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Robert Seethaler – Der letzte Satz

Der Meister der literarischen Verknappung ist wieder zurück. Zwei Jahre nach seinem polyphonen Totengesang gibt es nun eine neue Erzählung des österreichischen Romanciers Robert Seethaler. Diesmal konzertriert er sich auf eine historisch verbürgte Figur, die er in Der letzte Satz zu Wort kommen lässt – Gustav Mahler.

Dieser befindet sich auf der Überfahrt nach Amerika. Die Kaiserkabine auf einem Schiff der Norddeutschen Lloyd AG ist für ihn gebucht. Ein eigner Schiffsjunge steht für den Maestro auf Abruf bereit – doch Mahler kann all den Komfort und Luxus überhaupt nicht genießen. Bluthusten und andere körperliche Gebrechen quälen den zeitlebens mit einer schwächlichen Konstitution geschlagenen Komponisten und Dirigenten. Während er an der Reling des Schiffs steht, fliegen seine Gedanken davon.

Erinnerungen an sein verstorbenes Kind peinigen ihn; die schwierige Beziehung zu seiner Frau Alma treibt ihn genauso um wie entscheidende Wegmarken seines Lebens, die er in Gedanken noch einmal passiert. Modellsitzen für Rodin, das für damalige Verhältnisse megalomanische Konzert der Tausend, seiner 8. Sinfonie, die er in der eigenes umgebauten Konzertsaal in München vor 3000 Zuhörern aufführte oder auch seine musikalischen Siege und Niederlagen. Eine große assoziative Revue eines musikalischen Lebens ist es, die Seethaler uns Leser*innen hier in denkbar verknappter Form darbietet.

Rückblick auf ein Künstlerleben

Hierfür durchbricht er die Rahmenhandlung auf dem Schiff für Einschübe und Rückblicke, die allmählich das Bild eines hochtalentierten, aber auch gequälten Arbeiters ergeben, der weniger Musik-Genie, denn wirklicher Tonarbeiter war. Der mit seinem Wirken, seiner Ehe und seiner Religion haderte.

Robert Seethaler - Der letzte Satz (Cover)

Den Mythos des komponierenden und dirigierenden Talents, dem die Einfälle nur so zuflogen, Seethaler bricht es bewusst. Hier liegt ein Künstlerroman vor, der seine Figur nicht verklärt, sondern auch ihre Kämpfe und ihr Scheitern nicht verschweigt.

Das ist gut gemacht und liest sich absolut flüssig weg. Nach gerade einmal 125 großzügig gesetzten Seiten ist dieses Mahler-Porträt schon am Ende angelangt. Die letzte Reise des österreichischen Musikers, sie findet ihr Ende. „Und das war gut, denn es war Zeit zu gehen“ (S. 126). Mit diesem letzten Satz endet Der letzte Satz.

Bei aller literarischen Kunstfertigkeit, die Seethaler zweifelsohne zueigen ist. So sehr wie im Trafikanten oder auch in Ein ganzes Leben rührt Mahlers Schicksal dann aber doch nicht an. Denn für ein wirklich ergreifendes Porträt bleibt Seethaler viel zu sehr an der Oberfläche und wagt zu wenig Introspektion.

Fehlende Widerhaken

Im Gegensatz zum Vorgängerroman Das Feld ist dieses Buch nun schon wieder fast zu einfach zu lesen. Man fliegt förmlich durch die Seiten und damit durch Mahlers Leben, immer eng entlang der tatsächlichen historischen Begegebenheiten. Aber was bleibt am Ende von der Lektüre? Für mich leider nicht allzu viel, das von diesem Buch in Erinnerung bleiben wird. Als biographischer Roman ist es etwas dünn, als Künstlerroman ebenfalls nicht wirklich ausgearbeitet. Eine Studie über einen innerlich zerrissenen Mann vielleicht? Oder doch eher eine biographische Skizze?

Egal was dieses Büchlein ist. Unterhaltsam ist es auf alle Fälle und sprachlich auf dem gewohnt knapp-souveränen Seethaler-Niveau. Auch wird das Buch sicher die Leser*innen wieder für sich einnehmen und die Bestsellerlisten erklimmen, was dem Österreicher und seinem Verlag ja zu wünschen ist. Aber die literarischen Widerhaken, die das Buch langfristig in meinem Kopf verankern, sie fehlen mir hier leider. Leider nur ein sprachlich ansprechendes Porträt von Stationen aus dem Leben des Meisters, in dem für mich nicht genug Musik drin ist.

Eine andere spannende Stimme (die sich auch mit meiner deckt) gibt es bei Aufklappen,


  • Robert Seethaler – Der letzte Satz
  • ISBN 978-3-446-26788-6 (Hanser)
  • 128 Seiten. Preis: 19,00 €
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Joachim Meyerhoff – Die Zweisamkeit der Einzelgänger

Mit dem neuen Buch von Joachim Meyerhoff geht es mir wie mit kritischen Anleger eines erfolgreichen Unternehmens: selbst wenn abgeliefert wird und die Produkte einschlagen – es könnte immer noch besser sein und man könnte noch mehr herausholen. Diese befremdliche Unersättlichkeit stellte sich auch bei mir in leichter Ausprägung während der Lektüre von Die Zweisamkeit der Einzelgänger ein.

Meyerhoff, der Feuilleton-Liebling, der gekonnt auf dem zwischen Scheitern und Humor gespannten Seil balanciert, der arrivierte Schauspieler und Bestsellerautor, er dreht in seinem Alle-Toten-fliegen-hoch-Zyklus die Erinnerungen weiter voran. Zuletzt legte er die superben und höchst witzigen Erinnerungen an seinen Werdegang als junger Schauspieler in Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke dar, immer zerrissen zwischen großelterlicher Behaglichkeit und fordernder Schauspielschule. Nun widmet er sich seinen ersten Schauspieljahren in Bielefeld und Dortmund, bei denen sich langsam die ersten Erfolge einstellen, auch wenn die Selbstzweifel in der Zwischenzeit nicht kleiner geworden sind.

Verkompliziert wird sein Beruf zusätzlich noch durch eine Menage-a-quartre, die Meyerhoff im Laufe seiner über 400 Seiten starken Erinnerungen präsentiert. So verliebt er sich zunächst in Hannah, die ihn mit ihrer Mischung aus Wirrnis und Intellekt anzieht. Dann kommt an seiner nächsten Schauspielstation in Dortmund noch die Tänzerin Franka noch dazu, mit der er ebenfalls eine Liaison eingeht, ohne sich derweil in Bielefeld von Hanna zu trennen. Weitere Schubkraft erhält das Liebeskarussell dann noch in Form der Bäckerin Ilse, in deren Backstube der junge Joachim ebenfalls viel Zeit verbringt. Hier zeigt sich wieder einmal die Bestätigung der These, das mit dem Fortschreiten der Jahre alles immer komplizierter wird.

Tolle Erinnerungen sind das wieder geworden, die stark zwischen Lachen und Weinen schwanken, teilweise liegen die Pole nur wenige Absätze auseinander. Meyerhoff versteht sein Handwerk, in einer klaren Sprache (die immer besser wird, wie ich meine) schildert er die Episoden seines Lebens und inszeniert sich als ewig Zweifelnder inmitten der Frauen.

Nun aber zu meinen Luxusproblemen: stets hatte ich bei den letzten drei Büchern von Mal zu Mal das Gefühl, dass sich Meyerhoff steigern konnte. Bislang war Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke wirklich das Non-Plus-Ultra der Reihe – hier verbanden sich Wehmut und Lachen zu einer wirklich großartigen Mischung. Im neuesten Band hatte ich nun erstmals den Eindruck, dass sich Meyerhoff nicht mehr steigern konnte. Obwohl er die erzählerischen Episoden wie gewohnt furios aneinandermontiert, aus seiner Kindheit genauso wie aus der Jugend erzählt – irgendwann wird das ewige Kokettieren mit dem Scheitern und den Versagensängsten etwas obligat.

Nur um Missverständnissen vorzubeugen – Die Zweisamkeit der Einzelgänger ist nach wie vor ein hervorragendes Produkt  – nur für Meyerhoff’sche Verhältnisse hätte für meinen Geschmack noch eine kleine Nuance mehr drin sein dürfen. Abgesehen von diesem minimalen Meckern auf hohem Niveau – ein wunderbares Buch!

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