Stephan Roiss – Triceratops
In our family portrait, we look pretty happy.
We look pretty normal, let’s go back to that
Pink: Family Portrait
Blickt man auf die Longlist des diesjährigen deutschen Buchpreises, so fällt auf, dass es ein großes, bestimmendes Thema gibt: Dysfunktionale Familien. Da ist Helena Adler, die in Die Infantin trägt den Scheitel links eine solche Familie heraufbeschwört. Hier die bigotte Mutter, da der dem Alkohol nicht abgeneigte Vater. Und mittendrin die Erzählerin, die mit kindlicher Präzision auf dieses familiäre Bildnis blickt. Auch die nächste Österreicherin auf der Longlist, nämliche Valerie Fritsch, hat sich dieses Themas angenommen. Auch bei ihr gibt es in Herzklappen von Johnson & Johnson Abgründiges aus dem Schoß der Familie zu entdecken. Sie erzählt über drei Generationen hinweg von gottesgläubigen Großmüttern, Großvätern mit Herzklappen und schmerzunempfindlichen Kindern. Und von dem, was Generationen verbindet und trennt.
Auch Bov Bjerg präsentiert in seinem nominierten Roman Serpentinen eine besondere Familienaufstellung. Er bringt seine Ahnenreihe auf folgenden Nenner:
„Urgroßvater, Großvater, Vater. Ertränkt, erschossen, erhängt. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Pioniere“
Bjerg, Bov: Serpentinen, S. 5
Im Roman erzählt Bjerg von einem Vater und seinem Sohn, die einen Ausflug auf die schwäbische Alb unternehmen. Stets reist die Kenntnis um die suizidalen Tendenzen in der männlichen Ahnenreihe der Familie mit. Und dann ist da auch noch Stephan Roiss, der in seinem Debüt Triceratops einmal mehr von einer dysfunktionalen Familie erzählt.
Eine Familie mit Abgründen
Im Gegensatz zu den anderen Büchern ist die Erzählinstanz in Roiss‘ Fall allerdings ein Wir. Dieses Wir ist ein namenloser Junge. Seine ältere Schwester war ein Wunschkind, er ein Unfall. Die Mutter der beiden glänzt oftmals durch Abwesenheit. Der Grund: sie befindet sich in psychologischer Behandlung. Oder wie sie es später selbst formuliert:
„Keiner kann aus seiner Haut“, sagte Mutter. „Ich war doch krank. Das habe ich mir ja nicht ausgesucht.“
Sie massierte ihre schmalen Handgelenke.
„Mein Vater hat sich das auch nicht ausgesucht. Der Krieg hat ihn krankgemacht. Und dann hat mein Vater mir seine Krankheit vererbt und ich wiederum habe – „
Sie hielt einen Moment inne.
„Ich … Ich habe es von ihm gelernt und – „
Mutter presste die Augen zusammen. Die Nachbarin klopfte das Keschernetz auf den Terrassenfliesen aus.
„Ich habe euch so viel Liebe gegeben, wie ich konnte. Ich wollte nie irgendjemandem etwas Böses.“
Roiss, Stephan: Triceratops, S. 185
Der Großvater hat sich als Kriegsheimkehrer auf dem heimischen Hof erhängt. Die Tochter fand den Vater im Stall. Damals sei dann der Wahnsinn auf die Tochter übergesprungen, so erzählt man es sich. Und nun kämpfen Sohn und Tochter beide auf ihre eigene Art und Weise mit dem familiären Erbe. Dass dieser Kampf nicht für alle Beteiligten gut ausgehen wird, so viel sei an dieser Stelle verraten. Bei dem dunklen und düsteren Ton, der im Buch herrscht, überrascht das allerdings wenig.
Das Wir erzählt
Stephan Roiss hat ein Buch geschrieben, das tief hinabsteigt in die Abgründe einer Familie. Seine Figuren, allen voran der Ich-Erzähler, sind Figuren, die im Kopf bleiben. Diesen Effekt erzählt Roiss durch eine gewisse Beiläufigkeit, mit der manche krassen Begebenheiten geschildert werden. Zudem bedient er sich auch einer verknappten und gerafften Darstellung (auch das so ein Merkmal einiger Bücher auf der Longlist). Viele Seiten sind nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Schlaglichtartig skizziert Roiss Dialoge und Szenen, die gerade durch diese Prägnanz im Kopf bleiben.
Ganz schlüssig erscheint mir die gewählte Erzählform eines Wir allerdings nicht. Eine dissoziative Persönlichkeitsspaltung seines namenlosen Erzählers oder einen anderen zwingenden Grund für diese außergewöhnliche Erzählperspektive erschloss sich mir nicht. Hätte sich Roiss auf ein handelsübliches (und für mich besser lesbares) Ich oder Er beschränkt, hätte dieser Roman keinerlei Qualitätseinbußen verzeichnet.
Das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt, den ich für mich benennen kann. Ansonsten ist das Buch in seiner Stimmung und seinem Setting als Debüt mehr als beachtlich geraten. Tempo, Sound, Figuren – es stimmt alles. Zwar ist Triceratops alles andere als eine Feelgood-Lektüre. Aber als Schilderung einer österreichischen Familie mit schwerem Erbe weiß dieses außergewöhnlich erzählte Buch zu überzeugen. Und dass man sich gegen sein Schicksal nicht panzern kann wie ein Triceratops, das zeigt Roiss auch äußert eindrücklich. Zurecht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wieder einmal eine echte Entdeckung des österreichischen Verlags Kremayr & Scheriau.
- Stephan Roiss – Triceratops
- ISBN 978-3-218-01229-4 (Kremayr & Scheriau)
- 208 Seiten. Preis: 20,00 €