Wenn Salz begehrter ist als ein Tütchen Kokain: Akiz‘ Geschichte über einen begnadeten Außenseiter in einem Gourmettempel: Der Hund.
Das Kochen sinnlich ist, verschiedene Reize anspricht und im besten Falle eine Kunst, das ist ein Allgemeinplatz. Für diese Seite des Kochens interessiert sich der Regisseur und Drehbuchautor Akiz in seinem Debüt allerdings nicht. Er schaut dahin, wo es ganz anders zugeht. Wo geflucht, geschlagen und geschuftet wird. Dort, wo der Umgangston mindestens ebenso unbarmherzig wie die Anforderung an Körper und Geist ist: die Küche. Dort, wo teils unter indiskutablen Verhältnissen die Speisen produziert werden, die dann im vorderen Teil des Restaurants dem Gast serviert werden, der vom Zustandekommen seines Gerichts nichts merken soll.
In einer Küche, in der die Anforderungen noch einmal um ein vielfaches höher sind wie in der normalen Gastronomie, dort schuften Mo und der Hund. Kennengelernt haben sich die beiden in einer Dönerbude. Unter ihrem despotischen Chef versahen die beide ihren Dienst. Mo als Fleischraspler und Döner-Beleger, der Hund als Quasi-Leibeigner, der vom Besitzer des Ladens drangsaliert wurde. Mehr oder minder verwildert, ohne große Sprachkentnisse und ohne jegliche soziale Kompetenzen nahm Mo diesen Hund unter seine Fittiche. Nachdem sie in einem Streit eines Tages den Job quittieren, stehen beide im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße.
Nachdem Mo eine einzigartige kulinarische Kombinationsgabe beim Hund ausgemacht hat, beschließt er, alte Kontakte zu reaktivieren. Über Umwege gelangen sie als Aushilfsköche in die Küche des legendären Gourmettempels El Cion. In dieser Küche, irgendwo zwischen Noma und El Bulli, hat der sagenumwobene Sternekoch Valentino das Sagen. Noch.
Erst nach einer Weile, als der Hund seine Augen wieder öffnete, drehte sich Valentino um und verschwand im Dampf der Küche. Er hatte keine Ahnung, dass der Hund auf dem Weg war, in sein Reich einzudringen wie der Antichrist im Vatikan.
Akiz: Der Hund, S. 32
Zwischen Sinnlichkeit und Derbheit
Der Hund ist ein wilder Ritt. Gerade einmal 190 Seiten hat die Erzählung, die mit unglaublichem Tempo voranprescht. Im Kern ist Akiz‘ Buch eine Aufstiegs- und eine Abstiegsgeschichte. Während sich der Hund von der Gosse bis in den höchsten Gourmettempel vorarbeitet, sinkt Valentinos Stern unaufhörlich. Als Erzähler dieser beiden Geschichten fungiert Mo, durch den wir als Leser*innen ganz unmittelbar mit dabei in der Welt einer Gourmetküche sind. Die Welt, die sich hinter dem Pass auftut, über den die Essen geschickt werden, lernen wir durch seine Augen sehen. Nur selten verlässt Akiz‘ den Ich-Erzähler Mo, um dann aus auktorialer Perspektive weiterzuerzählen.
Die glühend heißen Pfannen, die Arbeitsunfällen, den psychischen Druck, der in einer solchen Küche herrscht, in der Abend für Abend 200 Gerichte über den Pass gehen, die Köch*innen, die sich nachts halb zerschlagen aus dem Hintereingang des El Cion schleppen, all das versteht Akiz‘ durch Mo mehr als eindringlich zu schildern. Die Sprache, die er dafür entwickelt hat, oszilliert beständig zwischen großer Sinnlichkeit und Vulgarität.
Hier, er solle den Mund aufmachen, sagte Valentino und schüttete dem Hund eine winzigen Prise [eines kostbaren Salzes aus Himalaya] in den Mund, drohte ihm, dass er niemandem davon erzählen dürfte, dann legte er sich selbst ein paar Salzkristalle auf die Zunge und schloss die Augen.
Die beiden ließen den Geschmack auf der Zunge zerschmelzen. Auch der Hund schloss die Augen. Vor ihm zogen Wolken vorbei. Steiniger Boden. Trocken Falten unter grauen Haaren. Fell eines struppigen Tiers, vom Wind zerzaust. Karges, verblichenes Kraut, knorriger Wuchs zwischen wuchtigen Felsen.
Akiz: Der Hund, S. 113
Sprachliche Stärken
Akiz ist in seinem Debüt stark, was das Finden von eingängigen Vergleichen und Metaphern angeht. Da glüht der heiße Grill in der Dönerbude wie ein Atommeiler oder die Straßen scheinen am frühen Morgen in feurigen Rot und Gelb, als hätte man sie in tausend Tonnen Glutamat getunkt. Er schafft es, die Welt der Kulinarik in funktionierende Sprachbilder zu überführen, sodass man rasch Hunger bekommen könnte:
Vor dem Hund lag ein in weißes Porzellan gerahmtes, abstraktes Gemälde, in der Mitte war die Leber eines Gans angerichtet, überzogen mit einer brüchigen Glasur aus salzigem Honig, umgeben von krustig gebratenen Bohnen und einem Apfelgratin, so zart, dass er beim bloßen Anblick in sich zusammenfiel und bestäubt war das Ganze mit etwas, das aussah wie Splitter kandierter Rinde.
Akiz: Der Hund, S. 31
Dann ist das Buch aber auch wieder unglaublich derb. Es wird geflucht, die Sprache ist alles andere als jugendfrei. Das geht aber auch völlig in Ordnung, ist die tatsächliche Küchensprache ja oftmals noch derber, als sie hier zu lesen ist. Bis auf einzelne, manchmal etwas verunglückte Metaphern ist dieses Buch auf sprachlicher Ebene wirklich mehr als überzeugend.
Es ist ein filmisches Leseerlebnis, Der Hund zu verschlingen oder sich ihn langsam auf der Zunge zergehen zu lassen. Würde man nach Vergleichen suchen, dann ist Akiz Buch irgendwo zwischen Brad Birds Ratatouille, Süskinds Das Parfüm und Fatih Akins Soul Kitchen einzuordnen. Eines meiner großen Lesehighlights in diesem Frühjahr. Sinnlich, sprachlich überzeugend, mitreißend und temporeich.