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Markus Gasser – Die Verschwörung der Krähen

Wenn man wie ich schon etwas länger ein öffentliches Lesetagebuch in Form eines Blogs führt, wird man unweigerlich öfter mit einer Frage konfrontiert: Schreibst du auch selbst etwas oder hast Lust auf ein eigenes Buch? Und auch wenn die Frage angesichts der steten Beschäftigung mit dem geschriebenen Wort und dem publizistischen Erfolg von anderen Bloggenden nahe liegt (man denke hier nur an die Bloggerinnen Mareike Fallwickl, Anbelle Stehl, Katharina Herrmann oder Berit Glanz, die den Wechsel vom besprechenden zum schreibenden Fach gemeistert haben), verneine ich diese Frage vehement.

Schreibende Buchkritiker*innen?

Denn so gerne ich Bücher anderer Autor*innen lese und meine Meinungen dazu kund tue, so entschieden lehne ich es ab, selbst als Autor hervorzutreten. Ich bin mir um die Durchschnittlichkeit meines eigenen Schreibens durchaus bewusst, sodass ich dem Buchmarkt eine weitere, mittelmäßige Buchproduktion angesichts der Schwemme an Titeln unbedingt ersparen will. Denn für mich steht fest: eine Liebe zum Buch und zur Buchkritik garantiert noch lange kein eigenes gutes Buch.

Das bewahrheitet sich für meine Begriffe leider auch im Falle von Markus Gasser, der den vielgesehenen Literaturkanal Literatur ist Alles auf Youtube betreibt. Seine Literaturkenntnis und Belesenheit teilt er dort mit einer Vielzahl von Abonnent*innen. Über 16.500 Menschen folgen den Besprechungen, Empfehlungen und Überlegungen des 1967 geborenen Österreichers. Seine mal in Emphase, mal im Furor, mal im raunenden Ton vorgebrachten Meinungen und Buchvorstellungen erzielen tausende Abrufe, begeisterte Kommentare und zeigen einen Mann von stupender Belesenheit. Und auch wenn ich die Buch- und Kritikwelt auf Youtube nur sporadisch verfolge, würde ich sagen, dass Markus Gasser verdient einer der größten Namen auf der Plattform ist, der einen akademischen Literaturzugang für eine breite Masse gewährleistet.

Das belletristische Debüt Markus Gassers

Nicht nur auf Youtube teilt er seine Literaturleidenschaft, auch sind bereits mehrere Sachbücher über Bücher erschienen, etwa das bei Hanser veröffentlichte Das Buch der Bücher für die Insel. Nun liegt mit Die Verschwörung der Krähen der erste belletristische Wurf des Literaturwissenschaftlers vor, der im Verlag C. H. Beck erschienen ist. Darin schildert Gasser die Lebensgeschichte des Daniel De Foe, der den meisten wahrscheinlich nur noch als Schöpfer des Weltbestsellers Robinson Crusoe ein Begriff sein dürfte.

Und eigentlich sind alle Zutaten da für einen packenden historischen Schmöker über den umtriebigen Daniel Foe oder Daniel De Foe, wie er sich selbst nannte. Geboren 1660 als Sohn von Presbyterianern war ihm ein Leben voller prägender Erfahrungen vergönnt. Als Kind erlebte der die Pest von London mit, ein Jahr darauf den Großen Brand und den damit verbundenen Neuaufbau großer Teile Londons unter der Leitung von Christopher Wren. Heirat mit Mary Tuffley, Ausgrenzung aufgrund seines presbyterianischen Glaubens als Dissenter, umfangreiches Schaffen als Vielschreiber, das ihn als Verfasser zahlreicher aufklärerischer Flugblättern in Opposition zur regierenden Queen Anne und an den Pranger brachte. Spionagetätigkeit, Flucht, Täuschung, Bestseller wie Moll Flanders oder Robinson Crusoe.

Ein wahrhaft (episoden-) reiches und hochspannendes Leben, das als Roman eigentlich ein Heimspiel sein sollte, noch dazu, da der Titel sogar eine Verschwörung versprach, somit sogar ein potentielles Spannungselement inkludierte.

Leider zäh und unübersichtlich

Markus Gasser - Die Verschwörung der Krähen (Cover)

Doch von Spannung kann zumindest nach meiner Lektüre bei Die Verschwörung der Krähen keine Rede sein. Denn anstelle eines packenden historischen Pageturners ist das Buch leider ein in weiten Teilen höchst zäher und unübersichtlicher Roman geworden. Und das trotz der Figur Daniel Defoe mit ihrem schillernden Leben.

Dabei beginnt alles ganz spannend mit einem betagten Insassen einer Kutsche, der im Jahr 1730 auf einen inszenierten Raubüberfall wartet. Es ist Daniel De Foe höchstpersönlich. Von hier aus springt Gasser zurück ins Jahr 1703, um von der Feindschaft De Foes und Königin Anne Stuart zu berichten, die De Foe sogar bis an den Pranger brachte. Von dieser Episode springt der Österreicher dann ins Jahr 1660 bis 1703, um den Bogen von Kindheit bis zum Erwachsenenleben De Foes zu spannen. Weitere Episoden folgen, etwa das Kapitel Fake News, das sich um De Foes Agitation als Flugblattschreiber und einziger Autor und Herausgeber der Review dreht. Daneben gibt es noch Einsprengsel, die an den Königshof und die Unterwelt Londons führen. So wird etwa ausführlich vom Verbrecherimperium Jonathan Wyldes erzählt, der als eine Art Unterwelt-König über London herrschte.

Komplotte, Intrigen und Langeweile

Für sich genommen sind das alles spannende Episoden und Ansätze. Aber dennoch wird kein konsistenter und überzeugender Roman aus dem Ganzen. Alles zerfällt in einzelne Kapitel und ist leider recht schwerfällig und kompliziert erzählt. Die zahllosen Intrigen und Küngeleien am Königshof um Queen Anne Stuart, ihren Kanzler Robert Harley, Sir Salathiel Lovell, den Staatssekretär Earl of Nottingham oder Geheimagenten Horatio Peregrin Smith alias „Smite“ ließen mein Interesse schnell erlahmen, da es für meine Begriffe an einer gewisse Übersichtlichkeit und klaren Personenführung gebricht.

Keine Woche verging, in der nicht zum Ärger Marys irgendein Beamter mit einer Verleumdungsklage oder ein Gläubiger an die Tür ihres Hauses pochte. Man setzte De Foe mit dem ältesten aller Vorwürfe zu, der den achtzehnjährigen Benjamin dazu brachte, sich den Zweitnamen „Norton“ zuzulegen: Ihn hätte De Foe auf Durchreise in Bristol – oder Colchester? – mit einer gewissen Miss Norton gezeugt. Seine Todfeinde nannten De Foe einen „Muschelöffner“, „Austernlecker“, „Dan den Trickster“, den „Hexer“ und „die Krähe“ – hinterlistig, schwatzhaft, aasgierig, teuflisch. Besser wäre, es gäbe ihn nicht.

Das Schlimmste daran war, dass die Krähe ihnen zustimmte. Als „De Foe“ schrieb er in der „Review“ für die Konservativen, pseudonym gab er den Liberalen recht. Obwohl er Flottengeneral Marlborough bewunderte, erklärte er in der „Review“, der Kreis um Wharton wollte den Krieg mit Frankreich nur fortsetzen, damit sich Marlborough als Held feiern und nach einem Staatsstreich zum König krönen lassen könne.

Markus Gasser – Die Verschwörung der Krähen, S. 126

Es gebricht an Konsistenz

In seinen Bezügen und Anspielungen auf die verschiedenen politischen Einflussfaktoren und Big Player hatte mich die Lektüre dann obschon des geringen Umfangs von knapp 240 Seiten und beigefügten Personentableau schnell ermüdet.

Alles verläuft sich irgendwo zwischen Königshof, Haus der De Foes, dem Gefängnis Newgate und der Unterwelt. Was wollte uns Gasser sagen? Die Lebensgeschichte De Foes erzählen? Bezüge zur heutigen Presselandschaft herausarbeiten? Ein Tableau vivante der Londoner Ober- und Unterwelt zeichnen? Für mich geht leider nichts davon auf, obwohl die einzelnen Teile für sich genommen durchaus Potential hätten.

Auch die Sprache ist merkwürdig inkonsistent. In Dialogen bekommt man hier ein „Uuuups“ zu hören, Königin Anne ist Ihre Quatschlichkeit und gerne einmal mischt Gasser gehobenes, historisierendes Idiom mit Begriffen wie dem „Trickster“ (siehe oben). Dieser Kunstgriff der Vermengung verschiedener Sprachebenen verfing bei mir leider nicht, im Gegenteil: die Sprache trug mich so manches Mal aus der Bahn und konfusionierte mich das ein ums andere Mal zusätzlich

Fazit

Für mich ist Die Verschwörung der Krähen kein gelungener historischer Roman und leider der Beweis für die These, dass Belesenheit nicht automatisch zu gelungenen Romanen führt, wenngleich das übrige Schaffen Markus Gassers natürlich nicht zu gering zu schätzen ist. Aber trotz meiner Vorliebe für Geschichte, Spannung und Kolportage ist das leider ein Buch, von dem ich mir deutlich mehr erhofft habe.


  • Markus Gasser – Die Verschwörung der Krähen
  • ISBN 978-3-406-78150-6 (C. H. Beck)
  • 238 Seiten. Preis: 23,00
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Sharon Dodua Otoo – Adas Raum

Von Ghana bis nach Berlin, von London bis ins KZ Mittelbau-Dora. Von Ada zu Ada zu Ada zu Ada. Von 1459 über 1945 bis in die Gegenwart. So weit reicht das von Sharon Dodua Otoo gespannte Erzählnetz in ihrem Debüt Adas Raum. Ein Buch, das Zeit und Raum in Windeseile durchmisst, meine Erwartungen allerdings nicht erfüllen konnte.


Schon in ihrem 2016 beim Bachmannpreis vorgetragenen Gewinnertext „Herr Göttrup setzt sich hin“ finden sich Elemente, die wie eine Vorstudie zu Sharon Dodua Otoos erstem Roman wirken. Da erzählt eine Entität, die alle möglichen Formen annehmen kann. In ihrer Göttrup-Geschichte eben auch die eines Frühstückseis oder Lippenstift. Und da sorgt eine gewisse Ada im Göttrup’schen Haushalt für Recht und Ordnung. Eine Ada, wie sie sich in Adas Raum dann gleich weitere vier Male manifestiert.

Zunächst lernen wir eine Ada kennen, die in Totope, einem Dorf an der Südküste Ghanas, ihr verstorbenes Kind betrauert. Weiter geht es nach London, wo Ada eine Liason mit Charles Dickens pflegt. Ein Jahrhundert später lernen wir Ada kennen, die im KZ Mittelbau-Dora als Prostituierte für die Inhaftierten arbeitet. Und noch einmal ein paar Jahrzehnte weiter kreuzen wir wieder den Lebensweg einer Ada, die hochschwanger in Berlin eine Wohnung sucht.

Ein Reisigbesen und ein Türklopfer erzählen

Diese vier Frauen bilden das erzählerische Gerüst. Daneben gibt es aber auch noch viele weitere Erzähler, wie das schon bei „Herr Göttrup setzt sich hin“ der Fall war. Nur dass hier kein Lippenstift oder Frühstücksei die Geschichte erzählen, sondern ein Reisepass, ein Reisigbesen, ein Zimmer und ein Türklopfer. Sie alle tragen ihr erzählerisches Scherflein zu der Geschichte bei, die in zwei Schleifen und eine Erzählzeit zwischen den Schleifen gebunden ist. Immer wieder durchmessen wir Raum und Zeit, springen von Ada zu Ada. Viele Erlebnisse oder Ereignisse der Frauen ähneln sich, andere Erfahrungen machen die Adas nur für sich. Verbindendes Element ist auch ein Perlenarmband, das in allen vier Zeitebenen auftaucht. Dazwischen gibt es auch noch einen berlinernden Gott und weitere außergewöhnliche Einfälle.

Für die Erzählung ihrer Geschichte hat sich Sharon Dodua Otoo viel vorgenommen. Sie will von weiblicher Kraft aber auch Unterdrückung schreiben, Schicksale über die Jahrhunderte hinweg betrachten und universelle Themen herausarbeiten. Das gelingt ihr in meinen Augen leider nur bedingt.

Da ist dieses Gefühl, ein unfertiges oder verschwommenes Buch zu lesen. Vier Hauptfiguren in ganz unterschiedlichen Zeiten und Räumen stehen im erzählerischen Fokus. Trotzdem nimmt sich Otoo gerade einmal etwas mehr als 300 Seiten, um von diesen vier Frauen zu erzählen. In Schlaglichtern erzählt sie von ihnen, reißt Motive und Charakteristika des Lebens der Frauen nur an. Immer wieder springt sie von Erzählstrang zu Erzählstrang und belässt vieles dabei im Ungefähren.

Vier Frauen – aber leider wenig Profil

So etwas wie ein klares Profil hatte für mich leider keine einzige der vier Adas. Dafür ist Adas Raum viel zu hektisch und unfokussiert. Auch hat die Figurengewichtung deutliche Unwucht. Die Milieus, in denen die Frauen leben, die soziale Determination, ihren Werdegang, all das fehlte mir, um einen Zugang zu ihnen finden oder auch nur eine der Frauen länger im Kopf zu behalten. Und das, was dann tatsächlich erzählt wird, finde ich im Gegenzug dann zu erwartbar und unterkomplex. Eine Schwarze hat es in Berlin deutlich schwerer, eine Wohnung zu finden. Das Leben im KZ bedeutete Hunger, Grausamkeiten und Hoffnungslosigkeit. Im Ghana des 15. Jahrhunderts war das Leben im Dorf bzw. Stamm die dominierende soziale Norm, bei dem es vor allem auf die Frauen ankam. Das sind alles erzählerische Punkte, die allesamt kaum Überraschung, Einsicht oder Neuigkeitswerte boten.

Es fehlt an Raffinesse, überzeugend herausgearbeiteten Profilen, an literarisch Überraschendem. Für mich blieb der Eindruck von viel Unfertigem, hervorgerufen durch die assoziative Montagetechnik der Schleifen. Natürlich kann man dem entgegenhalten, dass es hier weniger um Einzelfiguren um übergreifende Schicksale und Strukturen geht. Dennoch hätte ich mir persönlich mehr Identifikationspotenzial durch klarere Profile und Settings gewünscht. Es bleibt doch alles recht schemenhaft und für mich zu unkonkret. Und wenn es dann konkret wird, erschöpft sich das Buch in Allgemeinplätzen und gibt die eigene Struktur auf.

Fazit

Meine großen Erwartungen wurden leider enttäuscht. Für mich wirkt Adas Raum wie ein Buch, das erzählerisch von vielen Büchern der jüngsten Vergangenheit überholt wurde. Eleganter (da auch einfacher und klarer ausgeführt) gelingt das jahrhunderteübergreifende Erzählen beispielsweise Hari Kunzru oder David Mitchell im großartigenen Der Wolkenatlas. Präziser in der Beschreibung von sozialen Mechanismen, Ausgrenzung und Identitätsfragen ist für mich Mithu Sanyal in ihrem Roman Identitti. Die Inneneinsichten in das KZ-Lagerleben beschreibt David Schalko in Schwere Knochen überzeugender. Für die meisten Einzelpunkte des Romans kamen mir Bücher in den Sinn, die den jeweiligen Erzählaspekt besser lösen.

Und so steht für mich am Ende dann die Erkenntnis, dass sich meine großen Erwartungen nicht bestätigt haben. Adas Raum ist für mich ein Roman, der mehr will, als er dann tatsächlich kann. Die Kompositionsform wirkt auf mich nicht rund, den Figuren gebricht es an Profil, die erzählerischen Absichten sind mir zu offensichtlich – kurz, ich hätte mir etwas mehr Raffinesse in der literarischen Ausarbeitung gewünscht.

Weitere Meinungen zum Buch gibt es unter anderem beim Deutschlandfunk und in der Süddeutschen Zeitung.


  • Sharon Dodua Otoo – Adas Raum
  • ISBN 978-3-10-397315-0 (S. Fischer)
  • 320 Seiten. Pries: 22,00 €
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Alexander Pechmann – Die Nebelkrähe

Born to be Wilde

Das sind natürlich nur alberne Geschichten, aber Oscar wurde einige Jahre nach seinem angeblichen Tod in einer Buchhandlung in New York gesehen. Ein deutscher Student namens George Viereck will ihn erkannt haben, und als er den Buchhändler fragte, wer der fragliche Besucher gewesen sei, sagte dieser „Oscar Wilde“, als wäre dies die natürlichste Sache der Welt. Anscheinend war er Stammkunde. Andere behaupteten, man habe ihn in einem spanischen Kloster gesichtet. (…) Seine Schulfreunde nannten ihn Nebelkrähe.“

Pechmann, Alexander: Die Nebelkrähe, S. 70 f

Ist Oscar Wilde denn vielleicht gar nicht tot? Ist der Schöpfer von unsterblichen Werken wie dem Gespenst von Canterville oder Dorian Gray gar selbst unsterblich? Der Ich-Erzähler Peter Vane in Alexander Pechmanns neuem Roman Die Nebelkrähe ist sich da alles andere als sicher. Denn es hat den Anschein, als würde Oscar Wildes Geist zu ihm sprechen.

Auslöser hierfür ist eine Sitzung bei der SPR, der Society for Psychical Research. Diese sucht Peter Vane auf, nachdem ihn die Erlebnisse aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs nicht loslassen. Immer wieder erscheint ihm ein Kamerad, der ihn auffordert, seine Freundin Lily zu finden. Ist es ein übersinnliches Phänomen? Dies versucht er bei der SPR herauszufinden, der auch so illustre Gestalten wie etwa Arthur Conan Doyle angehörten.

Im Zuge seines Besuchs bei der Londoner Gesellschaft macht er die Bekanntschaft von Miss Cummins, die ihn einlädt, bei einem Kurs für automatisches Schreiben teilzunehmen. Dabei versuchen die Teilnehmenden an solchen Seancen, mit den Geistern aus dem Jenseits in Kontakt zu treten, um sich von ihnen dann die Schreibfeder führen zu lassen und so Botschaften aus dem Jenseits zu empfangen. Für Vane eigentlich Humbug. Doch dann beginnt plötzlich bei der Sitzung seine Hand mit der Feder über dem Blatt Papier zu schweben. Ein Geist teilt sich mit. Und dieser scheint kein Geringerer als Oscar Wilde selbst zu sein, der der Gruppe viel mitzuteilen hat. Dabei zaubert Peter Vanes Hand viel Sätze aufs Papier, die Wissen verraten, das nur Wilde selbst besitzen kann. Ist die Nebelkrähe zurückgekehrt? Die Grenzen zwischen Dies- und Jenseits scheinen zu verschwimmen.

Das Okkulte und die Faszination dafür

Alexander Pechmanns neuer Roman (zuletzt Sieben Lichter) beschäftigt sich mit dem Übersinnlichen und der Begeisterung dafür. Auch wenn vieles im Buch überzogen oder fantastisch wirken mag – das Nachwort zeigt, dass das Meiste im Roman auf Fakten beruht, mögen diese auch fiktional nachbearbeitet und angepasst worden sein. So gibt es die Gesprächsprotokolle von Oscar Wilde aus dem Jenseits tatsächlich. Die im Buch beschriebenen Sitzungen haben auch in ähnlicher Form stattgefunden.

Generell herrschte in den Zwischenkriegsjahren besonders im Vereinigten Königreich eine große Faszination für das Spirituelle. Egal ob Ouija-Brett, Seancen oder automatisches Schreiben – die Versuche, mit dem Jenseits in Kontakt zu treten waren vielfältig. Diese Faszination zeigt sich auch in Form der SPR, die die Phänomene untersuchen wollte. Viele bekannte Namen aus der britischen (Literatur)Geschichte interessierten sich brennend für diese Themen, darunter auch Algernon Blackwood oder jener eben schon erwähnte Arthur Conan Doyle. Der österreichische Übersetzer und Autor Alexander Pechmann holt dieses etwas verschüttete Kapitel wieder ans Tageslicht.

An die Geschichte tritt man zunächst auch wie ein Zweifelnder heran. Eigentlich genauso wie der Ich-Erzähler Peter Vane, der zunehmend an seinen mentalen Fähigkeiten zweifelt. Kann es sein, dass man wirklich aus dem Jenseits Botschaften empfangen kann? Lebt Oscar Wildes Geist am Ende noch? Pechmann gelingt es gut, allmählichen Zweifel beim Lesen zu säen.

Dagegen finde ich die Figuren etwas blass. Der Ich-Erzähler Peter Vane bekommt zwar eine Hintergrundgeschichte, eine wirkliche Tiefe besitzen die Figuren allerdings kaum. Das ist bei der Länge der Geschichte allerdings auch nicht wirklich verwunderlich. Gerade einmal 170 Seiten umfasst die Spukgeschichte, die dann auch noch durch 32 Kapitel unterteilt wird. Hier steht wirklich eher die Handlung denn die Figuren im Mittelpunkt.

Fazit

Die Nebelkrähe ist eine Hommage an Oscar Wilde und an die spiritistische Begeisterung der Engländer in den 20er Jahre. Alexander Pechmann entführt in seinem kurzen Buch stimmungsvoll in die Zeit und lässt die Grenzen zwischen Jenseits und Diesseits zusehends dünner werden. Ein schön gestalteter Roman, der nostalgisch das Okkulte wieder auferstehen lässt.

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Zadie Smith – Swing Time

Step up

Wenn man als junges Mädchen wenig Chancen und Perspektiven hat – dann gibt es nur eins, das einen retten kann: der Swing. Davon erzählt die englische Autorin Zadie Smith in ihrem neuesten Roman Swing Time (Deutsch von Tanja Handels).

Ausgangspunkt ist die Freundschaft zwischen der Ich-Erzählerin und Tracey, die in London beginnt. Während die Ich-Erzählerin aus einem intakten Elternhaus stammt (ein etwas liederlicher Vater und eine nach Bildung strebende Mutter sind die Koordinaten in ihrem Leben), ist der Hintergrund ihrer Freundin Tracey ganz anders. Mit ihrer alleinerziehenden Mutter lebt sie in einer kleinen Wohnung, ihr Vater ist laut Legende ein fantastischer Tänzer und im Hintergrund von Michael Jacksons Video des Hits Thriller zu sehen. Was die beiden Mädchen neben ihrer Hautfarbe verbindet, ist die Leidenschaft zum Swing und Steptanz.

Während die Ich-Erzählerin eher im Gesang alter Standards ihre Erfüllung findet, ist Tracey im Steptanz zu Hause und übt unermüdlich Figuren und Choreografien. Auch wenn sich im Laufe der folgenden 640 Seiten die Leben der beiden Freundinnen immer wieder entfernen und annähern werden, so ist doch der Swing die Nabelschnur, der sie miteinander verbindet. Während die Ich-Erzählerin zur Assistentin eines berühmten australischen Popstars avanciert, wird es Tracey immer ernster mit ihrer Karriere als Tänzerin. In Episoden springt Smith dabei durch die Entwicklungsschritte der beiden Frauen und blickt auf ihr Leben.

Immer wieder schossen mir bei der Lektüre viele Analogien zu einer im Moment ähnlich populären Schriftstellerin durch den Kopf. Swing Time liest sich wie Elena Ferrante auf Swing. Beide Werke weisen für mich signifikante Parallelen (und leider auch Schwächen) auf. Während Ferrante ihre beiden Heldinnen Lila und Lenu über vier Bände hinweg in Neapel reifen lässt, braucht Zadie Smith hierfür nur einen (wenn auch mit 640 Seiten reichlich voluminösen) Roman. Mögen sich doch die Schauplätze und Epochen unterscheiden – die Grundthemen sind dabei doch die gleichen: Bildung, Herkunft, soziales Milieu und die Anstrengungen aus den determinierten Bahnen auszubrechen – das ist in meinen Augen der Kern, um denen sich die Geschichten bei Ferrante und Smith drehen. Auch der feministische Gesichtspunkt ist ein elementarer. In beiden Welten ist es ein steter Kampf der Erzählerinnen, um sich in ihrer Welt zu behaupten und Anerkennung für ihr Tun zu bekommen.

Doch diese wichtigen Themen werden in meinen Augen sowohl bei Ferrante als auch bei Smith mangelhaft umgesetzt. Der Spannungsbogen und damit der Sützpfeiler jeder Erzählung, fällt im Laufe von Swing Time mehrmals zusammen. Sobald sich Smith von der konzisen Schilderung der Jugend und des Aufwachsens im London der 70er verabschiedet, erhält ihr Roman eine ausufernde Breite, die trotz der Sprünge durch die Chronologie nicht mehr eingegrenzt wird und damit versandet. Je länger ihre Erzählung wird, umso mehr verliert die Autorin den Fokus und erzeugt damit leider mehr Monotonie denn Abwechslung und Spannung. Es ist wie mit einem famosen Jazz-Stück, das präzise und vielstimmig beginnt, sich dann allerdings in Solos und Instrumentalteilen verliert und damit auch schlussendlich seine Hörer beziehungsweise in diesem Falle die Leser vergisst.

Neben dem ausufernden Erzählen und der phasenweise Ödnis im Leben der Protagonistinnen sind es leider diese auch selbst, die wenig Esprit versprühen. Nach der Kindheit und den damit verbundenen Erziehungsmethoden und Werten, die Tracey und die Ich-Erzählerin auf ihren Weg mitbekommen, werden sie dem Leser immer ferner. Zu distanziert und blass bleiben die Charaktere trotz allen Raums, den sich Smith für ihre Figuren nimmt. Selbst die wenigen eingesetzten Brüche in den Biographien sind nicht dazu angetan, tiefere Bindung zu ihnen zu schaffen. So bleibt eine tiefergehende Identifikation mit Tracey und der Ich-Erzählerin und ihren Leben in Swing Time leider aus.

Das ist schade, da meiner Meinung nach immer noch fiktive Geschichten am besten geeignet sind, um unserer Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und zu Reflektionen anzuregen. Das in Swing Time steckende Potential ruft Zadie Smith leider nicht ab – und Swing Time gerät dadurch etwas ins Straucheln und aus dem Takt.

 

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Zoe Beck – Die Lieferantin

Drogenhandel 2.0

In Zeiten, in denen Pitches und Start-Ups sogar zur Hauptsendezeit im Fernsehen Menschen fesseln, ist Zoe Becks Roman Die Lieferantin nur konsequent. Denn in diesem Buch entwickelt die Berliner Krimiautorin die Idee des herkömmlichen Drogenhandels weiter und präsentiert in Verbindung mit Drohnen, passender App und Onlineshop eine Vision des Drogenhandel 2.0.

In ihrem Roman drängt nämlich ein neues englisches Start-Up auf den Markt, das den althergebrachten Drogenmarkt revolutioniert. Per App lässt sich ganz einfach die passende Droge im Onlineshop bestellen – und ausgeliefert wird per Drohne. Anonym, schnell und sehr zuverlässig.

Die verschiedenen mit dem Drogen-Start-Up verbandelten Figuren bilden die Rahmenhandlung, die dadurch Drive gewinnt, dass ein Gastronom einen Schutzgelderpresser der Londoner Mafia tötet und damit eine Kettenreaktion lostritt. Die Mafia will wissen, wer hinter dem Verschwinden steckt und stößt bei ihrer Suche auf das Start-Up. Doch wer wirklich in dem Unternehmen die Fäden zieht, das ergibt sich erst nach und nach. Und währenddessen marschieren auf den Straßen nationale, rechtsgerichtete Kräfte, die ein völliges Verbot der Drogen fordern. Schon bald droht die Stimmung überzukochen.

Auch wenn Die Lieferantin laut Zoe Beck irgendwann in der Zukunft angesiedelt ist, wirkt ihr Szenario bedrohlich plausibel und nah. Längst sind die Drohnen am Himmel zu einem Alltagsphänomen geworden, schon lange zeichnet sich ab, dass der herkömmliche Kampf gegen die Drogenflut nicht zu gewinnen ist (man schaue sich nur die Crystal-Meth-Schwemme im Bayerisch-Tschechischen Grenzland an oder die Versuche Kaliforniens, Marihuana zu legalisieren).

In diese Zeit passt Die Lieferantin also ganz hervorragend, auch wenn die ganzen Brexit- bzw. Druxit-Bezüge im Buch für mein Empfinden etwas überstrapaziert waren. Denn auch ohne die klaren Bezüge auf die nationalistischen Brexiteers oder sontigen rechtsgerichteten Kräfte funktionert die Erzählung nämlich ganz hervorragend. Zoe Beck hat erneut ihren Finger am Puls der Zeit und präsentiert mit diesem Krimi einen hochaktuellen, spannenden und originellen Roman, dem man die in einigen wenigen Passagen etwas platten und plakativen Szenen gerne verzeiht. Zudem regt das Buch dazu an, die eigene Haltung zu Drogen und deren (Ent-)Kriminalisierung zu überdenken und lohnt von daher der Lektüre!

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