Wolfgang Schorlau – Der große Plan

„Du solltest endlich einmal deinen Kriminalroman schreiben.“

„Das dauert , Georg. Davon verstehe ich ich nichts. Aber du hast doch bei diesem Fall Anschauungsmaterial genug.“

„Georg, deine Fälle eignen sich nicht für Kriminalromane“ (…)

„Wir sitzen zusammen und schauen uns Diagramme und Schaubilder an.“ (…)

„Das ist schon okay, aber kannst du dir vorstellen, dass in einem Kriminalroman Tabellen und Schaubilder abgedruckt werden?“

„Warum nicht?“

„So etwas gab es noch nie. Die Kritiker würden das Buch in der Luft zerreißen.“

„Vielleicht solltest du dich eher um die Leser als um die Kritiker kümmern

„Meinst du, Leser mögen Schaubilder in einem Krimi?“

„Keine Ahnung. Aber man sollte die Leser nicht unterschätzen“ 

Schorlau, Wolfgang: Der große Plan, S. 282 ff

Nein die Leser sollte man tatsächlich nicht unterschätzen. Aber zu lange sollte man sie auch nicht warten lassen, ehe man seinen Lesern einen neuen Kriminalroman serviert. Der Bestsellerautor Wolfang Schorlau weiß das, auch wenn er sich mit seinen neuen Kriminalroman um den Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler Zeit gelassen hat. Nicht so viel Zeit, wie sich Denglers Freund Martin Klein ausbedingt, der seine Freunde Jahr um Jahr mit der Ankündigung des großen Kriminalromans hinhält, aber drei Jahre sind es auch bei Schorlau geworden. So viel Zeit ist seit dem Erscheinen des NSU-Krimis Die schützende Hand vergangen. Der Krimi, eigentlich für den Herbst letzten Jahres angekündigt, wurde noch einmal verschoben, ehe er nun im März 2018 in Schorlaus Hausverlag Kiepenheuer&Witsch publiziert wurde.

Inhaltlich bleibt sich Schorlau seiner Linie treu und präsentiert einen weiteren Doku-Krimi, der sich mit einem großen gesellschaftlichen Thema auseinandersetzt. Waren dies in den Büchern zuvor die Abgründe der Massentierhaltung oder des NSU-Komplexes, widmet er sich nun eines Themas, das zwar aktuell nicht mehr so hochtourig verhandelt wird, ohne das aber zu Hochzeiten keine Talkshow und kein Leitartikel auskam. Die Rede ist von der finanziellen Rettung Griechenlands, die auf dem Höhepunkt der Krise die deutsche Volksseele hochkochen ließ. „Pleitegriechen“, ständig Ouzo Trinkende und faule Griechen, laxer Umgang mit Steuern und Arbeit. Beim Thema Griechenland hat(te) jeder Stammtisch zu reden, befeuert durch eine journalistische Dauerkanonade wider den Schlendrian im EU-Mitgliedstaat.

Schorlau widmet sich differenziert diesem Thema in Gestalt eines Kriminalromans, der sich um das Verschwinden der jungen Anna Hartmann dreht. Die Frau war eines Abens wie von der Bildfläche verschwunden, die Polizei fand keine eindeutigen Spuren und so soll Dengler für das Außenministerium den Fall noch einmal unter die Lupe nehmen, als neutraler Beobachter von Außen quasi. Denn das außenpolitische Interesse an dem Fall erklärt sich dadurch, dass Hartmann für die Troika in Athen aktiv war und die finanzielle Rettung Griechenlands mit überwachen sollte. Doch wer könnte ein Interesse am Verschwinden der jungen Beamtin haben? Dengler beginnt nachzuforschen. Doch er muss feststellen, dass immer, wenn er eine heiße Spur hat, die betreffenden Verdächtigen umgebracht werden oder verschwinden. Welche Pfade hat Anna Hartmann gekreuzt? Oder welchen Geheimnissen war sie auf der Spur?

Der Begriff des Doku-Krimis ist für die Werke Wolfgang Schorlaus wie gemacht, denn Schorlau ergänzt seine Krimis immer um Fakten, Exkurse und Darstellungen, wie dies auch schon das Eingangszitat aus Der große Plan nahelegt. Dies macht aus dem Krimi manchmal ein wirkliches Sachbuch, bei dem die Krimihandlung und Spannung hinter das Anliegen des Autors zurücktreten. In diesem Falle ist das Anliegen, die Griechenlandrettung, ihre Hintergründe und Auswirkungen einmal fernab jeglichen Stammtischgetöses zu erklären. Das ist löblich und informativ, sorgt zugleich aber auch phasenweise für einen Schulbuchcharakter (was sich im Übrigen auch über alle Bücher Schorlaus sagen lässt). Beispielhaft sei hier einer von vielen Dialogen im Buch zitiert, die das illustrieren:

„Wir haben eine Spur“ sagte Dengler. „Ich weiß wirklich nicht, ob sie uns vorwärtsbringt, aber es ist lohnend, der Frage nachzugehen, ob Anna Hartmann die Schulden in illegale, illegtime und legitime Schulden aufgeteilt hat. Wir machen eine kleine Pause, bevor uns Leo die handelnden Personen der Griechenlandkrise vorstellt“

Schorlau, Wolfgang: Der große Plan, S. 275

Man wähnt sich während der Lektüre des Öfteren in einem Unihörsaal oder einer Zeitungsredaktion – doch dann schafft Schorlau auch wieder den Bogen zu seinem Krimi und bindet auch eine zweite Erzählebene neben der Suche nach Anna Hartmann ein. Diese Ebene ist die Erzählung von SS-Kämpfern in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs und den unterschiedlichen Strategien, mit der Schuld umzugehen. Diese Erzählung kann Schorlau zum Ende hin wieder rund mit der aktuellen Erzählung verzahnen und schafft es auch, die Faktenlastigkeit wieder etwas aufzuweichen und mit viel Handlung zu verbinden und zu runden.

Fazit

Hat der Krimi selbst auch manchmal leichte Schwächen, gerade auch in der Figurenzeichnung, -tiefe und den Dialogen, ist das Buch als Gesamtpaket gesehen, eine wirklich spannendes, informatives und erhellendes Buch. Eben genau das, was ein Doku-Krimi liefern sollte. Und Schorlau kann liefern.

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Matthias Göritz – Parker

Meine Erwartungshaltungen an dieses Buch waren hoch – vermisse ich doch etwas in der aktuellen deutschsprachigen Literatur massiv: Politik und den Willen, sich in Debatten einzubringen. Schon einmal habe ich diesen Wunsch in einem längeren Aufsatz geäußert, der sich an dieser Stelle findet. Nun also Matthias Göritz‘ Parker, ein Roman über einen Mann, über die Politik und deren Abgründe – das erhoffte ich mir nach einer ersten Studie des Klappentextes des Buchs. Bekommen habe ich stattdessen etwas anderes – aber der Reihe nach.

Matthias Göritz ist 1969 geboren und betätigt sich als Übersetzer, schreibt Gedichte und fürs Theater. Immer wieder lehrte und schrieb er auch als Dozent und Stipendiat in Amerika an verschiedenen Universitäten und im Rahmen von Förderprogrammen – so auch momentan. Zur Zeit lehrt Göritz an der Washington-Universität von St. Louis.

Den Amerika-Einschlag merkt man auch Parker auch deutlich an. Dies beginnt schon bei der Figur des titelgebenden Matthew Parker (Mutter Deutsche, Vater Amerikaner) und setzt sich in seinem trans-atlantischen Plot fort. Denn wir begleiten Parker dabei, wie er von Amerika kommend eingangs nach Schleswig-Holstein reist, wo seine Talente benötigt werden. Als Rhetoriker und Redenschreiber gibt er ein Seminar und soll den aufstrebenden SPD-Politiker Hans-Christian Mahler coachen. Der Macron von der Waterkant hat nämlich erkannt, dass smarte und redegewandte Politiker in Europa auf dem Vormarsch sind. Und so soll nun Parker Mahler in die erste Reihe der Politik bringen und dessen Vision von einem norddeutschen Silicon Valley mit Reden befeuern und pushen.

Doch der Norden und Schleswig-Holstein speziell sind ein hartes politisches Pflaster. Göritz greift das im Buch immer wieder auf und erinnert an die zahlreichen Skandale, die die Landespolitik stets produzierte. Besonders in Bezug auf die SPD stellt die politische Historie  kein Ruhmesblatt da. Fälle wie die Bespitzelung Björn Engholms in der Barschel-Affäre, das Wahldesaster Heide Simonis oder das Scheitern der SPD-Bürgermeistern Susanne Gaschkes sind nur einzelne Steine in einer Kette von Skandalen – das Register ist lang.

Wer in Schleswig-Holstein nach der Macht greift, der muss über kurz oder lang scheitern, so auch Göritz‘ These, der das an der Figur des Parker durchexerziert. Doch eine Art deutsches House of Cards ist Parker dennoch nicht, denn die Politik ist im Buch eher ein dünner Mantel, der seine Hauptfigur umkleidet. Der Mittelpunkt von Parker ist und bleibt Parker selbst.

Dass Parker dabei gerade im Haifischbecken der Politik mitschwimmt, ist keine Überraschung, Denn es sind seine Fähigkeiten als Redner und auch Blender, mit denen er sich gekonnt über Wasser hält und von Auftrag zu Auftrag laviert. Die wirklichen Triebfedern Parkers weiß sein Schöpfer Göritz dabei gut zu verstecken und diese mit dem Fortschreiten des Buches nur zögerlich zu enthüllen.

Oftmals wirkt Parker und sein ganzes Personal wie die Hochglanz-Räume, in denen sich die Handlung zumeist abspielt. Überall Hotelzimmer und Lofts, in denen auf jedem Meter ein Marcel-Breuer-Tisch oder eine Eames-Chair steht. Vordergründig ist alles auf Hochglanz und Strahlen gebürstet, hinter den Fassaden lauert aber das große Nichts. Genau das ist es auch, das Parker selbst tut – Menschen herausputzen und von ihrer besten Seite präsentieren. Die Abgründe sollte man dabei besser verstecken – doch wehe, wenn sie aufgedeckt werden …

Stark ist Göritz bei Parker in dieser Dichotomie von Schein und Sein. Andere Punkte sind schwächer geraten – denn ganz klischeefrei kann auch er nicht. So sind die Schilderungen der Stehempfänge mit den honorigen Gästen oder das Beharken der Gegner Szenen, die Erwartbares zeigen, darüber hinaus allerdings keine große Tiefenwirkung im Buch entfalten. Man kennt das schon (besser) aus Serien wie etwa The West Wing, Borgen oder dem oben bereits erwähnten House of Cards. Diese Serien sind einfach Maß der Dinge, wenn es darum geht, die Politik in ein Unterhaltungsformat zu überführen. Erwartet man Ähnliches von Parker, dürfte man enttäuscht werden.

Liest man aber Parker als Studie eines zerrissenen Mannes, die eine leichte Politik-Tünche umgibt, dann ist das Buch wirklich stark. Ausflüge in Rhetorik und Kampagnenführung inklusive.

Fazit

Ist Parker der große zeitgenössische Roman über die Politik, ihre Mechanismen und Abgründe? Dem würde ich nur mit großen Einschränkungen zustimmen. Für mich ist Parker vielmehr ein Buch über Schein und Sein sowie die Geschichte eines Mannes, der sich irgendwo zwischen Amerika und Deutschland verloren hat.

 

 

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Stefan Hertmans – Krieg und Terpentin

Mit den Titeln aus dem Hause Diogenes hatte ich in letzter Zeit kleine Probleme. Über Titel wie Bernhard Schlinks neuen Roman Olga oder Leinsee von Anne Reinecke schrieb ich, sie seien Flutschbücher. Bücher also, die gut konsumierbar sind und sich weglesen, die aber keine Langzeitwirkung entfalten. Bücher, denen Reibungsflächen und Widerhaken fehlen, um sich im literarischen Gedächtnis zu verankern. Eher Fälle von gut gemachtem literarischen Fast-Food denn wirklichen Drei-Gang-Menüs.

Und nun kommt im Taschenbuch Stefan Hertmans Krieg und Terpentin daher – und dieses Buch entschädigt für so vieles. Schon die englische Übersetzung dieses Titels hatte ich auf meinen Wunschzettel gepackt. Doch statt auf Englisch lässt sich das Buch nun dank Übersetzerin Ira Wilhelm auch auf Deutsch lesen. Sie hat das Buch des Belgiers Hertmans aus dem Niederländischen übertragen und macht damit ein ganz und gar großartiges Buch zugänglich.


Hertmans versucht in Krieg und Terpentin eine Annäherung an seinen Großvater, dessen Leben er nacherzählt. Dies tut er mithilfe von Tagebüchern, die sein Großvater Urbain erstellte und über das Hertmans Zugang zu ihm fand. Denn es sind tatsächlich die beiden titelgebenden Spannungsfelder des Kriegs und des Terpentins, zwischen denen sich das Leben von Urbain abspielte.

Erinnerungen an den eigenen Großvater

Stefan Hertmans - Krieg und Terpentin (Cover)

Stefan Hertmans Erinnungen an seinen Großvater sind geprägt von dessen Malerarbeiten, die er in seinem heimischen Atelier ausführte. Stets zog sich sein Großvater in seinen Arbeitsraum zurück und malte Szenen, die ihm mal besser, mal schlechter gelangen. Doch welche Tragik und Wucht die Geschichte seines Ahnen barg, davon erfährt Hertmans erst spät durch die Tagebücher und Notizen, die ihm einen völlig neuen Zugang bieten. Abwechselnd von sich und aus der Sicht seines Großvaters berichtend, erzählt der Belgier von Urbain, seiner Familie und seinem Werdegang.

Aufgewachsen in bitter armen Verhältnissen musste er schon bald für den Unterhalt seiner Familie sorgen. Dies tat er unter körperlich anstrengendsten Verhältnissen in einer Genter Eisengießerei. Doch diese Tätigkeit muss Urbain schon bald ruhen lassen, denn 1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Durch das Eintreten der Belgier in den Krieg muss auch Urbain sein Land gegen die Deutschen verteidigen und erlebt Unfassbares. Die täglichen Schrecken des Krieges, Verwundungen, die Schlacht an der Yser – seinem Tagebuch vertraut er schier Unmenschliches an.

Doch die Erlebnisse nach dem Krieg, sein künstlerisches Schaffen und nicht zuletzt die tragische Liebe sind Elemente in seinen Erinnerungen und werden in Krieg und Terpentin verhandelt. Wie Stefan Hertmans dabei die Annäherung an seinen Großvater gestaltet, das berührt tief.

Das Buch besitzt eine große emotionale Tiefe, sowohl was die Erlebnisse Urbains als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen angeht. Über das Buchende hinaus entfaltet das Buch eine Tiefenwirkung und ist Mahnmal und Familienerinnerung zugleich. Für mich ist dieses Buch klar zwischen Oskar Maria Grafs Das Leben meiner Mutter und Erich Maria Remarquez Im Westen nichts Neues verortet. Genau einhundert Jahre nach dem Ende des unfassbaren (aber immer im Schatten des folgenden) Weltkriegs ein echtes Mahnmal, das die Schrecken des Krieges neu und plastisch erscheinen lässt. Ein Buch von großer Strahlkraft und Tiefe und damit das Gegenteil eines Flutschbuchs – eines jener Bücher, denen ich in diesem Jahr von Herzen einen durchschlagenden Erfolg wünsche!

[Quelle Titelbild: les_troupes_belges_allant_de_St-Trond_à_Tirlemont, publication de l’hebdomadaire Le Miroir, CC BY-SA 3.0]

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Emmanuel Carrère – Das Reich Gottes

Mit dem Himmelreich Gottes ist es – ja wie eigentlich? Der Franzose Emmanuel Carrère macht sich in seinem Buch auf eine persönliche Spurensuche und spürt dabei den Anfängen des Christentums und seinem eigenen Glauben nach.

Zwei extreme Phasen erlebte Carrère in seinem Leben: eine Phase des Glaubens und eine des Nicht-Glaubens. Diese versucht er mithilfe von Notizen und Überlegungen nachzuvollziehen und nimmt den Leser so mit auf eine ganz persönliche Reise. Denn der Franzose versucht sich selbst in der Bibelexegese, arbeitet die Lebensgeschichte der Evangelisten heraus und zeichnet die Spuren ihres Wirkens nach. Er sucht nach den Ursprüngen des Christentums, dem Wirken Jesu und historisch verbürgten Momenten. Dabei ist er genauso ein theologischer Amateuer-Forscher wie ein Zweiflender. Immer wieder gelangt er von der Historie zu eigenen Erlebnissen, überführt Erzählungen aus der Bibel in eigenes Erleben und umgekehrt. So wird aus diesem Buch, was immer bei einer solchen Unternehmung nur am Ende stehen kann – eine persönliche Annäherung, deren große Offenheit auch eigene Erinnerungen weckt.

Natürlich drängen sich Vergleiche zu einem ähnlich schreibenden Autoren namens Karl-Ove Knausgard auf, schreiben beide doch sehr persönlich und höchst subjektiv über Erlebtes. Wo sich aber Knausgard in Gedankenströmen und Banalitäten zu verlieren droht, ist Carrére viel unmittelbarer und weiß mit Inhalt zu überzeugen. Seine Überlegungen und Bibelexegesen haben Tiefe und öffnen dem Leser Assozierungsräume. Sein Buch ist eine Mischung aus Reportage, Forschung, Tagebuch und Essay – eine Mischung der Textformen und Gattungen, die erstaunlich gut funktioniert.

Die Lektüre von Das Reich Gottes, seine Beschäftigung mit der Bibeltexten, den Aposteln und der Entstehung des Christentums machen Lust auf eine vertiefende Beschäftigung mit den von ihm im Buch angerissenen Themen. Deshalb seien an dieser Stelle weitere interessante Werke zur Beschäftigung empfohlen, wenn die Lektüre diesen Wunsch geweckt haben sollte: Norbert Hoerster mit Die Frage nach Gott sei an dieser Stelle genauso empfohlen wie (eigentlich immer) die Einführungen des C.H. Beck-Verlags. In diesem Falle heißt der Titel Geschichte des frühen Christentums aus der C.H.Beck-Wissen-Reihe.

Ein Wort des Lobes sei an dieser Stelle auch noch über die Übersetzung von Claudia Hamm gesagt: die schwierige Aufgabe einer angemessenen Übertragung von Carrères Text inklusive der Bibelstellen, die er teilweise selbst neu übersetzte, meistert die Übersetzerin formidabel. Im Nachwort gibt sie vertiefende Einblicke über die Schwierigkeiten und Eigenheiten, die sie sehr gut gelöst hat, wie man nach der Lektüre von Das Reich Gottes konstatieren muss.

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Fernando Aramburu – Patria

Es sind die großen Fragen, die Fernando Aramburu in seinem gewichtigen Roman Patria verhandelt (Deutsch von Willi Zurbrüggen). Schuld und Sühne, Taten und Vergebung – all geschieht bei Aramburu auf der Folie des jahrzehntelang dauernden Kampfs der Basken um Selbstbestimmung. Die Grundlage seines Romans bilden dabei zwei Familien aus dem Baskenland, exemplarisch eine Opferfamilie auf der einen Seite und gegenüber eine, aus deren Kreis ein Urheber des ETA-Terrors stammt. Eine Familiensaga mit Terrorhintergrund sozusagen.

Vor Jahren wurde Txato, der Ehemann von Bittori, vor der eigenen Haustür erschossen. Schon länger zuvor wurde er anonym bedroht und fand sich inmitten einer Verleumdungskampagne wieder. Sein Reichtum als Unternehmer zog die Neider auf sich, die ETA erpresste Gelder von ihm, beschmierte das ganze Dorf mit Parolen und denunzierte ihn als Spitzel. Bittori konnte den Verlust ihres Mannes nie verarbeiten, zu den eigenen Kindern pflegt sie seit dem Mord ein distanziertes Verhältnis. Auch hat sie ihre Verbindungen zu Miren gekappt, einer alten Freundin aus Jugendtagen, deren Familien einst unzertrennlich waren. Doch nun beschließt sie, wieder in das Dorf zurückzuziehen, aus dem ihre Familie einst geflüchtet war.

Alte Wunden brechen auf

Fernando Aramburu - Patria (Cover)

Damit brechen alte Wunden auf. Erinnerungen an den Terror der ETA werden wieder zurück ans Tageslicht gespült – sowohl bei Bittori als auch bei Miren. Denn deren Sohn Joxe Maria sitzt schon jahrelang im Gefängnis, da er den bewaffneten Kampf der ETA um ein autonomes Baskenland unterstützte und dafür auch zu den Waffen griff. Aramburu beleuchtet nun Stück für Stück die Wahrheit über die damaligen Ereignisse, indem er sich den Mitgliedern in Mirens und Bittoris Familie annähert und in Rückblenden alle Geschehnisse aufdröselt. Immer wieder kehrt Bittori dabei an das Grab ihres ermordeten Gatten zurück und erzählt aus ihrem Leben, sodass wir als Leser einer Art Puzzle beiwohnen. Immer weiter fügen sich Teilchen von Vergangenem und Gegenwärtigem zusammen, bis schlussendlich ein Mosaik über Schuld, Sühne und Vergebung entsteht.

Die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Familiensaga zeichnet dabei ein präzises Bild von der Unruhe, die das Baskenland im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung erfasste. Auch wenn das Interesse und der Fokus auf diesem brutalen Konflikt schon lang verschwunden ist – Aramburu schafft es, die Geschehnisse wieder ins Bewusstsein zu rufen und zu sensibilisieren (schließlich endete offiziell der bewaffnete Kampf der ETA erst im Jahr 2011 und hinterließ weit über 900 Opfer).

Sehr vielschichtig zeigt Aramburu in Patria , was hinter dem schlichten Wort des ETA-Terrors steckt. Eindringlich illustriert der Autor, wie sich Risse durch Gesellschaften, Familien und sogar einzelne Personen ziehen. Ein Buch der Fragilität und des Verlustes. Denn eigentlich kennt der Konflikt nur Verlierer, auf Seite der Opfer wie auch der Täter. Besonders deutlich wird das am Schicksal von Miren, die in einigen Passagen bitter konstatieren muss, dass es das Schicksal auch mit ihrer Familie nicht gut gemeint hat. Zu hoch ist der Preis, den auch sie für die Taten ihres Sohnes bezahlen musste.

Ganz groß ist dieser Roman auch in der Montage und darin, wie er seine Geschichte erzählt. Aramburu springt immer wieder von Figur zu Figur, um alle Familienmitglieders aus dem Bittori- und Miren-Clan für eine gewisse Spanne zu begleiten und auszuleuchten, ehe die nächsten Personen an der Reihe. Das ist geschickt gelöst und bringt viel Abwechslung in Aramburus Text – bei über 760 Seiten eine wirkliche Kunst, für die man dem Autor sehr dankbar ist.

Fazit

Fazit: IRA-Konflike oder ETA, bewaffnete Kämpfe mit dem Ziel der Abkapselung gab und gibt es viele, egal ob in Nordirland oder eben im Baskenland. Die Qualität von Aramburus Text besteht nun darin, von den bloßen Schlagzeilen auf das Leben und die Konsequenzen dahinter zu blicken. Gerade da seine Familien so nuanciert gezeichnet sind, gewinnt dieses Buch unglaublich an Tiefe und Intensität. Ein großer Wurf!

Verwiesen sei an dieser Stelle noch auf die hervorragende Beiträge der sachkundigen Isabella Caldart vom Blog Novellieren, die sich in mehreren Beiträgen der Geschichte des Baskenlandes und der baskischen Literatur im Allgemeinen widmet, sowie ein Glossar zum Roman liefert. Mehr als lesenswert und große Empfehlung!

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