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Claire Thomas – Die Feuer

Wer kennt es nicht. Da sitzt man in einer Theateraufführung mit womöglich mehreren Akten und einer Lauflänge über zwei oder drei Stunden – und der Funke der Inszenierung will nicht wirklich überspringen. Das Geschehen auf der Bühne löst nichts in einem aus, stattdessen lässt die Aufmerksamkeit nach und die Gedanken beginnen zu schweifen. Auch den drei Frauen, die in Claire Thomas´ Roman Die Feuer aufeinandertreffen, ergeht es nicht anders. Bei ihnen hat das allerdings ganz unterschiedliche Gründe.

Während auf der Bühne Beckett gegeben wird, lodern die Flammen rund um Melbourne immer höher und Sorgen, Erinnerungen und Überlegungen überlagern alles.


Pünktlich zum Klingeln der Vorstellung hat es Margot in den Theatersaal geschafft. Während draußen vor der Tür um 19:00 Uhr abends noch Temperaturen von vierzig Grad herrschen, ist es im Innenraum des Theaters doch verhältnismäßig kühl. Welches Stück gegeben wird, weiß sie als Abonnentin gar nicht und will sich überraschen lassen. Von ihrem unbekannten Sitznachbar erfährt sie noch, dass es sich um ein Stück von Samuel Beckett handelt, danach öffnet sich schon der Vorhang.

Drei Frauen, ein Theaterstück

Summer hingegen kennt sich sehr gut aus. Sie hat dem Stück schon mehr als fünfmal beigewohnt. Dies allerdings nicht aus Enthusiasmus, sondern weil es ihr Job als Schließerin im Theater erfordert, die Türen rechtzeitig zu öffnen und zu schließen und die Nachzügler im Theater noch einzuweisen. Auf einem Sperrsitz verfolgt sie einmal mehr die Vorstellung.

Claire Thomas - Die Feuer (Cover)

Und dann ist da noch Ivy, die ebenfalls im Zuschauerraum sitzt. Später in der Pause wird sie umschwärmt und verwöhnt werden, was einen einfachen Grund hat. Ivy ist als Mäzenin im Besitz von viel Geld, das natürlich Interesse und Begehren weckt. Auch das Theater möchte von ihren finanziellen Zuwendungen profitieren, weswegen sie als gern gesehener Gast natürlich hofiert wird.

Diese drei Frauen sitzen alle im selben Theaterstück, vom Inhalt bekommen sie allerdings nur wenig mit. Eine bis zu ihrem Rumpf eingegrabene Frau namens Willie unterhält sich im Stück mit ihrem Mann Winnie, der die meiste Zeit abwesend ist. Recht viel mehr passiert nicht in Samuel Becketts Stück Glückliche Tage, was den Frauen viel Raum zum Mäandern der Gedanken gibt.

Da ist die bedrohliche Lage der Feuer rund um Melbourne, die besonders Summer belasten. Ihre Freundin April befindet sich irgendwo da draußen in der Feuerzone und lässt nichts von sich hören. Margot belastet der Rauch in der Luft ebenso wie die Situation ihres Abschieds von der Uni und die schwierige Beziehung zu ihrem dementen Mann. Und Ivy hadert mit ihrem Dasein als stets umschwärmte Geldgeberin, bei der doch eher ihr Vermögen als ihre Persönlichkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.

Ein Theaterabend, drei ganze Leben

All diese Belastungen und Probleme wälzen die Frauen, während Willie auf der Bühne monologisiert. In der Pause werden alle drei Figuren aufeinandertreffen, die von Claire Thomas passenderweise in Form eines Theaterstücks mit reinen Dialogen und Handlungsanweisungen geschildert wird, ehe sie zum zweiten Teil verändert an ihre Plätze zurückkehren und neue Impulse gewonnen haben.

Claire Thomas ist dann aber souverän und klug genug, das Ende nach dem Fall des Vorhangs nicht auszuerzählen, sondern vieles offen zu lassen, womit sie sich natürlich auch an Samuel Becketts existenzialistischen Dramen und Schauspielen orientiert, die es den Zusehenden auch in ihrer Deutung nicht leicht machen und keine einfachen Antworten liefern.

Während die Einheit von Raum und Zeit gewahrt bleibt, fächert sie durch die Gedankenströme der drei Frauen ganze Leben auf, erzählt von Scheitern, Enttäuschungen, Ängste, Gewalterfahrungen und Lebensentwürfen, die doch ganz anders endeten, als sie eigentlich erhofft waren. Auch lässt das Stück selbst Rückbindungen auf die Leben der drei Figuren zu, erlaubt interpretatorische Ausdeutungen und ist reich an Zwischentönen.

Fazit

Das macht aus Die Feuer eine starke, intensive Lektüre, die auf 250 Seiten drei ebenso unterschiedliche wie gleichwertig überzeugende Leben und Schicksale präsentiert. Eine vibrierende Lektüre, die durch die abstrakte Gefahr des Feuers mitbangen lässt und durch die Konzentration auf das kleine Personenensemble Intimität und Eindringlichkeit entfaltet.

Literarisch durch die beständigen Abschweifungen und eingebauten Erinnerungsschleifen rund um das Beckett-Stück interessant erzählt, gönnte sich Claire Thomas den Luxus, nicht alles ganz genau auszubuchstabieren, sondern bei aller Verzahnung der drei Leben auch Leerstellen und Freiräume zu lassen, was das Buch umso überzeugender macht.

Mit Die Feuer reiht sich die australische Autorin nahtlos in ein wirklich exzellentes Bücherprogramm des Hanser-Verlags aus diesem Frühjahr ein, das in dieser Qualität länger nicht mehr da war. Nach Percival Everetts Erschütterung und Fatma Aydemirs Dschinns ein weiteres Highlight. So darf es im Herbst gerne weitergehen!


  • Claire Thomas – Die Feuer
  • Aus dem Englischen von Eva Bonné
  • ISBN 978-3-446-27297-2 (Hanser)
  • 256 Seiten. Preis: 23,00 €
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Doug Johnstone – Eingeäschert

Zu den Trends der letzten Jahre zählen Bücher über das Bestattungswesen. Trauerredner*innen, die ihre Erfahrungen teilen. Bestatter, die von ihrem Job berichten oder die gleich in den Mittelpunkt von Thrillern gestellt werden. Aber auch in leichteren Romanen ist das Gewerbe der Thanatopraxie und alle weiteren damit verbundenen Tätigkeiten mittlerweile keine Tabu.

Ein weiterer Trend ist die Erzählidee von unterschiedlichen, sich gegenseitig beeinflussenden Generationen von Frauen, die – die unzähligen austauschbaren Historiensagas einmal außen vor gelassen – zuletzt recht häufig Anwendung fand, etwa bei Evie Wylds Die Frauen, Alena Schröder oder jüngst bei Lea Dräger.

Man könnte nun im Falle von Doug Johnstone von einem kühl kalkulierten Mashup ausgehen, der einfach zwei Trends in seinem Krimi Eingeäschert amalgamiert hat, um auf Nummer sicher zu gehen und gleich auf zwei Erfolgswellen mitzuschwimmen. Könnte man, wenn der Autor eben nicht Doug Johnstone wäre, der mit dem im vergangenen Jahr ebenfalls im Polar-Verlag erschienenen Krimi Der Bruch einen der besten Kriminalromane des Jahres vorlegte. Nun also drei Generationen einer Bestatterdynastie mit ziemlich unterschiedlichen Charakteren, die doch ihre Familienbande eint.


Ihr Vater benötigte viel länger als erwartet, um zu verbrennen.

Doug Johnstone – Eingeäschert, S. 7

Es dürfte einer der eindrücklichsten Einstiegssätze der jüngsten Zeit sein, den Doug Johnstone an den Beginn seines Romans setzt. Wir lernen die drei Frauen der Familie Skelf hier gerade kennen, als diese auf eigenen Wunsch des Familien- und Firmenoberhaupts Jim Skelf diesen illegalerweise im heimischen Garten verbrennen. Hunderte von Beerdigungen hat er in ganz Edinburgh durchgeführt, nun hat ihn selbst das Zeitliche gesegnet.

Er lässt seine Frau Dorothy, seine Tochter Jenny und seine Enkelin Hannah zurück. Neben den drei Skelf-Frauen sind es zwei Herumtreiber, die den Frauen beistehen und die von Dorothy einst quasi adoptiert wurden, nachdem bei den Halt im Leben verloren hatten. Archie wurde zur rechten Hand von Jim und halb bei der Durchführung von Beerdigungen und dem Tischlern von Särgen. Und Indy, die zweite Streunerin ist nun mit Hannah liiert.

Bestattungen und Ermittlungen

Doug Johnstone - Eingeäschert (Cover)

Sie alle bleiben nun zurück – mitsamt der Firma, die ein skurriles Doppelkonstrukt darstellt. Denn Jim Skelf beschränkte sich nicht nur auf Bestattergewerbe, sondern zog auch noch eine Detektei mit auf, die sich die Räume mit dem Bestattungsinstitut teilt. Schon bald nehmen die drei Frauen den Betrieb beider Firmenzweige auf wieder auf – und stehen vor großen Fragen. Eine befreundete Mitstudentin von Hannah ist spurlos verschwunden. Ebenso verschwunden ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Skelf’schen Bestattungsunternehmens – allerdings schon vor einigen Jahren. Und kurz nachdem die Frauen diese Fälle übernommen haben, melden sich weitere Klienten, die die Hilfe der Frauen in Anspruch nehmen wollen.

Doug Johnstone hat einen Krimi mit ungewöhnlichen Heldinnen geschrieben. Ermittelnde Kriminalbeamte, ausgebuffte Privatdetektive, Forensiker oder Senioren auf kriminalistischen Abwegen, davon ist die Kriminalliteratur übervoll. Aber drei Generationen von Frauen mit Hippiehintergrund, gescheiterten Kolumnistinnenkarrieren oder Studentinnen, die die familiäre Bande und finanzielle Nöte ins Bestattungswesen und dann ins Privatermittlungsbusiness bringt? So etwas liest man doch eher selten.

Ein Krimi voller Realismus

Schön auch, dass Doug Johnstone wie in seinem Krimi Der Bruch auch hier auf Realismus setzt. Hier wird nicht elegant mit dem Dietrich im Schloss gestochert bis die Türe aufspringt und Geheimnisse preisgibt. Hier tritt Jenny Skelf eine Tür, ziemlich ungeschickt und reichlich auffällig ein. Auch sind die Beschattungen und Spurensuchen ohne jeglichen Glamour, der solche Aktionen in anderen Romanen umgibt. Oftmals stehen die Frauen vor Problemen, bei denen sie auch nicht weiterwissen oder scheitern. Verdächtige werden sehr intuitiv und ohne wirkliches Konzept befragt, was natürlich auch schiefgehen kann.

Dass das alles am Ende doch auf einen krimigerechten Showdown hinausläuft und manche mal überraschenderen und mal weniger überraschenden Wendungen auf die Skelf-Frauen warten, das hat das Genre so an sich. Aber innerhalb seines Handlungsraums bietet Doug Johnstone mit Eingeäschert viel realistische Wahrheitssuche, die in einem Fall sogar noch ein altes literarisches Motiv mit Leben füllt (Jane Eyre-Fans dürften auch wissen, welches).

Eine Reflektion übers Sterben und Beerdigung

Nicht zuletzt bietet das Buch auch Impulse, um unseren Umgang mit dem Thema Tod, Sterben und Bestattungen zu reflektieren:

Es war schwer für jeden aus dieser Branche, mit Außenstehenden zu verkehren. Es kam häufig gar nicht gut an, wenn die Leute erfuhren, womit man sich seine Brötchen verdiente. Sie nahmen entweder an, dass man ziemlich morbid sein musste, oder sie hatten ihre eigenen gruseligen Fragen dazu, wie alles funktionierte – Oder sie schreckten komplett vor jeder Unterhaltung zurück, weigerten sich, über Sterblichkeit nachzudenken.

Doug Johnstone – Eingeäschert, S. 203

Doug Johnstone schaut genau hin (was ja schon die Setzung durch den Eingangssatz beweist). Er beschreibt, was nach unserem Verscheiden mit unseren Körpern passiert, was Beerdigungen vorangeht und was in einem Bestattungsinstitut so passiert. Alle, die solche Themen von sich weisen und Memento Mori für einen Charakter aus einem Disneyfilm halten, sie alle werden mit diesem Buch natürlich nicht glücklich werden. Alle anderen erhalten hier einen spannenden und ungewöhnlichen Krimi, dem in Großbritannien schon zwei weitere Bände rund um die Skelf-Frauen nachgefolgt sind.

Fazit

Ich für meinen Teil muss gestehen, dass ich im direkten Vergleich Doug Johnstones deutsches Debüt Der Bruch immer noch um eine Idee stärker fand, da er sich in diesem ganz auf seinen jugendlichen Helden Tyler konzentrierte, anstatt von drei Figuren parallel zu erzählen. Aber auch ohne solche Unterschiede im Millimeterbereich ist hier ein superber Krimi aus Schottland zu entdecken, der durch Realismus und eine ungewöhnliche Prämisse überzeugt.


  • Doug Johnstone – Eingeäschert
  • Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
  • Mit einem Nachwort von Anthony J. Quinn
  • ISBN 978-3-948392-42-0 (Polarverlag)
  • 424 Seiten. Preis: 25,00 €
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Ivy Pochoda – Diese Frauen

Manchmal kommen sie ganz unerwartet daher, die Lektüren, nach denen mir folgender Gedanke durch den Kopf schießt: Darum lese ich! Solch einen unerwarteten Glücksfall und ein lange nachhallendes Leseerlebnis bescherte mir aus dem Nichts heraus Ivy Pochoda mit ihrem Roman Diese Frauen. Ein eindrückliches Leseerlebnis, das für mich Maßstäbe setzt, wie ein guter Thriller heute aussehen muss.


Eine Kultur des Wegschauens

N.H.I – das ist ein polizeiinternes Kürzel, das man in seiner ganzen Unfasslichkeit erst einmal gar nicht erfasst. Die Abkürzung steht für den Ausdruck No humans involved, auf Deutsch etwa „Keine Menschen beteiligt“. Dieser Ausdruck kam bei Drogenabhängigen oder ermordeten schwarzen Prostituierten zur Anwendung, denen man kurzerhand ihre Menschlichkeit und damit eine notwendige Strafverfolgung absprach. Die Abwertung marginalisierter Menschen und potentiellen Straftätern war verheerend. So schlüpfte etwa der Serientäter Lonnie Franklin der Polizei von Los Angeles jahrelang durchs Netz.

Ungestraft konnte er über zwanzig Jahre in Los Angeles schwarze Frauen ermorden, ehe die Polizei 2007 die Community alarmierte. Der erste nachweisbare Morde des später Grim Sleeper genannten Mannes hatte sich bereits 1985 ereignet. Eine Überlebende eines Mordversuchs behandelte die Polizeibehörde nicht als Zeugin, sondern als Verdächtige. Allgemein herrschte in der Behörde trotz der Erkenntnis, dass ein Mörder die Straßen der Stadt unsicher machte, eine Kultur des Ignorierens. Sogar befürwortenden Stimmen für das Tun des Killers gab es im Polizeiapparat, da ja hier auch jemand „endlich einmal die Straßen aufräumen würde“.

Ein skandalöser Fall, der durch Wegschauen und das bewusste Ignorieren von Ermittlungserkenntnissen vielen schwarzen Frauen in Los Angeles das Leben kostete. Ein Fall, der aber auch Erinnerungen an eine ähnliche Mordserie an marginalisierten Personen in Deutschland wachruft, die die Behörden hier ähnlich lasch bis ignorierend verfolgten, ehe das NSU-Trio 2011 aufflog und plötzlich öffentliches Entsetzen darüber einsetzte, wie diese Mordserie all die Jahre nicht nachverfolgt werden konnte.

Und trotz Untersuchungsausschüssen, einem Mammut-Prozess und viel medialer Begleitung kam doch die Seite der Opfer zu kurz. In den USA wie auch hierzulande wird unter dem Schlagwort Say their names gefordert, den Opfern eine Stimme zu verleihen. Woran wir hier immer noch scheitern, das gelingt Ivy Pochoda in ihrem Roman Diese Frauen exzellent. Ein Buch, das lose auf dem Fall des Grim Sleepers basiert und das erfahrbar macht, wie es sich anfühlt, in Kontakt mit einem derartigen Verbrechen zu kommen.

Frauen in Los Angeles

Ivy Pochoda - Diese Frauen (Cover)

Dafür wählt Ivy Pochoda einen vielstimmigen Erzählansatz. Eingeteilt in mehrere Hauptkapitel verleiht sie Diesen Frauen eine Stimme. Da ist eine Frau, die einen Angriff des Mörders überlebt hat. Eine Polizistin mit zu vielen Gedanken im Kopf, die hinter der Mordserie ein Muster sieht. Eine junge Künstlerin, die mit ihren Arbeiten den Toten eine Stimme verleihen will. Und Dorian, eine Mutter eines jungen Mädchens, das ermordet wurde. Schon einmal gab es eine Mordserie an schwarzen Frauen entlang der Western Avenue in Los Angeles, ehe nach einer Pause wieder Frauen umkamen, diesmal eben auch die Dorians Tochter. Das nimmt die Besitzerin einer Fischbude zum Anlass, selbst zu mahnen und für Ermittlungen einzustehen.

Sie alle stehen in Kapiteln im Mittelpunkt, begegnen sich manchmal, beeinflussen sich durch ihr Handeln und treiben die Geschichte voran. Zwischen den Großkapiteln stehen dabei Gedankenfetzen und Schilderungen der Überlebenden, die dem Western-Killer entging. Generell ist festzuhalten, dass jede Figur eine eigene Ausformung ihrer Gedanken und Wahrnehmungen erhält. Die Fischbudenbesitzerin, die immer wieder tote Kolibris in ihrer Umgebung findet. Die Polizistin, der die Gedanken verrutschen und in deren Kopf ein großes Durcheinander herrscht. Die Gattin des Killers, die mit Strenge und Wegschauen ihr Leben zu ordnen versucht. Sie alle sind Figuren, die Pochoda großartig herausarbeitet, ihnen eine eigene Sprache verleiht und so Figuren erschafft, die auch über das jeweilige Kapitel und Buchende in Erinnerung bleiben.

Was eine Mordserie mit den Beteiligten macht, das lässt sich in Diese Frauen unmittelbar erspüren. Die Bräsigkeit des Polizeiapparats, dem einzelne Engagierte gegenüberstehen, die Gefahren, denen Frauen ausgesetzt sind, die systematische Abwertung von Marginalisierten, das ist es, was Ivy Pochoda interessiert und wovon sie auf großartige Art und Weise erzählt. Mag das Buch auch alle Zutaten für einen handelsüblichen Serienkiller-Thriller enthalten, schafft sie es doch, ihr Material so zu gewichten und zu erzählen, dass dieses Buch ganz anders ist als alles, was sich sonst dutzendfach in den Buchregalen findet.

Formal ambitioniert und anspruchsvoll

Ihr Buch ist formal ambitioniert und anspruchsvoll. Durch den Fokus auf die Opfer des Killers und sein unmittelbares Umfeld gelingt es ihr, neu und unmittelbar vom Bösen zu erzählen, das die Gegend rund um die Western Avenue in Los Angeles jahrelang unsicher machte. Diese Frauen ist ein Porträt der dunklen Seiten von Los Angeles, die Ivy Pochoda hier präzise vermisst. Ihr Buch lässt sich auch als feministischer Warnruf auf das Treiben des Grim Sleepers und anderer Serientäter lesen, die jahrelang ungestraft ihren Trieben nachgehen konnten. Das Buch hat mit der Frage vom gesellschaftlichen und polizeilichen Umgang mit marginalisierten Personen ein Thema, das weit über seinen eigentlichen Rahmen und Genregrenzen hinausweist.

Übersetzt wurde dieses Buch von Sigrun Arenz, die weitestgehend einen tollen Job erledigt (auch wenn ich beispielsweise den Terminus des „wildfire“ eher einem „Wildfang“ oder „Wirbelwind“ anstelle eines „Wildfeuers“ vorgezogen hätte) doch ganz großartig, den einzelnen Erzählerinnen auch im Deutschen eine markante Stimme zu verleihen.

Fazit

Wie man meinen Worten vielleicht entnehmen kann: ich bin begeistert und empfehle dieses Buch nachdrücklich. So sehen gute, gesellschaftlich relevante und moderne (Spannungs-)Romane aus. Literarisch hochspannend ausgeformt, formal überzeugend und anders als das Spannungseinerlei. Mit einem gesellschaftlichen Anliegen versehen, dass das Leseerlebnis nie übertüncht, gelingt Diese Frauen das Kunststück, zugleich höchst aktuell und zeitlos zu sein. Eines meiner ganz großen Entdeckungen in diesem Jahr!


  • Ivy Pochoda – Diese Frauen
  • Aus dem Amerikanischen von Sigrun Arenz
  • ISBN 978-3-7472-0218-0 (Ars Vivendi)
  • 356 Seiten. Preis: 23,00 €
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Sharon Dodua Otoo – Adas Raum

Von Ghana bis nach Berlin, von London bis ins KZ Mittelbau-Dora. Von Ada zu Ada zu Ada zu Ada. Von 1459 über 1945 bis in die Gegenwart. So weit reicht das von Sharon Dodua Otoo gespannte Erzählnetz in ihrem Debüt Adas Raum. Ein Buch, das Zeit und Raum in Windeseile durchmisst, meine Erwartungen allerdings nicht erfüllen konnte.


Schon in ihrem 2016 beim Bachmannpreis vorgetragenen Gewinnertext „Herr Göttrup setzt sich hin“ finden sich Elemente, die wie eine Vorstudie zu Sharon Dodua Otoos erstem Roman wirken. Da erzählt eine Entität, die alle möglichen Formen annehmen kann. In ihrer Göttrup-Geschichte eben auch die eines Frühstückseis oder Lippenstift. Und da sorgt eine gewisse Ada im Göttrup’schen Haushalt für Recht und Ordnung. Eine Ada, wie sie sich in Adas Raum dann gleich weitere vier Male manifestiert.

Zunächst lernen wir eine Ada kennen, die in Totope, einem Dorf an der Südküste Ghanas, ihr verstorbenes Kind betrauert. Weiter geht es nach London, wo Ada eine Liason mit Charles Dickens pflegt. Ein Jahrhundert später lernen wir Ada kennen, die im KZ Mittelbau-Dora als Prostituierte für die Inhaftierten arbeitet. Und noch einmal ein paar Jahrzehnte weiter kreuzen wir wieder den Lebensweg einer Ada, die hochschwanger in Berlin eine Wohnung sucht.

Ein Reisigbesen und ein Türklopfer erzählen

Diese vier Frauen bilden das erzählerische Gerüst. Daneben gibt es aber auch noch viele weitere Erzähler, wie das schon bei „Herr Göttrup setzt sich hin“ der Fall war. Nur dass hier kein Lippenstift oder Frühstücksei die Geschichte erzählen, sondern ein Reisepass, ein Reisigbesen, ein Zimmer und ein Türklopfer. Sie alle tragen ihr erzählerisches Scherflein zu der Geschichte bei, die in zwei Schleifen und eine Erzählzeit zwischen den Schleifen gebunden ist. Immer wieder durchmessen wir Raum und Zeit, springen von Ada zu Ada. Viele Erlebnisse oder Ereignisse der Frauen ähneln sich, andere Erfahrungen machen die Adas nur für sich. Verbindendes Element ist auch ein Perlenarmband, das in allen vier Zeitebenen auftaucht. Dazwischen gibt es auch noch einen berlinernden Gott und weitere außergewöhnliche Einfälle.

Für die Erzählung ihrer Geschichte hat sich Sharon Dodua Otoo viel vorgenommen. Sie will von weiblicher Kraft aber auch Unterdrückung schreiben, Schicksale über die Jahrhunderte hinweg betrachten und universelle Themen herausarbeiten. Das gelingt ihr in meinen Augen leider nur bedingt.

Da ist dieses Gefühl, ein unfertiges oder verschwommenes Buch zu lesen. Vier Hauptfiguren in ganz unterschiedlichen Zeiten und Räumen stehen im erzählerischen Fokus. Trotzdem nimmt sich Otoo gerade einmal etwas mehr als 300 Seiten, um von diesen vier Frauen zu erzählen. In Schlaglichtern erzählt sie von ihnen, reißt Motive und Charakteristika des Lebens der Frauen nur an. Immer wieder springt sie von Erzählstrang zu Erzählstrang und belässt vieles dabei im Ungefähren.

Vier Frauen – aber leider wenig Profil

So etwas wie ein klares Profil hatte für mich leider keine einzige der vier Adas. Dafür ist Adas Raum viel zu hektisch und unfokussiert. Auch hat die Figurengewichtung deutliche Unwucht. Die Milieus, in denen die Frauen leben, die soziale Determination, ihren Werdegang, all das fehlte mir, um einen Zugang zu ihnen finden oder auch nur eine der Frauen länger im Kopf zu behalten. Und das, was dann tatsächlich erzählt wird, finde ich im Gegenzug dann zu erwartbar und unterkomplex. Eine Schwarze hat es in Berlin deutlich schwerer, eine Wohnung zu finden. Das Leben im KZ bedeutete Hunger, Grausamkeiten und Hoffnungslosigkeit. Im Ghana des 15. Jahrhunderts war das Leben im Dorf bzw. Stamm die dominierende soziale Norm, bei dem es vor allem auf die Frauen ankam. Das sind alles erzählerische Punkte, die allesamt kaum Überraschung, Einsicht oder Neuigkeitswerte boten.

Es fehlt an Raffinesse, überzeugend herausgearbeiteten Profilen, an literarisch Überraschendem. Für mich blieb der Eindruck von viel Unfertigem, hervorgerufen durch die assoziative Montagetechnik der Schleifen. Natürlich kann man dem entgegenhalten, dass es hier weniger um Einzelfiguren um übergreifende Schicksale und Strukturen geht. Dennoch hätte ich mir persönlich mehr Identifikationspotenzial durch klarere Profile und Settings gewünscht. Es bleibt doch alles recht schemenhaft und für mich zu unkonkret. Und wenn es dann konkret wird, erschöpft sich das Buch in Allgemeinplätzen und gibt die eigene Struktur auf.

Fazit

Meine großen Erwartungen wurden leider enttäuscht. Für mich wirkt Adas Raum wie ein Buch, das erzählerisch von vielen Büchern der jüngsten Vergangenheit überholt wurde. Eleganter (da auch einfacher und klarer ausgeführt) gelingt das jahrhunderteübergreifende Erzählen beispielsweise Hari Kunzru oder David Mitchell im großartigenen Der Wolkenatlas. Präziser in der Beschreibung von sozialen Mechanismen, Ausgrenzung und Identitätsfragen ist für mich Mithu Sanyal in ihrem Roman Identitti. Die Inneneinsichten in das KZ-Lagerleben beschreibt David Schalko in Schwere Knochen überzeugender. Für die meisten Einzelpunkte des Romans kamen mir Bücher in den Sinn, die den jeweiligen Erzählaspekt besser lösen.

Und so steht für mich am Ende dann die Erkenntnis, dass sich meine großen Erwartungen nicht bestätigt haben. Adas Raum ist für mich ein Roman, der mehr will, als er dann tatsächlich kann. Die Kompositionsform wirkt auf mich nicht rund, den Figuren gebricht es an Profil, die erzählerischen Absichten sind mir zu offensichtlich – kurz, ich hätte mir etwas mehr Raffinesse in der literarischen Ausarbeitung gewünscht.

Weitere Meinungen zum Buch gibt es unter anderem beim Deutschlandfunk und in der Süddeutschen Zeitung.


  • Sharon Dodua Otoo – Adas Raum
  • ISBN 978-3-10-397315-0 (S. Fischer)
  • 320 Seiten. Pries: 22,00 €
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Candice Fox – Dark

Candice Fox hat es schon wieder getan. Mit einer beachtenswerten Konstanz erscheint jedes Jahr ein neuer Krimi der australischen Autorin. Mit Dark liegt ein Band vor, der erneut eine Reihe begründen könnte. Und obschon ich bei einer derartigen Publikationsfrequenz stets skeptisch bin: auch hier enttäuscht Fox nicht und liefert gelungene Kriminalliteratur.


Auch nach einer Trilogie rund um den „Herren der Unterwelt“ Hades Archer und die Crimson Lake-Reihe (hier zuletzt Missing Boy) gehen Candice Fox die Ideen nicht aus. Mit Dark beginnt sie eine neue Reihe, die nun nicht mehr auf Fox‘ Heimatinsel Australien, sondern in Los Angeles angesiedelt ist.

Hier versieht die Hispanic Jessica Sanchez ihren Dienst auf dem lokalen Polizeirevier. Bei den Kolleg*innen ist sie nicht wohlgelitten. Der Grund: sie hat einen Cold Case durch Beharrlichkeit nach vielen Jahren zu einem erfolgreichen Ende geführt. Der Vater des Mordopfers hat ihr aus Dankbarkeit für ihre Aufopferung ein millionenschweres Haus vermacht. Das alarmiert nicht nur die internen Kontrollorgane der Polizeibehörde. Auch die Kolleg*innen neiden Jessica die Immobilie und schneiden sie, wo sie können.

Die zweite Hauptfigur in Candice Fox‘ neuester Kreation ist Blair. Die Ich-Erzählerin war früher eine erfolgreiche Chirurgin. Doch nach einer Anklage wegen Totschlags und dem anschließenden Gefängnisaufenthalt, hat sie ihren sozialen Status verloren. Auch ihr Kind musste sie gleich nach der Geburt im Gefängnis in die Obhut einer Pflegefamilie geben.

Eingedenk dieses Hintergrundes ist Blair höchst alert, als ihre ehemalige Mitinsassin Sneak sie um ihre Hilfe bittet. Sneaks Tochter Dayly ist verschwunden. Kurz zuvor hat diese die Tankstelle überfallen, an der Blair nach ihrer Haftenlassung jobbt, um sich durchzuschlagen. Die beiden Frauen beschließen, sich zusammenzutun, um die spärlichen Spuren von Sneaks Tochter zu verfolgen.

Vier Frauen auf der Suche nach Dayly

Hilfe bekommen sie dabei von zwei gegensätzlichen Seiten. In ihrer Not wenden sich die beiden Frauen an Ada, die sie als gefürchtete Bandenchefin noch aus dem Gefängnis kennen. Die vierte im Bunde ist keine Kriminelle, sondern Kriminalerin. Jessica Sanchez unterstützt die Suche ebenfalls. Sie treibt primär nicht die Suche nach Sneaks Tochter sondern das Gefühl einer Verpflichtung Blairs gegenüber. Die Ahnung aus , im Falle der Verurteilung Blairs einige entscheidende Details übersehen zu haben, sie lässt Jessica nicht los. Und so beteiligt sich an der Suche nach Dayly.

Candice Fox - Dark

So suchen die vier Frauen aus ganz unterschiedlichen Motiven nach Dayly, deren Spuren ins Hinterland von Los Angeles führen. Dort im Niemandsland verlieren sich die Spuren.

Konkreter allerdings werden die Spuren im Falle von Blair. Jessica vertraut, unbeirrt vom Mobbing ihrer Kolleg*innen, ihren Instinkten, und geht den alten Spuren nach. Immer stärker wird ihre Ahnung, damals im Fall der Verurteilung etwas Entscheidendes übersehen zu haben. Und so entwickeln sich in Dark zwei Spurensuchen. Die nach dem Verbleib Daylys und die nach den Hintergründen von Blairs Tat.

Dabei kommen dem regelmäßigen Leser der Werke Candice Fox‘ einige Motive sehr bekannt vor. Dass jemand für eine Tat verurteilt wurde, dessen Unschuld beziehungsweise der korrekte Tathergang im Laufe des Buchs offenbar wird, das war schon in ihrer Crimson Lake-Reihe ein zentrales Motiv. Auch andere Elemente kennt man, wenn man schon Bücher der Australierin gelesen hat. Das Mobbing durch Polizeiangehörige oder ungewöhnliche Haustiere, zu denen die Protagonist*innen eine Bindung entwickeln, all das sind Fox’sche Versatzstücke, die auch schon in anderen Büchern Verwendung fanden.

So fällt das Buch, im Gesamtkontext von Candice Fox‘ Schaffen betrachtet, nicht unbedingt durch Innovation auf. Vielmehr wirkt Dark stellenweise wie ein Remix aus früheren Erfolgstiteln der Australierin.

Candice Fox‘ knappe Figuren und Dialoge

Auch lässt die Figurenzeichnung und die manchmal fast comicartige Dialogregie zu wünschen übrig.

Dann: „Willst du mich verarschen?“

„Was? Liege ich etwa falsch?“

„Aber so was von, Bitch! Ich bin doch keine ersiffte Taube, die man vom Highway retten muss! Ich bin ein Raubvogel. Solche Opfer kill ich. Eiskalt!“

Mir erstarrt das Grinsen im Gesicht

„Wenn du jemandem diese Scheiße erzählst, tätowiere ich deine Fersse mit dem Taschenmesser!“

„Mach ich nicht“ stammelte ich, aber sie hatte schon aufgelegt.

Fox, Candice: Dark, S. 120

Für sich genommen liest sich das stellenweise schon arg dünn und klischiert. Aber wie es Candice Fox gelingt, die Perspektiven der vier Frauen auszubalancieren, die Handlung voranzutreiben und dann einen multiperspektivischen Showdown über zwei Erzählstränge anzulegen – das ist gut gemacht und zeigt ihr schriftstellerisches Können. Das Tempo ist bestechend hoch und so etwas wie Langeweile kommt auf den Seiten von Dark eh nie auf. Da nimmt man auch den ein oder anderen misslungen Dialog in Kauf.

Gekonnt beschreibt sie die ihren Schauplatz Los Angeles, weckt Sympathien der Leser*innen und unterhält auf einem wirklich tollen Niveau, sieht man über manche Dialoge und allzu grobe Pinseleien hinweg. Mit ihren vier Frauen renoviert sie das männderdominierte Genre des Krimis ordentlich. Davon gerne noch mehr!


  • Candice Fox – Dark
  • Übersetzt von Andrea O’Brian
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47101-2 (Suhrkamp)
  • 394 Seiten. Preis: 15,95 €
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