Tag Archives: Sexueller Missbrauch

Sebastian Barry – Jenseits aller Zeit

Treibend im Meer der Erinnerung, vielleicht sogar unter Mordverdacht stehend: in seinem neuen Roman Jenseits aller Zeit taucht der irische Autor Sebastian Barry tief in das Leben eines pensionierten Polizisten ein. Der Besuch zweier Kollegen weckt beim ehemaligen Ermittler Erinnerungen an Geschehnisse aus längst vergangenen Tagen. Was schlummert da alles in den Tiefen des Gedächtnisses von Tom Kettle? Sebastian Barry legt es lesenswert frei.


Dass es stürmt und der Regen fast senkrecht gegen die Scheiben von Tom Kettles Wohnung peitscht, als dieser auf den ersten Seiten von Sebastian Barrys Roman Jenseits aller Zeit Besuch bekommt, ist hochsymbolisch. Denn es sind zwei Kollegen, die vor der Tür des pensionierten Polizisten in Dalkey stehen. Mit sich bringen die beiden Kollegen nicht nur das Unwetter, sondern auch eine Akte, die in Tom Kettle einen Sturm der Erinnerung entfesseln wird.

Ein Sturm der Erinnerung

Was es mit dieser Akte auf sich hat, das erschließt sich erst langsam, denn Sebastian Barry setzt für seinen Roman auf einen Erzählstil, der stark von der Technik des Bewusstseinsstroms beeinflusst ist, wie ihn sein Landsmann James Joyce oder auch seine britische Kollegin Virginia Woolf einsetzten. Immer wieder gleiten die Gedanken von Tom aus der Realität ab, findet sich der mittlerweile Sechsundsechzigjährige in Erinnerungen an sein Leben wieder. Immer tiefer taucht der pensionierte Polizist dabei in das Reich der Vergangenheit ab, wie es auch das vom Steidl-Verlag ersonnene Cover beschreibt.

Es ist ein Reich, in dem der Takt und die Gesetzmäßigkeit anderen Regeln unterliegen.

Wenn genug Zeit vergeht, ist es so, als wären die alten Dinge nie geschehen. Dinge, früher frisch, unmittelbar, erschreckend, entschwinden in eine Zeit jeseits aller Zeit, wie die Wanderer, die am Killiney Strand so weit spazieren, dass sie, wenn man sie lange genug beobachtet, nur noch ein schwarzer Fleck sind, und dann sind die fort. Vielleicht sehnt sich diese Zeit jenseits aller Zeit nach der Zeit, als sie nur Zeit war, so wie die Zeit auf dem Zifferblatt einer Wand- oder Armbanduhr. Aber das bedeutete nicht, dass sie herbeizitiert werden konnte oder sollte. Er war gebeten worden, in seinem Gedächtnis zu wühlen, als ob ein Mensch das wirklich vermochte.

Sebastian Barry – Jenseits der Zeit, S. 180

Langsam legt Sebastian Barry aus den Erinnerungen und Gedankenschleifen den Charakter Tom Kettle frei. Biografische Wegmarken wie sein tödliches Tun einst im Krieg in Malaya, das Schicksal seiner Familie und das aktuelles Leben des Ruheständlers in seiner höhlenartigen Einliegerwohnung im Wohnensensemble einer viktorianischen „Burg“ dort im Süden von Dublin, das schält sich immer klarer im Lauf des Buchs heraus.

Jenseits aller Zeit – und auch jenseits des Rechts?

Sebastian Barry - Jenseits aller Zeit (Cover)

Dabei ist es mit der Klarheit aber so eine Sache. Was ist wahr, was sind Einbildungen und was die Realität? Jenseits aller Zeit lässt Gewissheiten verschwimmen, etwa wenn Tom Kettle den Besuch seiner ehemaligen Kollegen im Polizeirevier in Dublin schildert. Dass sich Ganze sich dann aber als reine Vorstellung jenseits der Realität entpuppt, die der Rentner im Park St. Stephens Green gesponnen hat, ist nur ein Indiz für die Unzuverlässigkeit von Toms Erzählen.

Was aber klar ist, ist dass dieses Buch eine Abrechnung mit dem System des Missbrauchs der katholischen Kirche in Irland im 20. Jahrhundert darstellt. Denn dieses Thema dominiert das ganze Buch und die Erinnerungen Tom Kettles. Nicht nur das Anliegen, das initial die beiden Polizisten inmitten des Sturms die Einliegerwohnung Kettles führt, hat mit diesem Thema zu tun. Auch er selbst und seine Frau haben ihre Erfahrungen mit dem Missbrauch in Kirche und kirchlichen Heimen gemacht, der sich dutzendfach dort abspielte und bei dem Behörden und Kirchenleitung gerne wegsahen und sich weigerten, Fälle des sogenannten Crimen Pessimum nachzuverfolgen. Doch hat Tom eventuell selbst daran einen Anteil, diese Missstände auf Wegen abseits des Rechts zu lösen?

Ein gesellschaftskritisches Werk – und die Fortschreibung von Sebastian Barrys literarischem Kosmos

Jenseits aller Zeit fügt sich ein in die Riege gesellschaftskritischer Werke, mit denen irische Schriftsteller*innen die Auswirkungen des vielfachen Missbrauch der katholischen Kirche und des dahinterliegenden Systems der Deckung dieser Taten aufarbeiten. Autoren wie John Boyne oder Claire Keegan untersuchten dieses Thema bereits auf unterschiedliche Weise – und auch Sebastian Barry reiht sich nun in diese literarische Aufarbeitung des in der Realität immer noch mangelhaft untersuchten Komplexes ein.

Das gelingt ihm überzeugend, verbindet sich das genaue Nachspüren der Auswirkungen dieses Missbrauchs mit einer komplexen und durchaus herausfordernden literarischen Erzählweise. Zugleich schreibt sein Roman auch jenen Kosmos fort, den Sebastian Barry über seine so unterschiedlichen Bücher hinaus entwickelt. Immer wieder berühren sich die Lebenslinien von Figuren über Bücher und Zeiten hinweg. Hier ist es nun eine Ms. McNulty, die mit Tom in dem viktorianischen Wohnungsensemble wohnt, deren Vorfahren Abenteuer in Amerika erlebt haben dürften.

Fazit

Für den Booker Prize 2023 nominiert (übrigens die sage und schreibe bereits fünfte Nominierung für Sebastian Barry) ist Jenseits aller Zeit ein wahrer Strudel an Erinnerungen und Schicksal, der die Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs ebenso zeigt, wie er auch hinabführt in die Seele eines Menschen, in dem sich Verlust und Tod schon zu sedimentieren scheinen. Einmal mehr fabelhaft übersetzt von Hans-Christian Oeser ist dieser Text ein beeindruckendes Dokument jener Zerrüttung, der der systematisierte Missbrauch in Irland (und nicht nur dort) in Menschen angerichtet hat.


  • Sebastian Barry – Jenseits aller Zeit
  • Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
  • ISBN 978-3-96999-401-6 (Steidl)
  • 288 Seiten. Preis: 28,00 €
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Neige Sinno – Trauriger Tiger

Radikale Umdenkung und Beschreibung der Konsequenzen von jahrelangem Missbrauch und Vergewaltigung: in ihrem Memoir Trauriger Tiger taucht Neige Sinno ganz tief ein in die Erfahrungen und Gedanken, die sie nach sexuellem Missbrauch im Kindesalter begleiten. Das ist alles andere als leichte Lektüre – dafür aber kompromisslos und bestechend detailscharf.


Es ist schwer zu verdauende Kost, die uns Neige Sinno in der Übersetzung von Michaela Meßner präsentiert. Denn der von der Erzählerin Neige Sinno selbst als Memoir bezeichnete Text geht an die Nieren, kreist er doch um das Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs, den die Erzählerin erleiden musste.

Im Alter von sechs Jahren trat der damals vierundzwanzigjährige Mann ins Leben der Erzählerin, der sie über Jahre hinweg missbrauchen sollte. Als neuer Partner an der Seite ihrer Mutter verging sich Sinnos Peiniger immer wieder an ihr, teils sogar während ihre Geschwister nebenan schliefen. Als sie sich ihrer Mutter anvertraute, hatte dies allerdings noch keine sofortigen Konsequenzen. Ein Jahr brauchte diese, um sich von ihrem Partner zu trennen.

Mit dem Abstand vieler Jahre und nun selbst Mutter betrachtet Neige Sinno ihre Erfahrungen während und nach dem Missbrauch, den sie nach ihrem Martyrium zur Anklage brachte. Weniger ein konsistenter Text denn ein schriftlicher Verarbeitungsprozess ist das, was uns da auf 300 Seiten erwartet

Radikaler Blick auf erlebten sexuellen Missbrauch

Radikal blickt Sinno auf die Erfahrungen und die Umstände, die es ermöglichten, dass sich der Missbrauch über Jahre hinzog und welchen Preis die Verarbeitung dieser Erfahrungen ihr abverlangte. Von ihrer eigenen Mutter, der sie sich nicht unmittelbar anvertrauen kann bis hin zum Dorf, das sie nach den Enthüllungen und dem Prozess meidet. Der Stiefvater, der in einem Prozess schuldig gesprochen wird, später aber wegen guter Führung vorzeitig entlassen wird, rasch eine neue Partnerin findet und mit dieser wieder eine neue Familie gründet. Die ganze Unglaublichkeit ihrer Geschichte, die seelischen Naben und Erfahrungen werden vor uns ausgebreitet, wobei Sinnos Text Gedanken und Reflektionen, Lyrik und Prosa sowie Zeitungstexte miteinander zu einem Textgewebe verdichtet.

Die Folgen der Vergewaltigungen gehen also weit über den klar umrissenen Bereich der Sexualität hinaus, sie wirken sich auf alles aus, von der Fähigkeit zu atmen bis hin zu der, andere Menschen anzusprechen, zu essen, sich zu waschen, sich Bilder anzuschauen, zu zeichnen, zu reden oder zu schweigen, in seinem Körper und seinem Leben zu Hause zu sein, sich imstande zu fühlen, einfach da zu sein.

Neige Sinno – Trauriger Tiger, S. 180

Sinno hinterfragt Allgemeinplätze wie etwa die Binse des seelischen Schadens, von dem sich Vergewaltigungsopfer nie wieder erholen. In ihren Gedanken spürt sie all dem nach und blickt mit ihren Erfahrungen auf den Umgang mit Missbrauch und den Konsequenzen, die das Erlebte für sie hatte. Besonders macht diesen Text die Radikalität, mit der sie den Missbrauch ebenso wie ihre eigenen Gedanken und Eindrücke schildert. Wie mit dem eigenen Kind umgehen, wenn im Kopf immer noch die Erfahrungen des erlebten Missbrauchs vorhanden sind – und wie kann man überhaupt Nabokovs Lolita lesen, wenn stets das Erlebten in einem arbeitet?

Ein dichtes Gedanken- und Referenzgewebe

Neige Sinno - Trauriger Tiger (Cover)

All das umkreist Trauriger Tiger, der dabei mit zitierter Lyrik, Chansons, Studien und anderen Romanen ein dichtes Netz an intertextuellen Bezügen webt. Das reicht vom schon erwähnten Werk Vladimir Nabokovs bis hin zu Annie Ernaux oder Virginia Woolf, die ebenfalls von ihren eigenen Brüdern vergewaltigt wurde. Auch eher in Frankreich bekannte Namen wie Johnny Halliday, Philosophen wie Gilles Deleuze oder die Autorin Margaux Fragoso liefern Denkansätze und Gedanken für Sinno, die sie umkreist.

Vor allem die letztgenannte Autorin ist ein starker Bezugspunkt für Sinno, da diese in ihrem Roman Tiger, Tiger ebenfalls den sexuellen Missbrauch verarbeitete, den sie über zehn Jahre als Kind erleiden musste. Ihr Buchtitel war eine Referenz an William Blakes Gedicht über den Tiger und dessen Ambiguität – und liefert nun auch Sinno Inspiration für den Titel ihres Werks. All diese Quellen und Referenzen finden Eingang in Trauriger Tiger und werden im umfangreichen Quellenverzeichnis akribisch auflistet.

Liest man Sinnos Text in diesen Tagen, dann gewinnt Trauriger Tiger über seine ihm innewohnenden Qualitäten hinaus noch einmal eine ganz besondere Dringlichkeit. Denn Sinnos Schilderungen ihrer Erfahrung und der juristischen Aufarbeitung des Erlebten im Prozess kann man eigentlich gar nicht lesen, ohne an den aktuell in Avignon stattfindenden Prozess um Gisèle Pelicot zu denken.

Eine ganz eigene Dringlichkeit in diesen Tagen

Diese setzt sich vor Gericht gegen ihren Ex-Mann zur Wehr, der sie regelmäßig mit Medikamenten betäubte, sich an ihr verging und seine wehrlose Frau auch einer ganzen Gruppe anderer Männer zur Verfügung stellt, die sich an ihr vergingen.

Der Fall hat einen öffentlichen Aufschrei und viel Aufmerksamkeit für das Schicksal Pelicots erzeugt, das aber beileibe kein Einzelschicksal ist. Denn im europäischen Vergleich liegt Frankreich nach Schweden auf Platz zwei, was sexuellen Missbrauch von Frauen anbelangt. Auf 100.000 Einwohner*innen kommen fast hundert zur Anzeige gebrachte Vergewaltigungen. Und das sind nur die erfassten Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein.

Denn solcher Missbrauch wird selten zur Anzeige gebracht, da er sich am häufigsten unter einander bekannten, wenn nicht gar unter Familienmitgliedern abspielt, wie auch Pelicots Martyrium oder Sinnos Beschreibungen in ihrem Buch zeigen.

Der Mut zum Gang an die Öffentlichkeit und das Bekenntnis des erfahrenen Leids coram publico kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es sind Frauen wie Gisèle Pelicot oder im vorliegenden Fall Neige Sinno, die mit ihrem Umgang mit erfahrenem Martyrium für die Öffentlichkeit sorgen, die die Grundlagen für Debatten und hoffentlich auch Veränderungen bildet. Es sind kraftvolle Schläge gegen eine Mauer aus Schweigen, gesellschaftliche Ignoranz, Verständnis für Täter und Schuldzuweisungen an die Opfer, die sie mit ihrem Tun ausführen.

Ein literarischer Überraschungserfolg

Dass diese Schläge Erfolge zeitigen, das beweist nicht nur der Sturm der Entrüstung, der sich nach dem Beginn des Prozesses in Avignon weltweit regte. Auch Neige Sinno ist der Beweis, dass der Mut Einzelner große Wirkungen erzielen kann.

So wurde ihr eindringliches Buch zunächst von fünfzehn Verlagen in Frankreich abgelehnt, ehe sich ein Verleger fand, der es publizierte. Dabei war allerdings noch nicht abzusehen, welcher absatzstarke und literaturkritische Erfolg Trauriger Tiger beschieden sein würde. So verkaufte sich das Buch in Frankreich über 300.000 Mal und wurde vielfach besprochen. Ganze fünf Literaturpreise konnte das Buch einheimsen, darunter der Prix Femina und der Prix Goncourt des lycéens. Zudem war das Buch 2023 neben der Auszeichnung des „jungen“ Prix Goncourt auch für die erwachsene Variante des Preises nominiert.

Man kann es verstehen, denn es ist gewiss kein einfacher oder bequemer Text, der Ablenkung und Entspannung bietet und den Wunsch nach Wohlfühlliteratur befriedigt. Aber ist ein ungemein wichtiger, der mit seiner kantigen Form und den ihm innewohnende Gedanken ein literarische Ausrufezeichens bildet und der das kraftvolle Dokument eines Überlebens ist.


  • Neige Sinno – Trauriger Tiger
  • Aus dem Französischen von Michaela Meßner
  • ISBN 978-3-423-28422-6 (dtv)
  • 304 Seiten. Preis: 24,00 €
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Suzie Miller – Prima Facie

Vom Ein-Personen-Theaterstück zum Roman. Suzie Miller legt mit Prima Facie die Umformung ihres erfolgreichen Schauspiels in Prosa vor und erzählt engagiert von sexuellem Missbrauch und den Fehlern im Rechtssystem, die die Beweis- und Prozessführung erschweren. Prosa, die ihre Herkunft als Bühnenstück nicht ganz verleugnen kann – und die aber dennoch eine eigene erzählerische Form findet.


Prima Facie hat eine spannende Entstehungsgeschichte hinter sich. So war die Australierin Suzie Miller lange Zeit als Strafverteidigerin tätig, ehe sie mit Prima Facie ein Bühnenstück schrieb, das gleich fünfmal für den prestigeträchtigen englischen Theaterpreis der Olivier Awards nominiert wurde und schließlich eine Auszeichnung als bestes neues Stück erhielt. Dazu noch ein Olivier Award für die Schauspielerin Jodie Comer, die in dem furiosen Solo Anklägerin, Gericht, Opfer und Verteidigung zugleich spielt und die für die Broadway-Adaption gleich auch noch einen Tony-Award erhielt.

Viel Vorschusslorbeeren also für das Stück, das von Australien über das Londoner Westend bis nach Amerika seinen Siegeszug antrat – und das auch hierzulande auf den Spielplänen der Theater zu finden ist, etwa im Münchner Residenztheater.

Nun also eine Buchversion, für die Autorin Suzie Miller nun ein langer Entstehungsprozess ihres Stoffs zu einem Ende kommt, wie sie im Nachwort ihres Romans schreibt. Denn dem Theaterstück ging ein langer Schreibprozess voraus, ehe Miller die theatrale Version dann in einen Roman zurückverwandelte, den es jetzt dank der Übersetzerin Katharina Martl und des Kjona-Verlags auch auf Deutsch zu lesen gibt.

Vom Theaterstück zum Buch

Statt dem intensiven 90-Minuten Stück arbeitet Suzie Miller in ihrem Stück mit vielen Rückblenden, die die erste Hälfte des Buchs bestimmen. In Damals und Vorher betitelten Rückblenden lernen wir die Strafverteidigerin Tessa Ensler kennen.

Suzie Miller - Prima Facie (Cover)

Selbst aus der englischen Arbeiterklasse stammend, hat sie sich mit viel Willen und Talent emporgearbeitet zu einer der besten jungen Strafverteidigerinnen, die am Old Bailey genannten Strafgerichtshof in London ihren Dienst tun. Ihre Mutter und ihren Bruder hat sie ebenso wie ihre Kindheit in einer tristen Wohnanlage im Norden von London längst hinter sich gelassen.

Nach einem Jura-Studium in Cambridge ist sie nun Teil einer Kanzlei, in der talentierte junge Rechtsanwält*innen ihrem Tagesgeschäft nachgehen und sich gegenseitig pushen. Zum Unverständnis ihrer Mutter ist die Freilassung von Beklagten nun das Tageswerk von Tessa. Genaue Vorbereitungen auf Prozesse mit messerscharfen Zeugenvernehmungen vor Gericht bestimmen Tessas Alltag. Oftmals gelingt es der jungen Anwältin mit ihrer ausgefeilten Vernehmungstechnik, eine Freilassung oder eine Einstellung der Prozesse zugunsten ihrer Mandanten zu erwirken.

Die Frage der Schuld

Ob jemand schuldig ist, das interessiert Tessa nicht, besser gesagt will sie es gar nicht wissen, um ihren Job gut zu machen

Selbst wenn ich zu wissen glaube, was mein Mandant getan oder nicht getan hat, hat er noch immer das Recht, seine Geschichte vor Gericht zu bringen, das Recht, angehört zu werden. Sobald du anfängst, deinen Mandanten zu verurteilen, bist du am Arsch. Du verlierst dein Fundament. Das Rechtssystem ist verloren. Du bist verloren.

Suzie Miller – Prima Facie, S. 75

In Prozessen um sexuellen Missbrauch nimmt sie die Zeuginnen gnadenlos ins Verhör. Mit spitzfindigen Fragen sät sie bei den Jurys höchst erfolgreich Zweifel an deren Glaubwürdigkeit. Wenn es der Sache dient, hat Tessa keine großen Skrupel, ihre Geschlechtsgenossinen in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, wenn es der Sache und ihren Mandaten dient.

Dann kommt das Buch nach seiner sehr langen Exposition in der zweiten Hälfte des Romans aber doch noch zum Wendepunkt einer bitteren Pointe, die zuvor sorgsam vorbereitet wurde. Denn Tessa widerfährt das, was sie bei anderen jungen Frauen stets anzuzweifeln wusste – sie wird von einem Kollegen vergewaltigt, nachdem alles zuvor nach einem aufregenden Flirt ausgesehen hatte. Und plötzlich findet sich Tessa auf der anderen Seite im Gerichtssaal wieder und wird von der Strafverteidigerin zur Zeugin der Anklage, die nun selbst unter juristischen Beschuss genommen wird.

Dass Prima Facie ein Theaterstück war, das vermittelt sich vor allem in der zweiten Hälfte des Buchs. Minutiös beschreibt Suzie Miller die Mechaniken des Prozesses, den sie ähnlich wie ihr schreibender Kollege Ferdinand von Schirach qua beruflichem Vorleben inwendig kennt.

Schuld und Bühne

Die Vorbereitungen des Prozesses gegen Tessas Vergewaltiger, die Vernehmung Tessas als Zeugin, die Anwesenheit von Familie und Beklagtem im Gerichtssaal, all das schildert Suzie Miller nahezu in Echtzeit. Der Gerichtssaal wird hier zur Bühne, auf der noch so viel mehr als alleine Tessas Fall verhandelt wird.

Denn Prima Facie findet im Rechtsmittel des Voire Dire, einer Spezialität des englischen Prozessrechts, zum Höhepunkt. Nachdem sich Tessa nun einmal selbst der erniedrigenden Vernehmung und den unverschämten Suggestionen eines Kronanwalts unterziehen musste, kann sie nicht mehr an sich halten und nutzt das Rechtsmittel, um so über die Vernehmungsfragen hinaus selbst Stellung zu ihrem Fall zu nehmen. Sie hält einen eigentlich zwar spontanen, und doch bühnenreifen, flammenden, höchst emotionalen und zugleich intellektuell durchdrungen Monolog, für den die Jury aus dem Saal geschickt wird, um nicht beeinflusst zu werden.

All die Erfahrungen auf beiden Seiten der Missbrauchsprozesse, das gerade Erlebte, das schreiende Unrecht, dass jede dritte Frau in England sexuellen Missbrauch erlebt hat, aber nur jede zehnte einen solchen Übergriff überhaupt zur Anzeige bringt, all das fließt in diese zentrale Szene ein, die dem Roman schon fast auch etwas Aktivistisches gibt.

Hier meint man selbst im Publikum zu sitzen, wenn Tessa aus dem Zeugenstand heraus das patriarchal geprägte Rechtssystem, die Unmöglichkeit einer klaren Beweisführung und den falschen Umgang mit den Opfern solcher Übergriffe anprangert. Hätte es Suzie Miller geschafft, der ersten Hälfte auch ein wenig der Dringlichkeit dieses Appells zu verleihen, hätte Prima Facie noch ein Stück mehr gewonnen.

Fazit

So tritt in Prima Facie stilistisch und gestalterisch alles hinter den klaren Höhepunkt des Romans im Gerichtssaal zurück. Etwas weniger subtil als beispielsweise Ian McEwan in Kindeswohl wird auch in Prima Facie der Gerichtssaal zur Bühne für die ganz großen gesellschaftlichen Fragen, unseres Miteinanders und der Lücken im Rechtssystem. Trotz der vielen Rückblenden sticht das Buch auf der Ebene der Sprache nicht wirklich hervor, da es Suzie Miller nicht ganz gelingt, einen eigenen Sound zu kreieren, sondern in einer stilistisch recht uniformer Schilderung der Vorgänge und der Figurenzeichnung zu verharren.

Davon abgesehen ist das Buch wirklich engagiert und legt seinen Finger in eine Wunde unseres Rechtssystems. So schärft die schreibende Anwältin Suzie Miller zusammen mit einigen anderen Werken in letzter Zeit das Bewusstsein für das, was sexueller Missbrauch und seine Aufarbeitung für Betroffene bedeuten kann – nicht nur vor dem Hintergrund des skandalösen Freispruch Harry Weinsteins in den USA vor wenigen Tagen.


  • Suzie Miller – Prima Facie
  • Aus dem Englischen von Katharina Martl
  • ISBN 978-3-910372-21-4 (Kjona)
  • 352 Seiten. Preis: 25,00 €
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Leila Mottley – Nachtschwärmerin

Leila Mottley geht in ihrem Debüt Nachtschwärmerin dahin, wo es weh tut. Sie beobachtet den Kampf einer Teenagerin um ein geregeltes Leben für sich und ihren Bruder – und lässt sie an am Sozialsystem der USA, an Korruption, Ausgrenzung und Machtmissbrauch scheitern. Ein sozialkritischer Roman ohne viel Hoffnung.


Oakland, die drittgrößte Stadt in der San Francisco Bay Area. Hier lebt die siebzehnjährige Kiara und ihr älterer Bruder Marcus in einer heruntergekommenen Wohnanlage namens Royal Hi. Royal ist hier allerdings gar nichts. An allen Ecken und Enden herrscht Verwahrlosung, sowohl bei der Anlage selbst als auch bei deren Bewohnern, für die das Hi im Namen der Wohnanlage eher für „High“ steht. Der Pool der Anlage riecht nach Exkrementen, cracksüchtige Bewohner*innen hausen dort – und Kiara muss sich neben ihrem Bruder Marcus auch um das Kind einer dieser Cracksüchtigen kümmern, die sich irgendwo in Oakland herumtreibt, statt sich um ihr Kind zu kümmern.

In den Baracken von Oakland

Die Eltern von Kiara und Marcus sind beide abwesend – die Gründe dafür erklärt Lila Mottley später im Buch. Und so ist der ferne Onkel Ty das einzige greifbare Familienmitglied, der zum leuchtenden Idol für Marcus wird, hat dieser es doch als Rapstar aus der erbärmlichen Umgebung des Royal Hi hinaus in die besseren Viertel von Oakland geschafft. Doch Ty will mit den Kindern seiner Schwester nichts zu tun haben.

Leila Mottley - Nachtschwärmerin (Cover)

Schon zu Beginn spitzt sich die Lage dramatisch zu, als den beiden jungen Erwachsenen eine Mieterhöhung ins Haus steht, die sie nicht bezahlen können. Marcus verbringt seine Tage lieber im Musikstudio eines Freundes, um seinem Onkel nachzueifern und Rap-Tracks aufzunehmen, ohne etwas zur Haushaltskasse beizutragen. Und Kiara bekommt aufgrund ihres Alters und fehlenden Lebenslaufs beruflich kein Bein auf den Boden. So etwas wie ein sichernde Sozialsystem gibt es für sie gar nicht. Und so geht sie den einzigen Schritt, der ihr bleibt: den in die Prostitution.

Sie verkauft ihren Körper, um ihren Bruder und sich durchzubringen, denn auf ihre Familie kann sie nicht vertrauen. Doch dabei gerät sie in die Fänge der Polizeibehörde, nachdem sie sie von Officers ertappt wird, als sie sich prostituiert. Diese erpressen sie, damit sie ihnen und anderen Gesetzeshütern in Oakland fortan zur Verfügung steht und drängen sie damit in ein verhängnisvolles System aus Unterdrückung und Machtmissbrauch, aus dem Kiara aus eigener Kraft kaum herausfindet. Mal geben ihr die Polizeiangehörigen etwas Geld, mal behaupten sie, dass der widerwillige Sex mit ihnen sie vor einer Verhaftung schützen würde. Aus eigener Kraft schafft es Kiara kaum mehr heraus aus diesem System.

Ein bestürzendes Bild des amerikanischen Prekariats

Das Bild, das Leila Mottley vom amerikanischen Prekariat zeichnet, ist bestürzend. Fernab von sonnengesättigter kalifornischer Lässigkeit zeigt die gerade einmal 23 Jahre alte Autorin eine nachtschwarze Welt, in der es so etwas wie Hoffnung fast gar nicht gibt. Man haust in heruntergekommenen Appartements, Kinder werden vernachlässigt und das Aufstiegsversprechen des amerikanischen Traums gilt für das Personal in Nachtschwärmerin auch nicht, wenngleich Onkel Ty mit seinem Raperfolg die Ausnahme ist, die die Regel bestätigt.

Leila Mottley überrascht in ihrem Buch mit Gnadenlosigkeit und einem bestechend genaue Blick auf dieses System, bei dem mittellose Schwarze wie Kiara und ihr Bruder schnell durchs Raster fallen. Auch legt sie in den Finger der Wunde namens Korruption, die bei vielen Polizeibehörden in Amerika leider schwärt und immer wieder für Schlagzeilen sorgt. So schreibt sie im Nachwort zu Nachtschwärmerin:

2015 war ich ein junger Teenager in Oakland, als ein Artikel Aufsehen erregte, der beschrieb, wie Mitglieder des Oakland Police Department und mehrerer anderer Polizeibehörden in der Bay Area sich an der sexuellen Ausbeutung einer jungen Frau beteiligt und versucht hatten, es zu vertuschen.

Dieser Fall entwickelte sich über Monate und Jahre, und auch als das mediale Interesse abflaute, rätselte ich weiter über diese Geschehnisse, über diese Mädchen und über all die anderen Mädchen, die keine Schlagzeilen machten, obwohl sie ebenso die Grausamkeit dessen erfuhren, was die Polizei dem Körper, dem Geist und der Seele eines Menschen antun kann. Neben diesem einen Fall, der es in die Nachrichten schaffte, gab und gibt es Dutzende weitere Fälle von Sexarbeiter*innen und jungen Frauen, die Gewalt durch die Polizei erfahren und deren Geschichten unerzählt bleiben, die keinen Gerichtsprozess erleben und die diesen Situationen nicht entkommen. Aber wir kennen nur wenige von diesen Fällen.

Leila Mottley – Nachtschwärmerin, S. 410

Das Anliegen, auf diese Fälle hinzuweisen und den unmenschlichen Umgang mit den Opfern aufzuzeigen, löst Leila Mottley gelungen, indem sie Kiara alle Stationen ihrer Via Dolorosa abschreiten lässt, bis hin zum Prozess, in dem alles kulminiert.

Fazit

Die junge Autorin erinnert mit ihrem sozialkritischen Blick an andere Werke wie etwa Liz Moores Long bright river, in dem ebenfalls tief in die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft geblickt wird. Erbaulich ist das natürlich nicht, eher erschütternd und ohne viel Hoffnung. Aber solche Literatur braucht es. Literatur, die dorthin blickt, wo man sich lieber abwendet und die die Realität an den Rändern der Gesellschaft in den Blick nimmt, auf dass diese Realität Veränderung erfahre!


  • Leila Mottley – Nachtschwärmerin
  • Aus dem Englischen von Yasemin Dincer
  • ISBN 978-3-7530-0058-9 (Ecco)
  • 416 Seiten. Preis: 22,00 €
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Sophie Hardcastle – Unter Deck

Das Schiff als Handlungsort für Romane liegt im Trend. Die Vorteile für den Schauplatz liegen auf der Hand: ein hermetisch abgeschlossener Ort, ein überschaubares Figurenensemble (wenn man nicht gerade von einem Kreuzfahrtschiff ausgeht) und viele Möglichkeiten zur Entwicklung dieser Figuren durch Ausnahmesituationen.

Egal ob Walfänger (Ian McGuireNordwasser), mittelalterliches Schiff (Stuart TurtonDer Tod und das dunkle Meer) oder Yacht (Amity GaigeUnter uns das Meer) – zumeist geraten die Held*innen dieser Bücher in Ausnahmesituation, müssen mal ihr Leben, mal ihre Ehe retten. In Sophie Hardcastles Roman Unter Deck ist das nicht anders. Und dennoch gelingt ihr ein eigenständiger Roman von großer Eindringlichkeit, Farbigkeit und Dramatik. Sie kombiniert die Schiffsreisen einer jungen Frau mit der Erzählung eines sexuellen Missbrauchs und deR schwierigen Verarbeitung des Erlebten.

Beyond the sea

Dabei dauert es in Hardcastles Roman eine ganze Weile, bis es zur dramatischen Schiffspassage kommt, von der der Klappentext kündet. Zunächst lernen wir die junge Olivia kennen, die sich auf einem Boot als Opfer einer Entführung wähnt. Doch was sich für sie zunächst nach einer Entführung anfühlt ist vielmehr eine ritterliche Tat von Mac, so der Name des bärtigen Bootsbesitzers. Er hat Olivia betrunken aufgelesen und sie auf sein Boot in Sicherheit gebracht. Dort soll sie ausnüchtern. Doch bei dieser einen Rettungstat wird es nicht bleiben. Immer wieder wird Mac in den folgenden Jahren zu einem sicheren Hafen für die junge Frau werden.

Sophie Hardcastle - Unter Deck (Cover)

Im Anschluss an die vermeintliche Entführung macht er Olivia mit seiner Frau Maggie bekannt. Die beiden Frauen bemerken schon bald eine verbindende Art von Seelenverwandschaft. Denn während Maggie blind ist, prägt eine Synästhesie Olivias Wahrnehmung. Sie erkennt in Lautäußerungen Farben und Stimmungen (was Sophie Hardcastle wieder für adjektivsatte und sehr eindrückliche Schilderungen der maritimen Lebenswelt zu nutzen weiß).

Nachdem sie den Erwartungen ihrer fordernden und lieblosen Eltern entgehen möchte und die Beziehung zu ihrem Freund Adam auch nicht mehr zufriedenstellt, wagt sie mit Mac und Maggie einen Törn. Die beiden laden sie auf ihr Schiff ein – und schon bald werden der Seebär und die blinde Skipperin zu einer Ersatzfamilie für sie. Sie zeigen der jungen Frau eine andere Art des Umgangs miteinander auf. So lesen sie sich zum Frühstück Gedichte vor, die Wohnung der beiden ist voller Kunst und vor der Reise packen sie jede Menge Romane und Lyrik in ihr Reisegepäck (unter anderem wandert Rebecc Solnit mit ihrem Essayband Die Kunst, sich zu verlieren ins Reisegepäck).

Es ist eine Art Paradies, die Sophie Hardcastle rund um die drei so unterschiedlichen Menschen inszeniert. Man fängt Fische, taucht inmitten von Korallenwäldern und lauscht dem Walgesang. Allerdings sollte man sich von diesen bunten und verlockenden Schilderungen nicht aufs Glatteis führen lassen. Denn nach diesem Hymne auf das maritime Leben führt uns Sophie Hardcastle in völlig andere Untiefen.

Fünf Männer und eine Frau an Bord

Nach einem Zeitsprung sind wir wieder bei Olivia, die als Smutje bei einer Schiffsüberführung von Australien nach Neuseeland anheuert. Trotz der alten seemännischen Vorbehalte des Skippers Vlad gegen Frauen an Bord wird Olivia in die Truppe aufgenommen. Doch schon nach wenigen Tagen kippt die Stimmung an Bord gefährlich. Nicht alle Männer sind ihr wohlgesonnen, sie bricht sich eine Rippe und dann wir es vollends kompliziert, als sie Sympathien für ein Crewmitglied entwickelt. Eines Nachts kommt es zu einem Übergriff, der Olivia in den kommenden Jahren unlässig begleiten wird. Sophie Hardcastle inszeniert diesen erfreulich vielschichtig, differenziert und nachvollziehbar. Die entscheidende Nacht ist hier nicht schwarz oder weiß, sondern eben auch in Grautönen changierend. Immer wieder wird Olivia die Erfahrungen neu überdenken und durchleben.

Davon erzählt Hardcastle dann in den letzten beiden Teilen des Buchs. Nach einem weiteren Zeitsprung arbeitet Olivia dann in London in einer Galerie und geht eine Beziehung mit dem Bruder ihrer Chefin ein. Die Dämonen des Übergriffs lassen sie allerdings auch in dieser Beziehung nicht los. Stets löst das Element des Wassers in ihr Abscheu aus und holt Verdrängtes wieder ans Tageslicht. Das schwierige Leben mit dem Erlebten und Verdrängten wird dann auch im letzten Teil des Buchs behandelt. So bekommen ihre Schutzengel Mac und Maggie hier noch einmal einen Auftritt.

Unter Deck erzählt vom Kampf mit dem Erlebten. Beeindruckend schildert Sophie Hardcastle die Dämonen, die Olivia nicht mehr loslassen wollen. War das Buch bis zur Schiffspassage nach Neuseeland in weiten Teilen eine nahezu paradiesische Schilderung (in der alle Elemente des Folgenden allerdings auch schon angelegt waren), so kippt das Buch ab der Hälfte völlig. Angenehm schwankend und sehr nachvollziehbar gelingt ihr diese schwierige Schilderung, wo sich andere Erzählerinnen ins Quasi-Dokumentarische verlegen. Der Fortgang des Romans wird logisch aus dem Erlebten entwickelt und man ist ganz nah an dieser Heldin dran.

Fazit

Unter Deck ist Roman mit einem schwierigen Thema, das Sophie Hardcastle bravourös schildert. Um diesen Kern herum legt sie ein Sprachgewebe, das durch seine Farbigkeit und Opulenz besticht (übersetzt von Verena Kilchling). Liegen auch die einzelnen Teile zeitlich und räumlich auseinander, so gelingt es der 1993 geborenen Autorin, diese Teile logisch miteinander zu verbinden und so die Erfahrungen eines sexuellen Missbrauchs und die Konsequenzen nachvollziehbar und plastisch zu schildern. Ihr Debüt ist kein Buch, das gute Laune oder leichte Unterhaltung bietet. Aber es ist ein wichtiges und wuchtiges Buch. Eines, in dem das Boot auf dem weiten Meer zur Metapher auf die Verfasstheit der Heldin gerät. Lohnenswert und in meinen Augen besser gelungen als Bettina Wilperts nichts, was uns passiert. Eine klare Empfehlung und deutlich mehr als „nur ein Schiffsroman“.


  • Sophie Hardcastle – Nichts was uns passiert
  • Aus dem Englischen von Verena Kilchling
  • ISBN: 978-3-0369-5831-6
  • 320 Seiten. Preis: 23,00 €
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