Tag Archives: Japan

Haruki Murakami – Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Murakami reloaded

Der Streit im Literarischen Quartett ist schon legendär, der sich damals zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler abspielte. Dieser Krach führte letztendlich zur Auflösung der damaligen Besetzung des Literarischen Quartetts und ging in die Annalen der Literaturrezeption im Fernsehen ein. Der Auslöser war – eigentlich recht profan – das neue Buch des Japaners Haruki Murakami, dass damals unter dem Titel Gefährliche Geliebte erschien. Krux hierbei, an der sich auch der Streit entfachte, war die Übersetzung jenes Titels. Dieser wurde nämlich statt aus dem japanischen Original von der englischen Übersetzung her ins Deutsche übertragen.

Nach dem Debakel im Literarischen Quartett entschied man sich daraufhin, den Titel aus der Originalsprache zu übersetzen und beauftragte damit Ursula Gräfe, die in der Folge zur Stammübersetzerin von Haruki Murakami avancierte. Der Titel wurde nun auch angepasst und fortan hieß der Titel Südlich der Grenze, westlich der Sonne.

Suedlich der Grenze westlich der Sonne von Haruki Murakami (Cover)

Das dünne Büchlein (225 Seiten) erzählt vom Barbesitzer Hajima, der zwei Jazz-Bars betreibt und mit seiner Frau und seinen zwei Kindern eigentlich rundum zufrieden ist. Doch in seiner Schulzeit begegnete er Shimamoto, einem jungen Mädchen, in dem sich Hajima als Einzelkind gespiegelt sah. Dieser ersten Liebe begegnet er nun im Alter von 37 Jahren wieder, als diese plötzlich in einer seiner Bars sitzt und seine Gefühle ordentlich durcheinander wirbelt. Fortan ist für ihn sein Leben nicht mehr das, das er kannte.

Murakamis Erzählung aus dem Jahr 1992 verschränkt die erste Liebe Hajimas mit seinem fortgeschrittenen Leben und schafft es, auch wenn Murakami dafür nicht viele Seiten benötigt, intensiv die Liebesgeschichte der beiden zu schildern. Zwischen Jazz und Begehren entfaltet sich ein zart und präzise geschildertes Panoptikum, das den Leser für sich einzunehmen weiß. Mich erinnerte dieses Buch in seinen poetischen und leise geschilderten Tönen an das über 20 Jahre später erschienene Buch Die farblosen Pilgerjahre des Herrn Tazaki. Hier wie da versteht es Murakami in Meisterschaft, Männer und ihre Gefühle in großartige, klare Prosa zu überführen.

Fazit

Eine tolle (Wieder)entdeckung des ewigen Nobelpreis-Aspiranten, der schon lange seine Fans gefunden hat. Mit diesem Buch bietet sich die beste Möglichkeit, sich erstmals in den Kosmos des japanischen Starautoren zu wagen.

Und hier noch einmal der Zwist über Murakami im Originalvideo aus dem Jahr 2000.

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Richard Flanagan – Der schmale Pfad durchs Hinterland

Krieg und Poesie

Spätestens nach diesem Buch des tasmanischen Autors Richard Flanagan kann ich konstatieren, dass ich einen neuen Lieblingsschriftsteller gefunden habe. Riss mich bereits das im Original 2002 erschienene Buch Goulds Buch der Fische mit seiner barocken Sprachgewalt und Konstruktion mit, so hat es Flanagan nun abermals geschafft, mich zu fesseln und in die von ihm geschilderte Welt hineinzuziehen.

Richard Flanagan - Der schmale Pfad durchs HinterlandHintergrund für Der schmale Pfad durchs Hinterland ist Flanagans eigene Familiengeschichte, um die herum er diese mit dem Man-Booker-Prize ausgezeichnete Erzählung baut. Sein eigener Vater war damals im Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangener und musste beim Bau der Thailand-Burma-Eisenbahnstrecke mithelfen. In diesem Buch trägt der Held nun den Namen Dorrigo Evans und ist ebenfalls japanischer Kriegsgefangener, obwohl ihm eigentlich eine Karriere als vielversprechender Chirurg in Aussicht stand. Unter der Extrembelastung eines unmenschlichen Arbeitslagers wächst jener allerdings über sich hinaus und bewährt sich als Vorsteher der Kriegsgefangen. Diese sollen nämlich in einer Art Sisyphosarbeit einen Eisenbahnlinie durchs japanische Hinterland bauen, und das in einem Rekordtempo. Als Puffer zwischen den japanischen Offizieren und seinen von Hunger, Krankheit und Elend zersetzen Mitgefangenen versucht Dorrigo dabei den Spagat und verzweifelt bei seinem Kampf, möglichst viele seiner Männer am Leben zu erhalten. Kraft schöpft er aus einer vor dem Krieg erlebten Affäre, die ihm inmitten der tiefsten Stunden voll Leid noch Hoffnung und Zuversicht spendet.

Eine gewagte Mischung

Der schmale Pfad durchs Hinterland ist eine gewagte Mischung aus Kriegsbericht, Liebesgeschichte und Poesie. In den Händen von Richard Flanagan wird daraus eine herausragende Erzählung, die die Balance zwischen Leid und Liebe, zwischen brutalem Grauen und Poesie schafft. Seine Helden sind keine strahlenden Gewinner, die Lageraufseher keine rein bösen Gestalten. Immer wieder flicht er in die Beschreibungen des Vegetierens und des Leids im Lager auch Haikus und poetische Gedanken ein – und schafft so eine ausgewogene Balance zwischen den unterschiedlichen Polen.

Diese Mischung geht auch deswegen vollkommen auf, da sich Flanagan hier einmal mehr als Meister der Konstruktion entpuppt. In verschiedene Teile aufgebaut erzählt er von Dorrigos Leben, wobei er gleich auf den ersten Dutzend Seiten die gesamte Biografie anreißt und dann im Folgenden diese Skizze mit Farbe und Leben füllt. Seine Erzählung zehrt auch wieder von einer präzisen Sprache (Übersetzung durch Eva Bonné) und der Fähigkeit von Flanagan, Szenen auf den Punkt zu verdichten. Ihm gelingen Beschreibungen, die auch über das Buchende hinaus im Kopf bleiben und nachhallen (wie etwa die Notoperation eines Kameraden inmitten von Chaos und Leid).

Zudem macht für mich dieses Buch besonders, dass es mich in ein Kapitel der Geschichte mitnahm, das ich so nicht kannte. Die Betrachtung des Zweiten Weltkriegs aus australisch/tasmanischer Perspektive war neu für mich und auch das Thema der australischen Strafgefangenen, die in Lagern in Japan leiden musste, kam mir so noch nicht unter.

Hier kommen somit zwei Dinge zusammen: ein unbekanntes Kapitel der Geschichte, das mit einer makellosen Prosa verschmilzt und so unterhält, Einblick verschafft und neue Horizonte eröffnet. Das muss besondere Literatur leisten und Der schmale Pfad durchs Hinterland tut genau das. Zurecht mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet!

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Fuminori Nakamura – Der Dieb

Der japanische Dieb

Zugegeben, die japanische Literatur ist in meinem Bücherregal nicht wirklich gut vertreten: Doch neben den üblichen Verdächtigen wie Haruki Murakami oder Keigo Higashino hat nun ein weiterer Autor seinen Platz gefunden. Die Rede ist von Fuminori Nakamura, einem 1977 geborenen Autoren, dessen 2009 erschienenes Buch Suri nun unter dem Titel Der Dieb vom Schweizer Diogenes-Verlag veröffentlicht wurde.

 

Das schmale Buch (210 Seiten) erzählt von einem Dieb mit dem Namen Nishimura aus der Ich-Perspektive, der die Megametropole Tokio auf seinen Raubzügen durchstreift. Mit höchst geschickter Fingerfertigkeit zieht er seinen Opfer die Geldbörsen aus der Tasche, ohne dass diese den Diebstahl bemerken. Aber wie es in Krimis und Thrillern eben so ist, kann die Idylle natürlich nicht lange vorhalten. Die Vergangenheit in Form eines alten Freundes läuft Nishimura über den Weg und zieht ihn in ein dunkles Geschäft hinein. Für einen Yakuza-Boss müssen die Freunde nämlich an einem Raubüberfall teilnehmen. Sie wissen nicht, was sie mit dieser Tat alles an Bösem entfesseln. Denn in Japan kann der Verstoß gegen das siebte Gebot auch schnell mit dem Tod enden …

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Haruki Murakami – Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Fünf Freunde und die Farben

Fünf Freunde waren sie einst: Tsukuru Tazaki und seine Clique. Jeder seiner Freunde trug eine Farbe im Namen, nur Tazaki war der Farblose. Die Clique funktionierte reibungslos und die Freundschaft der Fünf schien ewig zu währen – bis die Gruppe eines Tages plötzlich Tazaki schnitt.

Er durfte mit keinem seiner Freunde mehr Kontakt aufnehmen und wurde geächtet. Eine schwärende Wunde und ein Verlust, der bis heute an ihm nagt.

Als er nun eine neue Freundin kennenlernt, fordert diese von Tsukuru Tazaki, er müsse sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellen, ehe sie mit ihm eine tiefere Bindung eingehen können. Folglich besinnt sich Tazaki also seiner alten Freunde und sucht diese nacheinander auf, um dem Geheimnis und damit auch sich selbst näherzukommen. Bei seiner Suche macht er überraschende Entdeckungen und begibt sich bis nach Finnland auf der Suche nach dem Grund seines Ausschlusses.    

Freundschaften und nicht verheilte Wunden

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki ist ein philosophisches Buch, das erneut die schriftstellerische Meisterschaft Haruki Murakamis vor Augen führt. In knapper Form (und wieder treffend von Ursula Gräfe ins Deutsche übertragen) erzählt er vom Wert der Freundschaft und von Wunden, die auch nach Jahrzehnten nicht zu heilen vermögen. Anspielungsreich schlägt er einen Bogen von Franz Liszts Années de pelerinage bis hin zu den eigenen Pilgerjahren Tsukurus. Das Buch ist eine melancholische Spurensuche mit Gedanken, die es sich lohnt selber zu verfolgen und zu überdenken.

Ein nicht allzu langes Buch, das man mit großem Gewinn lesen kann und das an die eigenen Freundschaften zurückdenken lässt. Wen hat man inzwischen aus den Augen verloren? Was hätte man damals besser gesagt und was nicht? Murakami macht nachdenklich.  

Für alle, die das Buch schon gelesen haben, habe ich hier noch die Interpretation von Liszts Années de pelerinage durch Lasar Berman angehangen. Das Stück fängt für mich sehr gut die herrschende Stimmung des Buches ein und versetzt zurück in Tsukurus Leben.

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Keigo Higashino – Böse Absichten

Ein Krimi wie ein Sudoku

Nach seiner Reihe um den Physikprofessor Yukawa (man erinnere sich nur an die verzwickte Verdächtige Geliebte) erscheint nun bei Klett-Cotta der Beginn einer neuen Reihe um den Ermittler Kaga. Im Original in Japan bereits im Jahr 2001 erschienen liegt der Roman nun von der Murakami-Übersetzerin Ursula Gräfe in klares Deutsch übertragene Fall als Paperback vor.

Ein klarer Fall?

Der berühmte Schriftsteller Kunihiko Hidaka wurde in seinem Haus ermordet. Der Starschreiber wollte eigentlich nach Kanada auswandern, doch diese Pläne haben sich sprichwörtlich zerschlagen. Für den Mord kommen nur Hidakas Kollege Nonoguchi und Hidakas Gattin Rie in Frage. Doch die Alibis der beiden scheinen mehr als wasserdicht zu sein.
Mit seinem unbestechlichen Intellekt setzt sich nun Inspektor Kaga hinter die Fährte des mysteriösen Falls und entwirrt langsam den Knoten, unerbittlich, Faden für Faden.
Wer hat den Schriftsteller ermordet und wo liegt das Motiv für die grausame Tat?

Ein klug komponiertes Rätsel

Was an Böse Absichten so besticht ist die Konstruktion des Romans. Eigentlich ist der Fall bereits nach 93 Seiten gelöst und man könnte das Buch als Novelle beenden, wenn da nicht der hartnäckige Intellekt Kagas wäre. In der Tradition von Eine-Frage-hätte-ich-da-noch-Columbo lässt ihn das Offensichtliche nicht ruhen und er verbeißt sich in den Fall
So unerbittlich und logisch wie ein Sudoku hat Keigo Higashino sein Buch konstruiert – und lässt dann seinen Inspektor Kaga dieses zunächst noch leere Krimipuzzle immer weiter mit Inhalt füllen. Schritt für Schritt dringt er immer weiter in das dicht gesponnene Mord-Geflecht vor und kommt der Wahrheit auf die Spur.
Allmählich setzt sich das Mosaik aus Zeugenbeschreibungen, Anmerkungen des Ermittlers und
Die Charaktere bleiben hierbei schematisch und erfüllen eher einen dramatischen Zweck in der Konstruktion des Romans, als dass sie durch eine tiere Auslotung ihrer Befindlichkeiten bestechen. Immer wieder wechselt Higashino die Perspektive und lässt mal den Schriftsteller Nonoguchi erzählen, mal ist wieder Kaga an der Reihe.
Die besondere Komposition des Romans und seine japanisch-nüchterne Erzählweise, die auf sämtliche Ausschmückungen verzichtet, machen den Roman wirklich außergewöhnlich und lassen ihn aus dem Gros der Krimilandschaft herausragen.
Dieses Buch fällt definitiv aus dem Rahmen – als Krimiliebhaber sollte man sich diesen Titel nicht entgehen lassen!

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