Wer kennt es nicht. Da sitzt man in einer Theateraufführung mit womöglich mehreren Akten und einer Lauflänge über zwei oder drei Stunden – und der Funke der Inszenierung will nicht wirklich überspringen. Das Geschehen auf der Bühne löst nichts in einem aus, stattdessen lässt die Aufmerksamkeit nach und die Gedanken beginnen zu schweifen. Auch den drei Frauen, die in Claire Thomas´ Roman Die Feuer aufeinandertreffen, ergeht es nicht anders. Bei ihnen hat das allerdings ganz unterschiedliche Gründe.
Während auf der Bühne Beckett gegeben wird, lodern die Flammen rund um Melbourne immer höher und Sorgen, Erinnerungen und Überlegungen überlagern alles.
Pünktlich zum Klingeln der Vorstellung hat es Margot in den Theatersaal geschafft. Während draußen vor der Tür um 19:00 Uhr abends noch Temperaturen von vierzig Grad herrschen, ist es im Innenraum des Theaters doch verhältnismäßig kühl. Welches Stück gegeben wird, weiß sie als Abonnentin gar nicht und will sich überraschen lassen. Von ihrem unbekannten Sitznachbar erfährt sie noch, dass es sich um ein Stück von Samuel Beckett handelt, danach öffnet sich schon der Vorhang.
Drei Frauen, ein Theaterstück
Summer hingegen kennt sich sehr gut aus. Sie hat dem Stück schon mehr als fünfmal beigewohnt. Dies allerdings nicht aus Enthusiasmus, sondern weil es ihr Job als Schließerin im Theater erfordert, die Türen rechtzeitig zu öffnen und zu schließen und die Nachzügler im Theater noch einzuweisen. Auf einem Sperrsitz verfolgt sie einmal mehr die Vorstellung.
Und dann ist da noch Ivy, die ebenfalls im Zuschauerraum sitzt. Später in der Pause wird sie umschwärmt und verwöhnt werden, was einen einfachen Grund hat. Ivy ist als Mäzenin im Besitz von viel Geld, das natürlich Interesse und Begehren weckt. Auch das Theater möchte von ihren finanziellen Zuwendungen profitieren, weswegen sie als gern gesehener Gast natürlich hofiert wird.
Diese drei Frauen sitzen alle im selben Theaterstück, vom Inhalt bekommen sie allerdings nur wenig mit. Eine bis zu ihrem Rumpf eingegrabene Frau namens Willie unterhält sich im Stück mit ihrem Mann Winnie, der die meiste Zeit abwesend ist. Recht viel mehr passiert nicht in Samuel Becketts Stück Glückliche Tage, was den Frauen viel Raum zum Mäandern der Gedanken gibt.
Da ist die bedrohliche Lage der Feuer rund um Melbourne, die besonders Summer belasten. Ihre Freundin April befindet sich irgendwo da draußen in der Feuerzone und lässt nichts von sich hören. Margot belastet der Rauch in der Luft ebenso wie die Situation ihres Abschieds von der Uni und die schwierige Beziehung zu ihrem dementen Mann. Und Ivy hadert mit ihrem Dasein als stets umschwärmte Geldgeberin, bei der doch eher ihr Vermögen als ihre Persönlichkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Ein Theaterabend, drei ganze Leben
All diese Belastungen und Probleme wälzen die Frauen, während Willie auf der Bühne monologisiert. In der Pause werden alle drei Figuren aufeinandertreffen, die von Claire Thomas passenderweise in Form eines Theaterstücks mit reinen Dialogen und Handlungsanweisungen geschildert wird, ehe sie zum zweiten Teil verändert an ihre Plätze zurückkehren und neue Impulse gewonnen haben.
Claire Thomas ist dann aber souverän und klug genug, das Ende nach dem Fall des Vorhangs nicht auszuerzählen, sondern vieles offen zu lassen, womit sie sich natürlich auch an Samuel Becketts existenzialistischen Dramen und Schauspielen orientiert, die es den Zusehenden auch in ihrer Deutung nicht leicht machen und keine einfachen Antworten liefern.
Während die Einheit von Raum und Zeit gewahrt bleibt, fächert sie durch die Gedankenströme der drei Frauen ganze Leben auf, erzählt von Scheitern, Enttäuschungen, Ängste, Gewalterfahrungen und Lebensentwürfen, die doch ganz anders endeten, als sie eigentlich erhofft waren. Auch lässt das Stück selbst Rückbindungen auf die Leben der drei Figuren zu, erlaubt interpretatorische Ausdeutungen und ist reich an Zwischentönen.
Fazit
Das macht aus Die Feuer eine starke, intensive Lektüre, die auf 250 Seiten drei ebenso unterschiedliche wie gleichwertig überzeugende Leben und Schicksale präsentiert. Eine vibrierende Lektüre, die durch die abstrakte Gefahr des Feuers mitbangen lässt und durch die Konzentration auf das kleine Personenensemble Intimität und Eindringlichkeit entfaltet.
Literarisch durch die beständigen Abschweifungen und eingebauten Erinnerungsschleifen rund um das Beckett-Stück interessant erzählt, gönnte sich Claire Thomas den Luxus, nicht alles ganz genau auszubuchstabieren, sondern bei aller Verzahnung der drei Leben auch Leerstellen und Freiräume zu lassen, was das Buch umso überzeugender macht.
Mit Die Feuer reiht sich die australische Autorin nahtlos in ein wirklich exzellentes Bücherprogramm des Hanser-Verlags aus diesem Frühjahr ein, das in dieser Qualität länger nicht mehr da war. Nach Percival Everetts Erschütterung und Fatma Aydemirs Dschinns ein weiteres Highlight. So darf es im Herbst gerne weitergehen!
- Claire Thomas – Die Feuer
- Aus dem Englischen von Eva Bonné
- ISBN 978-3-446-27297-2 (Hanser)
- 256 Seiten. Preis: 23,00 €