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C Pam Zhang – Wie viel von diesen Hügeln ist Gold

Was für ein Debüt! Mit Wie viel von diesen Hügeln ist Gold legt C Pam Zhang ein Buch vor, dem das Kunststück gelingt, sowohl von zeitlosen Themen zu erzählen, als auch in alle aktuellen Debatten vorzustoßen. Ein vermeintlich historischer Roman, der erstaunlich viele Berührungspunkte mit der Gegenwart aufweist und der angenehm vieldeutig ist. Sehr stark!

Ob Zhangs Buch ein historischer Roman ist, darüber lässt sich schon einmal vortrefflich streiten. Denn C Pam Zhang entzieht sich einer allzu eindeutigen Zuordnung, indem sie einen Kniff anwendet. Denn anstelle einer ganz konkreten Verhaftung in Zeit und Ort wählt sie für ihre verschiedenen Teile des Buchs eine semi-konkrete Zeitbeschreibung. Ihre Kapitel spielen in den Jahren XX59 oder XX68. So enthebt sie sich einer althergebrachten und klassischen Geschichtsschreibung und zielt etwas am Eindeutigen vorbei. Das ist auch in vielen anderen Bereichen des Romans ein Kennzeichen ihres Schreibens. Das Uneindeutige, vielfach lesbare findet sich in verschiedensten Ausprägungen im ganzen Buch wieder.

Das beginnt bei der Geschlechtszuordnung und endet bei der Frage, wie konkret das Beschriebene überhaupt ist. Goldfunde vor dem Goldrausch, Tiger in der Prärie, die eigenen Familienlegenden die genaue Herkunft ihrer Protagonistinnen: was davon kann man trauen? Was ist im Fakt, was Fiktion? Vieles entzieht sich in Wie viel von diesen Hügeln ist Gold einer eindeutigen Lesart – was das Buch so vielschichtig und grandios macht. Aber der Reihe nach.

Zwei Waisenkinder auf der Flucht

C Pam Zhang - Wie viel von diesen Hügeln ist Gold (Cover)

Alles beginnt in Zhangs Roman mit der Flucht zweier Waisenkinder. Sam und Lucy sind auf der Flucht, nachdem sie zwei Silberdollars geraubt haben. Diese benötigen sie, um ihrem Vater ein rituelles Begräbnis zukommen zu lassen. Nach ihrer Mutter ist nun auch der Vater verstorben, ein jähzorniger und schwieriger Zeitgenosse, der den Tod der eigenen Frau nicht verwinden konnte. Dieser Tyrann ist nun tot und Sam und Lucy möchten seine Beine gestatten. Mit der Leiche des Vaters auf dem Rücken ihres Pferdes reiten sie nun durch die Prärie, damit seine Seele nach dem Begräbnis Frieden finden kann.

Nachdem uns die Autorin hier eine schon nahezu völlig fragmentierte Familie präsentiert, geht es in den folgenden Teilen zurück zu den Anfängen. Vater und Mutter dürfen erzählen, ihre Sichtweise zu Gehör bringen. Wie fanden sich die Eltern, beide aufgrund ihres Aussehens und ihrer Andersartigkeit Außenseiter? Wie erlebten die beiden den Goldrausch, was bedeutet und bedeutete Familie für die beiden? Zhang zeigt hier einen ganz besonderen Familienverbund, die als Kuriosum in der lokalen Goldgräbergemeinde angesehen wurde. Sprache, Aussehen, Verhalten – alles an dieser Familie war anders als die Mehrheit. So gelingt es C Pam Zhang, einen alternativen Blick auf den amerikanischen Goldrausch und seiner Abgründe zu werfen, wie er mit seit Jugendtagen (damals in Form von Rainer M. Schröders Goldrausch in Kalifornien) nicht mehr begegnet ist. Fernab von jeder Klondike- und Glücksritterromantik zeigt sie hier den Raubbau an Mensch und Natur, den dieser Rausch bedeutete.

Von der Frage der Identität

Nicht nur in diesem Punkt der Ökologie und des fragwürdigen Umgangs mit den Ressourcen der Natur weist Wie viel von diesen Hügeln ist Gold viele Berührungspunkte mit der Gegenwart auf. Auch die Frage von Geschlecht und gesellschaftlicher Zuschreibung spielt in diesem Roman eine wichtige Rolle. So nutzt Zhang geschickt den Kniff, Sam stets nur mit dem geschlechtslosen Kurznamen anzusprechen (was auch gut in die tolle deutsche Übersetzung von Eva Regul hinübergerettet wird). Denn obwohl Sam eigentlich ein Mädchen ist, wurde ihr vom Vater die Rolle des nicht vorhandenen Sohns zugewiesen. Und Sam fühlt sich mit dieser Zuschreibung ganz wohl. Sie trägt das Haar kurz und ist mit ihrem durchaus aggressiven Charakter so ganz anders als Lucy, die versucht, die letzten Rumpfbestände der Familie zusammenzuhalten. Hochinteressant, wie Zhang hier zeigt, wie Geschlecht eben nicht nur Biologie sondern auch gesellschaftliche Zuschreibung sein kann.

Und nicht zuletzt ist es auch die Sprache, die dieses Buch so besonders macht. Wie viel von diesen Hügeln ist Gold besitzt einen eigenen Sound ist sprachmächtig und ragt aus der Masse heraus. C Pam Zhang besitzt die Gabe, poetische Schilderungen mit höchster Grausamkeit zu verbinden, Elegie, Tod und Action zu einer eindringlichen Melange zu verschmelzen. Immer wieder sind chinesische Satzfetzen in die Gespräche eingeflochten, reden Menschen aneinander vorbei und sind auch hier wieder: uneindeutig.

Fazit

Diese Ambiguität, Vielfalt der Themen und überzeugende literarische und poetische Gestaltung neben einer interessanten Konstruktion machen für mich den Reiz von Wie viel von diesen Hügeln ist Gold aus. Eine Gegenerzählung zum oftmals romantisierten „Goldrausch“ und seiner Glücksritter, das Porträt einer auseinanderdriftenden Familie und dazu noch viele Berührungspunkten mit aktuellen Diskursen und Fragestellungen. Ein Buch, das auf ganzer Linie überzeugt und viele Denkanstöße liefert.


  • C Pam Zhang – Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
  • Aus dem Amerikanischen von Eva Regul
  • ISBN: 978-3-10-397392-1 (S. Fischer)
  • 352 Seiten. Preis: 22,00 €
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Beth Ann Fennelly / Tom Franklin – Das Meer von Missisippi

Überschwemmungen in einigen Teil Deutschlands wie aktuell in Teilen Frankens und Nordrhein-Westfalens lassen aufhorchen. Immer wieder sind es Starkregen oder Wetterlagen wie die in Stuttgart, die Teile des Landes unter Wasser setzen. Solche Ereignisse lassen Erinnerungen hochkommen an Naturkatastrophen, die zu Landmarken der deutschen Geschichte wurden, etwa die Sturmflut in Hamburg oder das Elb-Hochwasser im Jahr 2002.

Während wir uns in Deutschland an diese Ereignisse immer wieder erinnern, ist es in Amerika eine deutlich größere Flutkatastrophe, die nahezu dem Vergessen anheimgefallen ist, wie es das Autorenpaar Beth Ann Fennelly und Tom Franklin im Vorwort zu Das Meer von Mississippi schildert. 1927 kam es in großen Teilen der Mississippi-Region nach starken Regenfällen zu einer Überflutung der Region, die zahlreiche Menschenleben forderte.

Doch weder den amtierenden Präsidenten Coolidge noch sonstige ranghohe Repräsentanten schien die Katastrophe zu kümmern. Während bei uns schnell Regierungsvertreter zu den Schauplätzen solcher Katastrophen eilen und sich als Krisenmanager*innen inszenieren, glänzte die Obrigkeit in Mississippi mit Abwesenheit und Desinteresse. Aber nachdem der Landstrich von überwiegend armer und damit nicht wahlentscheidender Bevölkerung besiedelt war, hielt sich das Engagement der Regierung eher in Grenzen (was sich ja nicht nur beim Hurrikan Katrina wiederholen sollte). Auch das Erinnern an die Katastrophe wurde nicht wirklich aktiv betrieben, der Blick ging schnell nach vorne. Und so haben es sich Fennelly und Franklin zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an die damaligen Geschehnisse noch einmal wachzurufen und die Leserinnen und Leser mitzunehmen in ein von Regen getränktes Mississippi-Delta im Jahr 1927.

Ein Paar voller Gegensätze

Dazu setzen sie ein äußerst gegensätzliches Paar Protagonisten in den Mittelpunkt des Buchs. Da ist der Bluesliebhaber und Prohibitionsagent Ted Ingersoll, der mit seinem Partner Johnson einen Spezialauftrag von Herbert Hoover erhält. Im Süden der USA sind zwei andere Agenten verschwunden, die mit dem Aufspüren von Schwarzbrennern beauftragt waren. Nachdem die Männer wie vom Erdboden verschluckt sind, sollen Ingersoll und Johnson nun Licht in die Angelegenheit bringen. Bei ihrer Suche im Dauerregen von Mississippi stoßen die beiden bei ihrer Suche auf ein herrenloses Baby, dessen sich Ingersoll annimmt.

Beth An Fennelly / Tom Franklin - Das Meer von Mississippi (Cover)

Um sich auf ihre Suche konzentrieren zu können, gibt Ingersoll das Baby in die Obhut von Dixie Clay Holliver, der zweiten Hauptfigur des Romans. Dabei ahnt Ingersoll allerdings nicht, dass es just Dixies Mann war, in dessen Gegenwart man die zwei verschwundenen Agenten zuletzt gesehen hat. Denn Dixies Mann ist ein Alkoholschmuggler, der die strengen Prohibitionsgesetze geschickt zu umgehen weiß. Die eigentliche Kraft hinter seinen Umtrieben ist allerdings Dixie selbst, eine hochtalentierte Schwarzbrennerin, die auf ihrer Farm in der Nähe des kleinen Dörfchens Hobnob den besten Moonshine im Süden brennt.

Aus der Spannung zwischen diesen eigentlich diametral entgegengesetzten Figuren zieht Das Meer von Mississippi seinen Reiz. Während der Regen unerbittlich vom Himmel fällt und einen immer größeren Druck auf die Flüsse und Deiche ausübt, kommen sich Ingersoll und Dixie näher. Beth Ann Fennelly und Tom Franklin inszenieren das mit wuchtigen Bildern und viel Gespür für Timing und Tempo. Wie sich die beiden immer weiter annähern, wie zugleich die Pegelstände steigen und sich die Handlung um die beiden gegensätzlichen Figuren herum immer schneller beschleunigt und schließlich in nicht nur einem metaphorischen Dammbruch endet, das ist ausnehmend gut gemacht. Immer wieder gelingen den beiden eindrucksvolle Szenen und farbig geschilderte Momentaufnahmen aus einer Welt, die sich zunehmend im Chaos verliert (übersetzt von Eva Bonné).

Fazit

Das Buch kann überzeugen und ist eine wirkliche Lesefreude, wenngleich der Publikationsort im Verlag Heyne Hardcore etwas in die Irre führt. Schreibt Tom Franklin sonst Thriller ganz anderen Kalibers, handelt es sich hier doch zuvorderst um einen Roman, der Elemente aus Krimi, Schmonzette und historischem Schmugglerepos á la Dennis Lehane miteinander formidabel verzahnt. Hardcore ist hier nichts, dafür aber durchaus eindrücklich. Und somit ist das Anliegen des Autoren- und Ehepaars durchaus gelungen, an diese vergessene Katastrophe zu erinnern und ihr ein literarisches Denkmal zu setzen! Ein Buch, das nicht nur in diesen regnerischen Tagen wärmstens empfohlen sei!


  • Benn Ann Fennelly / Tom Franklin – Das Meer von Mississippi
  • Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
  • ISBN: 978-3-453-27285-9 (Heyne Hardcore)
  • 384 Seiten. Preis: 22,00 Euro
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Donald Ray Pollock – Die himmlische Tafel

Keine Hoffnung, nirgends. Donald Ray Pollock entführt in seinem dritten auf Deutsch vorliegenden Roman Die himmlische Tafel in eine Welt, in der Not, Elend und Gewalt dominieren. Eine triste Reise, mitreißend geschildert.


Alles beginnt mit dem Farmer Pear Jewett. Dieser legt mit seinen Söhnen einen protestantischen Arbeitseifer an den Tag. Bettelarm schuftet er mit ihnen Tag für Tag und hat sein großes Ziel vor Augen: einen Platz an der himmlischen Tafel, den er sich verhofft. In Kontakt mit dem Jenseits gerät er allerdings schneller als gedacht. Schon zu Beginn des Buchs verstirbt er und hinterlässt seinen drei Jungen keinerlei irdischen Besitz. Im ärmlichen Georgia beschließen die drei, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Orientierung verheißt ihnen dabei der Groschenroman Bloody Bill Bucket, der das Leben eines Outlaws beschreibt.

Die drei Brüder eifern ihrem Vorbild nach und beschließen, eine Bank zu überfallen. Doch bei einem Überfall soll es nicht bleiben. Und schon bald zieht sich eine Schneise der Gewalt und Brutalität durch ganz Georgia. Allerdings machen auch eine ganze Reihe von Bürgern Jagd auf die drei. Vom Playboy bis zum ausgeraubten Händler jagen alle möglichen Verfolger den Outlaws hinterher. Da wird es schwierig mit einem Platz an der himmlischen Tafel.

Eine Hymne auf den Dilettantismus

Die himmlische Tafel ist ein Buch, das den Diletantismus feiert und in allen Facetten inszeniert. Denn wenngleich man mit den Stichworten Outlaws, Banküberfälle und Fluch viel Hollywoodglanz á la Butch Cassidy and the Sundance Kid verbindet, besitzt Donald Ray Pollocks Buch nichts davon. Die Überfälle sind dilettantisch, die Verfolger stolpern oftmals eher über die eigenen Füße denn über die Gesuchten. Bis es zum (ebenfalls recht schlampig und fehlerhaft) durchgeführten Showdown kommt, vergehen viele hundert Seiten.

Diese Seiten sind randvoll mit Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Armut, die plastisch geschildert werden. So etwas wie Sympathieträger findet man in Roman eh kaum. Vielmehr zeigt Donald Ray Pollock Figuren, die denkbar weit weg sind vom amerikanischen Traum. Im Militär herrschen intellektuelle Ödnis, dumpf brodelndes Machotum und Homophobie, die Farmer schuften und arbeiten sich auf, ohne je einen Silberstreif am Horizont zu erahnen. Hochstapler, Huren und und Hallodris bevölkern das Pollock’sche Georgia 1917 en masse. So entsteht ein schmutziger Thriller, der das Tun und Treiben der drei Outlaws genau betrachtet, sich aber auch Zeit für etwas grimmigen Humor nimmt.

Fazit

Die himmlische Tafel ist ein Buch, das sehr explizit die Gewalt schildert, die die drei Brüder im Hinterland der USA hinterlassen. Dabei gelingt Donald Ray Pollock ein Buch, das eine Vielzahl von Figuren in den Blick nimmt. Eindringlich schildert er das Leben im amerikanischen Hinterland, das sich trotz des Jahres 1917 eher wie das 18. Jahrhundert anfühlt. Ein Buch mit hoher Plastizität, zurecht mit dem Deutschen Krimipreis 2017 ausgezeichnet und famos ins Deutsche übertragen von Peter Torberg. Eine echte Backlistperle aus dem Liebeskind-Verlag!


  • Donald Ray Pollock – Die himmlische Tafel
  • Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • ISBN 978-3-95438-065-7 (Liebeskind)
  • 432 Seiten. Preis: 22,00 €
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James McBride – Der heilige King Kong

Ein heruntergekommener Treffpunkt im Brooklyn Ender der 60er Jahre. Jugendliche Drogendealer, ein Hehler mit italienischen Wurzeln namens Elefante, abgewirtschaftete Häuser, wenig Perspektive und mittendrin die Kirchengemeinde Five Ends. Das ist das Setting von James McBrides Roman Der heilige King Kong.


Eine schwer fassliche Tat wirbelt das Leben dort gehörig durcheinander. Denn eines Tages betritt der betagte Diakon Cuffy „Sportcoart“ Lambkin den Platz, an dem die Jugendlichen ihre Drogen hndeln. Er hält dem Anführer der Bande seinen alten Revolver ins Gesicht und drückt ab. Der Dealer überlebt verletzt die Tat und die Gemeinde ist aus dem Häuschen. Was hat den alten Diakon zu der Tat motiviert? Schließlich trainierte der alte Mann den Dealer einst als Kind, eine große Karriere als Quarterback hätte ihm in Aussicht gestanden. Nicht einfacher wird es, da Cuffy zu Hochprozentigem neigt und sich schon kurz nach der Tat nicht mehr an seinen verhängnisvollen Schuss erinnern kann.

King Kong im sozialen Brennpunkt

Wie bei einem Dominospiel löst der Schuss eine ganze Kette an Folgeereignissen aus. Drogendealer, Polizisten, die Mitglieder der Kirchengemeinde. Sie alle werden durch Sportcoats Tat beeinflusst. James McBride beobachtet und beschreibt all dies in der Folge, in dem er immer wieder den Blickwinkel wechselt. Dabei wählt er verschiedene Stilmittel zu Erzählung. Es gibt Passagen voller Slapstick, andere Passagen erinnern an eine Seifenoper, Thriller oder einschlägige Sozialreportagen.

„Nun wars ab, Mister. Ich werd dir ’n paar Sachen erzählen, die jeden zur Flasche greifen lassn. Und wenn ich fertig bin, ges du und tus, was immer du tun muss. Aber zuerst: Wo iss mein Käse?“

„Was?“

„Mein Käse.“

„Ich hab kein Käse.“

„Dann iss das das, was ich dir zuerst erzähle“, sagte sie, „Denn es iss alles miteinaner verbunden. Ich erzähls dies eine Mal. Aber komm nich noch mal durch meine Türe, wenn du mein Käse nich hass.“

James MacBride – Der heilige King Kong, S. 398

So entsteht ein literarisch diverses und umfassendes Bild des Lebens dort im Brooklyner Außenseiterbezirk. Gelungen schafft es McBride dabei, alle Fäden gemeinsam zu verknüpfen, sodass man am Ende sogar erfährt, woher der geheimnisvolle Edelkäse stammt, der sich wie durch ein Wunder jede Woche im Keller einer der Sozialwohnungen materialisiert.

Eine verbesserungswürdige Übersetzung

James McBride - Der heilige King Kong (Cover)

Ein wenig fraglich ist für mich nur die Übersetzung des Buchs durch Werner Löcher-Lawrence. So stolperte ich, auch eingedenk aktueller Übersetzungs- und Identitätsdebatten immer wieder über die N**** Worte, mit der sich die Protagonisten dort im Brennpunkt bedenken. Auch liest man immer wieder von „Farbigen“, einem Wort, das auf mich doch sehr überkommen wirkte. Lila, hellgrün oder sosa sind die Menschen ja kaum, es handelt sich um Latinos, Italiener und eben auch Schwarze. Ob es da die Vielzahl an N****-Worten gebraucht hätte, das frage ich mich wirklich. Auch befremdete mich das übersetzte Idiom der Bewohner dieses Fleckchens in Harlem. Alle Bewohner klingen durchweg ungebildet, simpel und fast etwas minderbemittelt. Allerdings lag mir das übersetzte Original nicht vor, sodass Werner Löcher-Lawrence‘ Übertragung auch eng am Original liegen mag. Im Deutschen liest es sich alles etwas ungelenk und naiv.

Immer wieder drängte sich mir während der Lektüre die Frage auf, ob es 2021 für ein solches Buch nicht eine zeitgemäßere und bessere Übersetzung für schwarzen Soziolekt und fragwürdige Termini gibt. Auch wenn ich selbst keine Patentlösung für das Poblem habe, zeigen doch etwa Miriam Mandelkow oder Uda Strätling in ihren präzisen Übersetzungen, wie moderne und nicht-rassistische Übersetzungsarbeit gehen kann. Schön wäre es, wenn man dieses Buch als Ausgangspunkt für eine Debatte nehmen könnte, wie modernes, inklusives und trotzdem originalgetreues Übersetzen solcher Texte aussehen könnte. In Zeiten zunehmender Sensibilisierung und breit geführter Debatten wäre so etwas auch für Übersetzungen in meinen Augen wünschenswert.

Einen ähnlichen Kritikpunkt äußert auch Sieglinde Geisel in ihrer Besprechung des Buchs für SRF Kultur 2. Auch Isabella Caldart schlägt auf ihrem Blog in diese Kerbe. Thomas Wörtche hingegen lobt den großen Wurf McBrides im Deutschlandfunk Kultur.


  • James McBride – Der heilige King Kong
  • Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
  • ISBN: 978-3-442-75924-8 (btb)
  • 448 Seiten. Preis: 22,00 €
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Ann Petry – Country Place

In der Coronakrise hat das Dorf und die Kleinstadt wieder an Prestige gewonnen. Viele sahen und sehen dort die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Viel Platz für Eigenheim und Kinder, ein begrenztes soziales Umfeld und (noch) erschwingliche Grundstückspreise. Das ist in heutigen Zeiten für viele Städter mehr als verlockend. Doch auch in der Literatur hat das Dorf jüngst eine Renaissance erfahren. Angefangen von Juli Zehs Bestseller Unterleuten über Dörte Hansen bis hin zu Christoph Peters reicht die Reihe an Büchern, die sich mit dem Dorfleben beschäftigen. Dabei schwingt auch immer die Gefahr der Verklärung mit, die das Dorf als Hort der Nostalgie und des reibungslosen Miteinanders personifiziert.

Ein Antidot zu solchen Verklärungen und falschen Vorstellungen ist Ann Petrys Roman Country Place. Ursprünglich 1947 erschienen, liegt das Buch nun erstmals in einer Übersetzung von Pieke Biermann auf Deutsch vor. Im Jahr zuvor erschien das grandiose und zu Unrecht vergessene Buch The Street Petrys in der Übersetzung von Uda Strätling. Es scheint, als beginne langsam die Renaissance dieser so kraftvollen und talentierten Autorin. Eine sehr begrüßenswerte Entwicklung!

Heimkehr nach Lennox

Ann Petry - Country Place (Cover)

Dabei beginnt alles mit einem klassischen Motiv: ein Held kehrt heim aus der Schlacht zu seiner Frau. Sein Name ist Johnnie, er hat im Zweiten Weltkrieg gekämpft und kehrt nun in das kleine Küstenstädtchen Lennox heim. Dort wartet seine Frau Glory auf ihn. Doch von Anziehung und Begehren nach der langen Absenz ihres Mannes kann keine Rede sein. Sie hat sich in der Abwesenheit mit dem Besitzer einer Tankstelle eingelassen, der im Städtchen als unverbesserlicher Frauenheld berüchtigt ist. Und so muss dieser moderne Odysseus erkennen, dass er sich in seinen Vorstellungen ein ganz anderes Bild gemacht hat, als es sich dann in der Realität präsentiert.

Doch nicht nur Johnnies Ehefrau war ihm untreu und wurde ihm abspenstig gemacht. Auch all die anderen Bewohnerinnen des Städtchens haben ihre Abgründe. Ehebruch, Antisemitismus und sogar versuchter Mord gibt es im kleinen Lennox, wie Ann Petry zeigt. Man belauert sich gegenseitig, intrigiert und spricht schlecht hinter dem Rücken übereinander. Oftmals braucht es dazu auch gar nicht den Rücken, sondern man sagt sich ins Gesicht, was man voneinander hält. Besonders die Figur des Taxifahrers, das „Wiesel“ sticht hier hervor und macht seinem Spitznamen alle Ehre. Er intrigiert, stichelt und hat dabei selbst doch auch eigene Leichen im Keller.

Die Hölle, das sind die anderen

Das Bild des Kleinstadtlebens, das Ann Petry in ihrem Buch zeichnet, ist alles andere als schmeichelhaft. Wie man übereinander herzieht, sich gegenseitig in schlechtem Licht dastehen lässt und sich das Leben schwermacht, daran hätte auch Jean-Paul Satre seine Freude gehabt. Erstaunlich an diesem Buch aus dem Jahr 1947 ist auch, wie Ann Petry als schwarze Autorin ihren weißen Mitmenschen gnadenlos den Spiegel vorhält. Sie zeigt all die Verlogenheit der sich so überlegen fühlenden Weißen. Schwarze kommt in diesem Roman allenfalls als Bedienstete vor.

Für einen Roman aus den 40er Jahren ist das wirklich bemerkenswert (man denke nur an den ähnlich gelagerten Fall von James Baldwins Roman Giovannis Zimmer). Da verzeiht man der Autorin auch manch arg plakativen Figuren und Motive. Dass der verschlagene und intrigante Taxifahrer „Das Wiesel“ heißt, dass es einen Sturm braucht, der die Beziehungen und Verhältnisse durcheinanderwirbelt, das ist alles etwas uneleganter als in The Street gelöst, dessen Qualität Country Place nicht ganz erreicht.

Und dennoch ist das Buch in seiner soziologischen Schärfe, seinen mit Krimi- und Kolportageelementen versetzten Plot durchaus stark und völlig zurecht jetzt auf Deutsch zugänglich gemacht worden. Zu keinem Zeitpunkt wirkt das Buch antiquiert oder inszenatorisch angestaubt. Country Place besitzt eine Frische und Stärke, die die diese deutsche Erstausgabe evident macht, wenngleich man als deutschsprachige Leser*in gute 70 Jahre Wartezeit in Kauf nehmen musste.

Das Nachwort von Farah Jasmine Griffin rundet das Buch hervorragend ab. Gelobt sei an dieser Stelle auch Pieke Biermann für ihre Übertragung und der Verlag Nagel & Kimche für den editorischen Mut, sukzessive das Werk Petry neu auf Deutsch zugänglich zu machen!

Eine weitere Besprechung zu diesem Buch gibt es bei Deutschlandfunk Kultur.


  • Ann Petry – Country Place
  • Aus dem Englischen von Pieke Biermann
  • Mit einem Nachwort von Farah Jasmine Griffin
  • ISBN 978-3-312-01225-1 (Nagel&Kimche)
  • 304 Seiten. Preis: 24,00 €
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