Tag Archives: Verschwinden

Reginald Hill – Die letzte Stunde naht

Was hat der Dicke nicht schon alles überlebt – einen Bombenanschlag (Der Tod und der Dicke), eine Kur (Der Tod heilt alle Wunden) – und nun auch noch das. Kaum genesen verwechselt das kriminalistische Schwergewicht den Wochentag und landet so statt montags im Büro am Sonntag in der Kirche. Dort macht er die Bekanntschaft einer jungen Dame, die Andy Dalziel um Hilfe bittet. Ihr Ehemann Alex ist vor sieben Jahren verschwunden, nun will sie ihn für tot erklären lassen. Denn sie lebt inzwischen mit einem anderen Polizisten zusammen und will die alten Zöpfe abschneiden. Dalziel soll ihr helfen, das Verschwinden ihres Ex-Mannes aufzuklären.

Dies ist allerdings alles andere als einfach, denn nachdem Dalziel noch verwirrt von seiner Wochentag-Verwechslung der Dame seine Hilfe zusichert, wird die Sache wirklich kompliziert (und tödlich). Denn hinter der Frau ist ein Killer-Duo her, das Böses im Schild führen. Und dann mischen auch noch weitere Polizisten, Reporter und aufstrebende Politiker mit, sodass der Fall zum Mahlstein für Dalziel und Pascoe zu werden droht. Wem naht die letzte Stunde?

Acht Jahre hat es gedauert, bis nun auch der letzte Fall des legendären Duos Dalziel/Pascoe auf Deutsch vorliegt. Übersetzt wurde der finale Band erneut von Karl-Heinz Ebnet. Gelohnt hat es sich auf alle Fälle.

Der letzte Fall des ungleichen Duos hat es wieder in sich – hier zeigt sich Reginald Hill voll auf der Höhe seiner Könnerschaft. Wie er den zunächst recht abstrusen Plot immer dichter verwebt und zusammenführt, sodass auch die einzelnen Exkurse und Stränge am Ende zusammenpassen und einen Sinn ergeben, das ist meisterhaft. Eine Besonderheit dieses Abschlussbandes ist es auch, dass Hill die gesamte Handlung an einem einzigen Tag spielen lässt. Die von Accelerando bis Furioso reichenden Kapiteleinteilungen bilden die Grobgliederung, die einzelnen Kapitel selbst werden einfach mit den Uhrzeiten benannt, zu denen sich die aktuelle Handlung abspielt. Das sorgt für Tempo und Abwechslung.

Schade, dass es nun mit Dalziel und Pascoe ein Ende hat – der großartige Autor Reginald Hill verstarb ja bereits 2012. Wünschenswert wäre es, nun da der Abschlussband endlich vorliegt, dass die Vorgängerbände noch einmal als Gesamtausgabe veröffentlicht werden, liegen doch fast alle Bücher der Dalziel/Pascoe-Reihe nur noch antiquarisch vor. Die Qualität dieser Reihe würde dies definitiv rechtfertigen!

Paul Mendelson – Die Unschuld stirbt, das Böse lebt

Die toten Jungen von Kapstadt

Der Tatort, zu dem Vaughn de Vries nahe Kapstadt gerufen wird, ist ein bedrückender Schauplatz eines Verbrechens:  In einem Abfallcontainer wurden die Leichen zweier Jungen entsorgt. Die anämischen Körper zeigen, dass die Jungen lange kein Licht mehr gesehen haben. Zudem ergibt die gerichtsmedizinische Auswertung, dass die beiden Opfer vor ihrem Tod missbraucht wurden. All das katapultiert den Ermittler de Vries in Erinnerungen sieben Jahre zurück. Damals verschwanden drei Jungen in Südafrika und blieben verschwunden. Zwei der Toten sind nun tatsächlich die Entführungsopfer aus dem Jahr 2007 – und de Vries wird mit seinem damaligen Versagen konfrontiert.

978-3-499-27072-7Umso verbissener macht er sich deshalb natürlich an die aktuellen Ermittlungen, um damit auch den Entführern der Jungen sieben Jahre zuvor auf die Spur zu kommen. Wo wurden die Jungen so lange gefangen gehalten und wer hat bei diesem Verbrechen seine Finger im Spiel? Erschwert wird seine Suche nach der Wahrheit dabei von einem Polizeiapparat, der de Vries zahlreiche Knüppel zwischen die Beine wirft, um ihn scheitern zu sehen. Interne Ermittler haben es genauso auf de Vries abgesehen wie die Leitung der Polizeibehörde – und so muss dieser an zwei Fronten kämpfen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

 

 

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Stuart MacBride – In Blut verbunden

Schottland, kurz hinter Aberdeen, am Rande der Welt. Ein Landstrich, der außer Meer und Wiesen nicht viel zu bieten hat. Die Käffer tragen Namen wie Banff oder MacDuff – und inmitten dieser Ödnis Detective Sergeant Logan McRae. Dieser hat es wieder einmal geschafft, zugleich einen Fall zu lösen und sich damit  ein Stück auf der Karriereleiter hinabzuarbeiten. Nachdem er einen Entführer im Alleingang stellte, droht nun der ganze Fall wie ein Baiser in sich zusammenzufallen. Die Öffentlichkeit und die Interne Ermittlung toben, und so heißt es für Logan – ab aufs Land: Spektakuläre Fälle wie in Schlangenlinien fahrende Autos, verschwundene Senioren oder Brände sind hier an der Tagesordnung, mit denen er sich nun als diensthabender Sergeant herumschlagen darf.

In Blut verbunden von Stuart MacBride

In Blut verbunden von Stuart MacBride

Doch schon bald schlagen McRaes kriminalistische Instinkte an. Immer wieder verschwinden pädophile Männer ohne jegliche Spur in der Region Aberdeenshire. Als dann auch noch in einem verlassenen Strandbad die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden wird, lässt sich der schottische Kriminalbeamte auch von Komptenzen oder Kollegen nicht mehr stoppen. Er beginnt zu ermitteln, wobei ihm auch seine alte Nemesis/Busenfreundin DI Roberta Steel zur Seite steht. Schnell wird es für Logan McRae dann auch persönlich, als die Mutter des mutmaßlichen Opfers bei ihm vor der Tür steht. Und dann ist da noch die Interne Ermittlung, die ihm am Zeug flicken will.

In Blut verbunden ist abermals ein Ziegelstein von Buch, wie von Stuart MacBride nicht anders gewohnt. Über 700 Seiten verwendet der schottische Autor, um den Kosmos um Logan McRae erneut einen Besuch abzustatten (dies ist nun auch schon der neunte Band aus der ganzen Reihe, zuletzt erschien Das Knochenband). Neben dem veränderten Setting (hier ist nun statt der granite city Aberdeen das vermeintlich beschauliche Hinterland der Schauplatz) setzt Stuart MacBride wieder auf die bekannten Charaktere und Dynamiken (noch immer zählen die Schlagabtausche zwischen Roberta Steel und McRae zum lustigsten, was die britische Kriminalliteratur derzeit hervorbringt).

Das Buch ist mit seiner gut gelungenen Mischung aus dunklem Humor und Krimi eine nahtlose Fortsetzung der McRae-Reihe und fällt auch in der neunten Fortsetzung nicht ab. Einen stringent durchgehenden Kriminalfall gibt es auch in diesem Buch nicht, zwar dominiert die Suche nach der Identität und des Mörders des Mädchens, doch McBride reichert sein Buch wieder mit allerhand sonstigen Episoden an. So muss hier eine Bande gestellt werden, die Raubüberfälle auf Geldautomaten verübt, Drogen-Ermittlungen laufen, eine Undercover-Ermittlerin wurde erschossen, Steels Gattin wird abermals Mutter, etc. – viel zu tun also für McRae!

Auch im neunten Band um Detective Sergeant Logan McRae lässt sich Stuart McBride nicht lumpen und beschenkt Fans der Reihe um den sturköpfigen Ermittler mit dem Hang zum Griff ins Klo wieder mit einem tollen Buch!

 

Mark Billingham – Die Lügen der Anderen

Die Luegen der Anderen von Mark Billingham

Die Lügen der Anderen von Mark Billingham

Drei Pärchen aus England, ein Mord in Florida und einer der sechs Menschen, der nicht ist, was er zu sein scheint. Dies ist die Grundidee hinter dem neuen Roman des britischen Krimischriftstellers Mark Billingham. Dieser schrieb bislang Krimis mit dem Ermittler Tom Thorne, ehe er nun inhaltlich und formal etwas Neues ausprobierte.

Die Lügen der Anderen erzählt von drei durchschnittlichen englischen Mittelstandspärchen, die es sich zwischen Hauskauf, Kindern und täglichem Job bequem eingerichtet haben. In einem Urlaub in Florida lernen sich die drei Pärchen per Zufall kennen und verstehen sich auf Anhieb recht gut. Doch inmitten dieser ganzen Idylle passiert am letzten Tag ihres Aufenthalts in Florida dort ein Mord. Ein behindertes Mädchen verschwindet zunächst und wird dann tot aufgefunden. Schnell wird klar, dass einer der sechs Engländer hinter dem Mord stecken muss, doch die Frage ist nur –  wer? Welcher der britischen Bürger wahrt eine trügerische Fassade, hinter der sich ein kaltblütiger Mörder versteckt? Continue reading

Eleanor Catton – Die Gestirne

Sternenstaub

Es ist ein Bild, das Künstler in Öl hätten malen können: Eines Abends 1866 im Januar betritt Walter Moody im Städtchen Hokitika in Neuseeland das Crown Hotel. Eigentlich möchte er nur Ruhe finden und einen Drink zu sich nehmen, doch als er das Raucherzimmer des Hotels betritt, stört er eine illustre Versammlung, die durch das Auftauchen des Glücksritters im Hinterzimmer beträchtlich in Aufregung gerät.
12 Männer haben sich im Raum versammelt, um mysteriösen Dingen auf den Grund zu gehen. Es geht um verschwundenes Gold, eine bewusstlos aufgefundene Hure, verschwundene Frachtkisten, einen toten Einsiedler, dubiose Dokumente, einen verschwundenen Goldschürfer und dergleichen mehr.
Dies klingt nicht nur kompliziert – es ist es auch. Doch die Versammlung der 12 Männer zieht nach den anfänglichen Irritationen Walter Moody schnell in ins Vertrauen. Einer nach dem anderen enthüllt in seinen Ausführungen, welche Ereignisse dafür gesorgt haben, dass die Männer just an jenem Abend im Crown Hotel zusammenkamen.

Von Sternen und Strängen

Eleanor Cattons Roman (fabelhaft ins Deutsche übertragen von der Dickens-Übersetzerin Melanie Walz) ist ein Buch, das sich schwerlich in Worte packen lässt. Inhaltlich verschränkt die junge Autorin Astronomie, den neuseeländischen Goldrausch, einen Krimi und Astrologie zu einem höchst ungewöhnlichen Gemenge.
Mag man beim Lesen des Klappentextes dieses Romans auch den Eindruck bekommen, es handele sich bei Die Gestirne alleine um einen Krimi oder eine Liebesgeschichte, so stellt man im Lauf der Seiten fest, dass sich das Buch ebenso strikt wie gekonnt einer Einordnung in ein Genre entzieht.
Die so plakativ beworbene Romanze rollt sich nur langsam auf und auch Krimileser dürften zunächst enttäuscht sein. Dabei hat das Buch doch eigentlich alles, was einen Krimi auszeichnet – verschwundene Personen, Mord, Geheimnisse allerorten.
So leicht macht sich es Eleanor Catton dann aber nicht (was man bei einem mit dem Booker-Preis 2013 ausgezeichneten Roman auch nicht erwarten sollte).
Den 12 Männern im Raucherzimmer ordnet sie individuelle Tierkreiszeichen zu, die die Handlung bestimmen. Einzelne Sternzeichen zueinander sind die Kapitelüberschriften und ähnlich einem Experiment stellt sie zunächst immer wieder die einzelnen Protagonisten gegeneinander auf, um ihre Beziehungen und Geheimnisse langsam zu entschlüsseln.

Der goldene Schnitt des Erzählens

Der goldene Schnitt bei einer Schnecke (c) Flickr

Der goldene Schnitt bei einer Schnecke (c) Flickr

Am Anfang liest sich das Ganze unglaublich statisch. Umständlich erläutert jeder Charakter Querverbindungen und Hintergründe. Ähnlich wie Walter Moody muss man erst einmal hinter die einzelnen Geschehnisse, Charaktere und deren Geheimnisse kommen.

Eleanor Catton lässt sich Zeit um die Fäden langsam zu entrollen. Wie bei einer Schnecke folgt Windung auf Windung.
Und die Schnecke ist auch ein perfektes Bild, um die Konstruktion des Romans zu erklären. Die knapp 1050 Seiten von Die Gestirne folgen nämlich einem klaren Muster. 12 Protagonisten gibt es, 12 Tierkreiszeichen beschreiben diese und folglich gliedert sich der Roman auch in 12 Abschnitte auf.
Von diesen ist jeder genau um die Hälfte kürzer als der vorangegangene. Einzelne Kapitel werden mit der antiquierten Technik der vorangestellten Zusammenfassung des Kapitels eingeleitet und kennzeichnen sich durch eine alte, aber nicht altmodische Sprache.
Der erste Teil und damit auch die ersten Kapitel des Buchs sind sehr lang, erst nach 460 sind die Hintergründe des Treffens im Crown Hotel erläutert und die einzelnen Figuren eingeführt,
um dann gegenläufig zu werden. Immer kürzer werden die Kapitel und die Abschnitte, sodass sich das Lesetempo mit dem Voranschreiten des Buchs steigert.
Für mich ist dies der goldene Schnitt des Erzählens, der hier höchst originell umgesetzt wird.

Ein Panoptikum des Goldrausches

Mit Die Gestirne ist Eleanor Catton einer der wohl ambitioniertesten und am sorgfältigsten komponierten Romane der letzten Jahre gelungen, dessen Auszeichnung mit dem Booker-Prize nur konsequent erscheint. Mich unterhielt das Buch nicht immer, gerade zu Beginn hätte ich mir mehr Tempo und weniger Statik gewünscht. Wie sich dann aber zum Ende des Buchs hin alles fügt und sich die Mühe und Akribie zeigt, die Catton der Konstruktion ihres Romans zugrunde legt, dies verdient allerhöchste Anerkennung.
Für mich ist dieses Buch, müsste man es zusammenfassen, ein literarisch ausgefeiltes Panoptikum des neuseeländischen Goldrausches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine Genreeinteilung schlägt für mich genauso fehl wie eine inhaltliche Eingrenzung dieses Mammutwerks. Sicher in seiner Form momentan ein Solitär in der Literatur!

 

Hier spielt „Die Gestirne“: Die Provinz Otago,in Neuseeland, ein Zentrum des Goldrausch               (c) Flickr/Craig Holloway