Die Klärung der Provenienz eines Gemäldes bringt den Kunstsachverständigen und Bonvivant Lennard Lomberg in Andreas Storms Kunstkrimi Die Victoria-Verschwörung einmal mehr in Kontakt mit einem dunklen Kapitel der Historie. Diesmal ist es die deutsch-britische Geschichte, in die er bei seinen Recherchen tief eintaucht. Die Suche nach den Hintergründen einer möglichen Kunstfälschung führt ihn von den Kreise der Royals bis ins Köln der 1960er Jahre, als die Queen Köln besuchte…
Waren es in seinen beiden vorherigen Einsätzen die eigene Familiengeschichte, in die der Kunstsachverständige Lennard Lomberg nach einem Mordfall in Bonn eintauchte (Das neunte Gemälde) und die Zeit der Franco-Diktatur in Spanien (Die Akte Madrid), so bleibt Andreas Storm seinem Erzählkonzept der Verschmelzung von erzählter Gegenwart und Nachkriegsgeschichte treu. Nach Deutschland und Spanien ist es nun Lombergs zweite Heimat England, in die den Kunstkenner ein Auftrag führt, der nach der Expertise und den Kontakten Lombergs verlangt.
Ein Gemälde mit heikler Provenienz
Abermals löst ein Gemälde mit heikler Provenienz die ganze Handlung des Romans aus. So soll Lennard Lomberg auf Vermittlung seines Freundes Peter Barrington diskret für den Verwalter der royalen Kunstschätze in Großbritannien tätig werden. Denn dieser steht vor einem großen Problem.
McEwan zögerte. Dann wandte er sich Lomberg zu: „Nun ja. Die Wahrheit, Dr. Lomberg, lautet: Wir werden erpresst.“
„Wer ist wir?“
„Der Royal Collection Trust. Letzten Mittwoch, also am 21., wurde ein Brief an den Trust zugestellt. An mich adressiert, ohne Absender. In dem Schreiben behauptet ein Unbekannter, dass es sich bei der Victoria 1845 um eine Fälschung handelt. Das Original würde sich aber nicht in Windsor Castle befinden. Als vorläufiger Beleg für diese Behauptung war dem Schreiben ein Foto beigefügt.“ McEwan deutete auf den Tisch: „Das hier.“
Andreas Storm – Die Victoria-Verschwörung, S. 28
Ein in den Privatgemächern der Queen hängendes Aquarellgemälde, das ihre Amtsvorgängerin Königin Victoria zeigt, es setzt die Handlung in Gang, die zu Teilen in München, in London und Nordrhein-Westfalen spielt.
Die verschwundene Victoria 1845
Lange Zeit war das Gemälde von Königin Victoria verschwunden, ehe es von den Deutschen im Rahmen eines Besuchs von Königin Elizabeth II. im Nachkriegsdeutschland der 60er Jahre an die Krone zurückgegeben wurde. Doch nicht nur, dass den royalen Kunstschatz der Ruch einer Fälschung umweht – auch die Vorgeschichte des Kunstwerks ist mehr als spektakulär und dubios. So befand sich die Victoria 1845 einst im Besitz des früheren Prince of Wales und kurzzeitigen Königs Eduard VIII., der das Gemälde nach seiner Abdankung vom Thron ins gemeinsame Pariser Exil mit seiner Frau Wallis Simpson nahm.
Nach der Besatzung von Paris durch die Deutschen und den Wegzug des abgedankten Königs verschwand das Bild spurlos, ehe es dann pünktlich zum Besuch der Queen im Köln des Jahres 1965 wieder auftauchte. Was ist in der Zwischenzeit mit dem Gemälde geschehen und was hat eventuell die Sympathie des abgedankten Regenten für die Nationalsozialisten mit dem Gemälde und dem anonymen Erpresser zu tun?
Es ist eine höchst delikate Angelegenheit, die viel Fingerspitzengefühl erfordert und für die Lomberg tief eintaucht in die Geschichte des Gemäldes und die verschlungenen Wege, die die Victoria 1845 nahm.
Dafür setzt Storm auf sein bewährtes Erzählkonzept der verschachtelten Rückblenden, die zurückführen nach München und zum britischen Geheimdienst, der im besetzten Paris unter gefährlichen Umständen operierte. Verbunden mit der Spurensuche rund um das Gemälde in der Gegenwart entsteht so ein komplexer Kunstkrimi, der Zeitgeschichte, Spekulation, britisches Lebensgefühl und die Welt der Kunst miteinander gut verzahnt.
Ein formidabler Kunstkrimi
Vielleicht sind es ein paar Zufälle zu viel, wenn sich ausgerechnet eine einstige Münchner Kindergärtnerin aus den 60er Jahren dann als Trauma-Expertin im England der Jetztzeit entpuppt, die die richtigen Diagnosen fällt, um den Zustand jener Kunstrestauratorin zu lösen, die mit der Begutachtung der Victoria 1845 beauftragt war und die in eine tiefe Krisis fällt, da ihr eigenes Schicksal aufs Engste mit dem Gemälde verbunden ist.
Von solchen knirschenden Erzählscharnieren abgesehen ist Andreas Storm auch im dritten Streich wieder ein formidabler Kunstkrimi gelungen, der niveauvolle Unterhaltung mit Savoir Vivre und Spannung bietet und der mit seiner ambitionierten Erzählstruktur keine Langweile aufkommen lässt.
Mit seinen Kunstkrimis ist er zu einer deutschen Antwort auf Martin Suter und dessen Ermittler Johann von Allmen avanciert und bedient so seine eigene Nische auf dem schier unübersichtlichen Krimimarkt. Man darf sich schon auf den vierten Einsatz des Kunstkenners freuen!
- Andreas Storm – Die Victoria-Verschwörung
- ISBN 978-3-462-00668-1 (Kiepenheuer & Witsch)
- 368 Seiten. Preis: 17,00 €