Nach Zweigs bekanntem Miniaturenband Sternstunden der Menschheit widmet sich Band Zwei der Salzburger Ausgabe nun den Erzählungen des jungen Stefan Zweig aus den Jahren 1900-1911.
Dabei präsentiert dieser Sammlungsband verschiedene Erzählungen aus Jugendjahren, die schon in der Anlage das ganze literarische Wirken in sich tragen oder vorzeichnen. Möchte man die Ursprünge von Zweigs Themen und Erzählkosmos finden – Vergessene Träume liefert aufschlussreiche Einblicke.
Auch das Nachwort der Herausgeber Elisabeth Erdem und Klemens Renoldner bestätigt diesen Eindruck. Es zeigt sich in diesem Band, wie Zweig schon als Maturant an seinen Novellen arbeitet und zwischenmenschliche und historische Themen im Gewand der kurzen Erzählungen bearbeitet.
Am bekanntesten aus dieser jugendlichen Schaffensperiode dürfte die Erzählung sein, die den Schluss dieses Bandes bildet: Brennendes Geheimnis erzählt die Geschichte einer sommerlichen Affäre zwischen einem alleinstehenden adligen Hotelgast und einer Dame, die ebenfalls im Hotel weilt, allerdings mit Kind. Aus Sicht des Kindes beleuchtet Zweig die Romanze, die sich zwischen Mann und Frau entspinnt – und zeigt auch gesellschaftlichen Umbrüche und Codes, die vom Kind nicht verstanden werden.
Neben einigen Novellen, die aus kindlicher Perspektive bestimmte Sachverhalte aufgreifen, gibt es auch andere Erzählungen, die als Vorabeiten zu späteren Werken gelten können. So zeigt Das Kreuz etwa die Bearbeitungsform der historischen Miniatur, einer Form, zu der Zweig immer wieder zurückkehren wird (man denke nur an seine Sternstunden der Menschheit). Auch ist die jüdische Identität auch ein Thema, das sich schon in den jugendlichen Arbeiten Zweigs wiederfindet (Im Schnee oder Die Wunder des Lebens)
Erzählungen mit großer thematischer Vielfalt
Vergessene Träume zeigt eine erstaunliche Vielfalt an schöpferischen Themen, derer Zweig sich annimmt. Über dessen Werke hinaus lassen sich auch Brücken zu anderen Autoren und Werken schlagen, so erinnert beispielsweise die Erzählung Ein Verbummelter an Herman Hesses Unterm Rad. Bis hinein in die Gegenwart reichen die Spuren, die Zweigs Oeuvre hinterlassen hat. So ist es die Erzählung Scharlach, die an Robert Seethalers Der Trafikant denken lässt. Überhaupt sind schon diese Erzählungen aus Anfangstagen ein Beweis, wie aktuell und stilistisch lesenswert Zweigs Prosa ist.
Es sind nur kleine Ausrutscher, die die Lektüre manchmal stolpern. So liest sich die erste Erzählung Vergessene Träume durch die Überfrachtung an Adjektiven und Stilfiguren reichlich holprig. Manchmal ist der Ton schwülstig, ein ander Mal reichlich pathetisch. Hier zeigt sich auf interessante Art und Weise, wie Zweig zu seinem Ton fand und sich selbst ausprobierte. Auch ein großer Autor ist manchmal nicht vor Kitsch gefeit, das zeigt Vergessene Träume auf unterhaltsame Art und Weise.
Um die Erzählungen herum gruppiert sich – wie schon im ersten Band der Ausgabe – ein umfangreicher Editionsapparat mit Quellenangaben, Vermerken zur Versionshistorie und biographischen Bezügen. Auch die Urtexte werden, wenn vorhanden, stets mit angegeben. Eine ausführliche Bibliographie rundet den Appendix ab. Das ist vorbildlich gemacht und lässt schon einmal für den folgenden Band Drei der Salzburger Ausgabe hoffen!