Katya Apekina – Je tiefer das Wasser

… desto hässlicher der Fisch

So lautet der Originaltitel von Katya Apekinas Buch in ganzer Länge. Ursprünglich in Amerika in einem Kleinverlag erschienen, hat sich das Buch laut dem Suhrkamp-Verlag zu einem Überraschungserfolg in den USA entwickelt. Nun liegt das Buch in der deutschen Übersetzung durch Brigitte Jakobeit vor. Es erzählt auf formal interessante Art und Weise von einer Familie in Trümmern.


Heute kann ich leicht sagen, dass ich wünschte, ich wäre netter zu meiner Schwester gewesen, aber damals war mir das nicht möglich. Unser Vater hatte mir gerade das Herz gebrochen, unsere Mutter hatte sich gerade umgebracht, und ich hatte mich gerade verbrennen wollen. Ich konnte mir nicht leisten, großzügig zu sein.

Apekina, Katya: Je tiefer die Wasser, S. 343

Katya Apekinas Buch gleicht einer Puzzleschachtel. Sie kippt dem Lesenden eine ganze Menge dieser Puzzlestückchen in Form von multiperspektivisch erzählten Kapiteln entgegen. An uns Leser*innen ist es dann, aus dieser Unzahl an Stimmen und Kapiteln die Haupthandlung zusammenzubasteln. Allzu schwer macht es die Autorin den Leser*innen dabei allerdings nicht.

Denn die Hauptarbeit in Apekinas Erzählung übernehmen Mae und Edith, zwei Schwestern. Am Anfang des Buchs lernen wir sie in New York kennen. Dort haben sie bei Dennis Unterschlupf gefunden, der als Schriftsteller in der Stadt lebt. Er hat die beiden Mädchen zu sich genommen, nachdem die Mutter der beiden einen Suizidversuch unternommen hat.

Sowohl der Suizidversuch ihrer Mutter als auch das plötzliche Auftauchen Dennis‘, der sich als Vater der beiden vorstellt, wirft die beiden Mädchen aus der Bahn. Abwechselnd berichten sie aus ihren Perspektive von ihrem neuen Leben und den zaghaften Annäherungen an ihren Vater, von dem sie bislang nichts ahnten.

Eine Erzählung wie ein Puzzle

Diese Grundkonstellation reichert Apekina mit zahlreichen anderen Stimmen an. So ergänzen Briefe von Dennis an Edith und Maes Mutter die Handlung, Freundinnen der Mädchen und von Dennis erzählen. Die Autorin springt auch von der erzählten Gegenwart im Jahr 1997 zurück in die Jahre 1961 und 1968 sowie nach vorne ins Jahr 2012.

Diese Vielzahl an Facetten der Geschichte glieder die russischstämmige Autorin darüber hinaus in vier Teile, die wiederum noch von zahlreichen Kapiteln unterteilt werden. Viele der erzählten Episoden sind dabei allerdings nicht einmal eineinhalb Seiten lang. Großes Chaos und erzählerische Konfusion? Nicht doch.

Gleicht Je tiefer das Wasser auch einem Puzzle, so ist es ingesamt gesehen doch eher ein 500- denn 2000-Teile Puzzle. Denn die Erzählung ergibt sich trotz der Fülle an Stimmen doch recht klar schon von den ersten Seiten an. Da Edith und Mae als Haupterzählerinnen fungieren, hat man einen klaren roten Faden, an dem man sich orientieren kann.

So richtig warm geworden bin ich mit dem Roman trotz dieser spannenden Erzählkonstruktion nicht wirklich. Zwar unterscheidet sich die Erzählstimme von Mae und ihrer älteren Schwester Edith etwas. Generell klangen mir aber die meisten Protagonist*innen viel zu ähnlich. Auch gelingt es Apekina nicht, ihnen Tiefenschärfe zu verleihen. Um die Familie herum werden alle Erzähler*innen zunehmend blass und hinterließen bei mir keinen großen Eindruck. Auch ist der Roman sprachlich nicht besonders herausragend, sodass das Buch in meinen Augen nicht über den Durchschnitt hinauskommt.

Verena Güntner – Power

Wenn die Suche nach einem Hund die ganze Dorfgemeinschaft auseinanderzureißen droht – Verena Güntners zweiter Roman „Power“.


Wenn man im namenlosen Dorf Verena Güntners jemanden etwas wiederfinden will, dann betet man nicht zum Heiligen Antonius. Kerze ist es, die man fragen muss. Die junge Schülerin hat ein Talent im Auffinden von Dingen. Und so ist es auch sie, die von der alten Frau Hitschke kontaktiert wird. Denn ihr geliebter Hund Power ist verschwunden. Hatte sie ihn kurz vorher noch vor dem Edeka angebunden, findet sich von ihm nach dem Supermarktbesuch keine Spur mehr. Jetzt soll Kerze helfen, den Hund wiederzufinden. Und Kerze stürzt sich gleich in die Ermittlungen, die am Ende zu einem völligen Riss zwischen den Generationen im Dorf führen werden.

Dabei ist eigentlich der Rahmen der Geschichte schon nach wenigen Seiten klar. Der verschwundene Power und die Tatsache, dass Kerze nach sieben Wochen den madenzersetzten Leib Powers gefunden haben wird. Doch die Zeit dazwischen ist es, für die sich Verena Güntner in ihrem Buch interessiert. Dabei beschränkt sie sich hauptsächlich auf drei Figuren, mithilfe derer sie ihre Geschichte erzählt. Da ist die alte Hitschke, die nach dem Tod ihres Mannes isoliert in ihrem Haus lebt. Dann gibt es noch den Sohn des Bauern Huber, der neben dem teuren Fendt 1000 Vario-Traktor, Freiwild und der Abrichtung des hofeigenen Hundes keine großen Hobbys hat. Er fungiert als Bindeglied zwischen Alt und Jung. Und da ist zu guter Letzt noch Kerze, die im Lauf des Buchs zur Anführerin der Dorfkinder wird.

Aufstand der Kinder

Glaubt man sich zunächst in einem schon hundertmal gelesenen Coming-of-Age Roman (das sommerliche Dorf fernab der Zivilisation, die kindliche Protagonistin, die scheinbare Ereignislosigkeit, geschildert in eigenwillig-jugendlicher Sprache), kippt das Ganze schon bald. Denn aus Kerzes Suche wird etwas sehr Eigentümliches. Kerze fühlt sich nämlich auf beängstigende Art und Weise in Power ein. So wird sie sukzessive selbst zum Hund und eignet sich tierische Verhaltensweisen wie etwa den Gang auf vier Beinen oder Bellen zur Kommunikation an. Und mit dieser Nachahmung ist sie nicht alleine. Immer mehr Kinder schließen sich ihr an, die schließlich dahin flüchten, wo schon seit den Gebrüdern Grimm die meisten Märchen spielen – in den Wald. Dort werden die Kinder zum wilden Rudel, die versuchen, Powers Spuren aufzunehmen.

Power

Versucht man Power auf realistische Art und Weise zu lesen, dann scheitert man schnell. Weder kann oder will Verena Güntner die Motivation Kerzes und ihrer Gefolgsleute erklären, noch spielen äußere Ordnungsmächte wie Lehrer*innen oder die Polizei eine Rolle. Auch kommen Medien, die eine solche Entwicklung aufgreifen würden, allenvoran die sozialen, überhaupt nicht vor. Die Lösung des Problems wird nur unter den Erwachsenen und den Kindern des Dorfs ausgemacht. Während die alte Hitschke als Verursacherin der Entwicklungen im Dorf langsam ausgehungert wird, rotten sich die Kinder im Wald zusammen. Schon bald wird klar, dass man mit den Kriterien des Realismus an Power scheitert.

Vielmehr muss man Power in meinen Augen als Generationenfabel oder Groteske lesen. Der Wald als Schauplatz setzt schon einen gewissen märchenhaften Ton, der durch das Tun und Treiben der Kinder verstärkt wird. Durch die Fokussierung auf die drei Hauptfiguren Hitschke, Hubersohn und Kerze zeigt die Berliner Autorin und Schauspielerin das Auseinanderdriften der Generationen, in deren Mitte der Hubersohn steht, der symbolhaft selbst ganz zerrissen ist, zwischen Vater und Hund, zwischen dem potentiellen Erbe des Hofs und dessen Zerstörung.

Zwischen den Generationen

Wie weit das Verschwinden eines Hundes zu einer Radikalisierung auf beiden Seiten der Demarkationslinie Generation führen kann, das exerziert die Autorin in Power durchaus eindrücklich durch. Aber hat das Buch neben dieser Schilderung der Radikalisierung mehr zu bieten? Ich finde leider nein. Denn eine allzu tiefe Bedeutung sollte man in Güntners Fabel nicht suchen (zumindest habe ich sie nicht gefunden). Bezeichnend war für mich ein Dialog, der am Ende des Buchs steht.

Kerze läuft an ihr vorbei, die Treppe hinauf, wirft einen Blick ins Zimmer der Mutter, sieht die Monstera auf dem Sims stehen, halb vertrocknet wie immer.

„Schön, dass die noch da ist“, ruft sie nach unten.

„Bitte?“

„Ach, Egal“

Im Badezimmer macht sie das Duschwasser an, geht kurz in ihr Zimmer, in dem die Geister nicht mehr sind.

Güntner, Verena: Power, S.

Irgendwo zwischen skurril, beunruhigend, grotesk und märchenhaft ordnet sich dieses Buch mit seiner Handlung ein. In welche Richtung Verena Güntner am Ende damit wollte, könnte ich selber nicht sagen. Einen wirklichen Angriffspunkt für eine stringente Lesart habe ich leider nicht entdeckt. Für mich eine interessante Stimme mit einem originellen Plot. Vollkommen überzeugt hat es mich dennoch leider nicht, weshalb ich auch nicht glaube, dass Güntner mit Power den Preis der Leipziger Buchmesse erringen wird. Aber vielleicht hat Güntner doch die Power, um mich zu überraschen? Am 12.03 um 16:00 Uhr wissen wir dann mehr, wenn die Jury in der Glashalle der Leipziger Buchmesse verkündet, wer den Preis der Buchmesse erringen konnte.

Neu: das Literaturfestival Nordschwaben

Literaturfans aus Schwaben aufgepasst! Hier in Nordschwaben geht im März ein neues Literaturfestival an den Start. Mit dabei sind Größen aus der Literaturbranche und andere bekannte Namen wie Denis Scheck, Joachim Gauck, Vea Kaiser, Tom Hillenbrand oder Harald Lesch. Rund um die Städte Höchstädt, Dillingen, Donauwörth und Nördlingen wird Mitte bis Ende März das Festival über die Bühne gehen, das in unterschiedlichsten Spielstätten gastiert.

Das Logo des Literaturfestivals Nordschwaben

Oder wie es die Planer*innen des Festivals selbst ausdrücken:

Über das Literaturfestival Nordschwaben

Nach über einjähriger Vorbereitungszeit ist jetzt die Website des 1. Literaturfestivals Nordschwaben online geschaltet. Literaturinteressierte finden dort das Programm, das von 16. März bis 4. April die Landkreise Dillingen a.d.Donau und Donau-Ries erstmals zum Zentrum der Literatur in Schwaben macht. Das Literaturfestival Nordschwaben bringt renommierte deutschsprachige Autorinnen und Autoren in die Region, die aus ihren aktuellen Büchern lesen und mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Im Dreieck zwischen Nördlingen, Dillingen und Donauwörth treten so namhafte Persönlichkeiten auf wie Harald Lesch, Joachim Gauck oder Denis Scheck. Für Spannung sorgen unter anderem Romy Hausmann, Vea Kaiser und Melanie Raabe. Mit insgesamt 14 Lesungen und einem abschließenden Tag der Regionalliteratur zeigen die Veranstalter – darunter Kulturämter, Bibliotheken, Buchhandlungen, Volkshochschulen und gemeinnützige Vereine –, wie lebendig Bücher sein können. Die Lesungen des neuen Festivals führen dabei an kulturhistorisch bedeutende Orte Nordschwabens, sowohl zu vertrauten Bühnen als auch zu Spielstätten, die es zu entdecken gilt.

Der künstlerische Leiter des Literaturfestivals Nordschwaben Dr. Thomas Kraft ist überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit Literatur wesentlich dazu beitragen kann, das Interesse für eine Region und ihr vielfältiges Kulturangebot zu wecken und zu verstärken.

Karten zu den Veranstaltungen gibt es jeweils vor Ort oder bei den zentralen Vorverkaufsstellen unserer Partnerbuchhandlungen. Alle Informationen finden Sie unter www.literaturfestival-nordschwaben.de und dem in Kürze erscheinenden Programmheft.

Pressemitteilung des Literaturfestivals Nordschwaben

Einige der Veranstaltungen sind schon im Vorfeld ausverkauft. Ich freue mich aber auf die große Vielfalt, die den Machern da gelungen ist. Vom Krimi über den Physikvortrag bis hin zum Ex-Bundespräsidenten. Ich schau es mir auf alle Fälle einmal an – und vielleicht ihr auch, wenn ihr eh in der Gegend wohnt?

Treffen sich Thomas von Aquin und Stanley Laurel im Dunkeln …

Markus Orths – Picknick im Dunkeln

Von der Kraft der Vorstellung, der Philosophie und der Frage, ob Slapstick auch in der völligen Finsternis funktioniert: Markus Orths‘ Roman Picknick im Dunkeln.


Es klingt wie ein ziemlich abgeschmackter Witz unter Theologen: Kennst du den? Treffen sich Thomas von Aquin und Stanley Laurel im Dunkeln. Ist aber kein Witz, sondern die Hypothese von Markus Orths neuem Roman. Orths, der zuvor den Maler Max Ernst durch sechs Frauenportäts porträtierte, widmet sich nun zwei Lichtgestalten der Geistes- und Comedygeschichte. Da ist zunächst Thomas von Aquin. Der stumme Ochse, wie ihn Albertus Magnus einst nannte, gilt ja gemeinhin als einer der wichtigsten Denker der Theologie. Bis zu vier Sekretären gleichzeitig soll er seine Gedanken diktiert haben. Gottesbeweise, seine Summa Theologiae, ein Schriftwerk, das Bibliotheken füllt. Der später Heiliggesprochene beeinflusst bis heute Theolog*innen mit seinem Wirken.

Statue von Laurel&Hardy

Auch Orths zweite Figur, die zugleich als Erzähler fungiert, gilt als wegweisend – beziehungsweise manchen Fans sicher auch als Heiliger. Allerdings auf einem anderen Gebiet, nämlich dem der Comedy. Es handelt sich um Stanley „Stan“ Laurel, die eine Hälfte des Komikerduos Laurel&Hardy. Bei uns ist das Duo eher unter dem Titel Dick&Doof bekannt. Mit legendären Nummern wie die der beiden als Klavierspediteure haben sich in die Comedygeschichte eingeschrieben. Während der Thomas von Aquin in Sachen Körperumfang nicht unähnliche Oliver Hardy eher vom Vaudeville-Theater kam, war es Stan Laurel, der die Pantomime und die physical comedy mit ins Spiel der beiden brachte. Legendäre etwa seine Geste, den stets auf seinem Kopf thronenden Bowler abzunehmen und sich von oben den Kopf zu kratzen. Mit seinen Gestiken, Mimiken und Gags brachte sich Laurel in das Duo ein und wirkte an vielen Gags und Nummern als Schreiber mit.

Ein seltsames Paar im Dunkeln

Doch um das wichtigste Mittel für diese Gags, nämlich die Sichtbarkeit, bringt Orths seinen Helden gleich zu Beginn des Romans. Denn Stanley erwacht in einem nachtschwarzen Tunnel. Die berühmte Hand vor Augen kann man nicht sehen. Stattdessen allumfassende Schwärze, Wände links und rechts. Ein wenig später lässt Orths Stanley dann über einen weiteren Suchenden in dem Tunnel stolpern – nämlich ebenjenen Thomas von Aquin. Die Männer aus völlig unterschiedlichen Jahrhunderten müssen sich zusammenraufen, wollen sie ans Licht gelangen. Gemeinsam streben sie in der Folge durch die Schwärze, um sprichwörtlich Erleuchtung zu erlangen. Doch warum sind sie in dem Tunnel? Was verbindet die Männer? Und was, wenn da am Ende des Tunnels gar kein Licht ist?

Markus Orths hat sich eine Ausgangslage für seinen Roman erschaffen, die viel Potential bietet. Auf den ersten Blick passt da ja nichts zusammen. Ein Theologe aus dem Hochmittelalter, ein Komiker aus dem 20. Jahrhundert. Noch dazu das surreale Dunkel, das die Männer umgibt. Wie soll daraus ein gelungener Roman werden? Können die Männer über alle Sprachbarrieren hinweg zueinander finden? Oder zerfällt der Roman in seine disparaten Elemente?

Bis zur Mitte des Buchs hätte ich letzterer Lesart den Vorzug gegeben. Denn auf mich wirkte das Ganze, als hätte Orths in seinem Zettelkasten fleißig Material zu Thomas von Aquin und Stanley Laurel gesammelt. Für eine große Biografie fehlte die Idee und der inszenatorische Angriffspunkt, also packt man die beiden Männer zusammen in ein Setting, das eine abstruse Ausgangslage verzeiht. Zwei interessante Leben werden’s schon richten, um daraus einen interessanten Roman entstehen lassen.

So dachte ich, aber wie gesagt – nur zunächst. Denn je weiter das Buch und damit sein Duo wider Willen durch das Dunkel voranschreitet, umso gelungener fand ich die Inszenierungsidee. Denn durch dieses Dunkel und die völlige Abwesenheit von äußeren Faktoren geht es bald um das Innere der beiden Männer. Woher stammen sie? Was hat sie zu dem werden lassen, das sie nun sind? Dabei gelingt Orths im inneren Monolog und äußeren Dialog der beiden Männer ein spannendes Doppelporträt, das dann auch einige Berührungspunkte aufweist.

Denken mit Thomas von Aquin und Stan Laurel

Der Theologe und der Komiker verwickeln sich im Dialog in zahlreiche philosophische Exkurse: Was meint Thomas von Aquin, wenn er von einer Geistseele spricht? Wie bringt man einem Menschen aus dem Mittelalter Humor nahe, der das Lachen ablehnt? Was bringt die Kunst der Logik in einem Raum, in dem keine Gesetze zu gelten scheinen? Warum an die Auferstehung glauben, wenn man doch offensichtlich im schwarzen Nichts feststeckt? Und kann uns unsere Fantasie retten, wenn da nichts mehr ist, nicht einmal Licht?

Markus Orths gelingt es über seine zwei so gegensätzlichen Helden, viel Nachdenkenswertes zu transportieren. Trotz des reichlich absurden Settings schafft er es, Plausibilität in das Picknick im Dunkeln zu bringen – und auch mit dem Schicksal der beiden Männer zu rühren (und mich damit auch zu berühren), ohne zu sehr auf die Kitschtube zu drücken.

Eine Hymne auf die Kraft der Vorstellung

Für mich ist Picknick im Dunkeln eine Hymne auf die Kraft der Vorstellung. Zunächst einmal im literarischen Sinne: hier kommt zusammen, was nicht zusammengehört. Das schwarze Nichts, ein Theologe des 13. Jahrhunderts, ein verstorbener Komiker, vielfach verheiratet und überzeugter Vertreter des Nonsens. Dass Literatur die Grenzen von Gattungen, Zeiten und räumlichen Beschränkungen im Handstreich einzureißen vermag, das demonstriert Orths in seinem Buch auf beeindruckende Weise. Warum nicht einmal Männer aus den Setzkästen des 13. und 20. Jahrhunderts entnehmen und sie in ein schwarzes Nichts setzen? Warum ein großes Szenenbild aufbauen, wenn es ein nachtschwarzer Tunnel auch tut? Hier nimmt sich der Baden-Württemberger alle Freiheiten, die einem die Literatur bietet, und nutzt sie klug.

Und nicht zuletzt ist auch das Buch eine Hymne auf die Kraft der Vorstellungen. So wird das Picknick im Dunkeln zum Symbol für alles, was der Geist erschaffen kann. Im Buch bringt Stan Laurel das Wesen seiner Comedy nahe, indem er Thomas von Aquin zu einem virtuellen Picknick einlädt. Beide Figuren nehmen auf einer nichtvorhandenen Decke Platz und nehmen ein nichtvorhandenes Mal zu sich. So demonstriert Laurel seinem Schicksalsgefährten, was seinen Humor ausmacht und was durch Vorstellungskraft alles möglich wird. Ein starkes Bild, das Orths da in den Mittelpunkt des Romans gestellt hat.

Und besonders gut gefällt mir neben dieser Hymne auf die Vorstellung auch der große Interpretationsspielraum, den er den Lesenden lässt. Wie stehen die beiden Figuren nun zueinander? Wer der beiden Männer ist Geistseele? Was ist echt? Geht es um die Auferstehung? Oder ist Oliver Hardy in die Rolle des Thomas von Aquin geschlüpft und wir wohnen einer letzten Nummer von Laurel&Hardy bei? Wohl jede*r Lesende wird beim Lesen des Romans eine eigene Deutung der Geschehnisse entwickeln. Und diese Vieldeutigkeit ist in meinen Augen auch ein echter Beweis der Qualität von Orths Buch, das durch eine sinnige und durchdachte Buchgestaltung noch einmal aufgewertet wird. Ein philosophisch-nachdenklicher Roman und das Portät zweier gegensätzlicher Männer, außergewöhnlich und gelungen.

Bildquellen:

Statue Laurel&Hardy: Von Hilton Teper – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18475443

Kirchenfenster Thomas von Aquin: Von Westerdam – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35215153

Der Blogbuster und ich

eine schwierige Beziehung

Unverhofft kommt oft. Das gilt auch im Bloggerbusiness. So erreichte mich in diesem Jahr kurzfristig die Anfrage von Tobias vom Blog Buchrevier. Dieser betreut auch dieses Jahr wieder den sogenannten Blogbuster-Preis.

Die Idee dahinter: alle Autor*innen, die noch keinen Buchvertrag aber ein Manuskript haben, können es an einen von zehn Bloggerpat*innen schicken. Diese sichten dann alle eingesendeten Manuskripte und entscheiden sich für eines davon. Aus diesen zehn Texten wird eine Longlist erstellt, die im Anschluss von einer Fachjury gesichtet wird (darunter unter anderem Elisabeth Ruge, Knut Cordsen und die Schriftstellerin Alexa von Henning-Lange). Diese küren dann schlußendlich den Siegertext, der anschließend beim Eichborn-Verlag als Buch veröffentlicht wird. So schnell kann es im Optimalfall gehen: vom Text in der Schublade bis zum Bestseller im Buchregal. Zweimal wurde der Blogbuster-Preis schon verliehen, jetzt geht die Suche nach dem besten unveröffentlichten Text in die dritte Runde.

So weit so gut. Doch mit dem Ausstieg von Marc vom Blog Lesen macht glücklich kam ich nun ins Spiel. Vom Beckenrand hinein der Sprung ins kalte Nass der Textsuche. Ich übernahm die an Marc geschickten Manuskripte und bekam obenauf noch einmal weitere Manuskripte zugeteilt. So landete ich am Ende bei 16 Leseprobe, die es zu lesen und zu bewerten galt. Welchen Texten würde ich den Vorzug geben?

Einmal bitte alles

Thematisch war dabei alles breit gefächert. So erreichten mich Jugendromane, ein Superhelden-Thriller, Krimi oder auch ein fiktionales Memoir – einmal quer durchs Gemüsebeet. Auch reichlich skurrile Manuskripte befanden sich unter den Einsendungen, die mir völlig fern lagen. So gab es Liebesromanzen um quickfidele Fotografen, Science Fiction oder Plots, die schon einmal solche Beschreibungen enthielten:

Erzählt wird die Welt eines gescheiterten Frauenhelden, der vergebens auf weibliche Erlösung hofft. Die Geschichte ist ein Versuch über die Liebe in einer hochmobilen Gesellschaft und schnelllebigen Welt voller Gegensätze. Aufgrund seiner chauvinistischen, teils sexistischen Ansichten, taugt der Protagonist, dessen Heilssuche im Schweigekloster der Happening- und Konsumgesellschaft den Spiegel vorhält, zunächst nur als Antiheld … Bis seine Suche in den Armen Gottes endet und die Kraft der selbstlosen Liebe ihn erlöst.

Das war und ist leider alles gar nicht so meins. Zwar honoriere ich die Mühe, die die Autor*innen in ihre Zeilen gesteckt haben wirklich, aber bei manchem Expose musste ich mich doch schon wundern. Auch die vertiefenden Blicke in die Leseproben stellten mich so manches Mal auf die Probe. Stilblüten, Metaphern, schiefe Bilder, verunglückte Vergleiche – hätte ich für jede dieser Trouvaillen eine Süßigkeit bekommen, ich hätte wohl jetzt zu gleichen Teilen Karies, Adipositas und Diabetes.

Wenn die Stilblüten blühen

Es war Weiberfastnacht gegen halb sechs. Seine Freunde feierten in der Kölner Altstadt im Wissen, dem Höhepunkt wie ein Baumstamm auf dem Rhein entgegenzutreiben.

Oder sehr schön auch dieser Romanbeginn:

An einem schönen Sommertag ging Shirin durch diese Tür. War es nicht die andere? Und war das nicht eher so: Es war einmal, dass Shirin durch irgendeine Tür ging? Nein, es war nicht beliebig, es war höchst präzise, dieses Gehen, echt akkurat und verdammt bestimmt. Es war eine äußerst dezidierte Tür, weil Shirin ihrem Tun eine sehr klare Entscheidung vorausschickte, nämlich die, aus ihrem bisherigen Leben erst räumlich, also körperlich, und umgehend auch nichtkörperlich, also im übertragenen Sinne, herauszutreten. An die berühmte und so oft bemühte frische Luft, dort wo der sogenannte Duft der großen weiten Welt herumwaberte, ohne sich darum zu scheren, ob eine oder einer sich aufmachte, ihn zu erschnüffeln.

Platzende Blasenkatheter, Perioden, die wie Fontänen sprudeln – häufig stieß ich auf unappetitliche Schilderungen aus den unteren Körperregionen und fragte mich, womit ich diese verdient hätte (bespreche ich hier auf dem Blog wirklich so etwas!?). Lebendigmachender Odem, den Protagonisten nach dem Recken und Strecken ihrer Glieder einatmen oder Dergleichen mehr. Bei mir löste das keine Begeisterungsstürme aus. Auch ließen mich lebensnahe Dialoge á la „Das ist doch Mumpitz!“ schnell die Lust an Texten verlieren.

Aber es hat ja auch sein Gutes: durch die Texte und ihre Stärken und Schwächen wurde ich mir einmal mehr gewahr, was ich an Texten schätze. Dialoge, die vom Leben abgeschaut und sinnig in den Text integriert sind. Eine frische Sprache, die auf abgegriffene Sprachbilder verzichtet. Eine Figurenzeichnung, die sich nicht durch das Aufzählen phänotypischer Merkmale erschöpft. Autor*innen, die erzählerisch andere Wege als alle anderen gehen. All das fand ich leider in keinem meiner ursprünglich zugewiesenen Text in so ausreichender Dichte und Qualität. Deshalb geht es für mich nun in Runde 2 des Blogbuster.

Auf zu Runde 2

Denn alle Literaturblogger*innen haben die Möglichkeit, Manuskripte, die sie gut finden, aber selbst nicht ausgewählt haben, in einen Pool zu legen. Und in diesem Pool werde ich nun noch einmal ausgiebig tauchen gehen. Vielleicht finde ich dann das Manuskript, von dem ich überzeugt bin, damit in eine Abstimmung zu gehen. Über den weiteren Verlauf meiner Manuskript-Suche und den Verlauf unseres Blogbusters 2020 halte ich euch natürlich auf dem Laufenden. Mehr in Kürze hier!