Tag Archives: London
Don Winslow – London undercover
Neal Careys erster Fall
Ein Himmelfahrtstrip in London
Winslow erzählt in seinem ersten Roman über Neal Carey, wie dieser vom verwahrlosten Kind durch das Training seines Mentors Joe Graham schon bald zum Top-Schnüffler reifte. Mit seinen zarten 23 Lenzen wird er dann von Graham auf eine Himmelfahrtsmission geschickt. Die Tochter eines amerikanischen Senators ist in London untergetaucht und will nicht gefunden werden. Doch da der Senator im Wahlkampf nach außen hin die perfekte Familie repräsentieren muss, liegt es nun an Carey, die Tochter aus einer Stadt zwischen Hare Krishnas, Drogen und Beatniks zu retten. Carey stürzt sich in die Straßen der britischen Hauptstadt und muss schon bald sein ganzes Können aufbieten, um mit heiler Haut aus seiner Mission herauszukommen.
Oliver Harris – London Underground
Im Londoner Untergrund
Man muss Nick Belsey nicht mögen, um seinen Spaß an London Underground zu haben. Der Ermittler säuft im Dienst, ist korrupt, steht eigentlich mit mehr als zwei Beinen im Knast und hat ein grandioses Gespür für Fettnäpfchen. Dennoch ist er ein brillanter Ermittler und leistet sich in im neuen Roman von Oliver Harris sein Kabinettstückchen.
Bei der Verfolgung eines Verdächtigen stößt Belsey auf den Zugang zu einem alten Tunnelsystem unter einem ehemaligen Bunker. Er wittert die Möglichkeit für ein besonderes Date mit einer jungen Frau, die beim nächtlichen Tête-a-tête natürlich prompt entführt wird. Belsey muss sich – herausgefordert von einem Geiselnehmer, der Belsey auf ein Geheimnis stoßen will – in das verzweigte Tunnelgeäst aufmachen und dabei seine nächtliche Eskapade vor den Kollegen vertuschen. Ein Tanz auf dem Vulkan beginnt.
Mit jeder Menge Lokalkolorit ausgestattet geht es auf und unter den Straßen Londons und Umgebung rund. Belsey mag zwar ein Dreckskerl sein, seinen Job erledigt er in London Underground aber mehr als nur fabelhaft. Er kombiniert und trickst sich durch den Plot und der Leser bleibt atemlos an den Ermittlungen dran.
Gut. Man mag dem Thriller vorhalten, dass er überkonstruiert ist und sich von Unwahrscheinlichkeit zu Unwahrscheinlichkeit hangelt. Auch einige Logiklöcher ließen sich nicht vermeiden – aber das machen das Timing, die Spannung und das Tempo mehr als nur wett. Der Plot, der sich zwischen Kaltem Krieg, Architektur, Schnitzeljagd und Tunneln bewegt, ist insgesamt mehr als nur gelungen und zählt zu den Spannungshighlights des Herbstes 2014.
Von den beiden Fällen, die Belsey in London zu lösen hatte, ist „London Underground“ klar der bessere Fall, der den Leser genauso wie den Cop in sich hinein saugt und erst nach 450 Seiten wieder ans Tageslicht entlässt.
Hakan Nesser – Himmel über London
Wohlweislich prangt das Signet Roman auf dem Cover, denn wer sich vom Namen Hakan Nesser zur Annahme verleiten lässt, dass es sich hierbei um einen Krimi handelt, dürfte sich enttäuscht sehen. Zwar geht es auch noch peripher um einen Serienmörder, der bei seinen Opfern eine kaputte Uhr hinterlässt, dies ist aber der wohl nichtigste Erzählstrang.
Stattdessen ist Himmel über London die Studie eines todkranken Mannes inklusive dessen Familie, ein Spionageroman und eine Verneigung vor der titelgebenden Stadt London. Jeder der einzelnen Gäste, die Leonard Vermin auf seiner letzten Geburtstagsfeier begrüßt, hat einen eigenen Erzählstrang und über das ganze Buch hinweg schafft es Nesser, den Leser im Ungewissen zu halten, was diese Personen im Innersten zusammenhält.
Wer an den Romanen von Ian McEwan oder William Boyd seine Freude findet, der dürfte auch mit Himmel über London gut beraten sein.
Mit seinem neuesten Roman gelingt Hakan Nesser eine andere Tonlage als sie sonst in seinen Van-Veeteren- und Barbarotti-Krimis herrscht. Wer sich von Erwartungen losmacht, überraschen lässt und genügend Konzentration mitbringt, der erhält mit Himmel über London einen eigenwilligen und vielschichtigen Roman aus der Feder eines der besten skandinavischen Autoren!