esi Edugyan eben auch viel auf Tempo und Handlung setzt. Auf den über 500 Seiten hetzen die beiden Protagonisten manchmal fast etwas atemlos (und für meinen Geschmack zu reibungslos) durch die Weltgeschichte. Kleine Abzüge gibt es von mir auch für die Figurengestaltung, denn Washington Black ist ja eigentlich noch ein Kind. Er hat nie eine Schulbildung erhalten und wird nur kursorisch von Titch erzogen. Dennoch teilt er uns Lesern mit, dass es nach „Holzkohle und Naphthalin“ (S. 337) röche. Woher er eine derartige Benennungsstärke und solche olfaktorischen Kenntnisse hat, das erschließt sich mir nicht ganz. Solche Unstimmigkeiten gibt es einige im Lauf des Buchs, wo die Perspektive verrutscht oder Washington mehr Kenntnisse besitzt, als er eigentlich haben kann. Hier merkt man die Schwäche des historischen Romans, der doch mit unserer heutigen Sicht auf die Welt verfasst ist, statt eine genuine Figur in den Mittelpunkt zu stellen. Auch fehlen Widerstände, die eine solche im Buch beschriebene Reise mit sich bringen würde (Krankheiten, Irrwege, etc.). Alles geht glatt.

Fazit

Nichtsdestotrotz unterhält das Buch wirklich gut. Es besitzt Tempo und Drive, nimmt die Leser*innen mit an exotische Schauplätze und wirft einen Blick auf die Themen Sklaverei und Rassismus. Unstimmigkeiten in der Figurengestaltung oder leichte Unwuchten im Plot seien da verziehen. Ein Buch in der Tradition von Underground Railroad.

Weitere Meinungen zum Buch gibts auch hier: Lesen in vollen Zügen (die auch ein Interview mit der Autorin geführt hat), Schiefgelesen und Bingereader.

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Whitney Scharer – Die Zeit des Lichts

Whitney Scharer schreibt in ihrem Debüt Die Zeit des Lichts ein klassisches Biopic über Lee Miller, die Geliebte Man Rays. Nicht weniger, leider aber auch nicht mehr.


Ausgangspunkt ist dabei Aufenthalt Lee Millers in Paris. In ihrer Heimat, den USA, war sie als gefragtes Model für Vogue und Co aktiv. Nun verbringt sie ihre Tage in den Bistros und auf den Partys rund um Montparnasse. Bei einer dieser Partys begegnet Lee Miller Man Ray. Der Fotograf hat sich mit seinen Porträtfotografien und Auftragsarbeiten einen Namen gemacht und betreibt ein Atelier, bei dem die Pariser Bohème ein und aus geht.

Die Fotografin Lee Miller

Mit Beharrlichkeit wird Lee Miller zunächst zu Rays Assistentin, später auch zu seiner Geliebten. Im brodelnden Paris der 20/30er Jahre reift Lee zur ernstzunehmenden Fotografin und Künstlerin heran und macht die Bekanntschaft von Personen wie Jean Cocteau, Ilse Bing oder André Breton. Doch nach und nach stellt Lee Miller fest, dass auch in Paris deutlich mehr Schein als Sein herrscht. So mancher strahlende Künstler stellt sich doch eher als trügerisch und falsch heraus. Auch Man Ray selbst hat seine Abgründe und ihre Liaison entpuppt sich als reichlich explosiv. Doch die Amerikanerin kämpft um ihre Selbstbestimmung und künstlerische Anerkennung. So ist Die Zeit des Lichts auch eine Geschichte des Kampfs gegen Konventionen und eine Geschichte einer Emanzipation.

Ein brodelndes und rauschhaftes Paris

Whitney Scharer entführt mit ihrem Debüt direkt hinein in ein pittoresk-brodelndes Paris voller Bistros, Kleinkunstbühnen und rauschhaften Partys. Künstlercliquen ziehen durch die Stadt, private Mäzene schmeißen Gatsby-ähnliche Partys. Sie inszeniert die Stadt und ihre Bewohner als großen Rausch, in dem sich Lee Miller zunehmend sicherer und souveräner bewegt.

Doch weder für die Schilderung der Kunst der Fotografie noch der von Paris findet Scharer neue Wege oder einen überzeugenden Zugriff. Genauso gut hätte der Roman in Berlin zur gleichen Zeit spielen können, Unterschiede wären nicht auszumachen. Und auch von der Faszination, die durch Bilder entstehen kann, konnte mir Whitney Scharer kaum etwas vermitteln. Das Problem, das ich schon bei William Boyds Die Fotografin hatte, kam auch bei Die Zeit des Lichts für mich zu tragen: die Übersetzung der Welt des Bildermachens in die der Sprache klappt nur bedingt. Eine eigene Möglichkeit, das Fotografieren und dessen Reize in Sprache zu übertragen, auch Whitney Scharer findet sie nicht.

Unkonventionelles Leben, konventioneller Roman

So unkonventionell das Leben Lee Millers auch gewesen sein mag, so konventionell ist leider das Buch gestaltet. Wir lernen zu Beginn Lee als Schatten ihrer selbst kennen. Als Kolumnistin für Kochkultur verdingt sie sich und bewirtet daheim große Tafelrunden. Sie ist dem Alkohol alles andere als abgeneigt und die Zeit war nicht gut zu ihr. Ihre Chefin stellt sie bei einer dieser Tafelrunden vor die Wahl: entweder beschreibt Miller ihre Lebensgeschichte, oder ihr Vertrag als Kolumnistin endet.

Mit diesem erzählerischen Kniff setzt dann die Rahmenhandlung ein, die die chronologisch die Paris-Phase aus Lee Millers Leben schildert. In diese geradlinig ablaufende Erzählung schneidet Whitney Scharer immer wieder kurze Episoden aus Millers Leben als Kriegsfotografin während des Zweiten Weltkriegs. Doch wie wurde aus Lee Miller diese Kriegsreporterin? Was passierte zwischen ihren Erlebnissen in Paris und im Zweiten Weltkrieg? Was geschah, bis wir Lee Miller im Prolog 1966 und Epilog 1974 wiedertreffen? All das erzählt Whitney Scharer zu meinem Bedauern nicht. Die Zeit des Lichts ist für mich voller Leerstellen, die ich gerne von der Autorin gefüllt bekommen hätte. Lee Millers Leben gäbe dies ja auf alle Fälle her. Aber stattdessen viel Weißraum in diesem Biopic, das von Nicolai von Schweder-Schreiner aus dem Englischen übertragen wurde. Leider für meinen Geschmack zu konventionell und zu brav, als dass es mich wirklich begeistert hätte.


Ein kleiner Tipp am Rande: wer neugierig geworden ist auf die Beziehung von Man Ray und Lee Miller, dem sei die unten angehängte Arte-Doku anempfohlen. Und ein Interview mit Whitney Scharer gibt es auch, und zwar unter folgendem Link.

https://www.youtube.com/watch?v=fVA4AG67BmI
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John Meade Falkner – Moonfleet

Der Dezember wird immer mehr zu meinem Klassikermonat. Nach di Lampedusas Der Leopard und Kästners Drei Männer im Schnee gibt es nun einen britischen Klassiker. John Meade Falkners Roman Moonfleet entführt in ein kleines Dorf an der südenglischen Küste. Darin beschwört er eine Zeit herauf, als noch Schoner und Schmuggler vor der Küste kreuzten. Ein Buch, das auch nach über 120 Jahren seit Erscheinen nichts an Tempo, Action und Abenteuer eingebüßt hat. Genau das Richtige für die Weihnachtsfeiertage, um sich auf eine nostalgische Reise ins 19. Jahrhundert zu begeben.


Ursprünglich erschien Falkners Buch im Jahr 1898. Es ist das mittlere von insgesamt drei Werken, die John Meade Falkner zeitlebens verfasste. Neben den zwei anderen Romanen schrieb er um die Jahrhundertwende auch Handbücher über die Landschaften in Oxfordshire und Berkshire sowie Gedichte, die posthum veröffentlicht wurden. Sein berühmtestes Buch ist aber zweifelsohne Moonfleet, das als Klassiker der Abenteuerliteratur gilt. Dass die Popularität und Faszination ungebrochen ist, das zeigt nicht zuletzt auch eine Verfilmung als Miniserie, die im Jahr 2013 ausgestrahlt wurde.

Im Deutschen existieren auch zahlreiche Ausgaben dieses Werks. Unter anderem erschien 1995 das Buch in der ungekürzten Neuübersetzung durch Oliver Koch in der Reihe Bibliothek der klassischen Abenteuerromane. Andere Autoren, die in dieser vergriffenen Bibliothek versammelt wurden, waren beispielsweise Wilkie Collins und Alexandre Dumas.

Auch der Münchner Kleinverlag Liebeskind nahm sich (zum Glück!) dieses Buchs an. In der Übersetzung von Michael Kleeberg erschien Moonfleet hier im Jahr 2016 und ist auch noch im Buchhandel lieferbar. Ein Glücksfall, wie ich finde, denn das Buch bietet jede Menge nostalgischer Unterhaltung, die an Klassiker des Genres wie etwa Robert Louis Stevensons Die Schatzinsel erinnert.

Auf der Jagd nach Blackbeards Schatz

Ausgangspunkt der Geschichte ist das Dörfchen Moonfleet, in dem der junge John Trenchard lebt. Dieser erzählt uns als Leser*innen aus der Ich-Perspektive seine unglaubliche Geschichte.

Dort in Moonfleet wächst Trenchard bei seiner Tante auf, der er mit seinem verträumten Wesen ein Dorn im Auge ist. Am liebsten verbringt er die Tage mit dem Beobachten des Meeres. Doch nicht nur er interessiert sich sehr für das maritime Leben vor der Küste Dorsets. Auch der Großteil der übrigen Bevölkerung schaut genau hinaus auf Meer – denn Moonfleet ist ein Schmugglernest. Von der anderen Seite des Ärmelkanals bringen die Schmuggler in Nacht-und-Nebel-Aktionen Güter wie etwa Fässer voller Alkohol in die Verstecke auf der englischen Seite. Dabei ist sehr viel Vorsicht geboten – denn nicht nur die Obrigkeit versucht, die Schmuggler festzusetzen. Auch die Strömungen vor der Küste sind höchst tückisch. Immer wieder erleiden Schoner dort Schiffbruch und werden dann von der lokalen Bevölkerung geplündert.

Dabei ist dieses kriminelle Verhalten schon fast eingeschrieben in die DNA der Bevölkerung von Moonfleet. Denn einer der Vorfahren der lokalen Lehnsherren soll der legendäre Freibeuter Blackbeard gewesen sein. Jener Blackbeard versteckte vor seinem Ableben einen Diamanten irgendwo in der Gegend. Diese Legende beschäftigt nach wie vor die Einwohner*innen – allen voran natürlich John mit seiner lebhaften Fantasie. Er will den sagenumwobenen Diamanten unbedingt aufspüren. Dass auf dem Edelstein der Legende nach ein Fluch liegen soll, hindert den jungen Mann nicht.

Seine Suche nach dem Diamanten löst ein turbulentes Abenteuer aus, das zu einer gefahrenvollen Schatzsuche wird – Überfälle, Flucht, Verstecke etc. inklusive. Falkner bietet in seinem Buch alles auf und schickt John Trenchard und seinen Ziehvater, den Schmuggler Elzevir Block, auf eine ebenso temporeiche wie turbulente Reise.

Maritime Schatzsuche wie aus dem Bilderbuch

Ein Diamant, auf dem ein Fluch lastet. Ein Versteck, das noch niemand gefunden hat. Das gefährliche Schmugglerleben. Ein mit allen Wassern gewaschener Schmuggler, der John unter seine Fittiche nimmt. Verrauchte Dorfgasthäuser, in denen der Gin und die Legenden zirkulieren. All das sind natürlich Zutaten für eine Abenteuergeschichte wie aus dem Bilderbuch. Falkner erzählt sie in einem gelungenen Ton aus jugendlich-naiver Schilderung und Rückblenden eines erwachsenen Mannes. Die Kapitel tragen dabei sprechende Namen (Die Springflut, Die Flucht etc.).

Auch nach über 120 Jahren besitzt dieses Buch einen Drive und eine Erzählkraft, die zeitlos ist. Falkner treibt seine Handlung immer wieder voran, hält mit erzählerischen Kniffen das Tempo hoch und schildert plastisch das Treiben in Moonfleet. Dass dabei das Rollenbild natürlich auch ebenso historisch ist, sollte niemanden verwundern.

Frauen existieren in dieser Welt kaum, es sind im Buch eigentlich nur zwei relevante Figuren, die Johns Welt bevölkern. Die eine Frau ist seine Angebetete (und natürlich schutzbedürftig und dem Helden erlegen), die andere ein wahrer Hausdrachen, die als Ziehtante John mit frömmelnden Traktaten und Vorwürfen überzieht.

Die wirkliche Mutter findet er vielmehr in der Gestalt des Schmugglers Elzevir, der sich des Jungen annimmt. Diese Beziehung schildert Falkner auch sehr emotional und fürsorglich. Ein Kontrast zu der sonstigen Handlung, bei der John schon einmal in bester Rambo-Manier durch einen Fensterladen eines Hauses bricht.

Fazit

Insgesamt ist Moonfleet ein absolut stimmiges Buch, das einen in seine Kindheit zurückversetzt, in der man gerne noch Pirat war und mit Jim Hawkins und Konsorten durch Bücher wie die Schatzinsel jagte. Ein in meinen Augen zeitloser Klassiker, dessen Neuauflage im Liebeskind-Verlag auf alle Fälle sinnvoll ist. Hier ist ein echter Abenteuer-Klassiker (wieder) zu entdecken!

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Christoph Poschenrieder – Der unsichtbare Roman

Das Notizbuch [Gustav Meyrinks] ist auch deshalb interessant, weil darin Ideen und Entwürfe für andere (nicht realisierte) Romane festgehalten sind, darunter ein „Freimaurerroman“ – ein Projekt, an dem Gustv Meyrink wahrscheinlich in den Jahren 1917/18 arbeitete, das er aber schließlich wieder verwarf (…) die Informationen darüber sind spärlich …

Theodor Harmsen, in: Der magische Schriftsteller Gustav Meyrink

Das unvollendete und wahrlich apokryphe Romanprojekt von Gustav Meyrink steht im Mittelpunkt von Christoph Poschenrieders neuem Roman. Nachdem der Münchner Romancier mit seinem letzten Werk enttäuschte, legt er nun ein hochspannendes Buch vor. Ein Buch, bei dem die Form fast noch interessanter als sein Inhalt ist.

Das Buch kreist um jenen titelgebenden unsichtbaren Roman, den Gustav Meyrink 1917 produzieren soll. Der Schöpfer des Golems und anderer zumeist satirischen Werke gilt den Machthabern in Berlin als der richtige Mann. Er soll für das Kriegsministerium einen Roman verfassen, der eindeutig die Schuldfrage am Ersten Weltkrieg klärt. Propaganda, Deutungshoheit, Spin Doctors sind keine Erfindung unserer Tage. Auch schon im Großen Krieg wollte man die Deutungshoheit über die Geschehnisse behalten. Und so soll Meyrink eben ein Buch verfassen, das einer bestimmten Partei die Schuld für den Kriegsbeginn in die Schuhe schiebt. Der Vorschlag aus dem Kriegsministerium: die Freimaurer würden sich doch anbieten.

Eingedenk seiner finanziellen Situation (ein Bankrott in Prag liegt hinter ihm, der Starnberger See vor der Haustür seiner jetzigen Immobilie) willigt Meyrink ein. Doch dann das: völlige Schreibblockade. Das Einzige, das Meyrink gut von der Hand geht, ist die kreative Vertröstung seiner Auftraggeber. Doch ansonsten bleiben die Seiten weiß. Keine Ideen, kein Zugriff aufs Thema, keine Vision, was er mit dem Buch anstellen soll.

Von diesen Schreibblockaden erzählt Poschenrieder durchaus humorvoll. In einer eleganten Sprache, den hohen Ton wie zuletzt in seinem Buch Das Sandkorn suchend, wirft er einen Blick in Meyrinks Seele. Doch nicht nur von den Schreibblockaden erzählt Meyrink – auch das Leben und Schaffen dieses heute schon wieder fast vergessenen Autors erzählt Poschenrieder.

Meyrinks Werdegang ist genauso ein Thema wie die Münchner Räterepublik mit all ihren turbulenten Verwicklungen. So spielt neben Meyrink auch Erich Mühsam eine wichtige Rolle sowie sein Gegenspieler- der spätere erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner, der den Freistaat Bayern proklamierte.

Eine Möbiusschleife als Vorbild

Ein spannendes Leben ist es, das Christoph Poschenrieder da schildert. Doch noch spannender scheint mir die Konstruktion seines Romans. Denn diese hat es in sich. So gibt es zum Einen erst einmal die in der 3. Person geschilderten Erlebnisse von Meyrink und seine Versuche, den vermaledeiten Roman zu Schreiben. Zum Anderen gibt es dann aber auch noch Erzählungen von Meyrink selbst, die dieser in der 1. Person aus der Ich-Perspektive schildert.

Dann ist Der unsichtbare Roman aber auch voll von Recherchenotizen und Trouvaillen, die sich während der Entstehung des Schreibprojekts angesammelt haben (so suggeriert es Poschenrieder zumindest in meinen Augen). Sie sorgen für so etwas wie Struktur im Roman, auch wenn die Verbindung von Recherenotiz und dem nachfolgenden Kapitel manchmal etwas versteckt erscheint.

Eine Erzählung wie eine Möbiusschleife

Und dann ist da zuvorderst natürlich das Ende des Romans, das eigentlich wieder den Anfang des Buchs bildet. Denn plötzlich gelingt es Poschenrieder, die vorher gelesenen circa 260 Seiten in neuem Licht erscheinen zu lassen. Wie bei einem Möbiusband verdrillt und verdrahtet er höchst geschickt die einzelnen Erzählstränge seines Buchs zu einem neuem Roman, der alles davor Gelesene in einen anderen Bezug setzt. Plötzlich ergibt zuvor scheinbar Sperriges oder Widersprüchliches einen neuen Sinn. Das ist schlau gemacht und erfordert nach der Lektüre eigentlich gleich einen zweiten Durchgang des Romans. Da Capo in Romanform könnte man sagen.


Hier findet Christoph Poschenrieder endlich wieder zu Spielfreude und einer tollen Montagetechnik zurück, die durch einen wirklich eleganten Erzählton zum Vergnügen wird, wenn man sich darauf einlassen möchte. Ein Buch, das an vorherige Glanzzeiten (hier sei Das Sandkorn und Die Welt ist im Kopf genannt) anschließt.

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Carys Davies – West

Wann habt ihr das letzte Mal für eine Sache gebrannt? Eine Sache, für die ihr alles stehen und liegen gelassen habt? Eine Sache, die es euch wert war, alle Annehmlichkeiten hinter euch zu lassen? Eine Sache, die andere abgetan haben und euch belächelt haben?

Selbst nach einigem Nachdenken komme ich auf kein Anliegen oder kein Ding, für die ich so gebrannt hätte oder es mir vorstellen könnte. Ganz anders da der Maultierzüchter Cy Bellmann. Er ist nach der Lektüre eines Zeitungsartikel völlig entflammt. Im Westen der USA, dem großen unbekannten Land, wurden gigantische Knochen entdeckt, so heißt es. Diese Meldung lässt Bellmann keine Ruhe, und so begibt er sich auf eine Reise, auf der er alles hinter sich lässt, was ihm einmal etwas bedeutet hat.

Unterwegs gen Westen

Sie ihn dir genau an, Bess, diesen einfältigen Menschen, meinen Bruder John Cyrus Bellman. Einen größeren Dummkopf wirst du nie wieder zu Gesicht kriegen. Wenn man mich fragt, zählt er ab heute zu den Verlorenen und Verrückten. Erwarte nicht, ihn jemals wiederzusehen, und wink ihm bloß nicht hinterher, sonst glaubt er am Ende noch, du wolltest ihm deine besten Wünsche mit auf die Reise geben. Und jetzt komm ins Haus, mein Kind, mach die Tür hinter dir zu und vergiss ihn.

Davies, Carys: West, S. 9

In der Folge strickt Carys Davies eine Novelle, die Bellmann bei seinem Zug in den Westen beobachtet. Unterstützung bekommt er bei seiner Reise von einem jungen Indianer, der den etwas irreführenden Titel Alte Frau aus der Ferne trägt. Diese beiden reisen unbeeindruckt von Schnee, Hitze, Dürre und sonstige Unbill immer weiter gen Westen.

Derweil harrt seine Tochter Bess daheim aus, die Cy Bellmann der Obhut seiner Schwester überantwortet hat. Doch diese Obhut ist mehr als trügerisch. Denn nicht nur Bellman sieht sich Gefahren ausgesetzt – auch Bess daheim ist bedroht. Und so schafft es Carys Davies, immer wieder zwischen diesen beiden Strängen hin- und herzuwechseln, um sie in einem filmreifen Duell münden zu lassen.

Die Aussparungen ergeben das Bild

West ist ein Buch, das mit Aussparungen arbeitet. Wie im Zeitraffer fasst sie die Reise Bellmans zusammen, die Jahreszeiten folgen rasch aufeinander. Auch Bess‘ Geschichte wird eher in Schlaglichtern denn in einer wirklichen Sequenz erzählt. Wer ein Breitwandpanorama und süffig erzählte amerikanische Entdeckergeschichte lesen möchte, der wird West nicht wirklich bestrickend finden. Für solche Leser*innen empfehle ich lieber das grandiose Butcher’s Crossing von John Williams.

Hier gehören die Aussparungen auch zum erzählerischen Konzept, die den Leser*innen viel Raum für die eigene Fantasie lassen. Auch sprachlich ist West eher reduziert – die blumigen und bunten Panoramen, die das Cover verspricht, löst das Buch so nicht ein. Carys Davies ist eher eine Freundin von nüchterner Klarheit (Übersetzung durch Eva Bonné)

Auch gelingt es der Britin nicht wirklich, die Motivation ihres Helden für die Reise nachvollziehbar zu schildern. Sie ist damit aber auch in guter Gesellschaft. Auch anderen Aufbruchsromanen wie Stefan aus dem Siepens Das Seil oder Lukas BärfußHagard ist dieses Problem zu eigen. Kann man eine solche innere Flamme, die einen zu extremen Taten treibt, nachvollziehbar und literarisch adäquat schildern?

West gelingt es auf alle Fälle nicht, das steht für mich fest. Dass eine einzige kleine Randnotiz in einer Zeitung Bellmans Reise auslöst, das wirkt im Gesamtkontext des Buchs etwas unglaubwürdig und überzogen. Eine Reisemotivation, die sich aus Knochenfunden speist? Um das glaubwürdig zu belegen, blickt Carys Davies zu wenig in ihre Figuren hinein.

Fazit

Doch auch so unterhielt mich West gut, das für mich wirklich eher eine Novelle denn ein Roman ist. Ein Buch, das einen DER amerikanischen Urmythen anhand eines Einzelschicksals noch einmal beleuchtet. Begeisterungsstürme konnte das Buch aufgrund der oben geschilderten Mängel nicht auslösen, aber eine schöne Lektüre für Zwischendurch ist das Buch allemal!


Weitere Besprechungen des Buchs von Carys Davies gibt es unter anderem bei letusreadsomebooks, Esthers Bücher und Hauke Harders Leseschatz.

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