Kakerlakack

Ian McEwan – Kakerlake

Lieber Ian McEwan,

was war das denn bitte? Mit diesem Buch hast du dir leider überhaupt keinen Gefallen getan. Eindrucksvoll beweist du, dass eine gute Absicht noch lange kein gutes Buch ausmacht. Immerhin ist dir das Kunststück gelungen, ein Buch mit Verfallsdatum zu produzieren, das schon wenige Monate nach dem Erscheinen deutlich überschritten ist.


Sicher, ich kann dich verstehen. Dieses Theater um den Brexit, du warst von Anfang an dagegen. Dieser Wahnsinn, den Verbleib in der EU und alle komplexen Abwägungen einfach an eine simple Ja-Nein-Abstimmung zu binden. Und dann auch noch das Theater, das folgen sollte. Remain-Kampagnen, Busse versehen mit offenkundigen Lügen, dutzendfach verschobene Abstimmungen. Brexiteers versus Remainers, Chaos im Unterhaus, sogar ein politisch motivierter Mord. Auch du magst dir verwundert die Augen gerieben haben. Diese Nation, die sich da gerade fröhlich selbst zerlegt, sie soll einst über den halben Erdball geherrscht haben? Schwerlich vorstellbar angesichts dieses Chaos, das die Insel erfasst hatte.

Was aber tun? Erst einmal zur Feder gegriffen und die Unterschrift unter einen offenen Brief gesetzt. Immerhin, John Le Carré, Vivienne Westwood oder Tom Stoppard taten das auch. Über 300 prominenter Brit*innen protestierte gegen den Austritt aus der EU. Aber hat es etwas gebracht? Man sieht es ja recht deutlich.

Das Buch als Protest

Dir war klar, dass es damit nicht getan sein kann. Deine Motivation hat dir dein Diogenes-Verlag auch prominent auf die Rückseite deines Buchs gedruckt: Was kann ein Schrifsteller in diesen Zeiten nur tun? Schreiben! So deine Erkenntnis. Das mag schon alles richtig sein. Aber doch bitte um himmelswillen nicht dieses Buch!

Gewiss, du warst wütend. Und eine Satire war dir früher doch schon einmal gut von der Hand gegangen. Warum also nicht auch jetzt? Und Material war ja auch in Übermaße vorhanden. Eine Nation, die austreten will, aber nicht mehr vor und zurück kann. Eine Regierung, voll mit Exzentrikern und Rücktritten im Wochentakt. Und dann erst dieser Premierminister. Ein Hasardeur, ein Spieler, ein clownesker Eliteschulen-Absolvent, der sich gerne als Mann des Volkes mit wirrem Haar und eigenwilligen Ansichten produziert.

Also die Feder gespitzt und drauflosgeschrieben. Einen wirklichen Plan hattest du allerdings nicht, wie mir nach der Lektüre deines mit viel guten Willem auf 140 Seiten und von Bernhard Robben hurtig ins Deutsche übersetzten Machwerks scheint. Gewiss, du hast dich von Franz Kafka inspirieren lassen. Die Verwandlung, einmal anders herum. Eine Kakerlake, die sich dann in den britischen Premierminister verwandelt. Und dann auch noch der Name. Jim Sams, damit es auch wirklich jeder versteht. Sams – Samsa. Klare Sache! Und fast alle anderen Mitglieder deines Kabinetts – auch eigentlich Kakerlaken. Ja witzig! (Das war jetzt Ironie meinerseits. Nein, ich finde es nicht sonderlich witzig. Der PM eine Kakerlake? Ist das wirklich dein Niveau, der du in wirklich schwarzem Humor einen Nobelpreisträger lügen und täuschen oder eine einen Säugling aus dem Mutterbauch heraus Intrigen beobachten ließt?)

Ein Kessel voll Buntes

Dass diese Idee gerade einmal für ein paar Seiten und einige witzige Sätzen reichen würde, das ging dir dann selbst auf. Also flugs noch ein paar andere Themen hineingezimmert. Eine vogelwilde Theorie namens Reversalismus, die du im Stil eines BWL-Einführungsseminar seitenlang erklärst (für alle Taten, die man verrichtet, muss man Geld errichten. Für alle Erwerbungen hingegen gäbe es Geld). Dann noch ein bilateraler Konflikt mit Frankreich um ein versenktes Fischerboot im Ärmelkanal. Anschließend eine Prise Parodie auf den anderen twitterenden Hasardeur im Weißen Haus und auf Frau Merkel geschrieben. Dann noch ein bisschen übers Abstimmungsverhalten im britischen Unterhaus referiert. Zack fertig, schon ist die Kakerlake fertig.

Dass ein Kessel Buntes voller halbgarer Ideen noch kein Buch ausmacht, das sollte doch auch dir aufgegangen sein? In deiner Kakerlake knirscht es nicht im Er-zäh-lgefüge, nein, es ist schon komplett zusammengebrochen. Platteste Figuren, ein nicht vorhandener Erzählbogen, vier völlig disparate Kapitel, die zwischen Kafka-Adaption, Brexit-Parodie und Shakespeare’schem Intrigenstandel irrlichtern.

Gewiss, an der Realität des Brexits konntest du eigentlich nur scheitern. Das monatelange Chaos, dem man immer fassungsloser beiwohnte. Die Spektakel im Unterhaus voller Oooooorda! und Medien, die in die Brosche einer Verfassungsrichterin seitenweise größte Geschichten hineininterpretierten.

Wie da noch eine vernünftige Satire schreiben, zudem dir auch dein Verlag und das immer näher rückende Datum einer der finalen Brexit-Abstimmungen im Nacken saßen. Aber hättest du es doch einfach gelassen oder das Buch in deine Schreibtischschublade oder einen diskreten Ordner auf deinem Arbeits-PC-Desktop verschoben.

Warum dieses Buch?

So ist Die Kakerlake ein Tiefschlag in deinem Schaffen, ein Buch, das sich in deinem sonst so beeindruckenden Oeuvre ausnimmt wie eine Burger vom Vortag gegenüber einem 3-Sterne-Menü in einem guten Restaurant.

Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen: ich weiß es auf alle Fälle zu schätzen, wenn sich exponierte Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur für etwas einsetzen und einstehen. Aber man sollte auch immer die Wahl seiner Mittel bedenken. So nützt auch eine Satire nichts, wenn sie unlogisch, stumpf und völlig durchschaubar daherkommt. Und vielleicht hättest du sie auch vorher verfassen sollen, als die Abstimmung zum Brexit offensichtlich wurde, als nachher in dieser Form zu lamentieren.

Oder um es kurz zu machen. Lieber Ian, bitte sieh mir es nach: aber ich kann von deinem Buch nur abraten. Du hast so großartige Bücher geschrieben, da sollte über diesen literarische Rohrkrepierer (das Wort Schnellschuss kommt mir zu harmlos vor) ein gnädiger Mantel des Schweigens gebreitet werden.

Diesmal empfehle ich viel lieber ein anderes Buch, das gelungen die Entstehung des Brexits und die Verwerfungen in den sozialen Schichten Großbritanniens nachzeichnet. Ein Buch, das stark in Sachen Analyse ist, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben oder sich zu einfachen Schlüssen verleiten zu lassen.

Der Verfasser des Buchs trägt den Namen Jonathan Coe, das Buch heißt Middle England, wurde von Cathrine Hornung und Dieter Fuchs ins Deutsche übertragen und erscheint im Folio-Verlag. Diese um Welten bessere Alternative zur deiner Kakerlake wollte ich unbedingt noch an dieser Stelle erwähnt haben.

Bitte sieh mir meine offenen Worte nach, aber es war mir ein Anliegen!

Dein Marius

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Cihan Acar – Hawaii

Vier Tage und die Welt steht Kopf. Beziehungsweise Heilbronn. Aber in diesem Buch kommt das letzten Endes auf das Gleiche heraus. Cihan Acars Debüt „Hawaii“ über einen jungen Mann zwischen den Welten und eine Stadt im Ausnahmezustand. Ein politischer Flaneurroman, der punktgenau hineinblickt, in die Verwerfungen unserer Gesellschaft.


Es sind vier Tage im Sommer, die Cihan Acar in seinem Flaneurroman beschreibt. Alles beginnt dabei eigentlich ganz harmlos. Es ist eine dieser Hochzeiten, auf denen man eigentlich gleich wieder gehen sollte. Man kennt kaum jemanden, die Hälfte der Gäste ist schon betrunken und irgendwie gehört man nicht hierher. Auch Kemal fühlt sich etwas deplaziert auf jener Hochzeit, auf der er sich zu Beginn des Buchs wiederfindet. Doch nicht nur auf dieser Hochzeit fühlt er sich fehl am Platz. Auch im wahren Leben weiß er eigentlich überhaupt nicht, wo er hingehört.

Aufgewachsen im migrantisch geprägten Stadtteil Hawaii in Heilbronn war es früh sein Fußballtalent, das ihn aus dem Gros seiner Mitschüler*innen heraushob. So schmiss er die Schule kurz vor dem Abitur, wurde in der Türkei Fußballprofi und ruinierte bei einem Verkehrsunfall sein Bein. Nun ist er mit 21 Jahren wieder in Deutschland zurück. Von den Hawaiianern ebenso misstrauisch beäugt wie von den „normalen“ Deutschen da draußen. Irgendwo zwischen zwei Welten steckend, nirgends wirklich daheim.

Es gärt in Heilbronn

Cihan Acar - Hawaii (Cover)

So beschließt er bei der eingangs geschilderten Hochzeit, einfach zu gehen. In der Folge lässt er sich durch Heilbronn treiben, besucht seine Eltern, Spielhallen und wird Zeuge, wie etwas in der Gesellschaft kippt. Denn jene Hundstage im Juli, die Acar in seinem Buch beschreibt, steigen einigen Heilbronner*innen zu Kopf. So gärt es schon lange in der Bevölkerung, aber in jenen Tagen brechen die Gräben zwischen „Biodeutschen“ und „Migranten“ endgültig auf. Auf der einen Seite die Vereinigung HWA, kurz für Heilbronn Wach Auf. Sogenannte besorgte Bürger, rassistisch, gewaltbereit und bereit für den großen Clash. Auf der anderen Seite die Kankas, eine Gruppe zumeist türkischer Jugendlicher, die sich gegängelt und in dieser Gesellschaft nicht repräsentiert fühlen. Beide Gruppen prallen am Ende der vier Tage aufeinander. Und Kemal wider Willen mittendrin in diesem Clash der Kulturen. Cihan Acar inszeniert diese Konfrontation aufrüttelnd, realitätsnah und weckt Erinnerungen an ähnliche Vorkommnisse in Chemnitz.

Cihan Acar [(c) Robin Schimko]

Die große Stärke von Cihan Acars Roman sehe ich in dieser Realiätsnähe. In Zeiten, in denen Rassismus und Extremismus auf immer krassere Art und Weise um sich greifen, ist Hawaii ein Kommentar der Gegenwart. Er weckt Verständnis für die Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund und thematisiert die Frage migrantischer Idenität auf nachvollziehbare Art und Weise. Leider ist ausgerechnet Acars Titelheld für mich ein weitestgehend belangloser Pappkamerad.

Schulabbrecher, Fußballstar, Millionär, dann gescheitert Heimkehrender. Kemal als Ich-Erzähler fehlen für meine Begriffe leider die Brüche und die Reibungspunkte, die eine interessante Persönlichkei ausmachen. So darf Kemal zwar in der Tiefgarage mit seinem geschrotteten Auto plaudern wie weiland Macbeth mit dem Geist Banquos. Das macht aus ihm aber lange noch keine Figur mit Tiefgang. Zudem ist die Sprache in Hawaii für mich auch nur durchschnittlich zu nennen.

Wie ist „Hawaii“ zu bewerten?

So gilt es für mich, zwei Seiten abzuwägen. Da sind zum einen die Figuren, allenvoran Kemal, denen es an Tiefe gebricht. Eine interessante Biografie oder einigermaßen komplexe Charaktere haben sie alle nicht. Auf der anderen Seite schafft es Cihan Acar aber auch wirklich gut, trotz oder vielleicht gerade wegen der Schablonenhaftigkeit seiner Figuren, gesellschaftliche und politische Themen in Hawaii zu verhandeln. Die Aktualität, mit der Acar Verwerfungen in unserer Gesellschaft beschreibt, ist nach Chemnitz und Hanau kaum zu übertreffen. Und aufgrund dieser Unmittelbarkeit, die Acar in Hawaii gelingt, bin ich doch geneigt, dieses Buch als äußerst gelungen zu bewerten, trotz aller Einwände, die ich habe. Ein hochaktueller, politischer Flaneurroman, der zeigt, das Heilbronn literarisch deutlich mehr als nur das Käthchen bietet.


  • Cihan Acar – Hawaii
  • ISBN 978-3-446-26586-8 (Hanser Berlin)
  • 256 Seiten, 22,00 €

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Literatur-Soiree mit Ingo Schulze

Heute auf den Tag vor einhundert Jahren wurde die Stadtbücherei Augsburg gegründet. Ein Umstand, für den ich sehr dankbar bin, schließlich versorgen mich die Bücherei und ihre Zweigstellen nicht nur mit den neuesten Medien, sondern auch mit Lohn und Brot. So ein runder Geburtstag muss natürlich auch gefeiert werden. Morgen und am Samstag geschieht das dann. Am Freitag nur für geladene Gäste, am Samstag dann aber für alle Augsburger*innen. Am Abend findet nämlich wieder eine Literatursoiree in Zusammenarbeit mit der Augsburger Allgemeine statt.

Gast ist diesmal der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Ingo Schulze. Wikipedia zählt über 20 Ehrungen auf, die Schulze im Laufe seiner Schrifststellerkarriere sammeln konnte. So zählt der Brecht-Preis der Stadt Augsburg zu einer seinen vielen Auszeichnungen. Im Jahr 2007 konnte er den Preis der Leipziger Buchmesse erringen. Dieses Kunststück könnte ihm auch dieses Jahr wieder gelingen (wenngleich die Messe und damit auch die Preisverleihung ja erst einmal abgesagt wurden). Mit seinem Roman Die rechtschaffenen Mörder ist er auch in diesem Jahr wieder für den Preis nominiert. Am 07.03.2020 wird er aus diesem Roman in der Stadtbücherei vorlesen und nachher im Gespräch Auskunft über das Buch und sein Schreiben geben. Sicherlich hoch spannend, denn die Kurzbeschreibung seines neuen Romans klingt wie ein Kommentar zum Rechtsdrift unserer Gesellschaft:

Ingo Schulze – Die rechtschaffenen Mörder

Wie wird ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär – oder zum Revoluzzer? Eine aufwühlende Geschichte über uns alle.

Norbert Paulini ist ein hoch geachteter Dresdner Antiquar, bei ihm finden Bücherliebhaber Schätze und Gleichgesinnte. Über vierzig Jahre lang durchlebt er Höhen und Tiefen. Auch als sich die Zeiten ändern, die Kunden ausbleiben und das Internet ihm Konkurrenz macht, versucht er, seine Position zu behaupten. Doch plötzlich steht ein aufbrausender, unversöhnlicher Mensch vor uns, der beschuldigt wird, an fremdenfeindlichen Ausschreitungen beteiligt zu sein. Die Geschichte nimmt eine virtuose Volte: Ist Paulini eine tragische Figur oder ein Mörder?


Im Anschluss an die Lesung gibt es dann wieder einen Literarischen Salon. Mit Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt und Stefanie Wirsching von der Augsburger Allgemeinen diskutiere ich über folgende drei Neuerscheinungen des Bücherfrühlings. Kontroverse Meinungen sind zu erwarten!

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Akiz – Der Hund

Wenn Salz begehrter ist als ein Tütchen Kokain: Akiz‘ Geschichte über einen begnadeten Außenseiter in einem Gourmettempel: Der Hund.


Das Kochen sinnlich ist, verschiedene Reize anspricht und im besten Falle eine Kunst, das ist ein Allgemeinplatz. Für diese Seite des Kochens interessiert sich der Regisseur und Drehbuchautor Akiz in seinem Debüt allerdings nicht. Er schaut dahin, wo es ganz anders zugeht. Wo geflucht, geschlagen und geschuftet wird. Dort, wo der Umgangston mindestens ebenso unbarmherzig wie die Anforderung an Körper und Geist ist: die Küche. Dort, wo teils unter indiskutablen Verhältnissen die Speisen produziert werden, die dann im vorderen Teil des Restaurants dem Gast serviert werden, der vom Zustandekommen seines Gerichts nichts merken soll.

Akiz - Der Hund (Cover)

In einer Küche, in der die Anforderungen noch einmal um ein vielfaches höher sind wie in der normalen Gastronomie, dort schuften Mo und der Hund. Kennengelernt haben sich die beiden in einer Dönerbude. Unter ihrem despotischen Chef versahen die beide ihren Dienst. Mo als Fleischraspler und Döner-Beleger, der Hund als Quasi-Leibeigner, der vom Besitzer des Ladens drangsaliert wurde. Mehr oder minder verwildert, ohne große Sprachkentnisse und ohne jegliche soziale Kompetenzen nahm Mo diesen Hund unter seine Fittiche. Nachdem sie in einem Streit eines Tages den Job quittieren, stehen beide im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße.

Nachdem Mo eine einzigartige kulinarische Kombinationsgabe beim Hund ausgemacht hat, beschließt er, alte Kontakte zu reaktivieren. Über Umwege gelangen sie als Aushilfsköche in die Küche des legendären Gourmettempels El Cion. In dieser Küche, irgendwo zwischen Noma und El Bulli, hat der sagenumwobene Sternekoch Valentino das Sagen. Noch.

Erst nach einer Weile, als der Hund seine Augen wieder öffnete, drehte sich Valentino um und verschwand im Dampf der Küche. Er hatte keine Ahnung, dass der Hund auf dem Weg war, in sein Reich einzudringen wie der Antichrist im Vatikan.

Akiz: Der Hund, S. 32

Zwischen Sinnlichkeit und Derbheit

Der Hund ist ein wilder Ritt. Gerade einmal 190 Seiten hat die Erzählung, die mit unglaublichem Tempo voranprescht. Im Kern ist Akiz‘ Buch eine Aufstiegs- und eine Abstiegsgeschichte. Während sich der Hund von der Gosse bis in den höchsten Gourmettempel vorarbeitet, sinkt Valentinos Stern unaufhörlich. Als Erzähler dieser beiden Geschichten fungiert Mo, durch den wir als Leser*innen ganz unmittelbar mit dabei in der Welt einer Gourmetküche sind. Die Welt, die sich hinter dem Pass auftut, über den die Essen geschickt werden, lernen wir durch seine Augen sehen. Nur selten verlässt Akiz‘ den Ich-Erzähler Mo, um dann aus auktorialer Perspektive weiterzuerzählen.

Die glühend heißen Pfannen, die Arbeitsunfällen, den psychischen Druck, der in einer solchen Küche herrscht, in der Abend für Abend 200 Gerichte über den Pass gehen, die Köch*innen, die sich nachts halb zerschlagen aus dem Hintereingang des El Cion schleppen, all das versteht Akiz‘ durch Mo mehr als eindringlich zu schildern. Die Sprache, die er dafür entwickelt hat, oszilliert beständig zwischen großer Sinnlichkeit und Vulgarität.

Hier, er solle den Mund aufmachen, sagte Valentino und schüttete dem Hund eine winzigen Prise [eines kostbaren Salzes aus Himalaya] in den Mund, drohte ihm, dass er niemandem davon erzählen dürfte, dann legte er sich selbst ein paar Salzkristalle auf die Zunge und schloss die Augen.

Die beiden ließen den Geschmack auf der Zunge zerschmelzen. Auch der Hund schloss die Augen. Vor ihm zogen Wolken vorbei. Steiniger Boden. Trocken Falten unter grauen Haaren. Fell eines struppigen Tiers, vom Wind zerzaust. Karges, verblichenes Kraut, knorriger Wuchs zwischen wuchtigen Felsen.

Akiz: Der Hund, S. 113

Sprachliche Stärken

Akiz ist in seinem Debüt stark, was das Finden von eingängigen Vergleichen und Metaphern angeht. Da glüht der heiße Grill in der Dönerbude wie ein Atommeiler oder die Straßen scheinen am frühen Morgen in feurigen Rot und Gelb, als hätte man sie in tausend Tonnen Glutamat getunkt. Er schafft es, die Welt der Kulinarik in funktionierende Sprachbilder zu überführen, sodass man rasch Hunger bekommen könnte:

Vor dem Hund lag ein in weißes Porzellan gerahmtes, abstraktes Gemälde, in der Mitte war die Leber eines Gans angerichtet, überzogen mit einer brüchigen Glasur aus salzigem Honig, umgeben von krustig gebratenen Bohnen und einem Apfelgratin, so zart, dass er beim bloßen Anblick in sich zusammenfiel und bestäubt war das Ganze mit etwas, das aussah wie Splitter kandierter Rinde.

Akiz: Der Hund, S. 31

Dann ist das Buch aber auch wieder unglaublich derb. Es wird geflucht, die Sprache ist alles andere als jugendfrei. Das geht aber auch völlig in Ordnung, ist die tatsächliche Küchensprache ja oftmals noch derber, als sie hier zu lesen ist. Bis auf einzelne, manchmal etwas verunglückte Metaphern ist dieses Buch auf sprachlicher Ebene wirklich mehr als überzeugend.

Es ist ein filmisches Leseerlebnis, Der Hund zu verschlingen oder sich ihn langsam auf der Zunge zergehen zu lassen. Würde man nach Vergleichen suchen, dann ist Akiz Buch irgendwo zwischen Brad Birds Ratatouille, Süskinds Das Parfüm und Fatih Akins Soul Kitchen einzuordnen. Eines meiner großen Lesehighlights in diesem Frühjahr. Sinnlich, sprachlich überzeugend, mitreißend und temporeich.

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Blogbuster – Auf zu Runde 2

Vor einiger Zeit berichtete ich an dieser Stelle über meine Jurytätigkeit beim Blogbusterpreis 2020. Nachdem ich in der ersten Runde nicht fündig wurde und keines der Manuskripte so überzeugend fand, um mit ihm ins Rennen um den Preis zu gehen, wagte ich den Sprung in den Manuskripte-Pool. In diesen Pool legten die anderen Blogger*innen Manuskripte ab, die sie für vielversprechend hielten, für die sie sich sellbst aber nicht entschieden hatten. Und in diesem Pool wurde ich nun auch schlussendlich fündig.

Drei Manuskripte waren es, die meine Neugier weckten und die ich zur vollständigen Lektüre anforderte. Dabei war die stilistische und inhaltliche Breite wirklich erstaunlich. Hier ein paar ausführlichere Worte zu meinen Entdeckungen.

Tina Ger – Berlin City Blues

Eine alte Bekannte in Sachen Blogbuster ist Tina Ger. Die Autorin landete schon vor zwei Jahren auf der Longlist des Blogbuster. Damals hatte sich Uwe alias Kaffeehaussitzer für ein Manuskript der in Los Angeles lebenden Autorin entschieden. Auch ich habe im Manuskripte-Pool einen Text von Tina entdeckt und zwar Berlin City Blues. Darin entführt Tina Ger uns Leser*innen ins West-Berlin der 80er Jahre. Ihre zwei Helden bekommen es im Roman mit einer Mordserie zu tun, die sowohl der Polizei als auch der Berliner Unterwelt schlaflose Nächte bereitet. Als Vergleichstitel für ihren Roman nennt Tina Ger selbst Bücher wie etwas Clemens Meyers Im Stein oder Als wir träumten. Obwohl damals noch nicht geboren, hat mir die Autorin ein Gefühl davon gegeben, wie es gewesen sein muss, in der alten BRD, als plötzlich in ganz West-Berlin Leichen auftauchten und die Unterwelt noch etwas anders funktionierte als heute.

Andrea Dennemann – Rosario

Einen ganz anderen Tonfall machte ich in der Leseprobe zu Rosario aus. Hier steht ein Bahnwärter im Mittelpunkt, der im italienischen Hinterland der 50er Jahre seinen Dienst versieht. Dieser Rosario Giuseppe Castino geht seinem recht unspektakulären Broterwerb nach, bis die Liebe und eine Kündigung sein Leben durcheinanderwirbeln und es ihn nach Rom verschlägt. Die Autorin Andrea Dennemann selbst nennt im Exposé ihren Roman „leise“ und „poetisch“ – und so ruhig lesen sich auch die ersten Seiten, die Rosarios Leben beschreiben.

Ein Entwicklungsroman im Stile von Pablo d’Ors Die Wanderjahre des August Zollinger, irgendwo zwischen Giuseppe Tornatore und Bahnwärter Thiel.

Yannick Dreßen – Verdichtet

Der Dritte im Bunde ist Yannick Dreßen. Wer sich für Literaturblogs interessiert, könnte vielleicht schon einmal seinen gleichnamigen Blog besucht haben. Auf dem Blog erzählt Dreßen von seinen letzten Lektüren und den entsprechenden Urteilen. Unter dem Reiter Bücherei finden sich auch seine Prosaveröffentlichungen. Eine noch nicht veröffentlichte Arbeit ist sein Roman Verdichtet. In diesem Buch steht der Schriftsteller Friedrich im Mittelpunkt. Eigentlich hat er alles: Erfolg, Familie, Glück. Doch dann erwacht er plötzlich in einer anderen Realität, in der Friedrich Insasse einer Heilanstalt ist. Man eröffnet ihm, dass seine Frau und seine Tochter nicht mehr leben. Doch welche der beiden Welten ist die wahre ? Ein Spiel um Schein und Sein beginnt, bei der ich schon bald nicht mehr sicher war, in welcher Welt der Dichter nun lebt.

Fazit

Das sind die drei Manuskripte, die ich las und für die ich mich bei allen drei Autor*innen von Herzen bedanken möchte. Eine derartige Vielfalt zu entdecken, das hat mir große Freude bereitet.

Wofür hättet ihr euch entschieden? Was spricht euch an? Und was eher nicht?


Ein Wort an dieser Stelle noch zur Kritik, die ich für den vorhergehenden Artikel erhielt: ja, ich zitierte nur Negativbeispiele in meinem Artikel (womit ich nicht hoffe, das Selbstbewusstsein der Autor*innen in ungebührlichem Maße verletzt zu haben, aber deshalb wählte ich ja auch nur einzelne, nicht zuordenbare Zitate). Nach wie vor halte ich dieses Vorgehen für geboten, um deutlich zu belegen, warum in dieser ersten Auswahlrunde nichts für mich dabei war. Persönliche Kritik liegt mir fern und auch eine verletzende Sezierung der einzelnen Leseproben möchte ich (im Gegensatz zu anderen) nicht. Im Gegenteil, wie schon erfolgt, stehe ich auch für privates Feedback der Teilnehmer*innen zu Verfügung, solange dies meine Zeitkapazitäten nicht sprengt. Der Respekt vor der Arbeit, die in den Manuskripten steckt, ist groß. Aber manchmal passt das einfach nicht mit einem Manuskript und mir. Wie das auch des Öftern so bei Büchern der Fall ist. Umso schöner, dass ich nun trotzdem noch drei für mich passende Manuskripte entdecken konnte. In Bälde gibt es dann auch meinen favorisierten Text hier zu lesen. Man darf also gespannt sein!

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